Mark Spector ist ein Wrack. Er sitzt die meiste Zeit allein in einem abgedunkelten Zimmer. Hinter ihm wacht düster die mannshohe Statue seines ägyptischen Rachegottes. – Dabei war er einmal ein Superheld namens Moon Knight. Jetzt ist er: Ganz unten!
Moon Knight gehörte zu den Helden, die sich in einem Kampf nichts schenken ließen. Mark setzte immer auf den größtmöglichen Einsatz. Wer sich mit Moon Knight anlegte, musste damit rechnen, nicht zu überleben. Sein letzter Kampf bescherte ihm einen Gegner, der mit der gleichen Härte zu Werke ging wie er selbst. Danach waren seine Beine nicht mehr zu gebrauchen. Mark lebte ein Leben mit Tabletten und Alkohol. Er vernachlässigte sich und jene, die einmal seine Freunde waren. In der Dunkelheit seines Zimmers hat der verzweifelte Mark nur noch einen Wunsch. Er will sein altes Leben zurück haben.
Sein Wunsch wird ihm erfüllt. – Mit allen Konsequenzen.
Eine geheimnisvolle Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Ende von Mark Spector zu besiegeln. Der Plan ist bis in das letzte Detail ausgeklügelt. Alles ist von langer Hand geplant. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Der erste Stein in einer langen Kette fällt in Form eines Freundes, der brutal attackiert wird. Mark wehrt sich, aber er agiert impulsiv. Er ist noch lange nicht der alte Moon Knight.
Mark muss mit ansehen, wie sein Freund, dem beide Beine amputiert wurden, sein Leben mit weitaus größerer Leidenschaft anpackt, als er selbst. Doch Mark glaubt noch etwas mehr verloren zu haben als seine Beine. Er glaubt seinen Gott verloren zu haben. Der Rachegott spricht nicht mehr zu ihm. Alles, was ihm von seinem früheren Leben geblieben ist, sind seine Alpträume und die Erinnerungen an ein besseres Leben.
In Moon Knight – Ganz unten begegnet Mark Spector sich selbst und einem Feind, der eigentlich eher zur B-Liga der Superfeinde gehört: Taskmaster.
Charlie Huston, der bisher durch seine Kriminalromane aufgefallen ist, hat sich hier der Wiedergeburt eines eher unbekannteren Helden angenommen. Moon Knight ist zweifellos eine tolle optische Erscheinung, aber bisher stand er doch im Schatten von Helden wie Captain America oder Daredevil, von Helden, die ähnlich unspektakuläre Kräfte haben, aber ein deutlich schärferes Profil ihrer privaten Identität.
Huston hat dieses Problem erkannt und eine tolle Lösung erarbeitet. Mark Spector bekämpft sich selbst. Die verbitterte Kreatur taucht tief in sein innerstes Selbst ein und findet dort einen Feind vor, der schlimmer als alles ist, was ihm je begegnete. Sein Gott stellt ihn auf die Probe. Nur wenn Marc sich selbst überwinden kann, diese Mauer aus Schwächen, die er jahrelang aufgebaut hat, kann er wieder zu dem werden, was er sich am meisten wünscht.
Für diesen Moon Knight, der noch nicht ganz auf der Höhe ist, ist der Taskmaster ein schwerer Brocken. Der Taskmaster, jener Schurke mit den außergewöhnlichen Reflexen und dem fotografischen Gedächtnis, kopiert mit Vorliebe die Fähigkeiten seiner Feinde. Natürlich funktioniert dies nur im Rahmen von normalen Möglichkeiten. Spezielle Fähigkeiten wie Spideys Kletterkünste gehören nicht zu diesen Fertigkeiten. Die Kampfstäbe eines Daredevil hingegen kann er noch genauer ins Ziel bringen als der rote Teufel aus Hell’s Kitchen. Im Gegensatz zu früheren Auftritten hat der Taskmaster sich äußerlich verändert und ist schauriger geworden. – Wie schaurig er wirklich ist, wird in dieser Geschichte auf eindrucksvolle Weise gelüftet.
Der Wechsel zwischen der äußeren und inneren Handlung mag für den Leser zunächst verwirrend sein. Das legt sich jedoch nach kurzer Zeit. Sobald die Erzählweise von Huston offensichtlich geworden ist, greift in der Handlung ein Rädchen ins andere. Sobald sich Moon Knight wieder reaktiviert, ist dies fast schon die Rückkehr eines dunklen Rächers in Weiß.
Diese Rückkehr wurde von einem Zeichner in Szene gesetzt, der einen phantastischen Stil pflegt: David Finch. Hierzulande konnten die Leser seinen optisch grandiosen Auftakt zu den Neuen Rächern verfolgen. Neben Moon Knight war noch an Daredevil, X-Men und Hulk beteiligt. Finchs Bilder zeichnen sich durch einen hyperrealistischen und sehr exakten Stil aus. So ergibt sich für den Leser eine sehr erwachsene Geschichte, denn der Realismus lässt die Charaktere echt erscheinen. Dieser Realismus findet sich allerdings auch in einer zunehmend gezeigten Brutalität, die über einen reinen Faustkampf oder die üblichen abgeschossenen Kraftstrahlen weit hinausgehen. – Aber ich davon aus, dass sich die Leserschaft in den letzten Jahren mitgewandelt hat und diesen Realismus vertragen kann. Andererseits muss man sich bei der Darstellung von Gewalt immer fragen, ob sie die Geschichte trägt oder nur Selbstzweck ist. Hier wandelt Moon Knight teilweise auf einem schmalen Grat.
Der Zeichenstil von Finch ist sehr kraftvoll. Körper, Gesichter, Mimiken und Haltungen sind ungemein ausdruckstark. Wollte man einen Vergleich heranziehen, könnte man den Begriff Theatralik verwenden. Finch verwendet eine Art Bühneninszenierung, um die Vorgaben von Huston umzusetzen. Zusammen mit der Tusche-Crew (Danny Miki, Allan Martinez, Victor Olazaba), die einen sehr aufwendigen Job hat und dem Koloristen Frank D’Armata ergibt sich ein sehr düsteres Comeback, das dem Günstling eines Rachegottes angemessen ist. 😀