Gaston ist kein normaler Büroangestellter. Nichts liegt ihm ferner als seine eigentliche Arbeit. Post zu sortieren und zu beantworten ist absolut zweitrangig. Lieber tüftelt er etwas aus und raubt seinen Kollegen den letzten Nerv.
Für die Leute in seiner engsten Umgebung, nicht nur im Büro, ist die Nähe zu Gaston eine Art Abenteuerurlaub. Demel, ein Kollege mit Weisungsbefugnis (aber ohne echten Erfolg damit), gehört zu den Personen, die am meisten zu leiden haben. Es ist erstaunlich, aber bei all den Katastrophen, die das Leben für Gaston wie für die anderen bereithält, halten seine Kollegen ihn immer noch für liebenswert.
Die große Cartoon-Serie um den schmalen Bürojobber, von André Franquin, vorbildhaft für andere Cartoons, ist ein zeitloses Vergnügen für alle, die Comic mit Comedy in Reinform verbinden. In der vorliegenden Ausgabe zum 40jährigen Bestehen des Carlsen Verlages wurde Ausgewählte Katastrophen zu einem Band zusammengefasst.
Für Comic-Nostalgiker ist es eine vergnügliche Zeitreise, für Neulinge könnte es der Beginn einer wundervollen Freundschaft zum Medium Comic werden.
Gaston ist nicht faul, wie es zuerst den Anschein haben mag. Irgendwie wurde er von Franquin als verkapptes Genie konzipiert, dessen Aufmerksamkeitsspanne etwas kurz ist. Kurz, Gaston ist mit seiner Arbeit vollkommen unterfordert.
Seine Erfindungen sind zahllos, so hat es jedenfalls den Anschein. Die Leiter in der Bibliothek tauscht er gegen einen Stuhl aus, der sich an einem Zahngestänge nach oben kurbeln lässt. Nach einiger Zeit geht man auch nicht mehr über den Büroflur, sondern man fährt in bequemen Bürostühlen hängend an der Decke entlang. Pfannkuchen werden dank einer Zumischung von Latex zu kleinen Heißluftballons. Ein handelsüblicher Schirm mutiert zur Einmann-Wetterzone. Mit einem Gewehr werden Möhren zu Kaninchen geschossen, damit sie gestärkt den Jägern entkommen können. Ein neues Politurmittel wird zur unentrinnbaren Falle. Eine Erfindung zur Kaminsäuberung gerät ungewollt zu einer Flugabwehr, die einen Düsenjäger vom Himmel holt.
Freilich ist es für den Hobby-Koch damit nicht getan. Leider hat er auch noch außerordentliches Pech. Krankheiten wie Erkältungen quälen Gaston, Sonnenbrand, der er sich durch seine Erfindungen selber einhandelt und natürlich erkennen seine Freunde nicht sein Genie, weshalb er sich immer wieder so mancher Attacke ausgesetzt sieht.
Gaston ist herzensgut – wie die Frauen eher erkennen als die Männer. Fräulein Trudel kann von diesem jungen Mann, der ihr selbst gezüchtete Kakteen schenkt, gar nicht genug bekommen.
Franquins Humor ist nicht nur zeitlos. Eigentlich können Leser jeder Altersstufe über Gaston lachen. Vom feinen Humor, dem liebevollen Witz, der kurzen knackigen Pointe, dem Witz am laufenden Band (dem Running Gag) oder der puren Slapstick-Comedy ist alles dabei.
Dabei finden zahlreiche Beziehungen der auch Objekte immer wieder von Franquin Anwendung. Zu den klassischen Beziehungen gehören seine Kollegen Demel und Krause. Der Texter und der Zeichner sehen sich oft mit den neuesten Erfindungen konfrontiert oder anderen Einfällen, die entweder alles in Brüche gehen lassen oder anders für Chaos sorgen. Ein besonderes Ziel hierbei ist Herr Bruchmüller, der ein ums andere Mal in der Redaktion erscheint, um endlich die Verträge unter Dach und Fach zu bringen. Selbst als Gaston sogar eingeschlossen wird, vereitelt er indirekt die Vertragsunterzeichnung.
Gastons Tierliebe wird für seine Kollegen zusätzlich zur Belastungsprobe. Eine Katze, die dauernd nur Unsinn im Kopf hat (ihrem Herrchen damit sehr ähnlich ist), ist ebenso der Stein des Anstoßes wie die Lachmöwe, die ein Lächeln nur dann zustande bringt, wenn anderen etwas Schlimmes widerfährt.
Es ist Franquins Talent als Erzähler zu verdanken, dass aus kleinen Dingen ständig ein großer Lacher wird. – Wer das nicht glaubt, möge die kleinen Episoden um Gaston und eine Nuss einer näheren Begutachtung unterziehen.
Außerdem zeigt Franquin sehr schön, wie sehr es zu einem Bumerang werden kann, wenn man seine Mitmenschen triezt. Der Polizist, der kein gutes Haar an Gaston und seinem Oldtimer lässt, sieht sich jedes Mal einer Katastrophe mittlerer Größe ausgesetzt, sobald er neuerlich seinen Strafzettelblock zückt. – Für den Leser ist es ein Glück, dass der Schupo einfach nicht dazu lernt.
Schlechte Laune? Gaston lesen, schon ist wieder ein Lächeln da. Für jeden Humor-Typ ist etwas dabei. Eine der außergewöhnlichsten (scheinbar) Endloskomödien in der Literatur mit Witz, Charme und sehr viel Menschlichkeit. Die ausgewählten Katastrophen bringen Licht in einen regnerischen Herbstabend. 😀 😀 😀
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