Dienstag, 19. Juni 2007
China. Die geheime Einsatzgruppe Women On War, kurz W.O.W., ist in ihrem zugewiesenen Gebiet angekommen. Die Begrüßung fällt sehr unangenehm aus. Eine japanische Zero schießt ihr Transportflugzeug ab. So hatten sich die als Nonnen verkleideten Frauen ihre Ankunft nicht vorgestellt.
Glück im Unglück heißt es für die außergewöhnlichen Frauen, als sie erleichtert feststellen, dass sie außer den beiden toten Piloten im Cockpit noch einen Piloten unter den Passagieren haben – dieser ist leider stark alkoholisiert.
Und betet, dass meine Leber durchhält. Sofort macht er sich ans Werk. Um die Maschine zu retten, ist es bereits zu spät. Jetzt geht es nur noch um Leib und Leben, denn die Zero hat bereits umgedreht, damit sie einen neuen Angriffsflug starten kann.
Die W.O.W. lassen sich nicht auf Dauer von solchen Widrigkeiten beirren. Ihre Fähigkeiten sind die Garanten für eine erfolgreiche Mission. Die jüngste in der Gruppe, Deckname Poison Ivy, kann mit ihrem Kuss töten. Boston Iceberg kann mit einer Berührung alles zu Eis erstarren lassen. Memory kann in Blitzgeschwindigkeit alles lernen, Gorgon Lady ist zwar blind, dafür verfügt sie über ein übermenschlich gutes Gehör. X-Raymonde ist telepathisch sehr begabt. Und Yum Yum Jaw ist die Frau für’s Grobe. Als Kannibalin ist sie dazu auserkoren, unliebsame Wachen außer Gefecht zu setzen.
Besondere Fähigkeiten sind noch kein Ersatz für gute Planung und Ausführung. Das müssen die sechs Frauen mit Sonderbefehl vom Präsidenten der Vereinigten Staaten bald feststellen. Poison Ivy ist außerdem enttäuscht. Ihr Bruder, den sie bei den Flying Tigers wähnte, einer amerikanischen Fliegereinheit, die dem chinesischem Oberbefehl unterstellt ist, hat sich unerlaubt ein Flugzeug genommen, um gegen die japanischen Feinde zu kämpfen. Seither gilt er als verschollen.
Es bleibt keine Zeit zum Trauern. Die chinesische Stadt Loiwing droht vom Feind mit Brandbomben angegriffen zu werden. Die W.O.W. haben sich geschworen, diesen Angriff unschädlich zu machen. Zu diesem Zweck haben sie sich einen waghalsigen Plan ausgedacht. Werden sie ihren Auftrag ausführen und lebend zurückkehren können?
In Poison Ivy 2 – Flying Tigress gehen die Abenteuer der Women On War nahtlos dort weiter, wo sie in der ersten Ausgabe endeten. Philippe Berthet und Yann erlauben sich neben einem ordentlichen Abenteuer-Feuerwerk einige Anspielungen auf bekannte Figuren aus Historie, Film und Comic.
Der rothaarige Pilot, der den W.O.W. das Leben rettet, erinnert ein wenig an Sonny Tuckson aus den Rex Danny-Comics. (Manchmal auch Buck Danny genannt.) Witzigerweise heißt der Pilot, der Sonny so ähnlich sieht, auch noch Sonny. Die W.O.W. finden sich bald im Lager der Fliegenden Tiger wieder (auch einst ein Thema bei Rex Danny). In einer ganz kleinen Szene findet sich einer jener Helden, der sogar die Hauptfigur einer amerikanischen Fernsehserie werden durfte. Greg Boyington, auch als Pappy Boyington bekannt, war 1942 erwiesenermaßen Angehöriger der Flying Tigers. Berthet und Yann nutzen die Legende der Jagdflieger für einen kleinen Witz, der das Fliegerass in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt.
Gegenüber des ersten Bandes, der sich der Einführung der verschiedenen Figuren, insbesondere der W.O.W., gewidmet hat, ist der Abenteuer-Charakter noch stärker geworden. Wer sich für eine gelungene Mischung aus 3 Engel für Charlie, Indiana Jones, Agenten-, Kriegs- und Mystery-Abenteuer begeistern kann, liegt mit der Lektüre der Fortsetzung von Poison Ivy goldrichtig. Oben drauf gibt es noch eine gute Portion Humor und fertig ist der Lesespaß.
