Dienstag, 04. Juli 2023
Neues Team. Neues Glück? DOKTOR APHRA, die Archäologin und Schatzjägerin, hat neue Leute um sich geschart. Nachdem sie den Schwierigkeiten mit dem Imperium entkommen konnte, verläuft die Arbeit etwas entspannter – ohne imperiale Häscher im Nacken. Aber ohne Konflikte geht es dennoch nicht. TUBLEEK, einer aus ihrer Bande, will ihr in den Rücken fallen. Und das ausgerechnet auf dem Eisplaneten HOTH, wo APHRA und der WOOKIE BLACK KRRSANTAN soeben eine imperiale Einheit aufgemischt haben. LUCKY, der Scharfschütze aus ihrer Gruppe, löst das Problem. Endgültig.
Freiberufler suchen stets nach neuen Chancen und so ist es nach einem Job auch stets vor einem Job. Die nächste Chance naht mit der Studentin DETTA YAO. DETTA verfolgt die alte Legende zweier Ringe, die Unsterblichkeit und ewigen Reichtum verheißen. APHRA ist skeptisch, was derart sagenhafte Artefakte anbelangt. Allerdings, so DETTA, ist noch jemand von dem wahren Kern dieser Legende überzeugt: PROFESSORIN EUSTACIA OKKA. Leider ist diese eine ehemalige Flamme von DOKTOR APHRA. Animositäten und Schwierigkeiten sind so einmal mehr vorprogrammiert …
Eine Serie geschafft und jetzt der Neustart – zumindest Stand 2021, denn diese Serie liefert in diesem Monat den bereits vierten Band ab. DOKTOR APHRA ist eigentlich ein Kandidat für eine Streamingserie, zumal ein bekanntes Gesicht aus dieser Serie (sogar hier auf dem Cover) es in THE MANDALORIAN geschafft hat: BLACK KRRSANTAN. Wie will man DOKTOR APHRA beschreiben? Ein weiblicher INDIANA JONES im STAR-WARS-KOSMOS, allerdings jugendlich frech, sehr ego-fixiert, nicht unbedingt und schon lange nicht immer vertrauenswürdig. Die Liste ihrer Feinde ist wahrscheinlich nicht eben kurz und sie selbst macht sich nichts daraus, wenn eine Position mehr in dieser Sammlung auftaucht.
Der erste Band mit dem Untertitel GLÜCK UND SCHICKSAL handelt letztlich davon, wie DOKTOR APHRA eine neue Kerbe in diese Liste schnitzt. RONEN TAGGE, schwerreich, hat einen Spleen. Er hat Spaß daran, seltene Gegenstände zu erwerben (am besten einzigartige), diese zu berühren und anschließend zu zerstören. Sein Kick besteht darin, das letzte Lebewesen gewesen zu, das diese Artefakte besessen und berührt hat. Ja, da blinkt ein wenig der Wahnsinn durch (oder ein sehr hohes Maß an Exentrizität).
DOKTOR APHRA ist charakterlich so angelegt, dass sie gar nicht anders kann, als sich mit diesem Mann anzulegen (he, DARTH VADER stand auf ihrer Liste, da verwundert das hier nicht). Aus der Suche nach zwei seltenen Gegenständen (deren Existenz nicht bewiesen ist) wird eine Jagd und ein Kampf auf Leben und Tod. ALYSSA WONG lässt die Geschichte Haken schlagen, wartet mit Intrigen auf, satter Action und natürlich eine forschen DOKTOR APHRA, die immer ein As in der Hinterhand hat.
Grafisch ist MARIKA CRESTA in diesem Band für DOKTOR APHRA zuständig. Wie nicht wenige junge Comic-KünstlerInnen arbeitet sie mit einer sehr klaren realistischen Linie. Damit ist sie zum Beispiel in der Gesellschaft von PIA GUERRA (Y – THE LAST MAN) oder FIONA STAPLES (SAGA) oder TERRY MOORE (RACHEL RISING, STRANGERS IN PARADISE). Der Blick wird so auf jedes einzelne Bild konzentriert. Platzverschwendung, irgendwelche Kaschierungen gibt es hier stilistisch nicht – zwangsläufig. Das lässt den Leser selbst in den actionreichsten Momenten alles haargenau betrachten. Für das sehr atmosphärische Licht und das Farbenspiel sorgt RACHELLE ROSENBERG, die über diese Arbeit hier hinaus eine vielbeschäftigte Koloristin für MARVEL-Abenteuer ist.
