Montag, 18. Juni 2007
Die blinde Fever und der Junge ohne Namen haben sich nach London geflüchtet. Sie glauben, sie hätten Ahmasi endgültig besiegt und wähnen sich nun in Sicherheit. Fever genießt die Avancen, die sie von einem indischen Illusionisten erhält. Der Junge kann endlich einmal in aller Ruhe Kind sein.
Doch das Unheil schwebt immer noch über ihren Köpfen. Irgendwie kann der Junge es spüren. Ein Zeitungsartikel bestätigt seine instinktiven Ahnungen. Tatsächlich hat es die ägyptische Priesterin geschafft, ihren Kopf zu finden. Mit einer neuen Identität und einem Schal um den Hals, der ihre nicht verheilende Wunde verbergen soll, macht sie sich an die Verfolgung.
Der Junge ohne Namen möchte die Angelegenheit mit Ahmasi endlich beenden. Es ist zu viel Zeit vergangen, während der er immer wieder von Ahmasi gejagt, gedemütigt und auf die verschiedensten Weisen gequält wurde. Es muss ein Mittel geben, um das unsterbliche Leben zu überwinden. Der will einen Weg finden, um Ahmasi zu vernichten. Inzwischen geht es nicht mehr nur um ihn. Zu viele unschuldige Menschen starben durch Ahmasis Hand, einzig weil sie dem Jungen ohne Namen ihre Hilfe angeboten hatten.
Eine Spur führt zu einem Friedhof. In einem alten Grab findet sich wirklich ein schriftlicher Hinweis aus einer unbekannten Quelle. Nun gibt es eine konkrete Adresse, wohin er sich wenden kann – wenn es ihm auch unbegreiflich ist, wer diese Botschaft für ihn in einem Grab in London deponiert haben dürfte. Doch die Nachricht ist keine Falle. In einer verfallenen Kirche erwartet den Jungen ein alter Mann, der der letzte in einer langen Kette von Wächtern ist, die immer gehofft hatten, den Unsterblichen zu begegnen. Denn nur sie wissen, wie ein Unsterblicher seine Existenz beenden kann.
Ahmasi ist in London eingetroffen. Mit ihr kommen Tod und Verzweiflung. Aus der Not wird ein Plan geboren. Der letzte Kampf gegen Ahmasi soll die Entscheidung bringen. Der Junge ohne Namen wird sich nicht mehr verkriechen, sondern setzt alles auf eine Karte, von der er hofft, dass sie gewinnen wird.
Mit Vampire Boy 3 – Die Erlösung findet eine hoch spannende Trilogie ihren Abschluss. Nach einer Reise durch die Zeit, der Wiederkehr in ein modernes Amerika, endet nun alles in einem dunklen verregneten London. Im Endspurt der Geschichte nehmen Autor Carlos Trillo und Starzeichner Eduardo Risso noch einmal Fahrt auf.
Doch zuvor hält eine Spur Melancholie in die Geschichte Einzug, die durch das lange Leben des Jungen ohne Namen absolut begründet ist. Er ist des Lebens müde geworden. Sein Finale mit Ahmasi ist Abrechnung und Rückblick zugleich. Die Idee einer Gruppe von Wächtern, die ein Auge auf die Unsterblichen haben, ist nicht neu (siehe Highlander), aber sie ist erfrischend einfach umgesetzt. Es handelt sich nicht um eine große Organisation. Sie wissen nicht einmal, wie viele Unsterbliche es gibt. Zwei alte Männer hegen ein wichtiges Geheimnis, nur bemuttert von einem Diener. Zuerst wird dem Leser eine neue Sorte Freak präsentiert. So, wie es dargestellt wird, würde der Leser Trillo diese Wendung der Geschichte sofort glauben. Aber Trillo wäre nicht Trillo, würde er es dabei belassen. Die nächste Wendung bringt eine schöne Überraschung. Mit Stil und Kultur steuert die Geschichte auf das Finale zu – beinahe jedenfalls.
