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Comic Blog


Donnerstag, 12. Januar 2006

Berlin 2323

Filed under: SciFi — Michael um 21:58

Berlin 2323Berlin 2323: Die Stadt ist wieder geteilt. Eine Mauer mit lauter Transferfenstern durchzieht die gesamte Stadt. Im Gegensatz zur Vergangenheit leidet die Stadt jedoch nicht darunter, denn Berlin bedeutet Party pur. Und wo die Party-People feiern, ist es mit der Kultur, der Ordnung und der Sauberkeit nicht weit her. Kurzum, aus Berlin ist ein richtiger Sündenpfuhl geworden.
Inmitten dieser chaotischen Zustände erreichen Scilla und Indigo Berlin. Selber häufig am Rande der Legalität unterwegs kommt Scilla über ihren Freund Ratte an einen neuen Auftrag. Ihr Ziel: die Ausschaltung des Doppelgängers des regierenden Bürgermeisters, der in Wahrheit nur die Marionette eines Magiers ist. Der echte Bürgermeister hat ein verschärftes Interesse daran, seine Position wieder einnehmen zu können.

In der Organisation der Anti-Stasi nimmt Scilla ihre Rolle ein und nimmt Kontakt zum Restaurator Orlando auf. Da er Zugang zu den Räumen des regierenden Bürgermeisters hat, erhofft sie sich über ihn wichtige Informationen für die nächste Aktion der Anti-Stasi. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Scilla verliebt sich in Orlando und beendet ihre Beziehung zu Ratte.
Aber einen Killer sollte man besser nicht zum Feind haben.

Zwischenzeitlich rüstet Okinawa zum Krieg. Mago-Schützen und Schlacht-Girossen marschieren auf. Indigo erhält die Aufgabe, den Magier aufzuspüren und schließlich außer Gefecht zu setzen.
Die Uhr tickt.

Einen derart phantastischen und humorvollen SciFi-Comic gibt es nur selten.
Die Atmosphäre des neuen Sündenbabels Berlin ist hervorragend umgesetzt. Der Leser wird, ob Berliner oder nicht, die diversen Orte wieder erkennen. Ein Schild über dem Reichstag verkündet: Hier könnte Ihre Werbung stehen. Im Funkturm ist inzwischen ein Puff ansässig und trotzdem glänzt auf ihm immer noch die Rache des Papstes. Eine scheinbar ewige Love-Parade tobt in Berlin, über allem schweben Pseudorauscheengel, mit Maschinenpistole, mal mit dem obligatorischen Rosenstrauß und dem Spruch auf den Lippen, dem in dieser Zeit niemand mehr entkommen kann: Wolle Rose kaufe? Natürlich bezahlt man neuerdings wieder mit Ostmark.

Die Geschichte, die mit ihren Überraschungen und Details mit ihrer Spannung dem Humor in nichts nachsteht, ist eher für ein erwachseneres Publikum gedacht. Wenn der eigentliche regierende Bürgermeister in der Maske auftritt, die Mr. Bill Clinton erstaunlich ähnlich sieht, und dieser Bürgermeister trotzdem homosexuell ist, dann glaube ich nicht, dass diese Details bei Jugendlichen ankommen.
Andererseits dürfte die Vorstellung, dass Hertha BSC 27 Meisterschaften einfahren könnte, selbst für eingefleischte jugendliche Hertha-Fans ziemlich lustig sein.
Eine Szene fällt gehörig aus dem Rahmen. Die Eskapaden des Bürgermeister-Doppelgängers, zum vierten Male wiederbelebt, werden ziemlich drastisch gezeigt. Für mich eine Darstellung, die nicht so recht in das Gesamtbild der Geschichte passt.
Scilla, Indigo und Orlando sind gelungen sympathische Figuren in diesem Chaos. Aber es ist auch klar, dass diese Sympathie am Ende mit etwas Wehmut bezahlt werden muss. (Ein gängiges Rezept, dass vielleicht einmal hätte anders verlaufen können.)

Hund Robbie wirkt wie eine Hommage an Idefix. Ganz gleich, ob diese Idee hinter Robbies Entstehung steht, Robbie ist die knuffigste Figur in Berlin 2323.

Angepasst an den hintergründigen, teils auch gemeinen Humor, die Atmosphäre und die Spannung finden sich ein Bilderstrich und eine allgemeine Darstellung, die eine Heidenarbeit gewesen sein müssen. Im Anhang wird noch einmal kurz auf die bisherige Arbeitsweise hingewiesen. Vorzeichnungen, Tuschen, Kolorierung am Rechner. In Berlin 2323 geht es von der Skizze in den Rechner. Outlines finden sich kaum noch, die Bilder wirken letztlich wie (von Hand) gemalt. Auf diese Weise auf 90 Seiten die Qualität zu halten, die perfektes Handwerk zeigt, ist schon bewundernswert. Immer gibt es natürlich auch bei gemalten Comic-Bildern unterschiedliche Stilrichtungen. Hier findet sich in den Gesichtern ein leicht manga-eskes Aussehen. Es finden sich Szenen, die außerordentlich rasant angelegt sind und oft den Eindruck vermitteln, man habe Standbilder eines Zeichentrickfilms verwendet. Besser geht es kaum noch und alleine dieser Aspekt räumt dem vorliegenden Band einen für meine Begriffe ziemlich hohen Stellenwert bei Comics aus deutschen Landen ein.
Andere Bilder fangen sehr schöne Panoramen ein und verstärken den Zeichentrickcharakter noch.

Bisherige Geschichten um Indigo mögen ein qualitativ hochwertiger Anlauf gewesen sein, Berlin 2323 ist ein Stabhochsprung. Und um bei diesem Bild zu bleiben: Das Team Feldhoff / Schulz hat die Messlatte in Sachen Geschichte und Optik damit sehr hoch gehängt.
Ein rundum gelungenes Lesevergnügen für alle, die eine etwas ungewöhnlichere und auch humorvolle SciFi bevorzugen und einen echten Augenschmaus lesen wollen.