Weiterhin ein starker Hauptcharakter im STAR-WARS-UNIVERSUM. Futuristisch wie immer, diesmal aber auch ein bisschen spooky. Die perfekte Serienfigur, die immer eine neue Facette offenbart. Toll gezeichnet und koloriert. So macht STAR WARS Spaß! 🙂
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Dienstag, 20. Juni 2023
Die Menschen sind fort. Damit einher geht leider nicht nur eine geringere Gefahr im Haus, sondern auch ein Mangel an Nahrung. Für die MÄUSEKOLONIE ist der Zustand furchtbar. Seit längerem schon schicken sie Späher in die nähere und schließlich weitere Umgebung, doch viel ist nicht mehr zu finden. Nicht nur die MENSCHEN in diesem Haus sind verschwunden. Ringsherum ist ebenfalls alles wie ausgestorben. Bis auf die Tiere. Die Suche da draußen könnte leicht sein, gäbe es nicht dieses Rudel KATZEN, das ebenfalls auf der Suche nach Futter ist. Und gäbe es nicht BUSSARDE. Oder SCHLANGEN. UND EULEN. Und gäbe es nicht diese geheimnisvollen MONSTER im Wald, in den sich niemand – aus gutem Grund – hineintraut.
MAC SMITH schenkt dem Leser ein Abenteuer mit MÄUSEN. Endlich gibt es einmal mehr Kleintierabenteuernachschub. Wer (wie ich) Abenteuer wie IM REICH DER MÄUSE (von GARRY KILWORTH), REDWALL (von BRIAN JACQUES) oder (natürlich ganz besonders) MOUSE GUARD (von DAVID PETERSEN) mag, der liegt mit dieser Geschichte goldrichtig. Aus der Sicht einer MÄUSEKOLONIE erzählt, in einer Gegenwart, die der unseren entspricht, mag der Leser schon anhand des Titelbildes ahnen, dass hier etwas sehr Lebensveränderndes geschehen ist. (Eine MAUS auf einem menschlichen TOTENSCHÄDEL.) Ausgerechnet jene, die so viel schlechte Veränderungen, über die Welt der Tiere gebracht haben, sind verschwunden. Und niemand weiß warum.
Zu Beginn begegnet der Leser der rothaarigen Maus WIX und seinem Rattenkumpel UMF. Beide sind sie Späher der MÄUSEKOLONIE. Und gleich zu Beginn wird klar, wie verzweifelt die Lage und wie lebensgefährlich die Situation jederzeit ausufern kann. Ihre Klugheit, Geschwindigkeit, selbstverständlich ihre Größe, ihre Flinkheit lassen die MÄUSE oft entkommen. Aber eben nicht immer. Immer wieder kehren Späher nicht zurück. WIX und UMF gehören zu jenen, denen das Glück beschert ist, einen glücklichen Heimweg zu finden.
MAC SMITH, der sich SCURRY ausgedacht, es geschrieben, gezeichnet und koloriert hat, liefert optisch ein filmisches Abenteuer ab. Die Grafik ist (zwar eindeutig am Rechner entstanden) grandios. Das beginnt natürlich zu allererst bei den Hauptdarstellern, den MÄUSEN. MAC SMITH hat sich eindeutig an echten Tieren orientiert (oh, ein Wortspiel 🙂 ), aber er gibt ihnen auch ein wenig zeichentrickübliche Putzigkeit mit und viele, viele individuelle optische Eigenheiten, um sie so für den Leser so leicht wie möglich unterscheidbar zu gestalten.
WIX ist zum Beispiel ein Veteran unter den Spähern. Nicht nur sein rotes Fell macht ihn unverwechselbar. Es hat zudem einige Kerben in seinem rechten Ohr, die er einem Katzenangriff zu verdanken hat. PICT, seine schneeweiße Freundin, stellt den Gipfel der Putzigkeit dar. Monströser wird es bei den Feinden der Mäuse: den KATZEN. Hier fällt eine ganz besonders auf. Etwas voluminöser als die anderen, mit einem von Krallen zerfurchten Gesicht, einem blinden Auge und einem ordentlichen Überbiss (mit starken Reißzähnen). Sie ist der Paradenebencharakter, angsteinflößend, gruselig. Wer die agierenden KATZEN in SCURRY sich anschaut, wird nichts von den knuffigen echten Fellknäueln entdecken, die ihren Besitzern so viel Freude machen (obwohl diese wahrscheinlich wissen, was ein Katzenfreigänger mitunter mit Mäusen nur so zum Spaß anstellt; etwas Ähnliches muss auch MAC SMITH gewusst haben, als er diese Bande KATZEN in Bildern verewigte).