Bei genauerer Betrachtung sind es die einzelnen Bestandteile, die sehr sorgsam gemischt wurden und so einen ungewöhnlichen Comic entstehen ließen. Die Prise Mystery entsteht durch die Fähigkeiten der Agentinnen. Der Schauplatz, das umkämpfte China, bietet reichlich Action und reißt den Leser sehr schnell mit. Die Luftkämpfe und Verteidigungskämpfe sind hochdramatisch geschildert und gezeichnet. Die Kapriolen am Himmel, mit der sich amerikanische (eigentlich chinesische) Curtiss P40 und japanische Zeros bekriegen, sind eindrucksvoll gestaltet und stehen den Klassikern des Comics auf diesem Gebiet in nichts nach.
Das Agentenszenario wird gehörig veralbert, wenn sich die als Nonnen verkleideten Agentinnen als Angehörige des Dritten Reiches gegenüber den Japanern ausgeben. Hier, bei einem der Achsenmächte des Zweiten Weltkriegs, ist man wenig begeistert über die Anwesenheit dieser merkwürdigen Betschwestern. Bei der kleinsten Aggression heißt es für die Damen: Kopf ab. Ein kleiner Sergeant ist nur zu gern bereit, zu diesem Zweck sein Katana auszuprobieren. In bester Manier, wie es schon in der Reihe Peter und Alexander geschah, werden hier die Asiaten durch den Kakao gezogen.
(Witzigerweise finden sich auch hier wieder Moskitos, die auch schon in der erwähnten Abenteuer-Reihe mit den beiden Freunden zur Geheimwaffe werden sollen. Ein zufälliger Gedankenstreich oder eine kleine Hommage an einen anderen Klassiker?)
Zuerst macht die Geschichte einen verschachtelten Eindruck. Schließlich werden verschiedene Handlungsstränge verfolgt. Aus der ursprünglichen Mission wird sehr schnell eine Rettungsaktion, bis es wieder in den Endspurt geht, der in eine Materialschlacht mündet. Die Zeichnungen und die schlichte, aber sehr plastische Kolorierung geben den Bildern Trickfilmcharakter.
Für die W.O.W. ist es dank ihres Mentors Roosevelt noch lange nicht das Ende. Auch für Tinkleberry und seinen Freund ist die Geschichte noch nicht aus – ihr Schicksal muss sich noch aufklären. Ein rasantes Abenteuer mit viel Spaß und spannenden Wendungen erzählt.
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Freitag, 15. Juni 2007
Ein Bayou in Louisiana. In den Sümpfen geht alles seinen gewohnten Gang. Aufregung bringen hier die allseits beliebten Ochsenfroschrennen und die Alligatorjagd. Tinkleberry hat dieses Leben satt. Auch der Trost seiner kleinen Schwester, liebevoll Swampy genannt, hilft ihm nicht darüber hinweg.
Die Aussicht auf eine Heirat und niemals aus diesem Nest herauszukommen, ist ihm ein Gräuel. Doch Tinkleberry hat einen Plan gefasst. Seine Zukunft liegt nicht auf dem Grund eines Sumpfes, sondern in der Luft. Heimlich hat er sich einen Ratgeber bestellt und übt die Bedienung eines Jagdflugzeugs.
Über Swampy brauen sich dunkle Wolken zusammen. Marie Laveau, als Seherin begabt und eine versierte Priesterin des Voodoo, sieht für Swampy eine dunkle Zukunft voraus. Ein kleiner extra für sie hergestellter Talisman soll sie beschützen. Wenig später schlägt das Schicksal schon zu. Zwei Unbekannte töten Swampy!
Nach ihrem Tod ist alles anders. Sie hat sich verändert. Plötzlich liegt ihre Kindheit hinter ihr. Auch körperlich hat sie sich verändert. Aus dem Kind ist über Nacht eine Frau geworden. Ihr Bruder ist auch nicht mehr da. Er hat seinen Traum wahr gemacht und ist zu einer Luftwaffeneinheit gegangen. Doch da ist noch etwas anderes, etwas Furchtbares. Swampy besitzt plötzlich eine Kraft, die aus ihr eine Waffe macht. Diese Veränderungen in ihrem Leben finden ihren Gipfel in einer Begegnung mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Der mächtigste Mann der Erde sucht kurz vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg nach Frauen mit besonderen Fähigkeiten, die sich zu einer Sondereinheit formen lassen.
Eben befand sich Swampy noch in den Sümpfen. Nun ist sie Agentin im Dienste der USA. Ihr neuer Name lautet: Poison Ivy.