Als erzählerisches und optisches Gegengewicht werden die Verbündeten und Feinde von Ahmasi gezeigt. Wieder einmal findet sich eine arme Seele, die Ahmasi zu Diensten ist. Diesmal jedoch ist es weniger ihrer Attraktivität zu verdanken. Als der kleine Mann sie kennen lernt, ist von dieser Attraktivität gerade nicht sehr übrig. Das neue Lockmittel lautet Unsterblichkeit. Nachdem dieser Gangster 2. Klasse gesehen hat, wie Ahmasi Kugeln widerstanden hat, ist es für ihn keine Frage mehr, was er auch besitzen möchte. Trillo nutzt diese Gelegenheit für eine sehr gemeine Pointe.
Trillo hat seinen Protagonisten leider nicht sehr viele Rückblicke im Endspurt gegönnt. Denn die Ansichten und kleinen Episoden aus der Vergangenheit gaben Trillo die Gelegenheit, aus dem Vollen seiner Phantasie zu schöpfen.
(Bei genauer Betrachtung gäbe diese sehr gelungene Trilogie die gute Gelegenheit für ein so genanntes Prequel. Und es ist schade, dass es höchstwahrscheinlich nicht dazu kommt.)
Die Arbeit von Eduardo Risso an Vampire Boy findet hiermit leider auch ihr Ende. Seine Licht- und Schatteneffekte sind unbestreitbar kleine grafische Meisterwerke. Zu den sehr guten Szenen gehören die Bilder von Ahamsis ersten Erlebnissen in London und das Eintreffen des Jungen ohne Namen in der alten Kirche, in der er endlich mehr über seine eigene Herkunft erfährt. Die Figur, die Risso besonders viel Spaß gemacht haben muss, scheint der kleine Gauner Mickey zu sein. Seinen ersten Auftritt hat Mickey als eine Art Pate, der ansieht, wie seine Begleitung von Ahmasi getötet wird. Nach und nach verliert Mickey seine gespielte Härte.
Der Showdown, den Trillo und Risso dem kleinen Mickey zugedacht haben, ist sogar ein bißchen traurig. In einem Film würden das Entsetzen und der Unglauben Mickeys bestimmt in Zeitlupe eingefangen.
Das Kindliche am Jungen ohne Namen wurde hier von Risso formvollendet eingefangen. Deshalb erschüttert der Test, den die Wächter an dem Jungen ausführen, noch viel mehr. Das Bild, wie der Junge gleichsam zusammen mit Jesus am Kreuz hängt, ist eindrucksvoll. Nicht zuletzt wurde eine Variante dieser Schlüsselszene als Cover ausgewählt.
Das Ende – das soll nicht verraten werden, einzig gesagt werden darf, dass es zelebriert wird. Die Optik wurde zurückhaltend eingesetzt, vielleicht, um den Akteuren noch mehr Würde zu verleihen, ganz gleich auf welcher Seite sie stehen und gleichgültig, was sie getan haben.
Dieses Finale ist derart gelungen, dass man zum Abschluss der Trilogie sagen kann: Nee, was war das gut! Einziger Nachteil dieser Trilogie: Schade, dass sie schon vorüber ist! 😀
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Sonntag, 10. Juni 2007
Jonny Double hat schon bessere Zeiten gesehen. Er kennt die 60er aus eigener Erfahrung, als man(n) sich half und sich gegen Cops und andere miese Typen beistand. Viel ist davon nicht mehr übrig.
Inzwischen ist Jonny ein Privatdetektiv, der keine großen Aufträge bekommt. Ständig ist es schwierig, an die Miete zu kommen und ein Drink will auch bezahlt werden können. Das Leben ist schon lange nicht mehr einfach. Schon deshalb nicht, weil Jonnys Klienten auch noch umgebracht werden. Und eines haben er und seine Klienten gemeinsam: Im Falle des Falles weint niemand ihnen eine Träne nach.
Aber auch der niedrigsten Kreatur wirft der Schöpfer einmal einen Knochen hin. So ähnlich muss sich Jonny fühlen, als dieses blonde langbeinige Gerät in sein Büro (an der Bar) marschiert und ihn in eine Geschichte um viel Geld verwickelt.