Die stillen Momente der Geschichte sind schön und dienen der Charakterentwicklung. Es sind Ruhepausen des Abenteuers, denn die Stärke von MAC SMITH liegt eindeutig im Erzählen von ACTION. Er vermag filmische Schnelligkeit zu vermitteln. Dazu nutzt er einen Seitenaufbau, der den Leser teils zeilenweise, von Breitwandbild zu Breitwandbild mitzieht. Die Bilder sind überaus plastisch und jedes Bild auf jeder Seite ist ein kleines Gemälde. Neben den sorgsam gestalteten Figuren ist ein weiteres wichtiges erzählerisches Mittel von MAC SMITH der Einsatz von LICHT.
Figuren werden hinterrücks angestrahlt, sie stehen im Lichterglanz, in einem von Licht durchfluteten Zimmer oder (auch das Titelbild als Beispiel) leuchtende Augen versprechen einer Figur oder mehreren Figuren gleichzeitig einen grauenvollen Tod. Wie etwa der Überbösewicht der Geschichte, deren einen starken Cliffhanger hinlegt und eine ebensolche Versprechung für die Fortsetzung macht. Die Eröffnungssequenz in der Küche eines verlassenen Hauses zeigt sofort, wie punktgenau MAC SMITH alle angesprochenen Stärken seines Abenteuers vom Start weg einzusetzen vermag.
Starke kleine Charaktere in einer Welt, in der es von Gefahren nur so wimmelt. Darüber hinaus finden selbst in der MÄUSEKOLONIE Intrigen ihren Platz. Nichts ist sicher, Wendungen kommen unerwartet und rasch. Sehen die Hauptfiguren auch knuffig aus, macht MAC SMITH schnell klar: in dieser Welt lauert der Tod. Gefangene gibt es nicht. Tolles Design, perfekt inszeniert, mit viel Sinn für Spannung und atemlose Unterhaltung erzählt. Top! 🙂
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Sonntag, 30. April 2023
Es nicht so, als hätte sich der Killer noch nie versteckt gehalten. Und Einsamkeit war noch nie sein Problem. Er agiert gern allein, auf sein Ziel konzentriert. Das schätzen seine Auftraggeber an ihm, ist es doch eine Art Erfolgsgarantie. Aber so weit vom Schuss von allem, in einer winterlichen Landschaft, in einem Haus, dessen nächste Nachbarn irgendwo verborgen zwischen den schneebedeckten Höhen und Tiefen zu finden sind (und nicht gefunden werden möchten), war der DER KILLER lange nicht. DER KILLER findet diese Menschen in seiner Umgebung, er registriert sei, hält sich jedoch fern, obwohl alles nach einer unbarmherzigen Tragödie aussieht und andere sich vielleicht einmischen würden.
Manche Versuche, sich vom Leben fern zu halten, sind zum Scheitern verurteilt, wenn das Leben, genauer andere Menschen, nach Auswegen suchen und diese zwangsläufig den eigenen Weg kreuzen. In diesem Fall, den Weg des KILLERS. Hier sind es zwei Kinder, die in sein Haus einbrechen. Ihren Häschern entronnen, suchen sie nach einem Versteck. DER KILLER ist vorläufig bereit, ihnen in ihrer Verzweiflung das Versteck zuzugestehen. Denn, was wäre die Alternative?
Diese Überlegung überlässt MATZ, der SZENARIST, dem Leser. Nach allem, was der Stammleser vom KILLER weiß (und der Gelegenheitsleser sich bereits an diesem Punkt denken kann), bleiben nicht viele Möglichkeiten. Zumal DER KILLER durch seine Auftraggeber ein gewisses Handicap hat, weil er im Sinne einer überordneten Gerechtigkeit arbeitet. Will man es so umschreiben. Andere würden sagen: Er killt im Regierungsauftrag, weil er ansonsten selbst von der Bildfläche verschwindet. Auf die eine oder andere Art. Seine Auftraggeber sind nicht zimperlich und wissen (und besonders) eine öffentlichkeitswirksame Auftragserfüllung zu schätzen.