In den 30er, 40er und auch noch in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts waren Abenteuer möglich. In diesen Jahrzehnten des Umbruchs, als die Technik noch lange nicht ihre Höhepunkte erlebt hatte, als die Welt noch schwarzweiß war, erlebten Abenteuer-, Krimi- und Agentengeschichten eine große Blütezeit. Heute wird immer noch gerne auf die Vorlagen dieser Zeit zurückgegriffen. Indiana Jones ist das Paradebeispiel dieser ganz eigenen Mixtur aus unheimlichem Ambiente, Agenten, Krieg und einer Prise Phantastik als Kinofilm wie auch als Fernsehserie.
Poison Ivy von Philippe Berthet und Yann funktioniert auf ähnliche Weise. Das Schöne bei solchen Geschichten ist, dass sie eigentlich immer gelingen und mit allen Zutaten versehen werden können, die Spaß machen.
Poison Ivy entführt auf amüsante und phantastische Weise in eine Zeit, in der alles möglich war.
Der Startort der Erzählung ist perfekt gewählt. Die Bayous in den USA sind wegen ihrer Abgelegenheit und Urwüchsigkeit ein sehr urtümlicher Flecken Erde, auf die Uhren noch langsamer ticken – so ist jedenfalls die legendäre Sicht auf die Bajous. Hier blüht abseits von New Orleans der Voodoo und die Menschen sehen merkwürdig aus. Einige der Menschen, die in Poison Ivy auftreten, entsprechen genau diesem Klischee. Kleine Anspielungen und Vorkommnisse sorgen für ein deftiges Schmunzeln in den Mundwinkeln. Darunter fallen die erwähnten Ochsenfroschrennen. Wer hier verliert, kann sich auf die Suppe vorbereiten. In die Kategorie der sehr kauzigen Bewohner des Bajous fällt der Gehilfe von Marie Laveau, der immer die Drecksarbeit für sie erledigen muss. Die Auswahl der Zutaten für einen Voodoo-Zaubertrank kann sehr ungewöhnlich sein. (Von den verlangten Mengen einmal abgesehen.) Inmitten eines schönen Abenteuers entsteht so noch die perfekte Comedy.
Verschiedene unheimliche Ereignisse fesseln außerdem an die Geschichte. Swampys Wiedergeburt ist wirklich außergewöhnlich und auch im wahrsten Sinne des Wortes als solche zu erkennen. Hier kann der Einfallsreichtum des Teams Berthet und Yann nur gelobt werden, denn Optik und Erzählung agieren hier optimal Hand in Hand. Zuerst glaubt man sich noch in einer normalen Erzählung. Das Leben im Bajou ist zwar skurril, aber im Bereich des Möglichen. Die Zeichnungen sind glatt, geradlinig, schnörkellos und nichts wird dem Zufall überlassen. Sie transportieren das Gefühl, das beim Betrachten alter Fotografien und Filme aus dieser Zeit entsteht, sehr schön in das Comic-Genre. Das Flair wird durch die naturgetreue Wiedergabe von Fahrzeugen und Flugzeugen gestützt.
Plötzlich verändert sich nicht nur Swampys Leben radikal, die Geschichte nimmt auch eine völlig andere Richtung. Schuld daran ist der Voodoo, der hier nicht als pseudoreligiöse Show praktiziert wird, sondern tatsächlich Wirkung zeigt. Mit dem plötzlichen Leben als Erwachsene verfügt Swampy über die Fähigkeit, mit einem Kuss zu töten. Swampy findet sich bald in einem kuriosen Ausbildungscamp wieder, in dem noch andere Frauen mit außergewöhnlichen Begabungen zu finden sind. Hier haben Berthet und Vann ihrer Phantasie wirklich freien Lauf gelassen. Die ausgefallendste Agentin dürfte Yum Yum Jaw sein, die ungewöhnlichste Kannibalin seit Hannibal Lector.
Dank der Vielfalt und des Ideenreichtums über die gesamte Länge der Geschichte lässt einen die Handlung erst zum Schluss wieder los.
Wie erwähnt, erinnert Poison Ivy an die legendären Cliffhanger-Geschichten, die schon Indiana Jones zum Vorbild hatte. So ist es denn die einzige Nicht-Überraschung, dass auch dieses Abenteuer mit einem Cliffhanger endet. Leider, muss man aus Lesersicht sagen, denn die Anspannung erreicht zum Ende wirklich ihren Höhepunkt.
Sechs Engel für Roosevelt starten im Auftakt von Poison Ivy in ein unglaublich gutes Abenteuer, das mit einem hohen Charme-Faktor erzählt wird. Die Spannung und Unterhaltung entstehen hier aus dem großen Spaß, den die Macher bei der Erstellung dieses Comic-Kleinods gehabt haben müssen.
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