Der berühmte Al Capone hat auf seine alten Tage Geld beiseite gelegt, Geld, das heute dem gehört, dem es gelingt, es sich zu nehmen. Ausgerechnet eine Bande von kleinen Gaunern, gerade erst aus den Windeln raus und noch nicht trocken hinter den Ohren, braucht Jonny, um an das Geld zu kommen.
Und nicht nur das. Ein zweiter Auftrag eines gut situierten Herrn lässt Jonny noch mehr Morgenluft schnuppern. Ein Mädchen droht auf die schiefe Bahn zu kommen. Jonny soll auf sie aufpassen. Jonny macht sich keine großartigen Gedanken darüber, dass sie ausgerechnet der kleinen Gaunerbande angehört, die ihn einspannen will.
Es kommt noch besser. Als Jonny auf das Konto des alten Al Zugriff erhält, gelingt es ihm nur mangelhaft seine Überraschung im Zaum zu halten. Die Beute beträgt nicht 300000, sondern mehrere Millionen Dollar. Selbst einem abgetakelten Detektiv, der Jonny nun einmal ist, ist klar, dass die Geschichte ganz plötzlich vom Kopf her stinkt.
Doch zu diesem Zeitpunkt ist es für einen Rückzieher längst zu spät.
Mit Jonny Double zeigt das erfolgreiche Team von 100 Bullets, dass es auch einen Thriller zu gestalten versteht. Autor Brian Azzarello führt einen klassischen Verlierer vor. Jonny Double, dessen Ursprungsversion eines abgehalfterten Typen bereits der Hauptcharakter von vielen Geschichten war, lernen wir an einem Punkt in seinem Leben kennen, an dem es so nicht mehr weitergehen kann. Es ist der typische Wendepunkt. Entweder geht es komplett den Bach runter oder es geht aufwärts mit der begründeten Sicht auf Hoffnung. Jonny sieht letzteres auf sich zukommen.
Es ist ein klares Muster, das von Azzarello hier aufgenommen wird. Aber nach einem solchen Auftakt, weiß man nie, was kommt. Denn es ist das Gesetz eines solchen Thrillers, unerwartete Wendungen einzubauen, die den Leser ein ums andere Mal an der Nase herumführen. So verhält es sich auch mit Jonny Double. Bei all den Steinen, die dem Helden in den Weg gelegt werden, behält Jonny stets den Kopf oben und versucht, einen kühlen Kopf zu behalten. Die Betonung liegt auf versucht, denn auch Jonny stolpert über die drei Steine, die jedem Antiheld im Weg liegen: Frauen, Alkohol und aufkeimende Habgier.
Jeder Sprung über diese Hürden ist eine Meisterleistung, die Jonny von Mal zu Mal sympathischer werden lassen. Er mag ein Verlierer sein, aber er ist kein Aufgeber.
Azzarello beschreibt diesen Prozess, den Jonny durchläuft, spannend und zuweilen auch mit einem gehörigen Augenzwinkern. Dieser Humor findet sich besonders im Aufeinandertreffen der Generationen, in jenen Momenten, in denen sich Jonny ein wenig Vergangenheit und Jugend zurückholen möchte. Aber sie finden sich auch in Situationen, in denen es kaum brutaler zugehen könnte. Bezeichnend ist auch der Einbau von kleinen Nebenhandlungen wie hier das abrupte Ende einer Beziehung, in der sich die Fronten innerhalb weniger Bilder verschieben. Vergleicht man Jonny Double mit anderen Geschichten, wird schnell deutlich, dass Azzarello sich selbst treu bleibt und einen ganz eigenen Stil pflegt.
Eduardo Risso gibt Jonny ein Gesicht. Sein Zeichenstil ist von einer scheinbar bestechenden Einfachheit. Jonny hat ein Boxergesicht, einen Schmollmund wie Elvis, aber er mag auch ein bißchen Marv sein, mit einem Ehrbegriff versehen, der zu schwer für die Gegenwart ist und für einen gebeugten Gang sorgt. Besonders deutlich wird der Unterschied auf jenen Seiten, auf denen Risso den Helden in die Vergangenheit entführt. Das Gesicht ist frischer, jünger und optimistischer und nicht so abgebrüht wie bei den Kids der Gegenwart.