Das ist die eine Seite des KILLERS, die MATZ dem Leser zeigt. Letztlich ist es die Seite, die DER KILLER auch seinem Umfeld offenbart. Die andere Seite ist der sezierende Blick. Diesen legte er schon oft an den Tag, seine Sicht auf die Welt. Hier erreicht er einen Höhepunkt, einen Mix aus Philosophie, Psychologie und beruflichem Scharfsinn. Und nach und nach zieht er den Leser (wieder einmal, nicht immer und nicht grundsätzlich) auf seine Seite. Plötzlich erscheinen die Ziele seiner Aufträge gerechtfertigt, scheint es einen moralischen Anstoß zu geben, der alles, auch Mord als Rache und Prävention, an Vergeltung tolerieren lässt.
LUC JACAMON ist und bleibt der Comic-Zeichner von DER KILLER. Es gibt viele Comic-Helden (oder nennen wir sie Hauptfiguren). Viele sind mit einem markanten Äußeren gekennzeichnet, besitzen eine auffällige Versehrtheit, einen Tick oder ähnliches. Es macht sie unverwechselbar und lässt sie aus der Masse herausragen. Ganz anders DER KILLER. JUC JACAMON hat eine Figur geschaffen, die untertaucht, verwischt, unscheinbar ist. Deren Markenzeichen eine Brille ist. Wahrscheinlich würde so jemand gänzlich in der Menge verschwinden, sobald die Sehhilfe abgesetzt wird. Ansätze hiervon sieht der Leser, wenn DER KILLER seine Aufträge vorbereitet und sich so verhält wie manch anderer, als Tourist, Passant. Fast ein robotisches Aussehen, deren Mimik selten Emotion verrät.
Das macht den KILLER auch zur Leinwand, zur Projektionsfläche (wie es neudeutsch heißt). Die Erzählweise, Off-Text und Bildwahl, machen kein Geheimnis daraus, dass dieser Effekt gewünscht ist. Dem KILLER nicht nur über die Schulter schauen, sondern sich mit ihm identifizieren. Aber nicht mit der Barachialgewalt des Action-Kinos, sondern leise, behutsam, Schritt für Schritt, bis die Grenze überschritten ist und das Vorgehen des KILLERS sogar gutgeheißen wird. MATZ ist als Erzähler ein schlauer Fuchs!
LUC JACAMON lässt darüber hinaus die Bilder sprechen. Was sehen wir, was sieht DER KILLER? Da gibt es, wie in den Texten, auch etwas zwischen den Zeilen zu lesen. Wenn etwas normal wirkt und dennoch eine Bedrohung spürbar ist, ohne dass diese sich direkt einordnen oder benennen lässt. Das unterstreicht die Unvorhersehbarkeit der Handlung, auf die sich DER KILLER auch stets aufs Neue einzustellen hat.
Starker vierter Band, fast ein Neustart innerhalb der SECRET AGENDA. Eine sehr düstere Episode, obwohl sie anfänglich nicht so erscheinen mag. Der Leser wird hier ausdrücklich gefordert, das Kopfkino springt an. Ein fieser Trick von MATZ, wieder aufs Feinste von LUC JACAMON illustriert. Ein perfekter Comic-Thriller! 🙂
DER KILLER, SECRET AGENDA 4, MENSCHENBRÜDER: Bei Amazon bestellen.
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Freitag, 31. März 2023
Zwei Männer im Schnee. Sie finden ein Gebäude, offensichtlich leer, verwaist. Das Inventar ist noch vorhanden. Es wird geplündert, natürlich nur die wirklich wertvollen Sachen. Man sieht zu, dass man Land gewinnt. Bevor einem noch jemand in die Quere kommt. Der alte Lieferwagen bleibt nicht unbemerkt. Ein Verfolger taucht auf. Aus einem Waldstück wird das Feuer aus automatischen Gewehren auf SLAVA und DIMITRI eröffnet. Der kleine Raubzug wird nun doch nervenaufreibender als erwartet …
Als die Sowjetunion zerbricht, verabschiedet sich nicht nur ein System. Auch viele Russen müssen sich von einer Ordnung verabschieden, die zumindest Beständigkeit versprochen hat. Einige Russen sehen im Zusammenbruch aber auch Chancen, um ihrer Armut zu entkommen. In den Ruinen des Sozialismus gibt es genug, was sich gewinnbringend verkaufen lässt.