Über den lässigen Strich, den Risso pflegt, kann man auch dankbar sein, weil die Geschichte später einen Killer zwischen die Seiten entlässt, der auf althergebrachte Weise Diebe zu bestrafen versteht.
Solche Szenen sind starker Tobak, allerdings ist es direkt von Beginn an deutlich, dass Jonny Double keine Mainstream-Geschichte ist. Sie erfordert Konzentration. Im Kino müsste man sehr genau aufpassen, um den Anschluss nicht zu verlieren, im Comic hat man den Vorteil, auch einmal zurückblättern zu können. Die Straßen von San Francisco haben schon viele Krimis gesehen. Mit Jonny Double sehen sie einen Thriller in der Vielschichtigkeit eines Basic Instinct.
Jonny Double nimmt einen mit auf den Weg des Verlierers, der über sich selbst hinaus wächst. Mit zunehmender Sympathie für den Helden steigt auch die Spannung. Das Ende ist nicht vorhersehbar. Beste Krimiunterhaltung zwischen Comic-Seiten. 😀
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Montag, 02. Oktober 2006
Nach seinem letzten Kampf ist der namenlose Junge schwer angeschlagen. Fever, die blinde Frau, die ihn und die kleine Evening Cloud bei sich aufgenommen hat, weiß nun, was zu tun ist. Ihr Reiseziel lautet: New Orleans.
Dieser einzigartigen amerikanischen Stadt haftet immer noch ein magisches Flair an. Dies trifft sogar im wahrsten Sinne des Wortes zu, wie Fever behauptet. Sie besitzt ein herrschaftliches Haus, wohl behütet von einer alten Freundin. Der namenlose Junge, manchmal auch Running Wind genannt, fühlt sich für einen kurzen Moment sich, wenn nicht auch glücklich in der Gesellschaft seiner beiden Freundinnen.
Aber die Vergangenheit holt alle ein. Vor vielen Jahren verließ Fever die Stadt – der Liebe wegen. Nun ist ihr Geliebter von einst wieder da. Alles ändert sich, man könnte auch sagen, es ist, als habe sich nie etwas geändert. Auch Evening Cloud verliebt sich. Plötzlich ist der namenlose Junge allein und aus dem 5000 Jahre alten, unsterblichen Wesen wird wieder ein kleiner Junge, der sich schlicht vernachlässigt fühlt.
Er reißt aus.
Leider ändert er dadurch nichts. Im Gegenteil, denn seine Erzfeindin Ahmasi, unsterblich wie er, hat längst seine Spur wieder aufgenommen. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf.
In der 2. Episode von Vampire Boy mit dem Titel Der Fluch erfährt der Leser sehr viel Neues von dem kleinen Vampir wider Willen.
Der Junge ohne Namen hat ein ähnliches Problem wie Claudia in Interview with a Vampire. Er altert nicht und wird nie erfahren, wie es sein wird, ein Erwachsener zu sein. Er hat trotzdem die Erfahrungen unzähliger Menschenleben, die Anhäufung eines Wissens, um das ihn noch mehr Menschen beneiden würden. Leider belastet sein unsterbliches Leben auch seine Psyche. Nach 5000 Jahren im Körper eines Kindes ist der Junge ohne Namen einem Ende dieses Lebens nicht abgeneigt. Doch da gibt es Hindernis.
Dieses Hindernis heißt Ahmasi. Die ehemalige Geliebte des Pharaos aus dem alten Ägypten lebt eine völlig zügellose Unsterblichkeit. Sex und Gewalt gehören zu ihrem Charakter, der Hass auf den Jungen ohne Namen treibt sie an. Endlich will sie die einzige Unsterbliche des Planeten sein.
Damit verhält sie sich vollkommen entgegengesetzt zu Running Wind, wie der Junge auch von seinen neuen Freunden genannt wird – etwas, das Ahmasi niemals erfahren wird, denn sie benutzt die Menschen nur. Freunde sind ihr vollkommen fremd. Erneut erzählt Autor Carlos Trillo anhand einiger sehr prägnanter Beispiele, wie diese gegensätzlichen Eigenschaften der Hauptcharaktere sie durch die Jahrtausende getrieben haben. Die Unschuld des Jungen ohne Namen und die Durchtriebenheit von Ahmasi hoben sich auf der Waage der Ereignisse stets gegeneinander auf. Außerdem sind beide noch mit der gleichen Schwäche ausgestattet, die im vorliegenden Band ein deutliches erzählerisches Gewicht erhält: Nur bei Sonnenlicht regenerieren ihre Kräfte und Verletzungen.
Letzterer Aspekt stellt immer wieder die Grundlage für gegenseitige Attacken. Carlos Trillo verwendet diese Schwäche, um den Leser deutlich in die Irre zu führen. Zeichner Eduardo Risso hilft ihm dabei durch seinen exakten, unaufdringlichen Zeichenstil, besonders im zweiten Teil der Geschichte. Teilweise darf der Leser dabei durch Ahmasis Augen sehen oder auch als versteckter Zuschauer anwesend sein – der sich besser nicht selber blicken lässt.
Ein erzählerischer und optischer Trick, der Spaß macht.
Gnädigerweise verzichtet Risso darauf, Ahamasis Gewaltorgien allzu deutlich in Szene zu setzen. Schattenspiele, angedeutete Endergebnisse, all diese Ansichten genügen, um die Phantasie des Lesers anzuheizen – was vermutlich noch drastischere Bilder hervorruft.
Der Junge ohne Namen weiß inzwischen, dass die Schwäche der beiden für beide zu keinem Ergebnis führen wird. Carlos Trillo führt die Geschichte in eine neue Richtung. Die Lösung liegt in der ägyptischen Vergangenheit. Ein Fluch soll dem Jungen helfen, die Feindin zu besiegen und wie sich zeigt, ist diese Hilfe dringend nötig.
Geschickt und spannend erzählt, mit außerordentlich gruseligen Ausflügen in die Vergangenheit der beiden Hauptcharaktere, läutet die zweite Episode den Endspurt der Handlung ein. (Leider muss sich der Leser arg bis zur Fortsetzung gedulden, denn lange wurde die Spannung bis zum Schluss nicht mehr so auf die Spitze getrieben.)
Besser kann gepflegter Horror und Grusel in diesen Tagen kaum sein. 😀
Mittwoch, 05. April 2006
Bauarbeiten. Sonnenlicht fällt durch ein Loch im Asphalt, das seit 50 Jahren verschlossen war. Tief unten setzt sich eine Reaktion in Gang. Gewebe erneuert sich auf einem uralten Skelett. Wenig später flüchtet ein Junge aus dem Loch.
Ein Junge ohne Namen inmitten einer nordamerikanischen Großstadt, allein, aber nicht schwach. Nichts kann ihm etwas anhaben, die Sonne ist seine Verbündete und heilt jede Wunde, die ihm zugefügt wird. Sein langer Schlaf hat ihm einen riesengroßen Hunger beschert, einen Hunger, der so groß ist, dass er anderen auffällt. Obwohl äußerlich ein Kind, ist der Junge alt, sehr alt und sein endloser Hunger auf menschliche Nahrung ist nicht die einzige Besonderheit, die ihn auszeichnet.
Die Welt hat sich sehr verändert, aber sie ist so gefährlich wie eh und je. Auch diese Erfahrung macht er alsbald wieder. Doch die Welt ist auch nicht so schlecht, wie sie ihm zu Beginn erscheint.
Ein alter Indianer namens Gentle Bear hilft dem Jungen, nicht ganz uneigennützig, wie sich später herausstellt.
Vampire Boy – Die Auferstehung packt das Vampir-Genre auf erfrischende Weise an. Es entzaubert es einerseits, gibt ihr ungewöhnliche Hauptfiguren, andererseits bringt es neue Aspekte ein, die auf den ersten Blick ungewöhnlich sind, aber auch sehr ernsthaft und mit der nötigen Geduld erzählt werden.
Ein kleiner Junge, der mit der Erfahrung von 5000 Jahren ausgestattet ist, ist ein Vampir der außergewöhnlichen Art. Er besitzt ein wenig von der Schwermut, die bei Vampiren in den letzten Jahren nach dem Willen ihrer Autoren umgeht. Aber er ist auch nach wie vor ein Kind, das sich nach menschlicher Nähe sehnt, nachdem er seine eigene Familie viel zu früh verlor.
Einem Kind eine, nennen wir es beim Namen, eine bösartige Hure entgegen zu stellen, halte ich für eine beinahe geniale Idee. Ahmasi hat außer ihrer Sucht nach Lust (und Macht über die Männer) nichts Menschliches an sich, nicht einmal zu Lebzeiten.
Beide sind unsterblich, aber sie machen nichts daraus. Das ist, zusammen mit dem abgrundtiefen Hass aufeinander, die einzige Gemeinsamkeit, die die beiden haben. Der eine ist zu klein, die andere zu selbstsüchtig. Da die Handlung sich die erforderliche Zeit nimmt, werden die Charaktere sehr schön vorgestellt. Rückblicke zeigen kurze Momentaufnahmen aus dem Leben der beiden in vielen Jahrhunderten.
Die Handlung selbst ist ungewöhnlich spannend. Sie zeigt nicht nur das Leben eines Vampirs, sondern auch das eines kleinen Jungen in einer heutigen Großstadt. Hat ersterer eigentlich nichts zu fürchten, so sieht sich letzterer in dieser Welt einer riesigen Ansammlung von Gefahren gegenüber. Autor Carlos Trillo leistet hier mit seinen Beschreibungen ganze Arbeit, wenngleich es auch ein wenig trostlos ist. Die Rückblicke sollten ruhig etwas häufiger eingestreut sein – vielleicht auch, im Hinblick auf die ägyptische Herkunft des Jungen, weil ägyptische Szenarien immer schon etwas Geheimnisvolles in sich haben.
Trillo spricht im anschließenden Interview zum Ende des Bandes die Ironie an, mit der er die Realität beschreibt. Ich möchte behaupten, dass die Ironie nicht so überspitzt ist, wie sie sein könnte. Ein überaus genauer Blick auf das, was ist, ist es allemal.
Zeichner Eduardo Risso, der nicht zum ersten Mal mit Trillo zusammenarbeitet, beherrscht einen hervorragenden Minimalismus. Anders kann ich seinen Bildaufbau nicht beschreiben. Er entzieht sich der Details nicht, die ein Gegenstand oder eine Stadt haben kann, aber er beherrscht es geradezu perfekt, gerade so viel zu zeigen, dass das Auge des Lesers den nötigen Rest hinzu sieht. Einige Ansichten, wie etwa vom Stammesgebiet der Oglala aus, sind beeindruckend fein ausgearbeitet. Manchmal zeigt Risso kleine Nebenszenen wie einen Autounfall, der die Handlung zwar nicht vorantreibt, aber für Atmosphäre sorgt.
Rissos Darstellung der Charaktere ist sehr, sehr schön. Die Einfachheit ist einfach toll. Gentle Bear, der alte Indianer, Fever, die blinde Ladenbesitzerin, beides Nebenfiguren sind feine Beispiele für eine bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Geschichte.
Insgesamt würde Vampire Boy in Farbe nicht mehr so schön sein. Ich behaupte, Rissos feine Art zu zeichnen würde hierbei zu sehr in den Hintergrund treten. (Natürlich eine reine Spekulation, letztlich müsste das jeder Leser für sich selbst entscheiden.)
Der Auftakt der Geschichte lässt noch viele offene Fragen übrig. So ist die Entstehungsgeschichte des kleinen Vampirjungen immer noch rätselhaft. Die kurzen Ausblicke in die Vergangenheit bieten viele Möglichkeiten. Ich würde mich freuen, mehr darüber zu lesen, was der Junge über die Jahrhunderte hinweg noch alles erlebt hat. Am Ende lässt Carlos Trillo Gnade vor Recht ergehen und legt damit den Grundstein für eine wirklich gern erwartete Fortsetzung. Genre-Freunde werden an dieser schönen Variante des Vampirthemas ihre Freude haben. 😀