PIERRE-HENRY GOMONT nimmt den Leser mit in jene Tage der Ära JELZIN, in den 1990er Jahren, als von westlicher Seite bloß mit großen Augen in Richtung Osten geschaut wurde. Innerhalb dieses Ostens fand jedoch eine brachiale Umorientierung statt. An der Seite zweier ungleicher Männer, SLAVA SEGALOW und DIMITRI LAWRIN, lernen wir eine Welt kennen, die mit ihrer Veränderung hadert. So, wie es Gesellschaften stets tun, wenn sich folgenschwere und unumkehrbare Veränderungen einmischen.
Während SLAVA von einem Leben als Künstler Abschied nimmt, macht LAWRIN eigentlich genau da weiter, wo er bereits als Jugendlicher angefangen hat. War er einst ein Prügelknabe, wurde er schnell zu demjenigen, der das hatte, was andere brauchten. Betritt LAWRIN nun ein (scheinbar) verlassenes Prunkgebäude der Sowjetunion sieht er rasch, welche Bestandteile sich gut zu Geld machen lassen. Aus dem einstigen Weltreich ist ein Ramschladen geworden. Und eigentlich könnte von da ab alles ganz toll laufen (wenigstens für SLAVA und LAWRIN), gäbe es nicht ein paar Begegnungen, die derartige Pläne unterlaufen.
PIERRE-HENRY GOMONT zeigt in seiner Graphic Novel unterschiedliche Charaktere, deren Auffassungen von einer Umwandlung der Gesellschaft stark voneinander abweichen. Da treffen die Vorstellungen eines Möchtegernturbokapitalisten auf die unverbüchliche russische Seele, fernab einer wie auch immer gearteten Ideologie, aus einem harten Lebensstil gefräst. SLAVA UND LAWRIN werden außerdem von NINA und ihrem Vater ausgebremst. Andere Begehrlichkeiten werden zum Thema, abseits von Geld und Ehrgeiz.
Geschichten entstehen nicht nur durch Charaktere, sondern auch durch Umstände. Der Zusammenbruch eines gesellschaftlichen Systems ist sehr speziell, und es lässt sich regelrecht darin eintauchen wie in einer völlig fremden Welt. PIERRE-HENRY GOMONTS Beschreibung hat Ähnlichkeit mit Nachkriegsszenarien, mit dem besonderen Unterschied, dass noch alles da ist. Nichts ist im eigentlichen Sinne zerstört. Trotzdem entsteht dieser Eindruck. PIERRE-HENRY GOMONT gelingt es, diese pessimistische auch resignierte Stimmung einzufangen. Aus der Sicht von SLAVA erzählt, wird die Situation immer gefährlicher, denn am Ende geht es schließlich ums Geld. Wer hat es, wer bekommt es, wer nicht?
PIERRE-HENRY GOMONT zeichnet, skizziert schnell, flüchtig, treffsicher. Er trifft die Charaktere, nicht bloß die Gesichter, nein, gleich die gesamte Figur. Das ist wichtig. Er trifft Haltung, Gestik, Blicke, Verhalten. Man will vielleicht zunächst über diese oder jene Figur lachen, bis man merkt, dass mancher handelnder Figur das Lachen vergeht. Der Tuschestrich ist wackelig, geschwungen, brüchig, als habe keine Zeit bis zum fertigen Bild verstreichen dürfen. Das Einfangen eines kurzen Moments, einer Szene, eines Lebensabschnitts, der schon fast vorbei ist, ehe er richtig erfasst werden kann. Was passt, denn für die Hauptcharaktere jagt die Zeit und so mancher bleibt auf der Strecke. Farblich beschränkt sich PIERRE-HENRY GOMONT (weitestgehend) auf Variationen von ROT oder BLAU, die Farben der russischen Flagge (neben WEISS).
DIE NEUEN RUSSEN ist ein Drama von PIERRE-HENRY GOMONT in Form einer Graphic Novel. Ein enger winterlicher Kosmos, in dem ein paar Charaktere einen Weg suchen, der sie in ein besseres Leben führt. Ein paar dieser Wege verheißen Hoffnung, andere sind traurig, wie vorbestimmt. Jegliche Anstrengung ist vergebens. Als Leser wünscht man SLAVA und DIMITRI sowie NINA nach kurzer Lesedauer alles erdenklich Gute. Man fiebert zwangsläufig mit, von der ersten bis zur letzten Seite. So, wie es sich für eine gute Geschichte gehört. 🙂
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Samstag, 18. März 2023
Mutter werden ist nicht so schwer, Mutter sein dagegen schon schwieriger. Besonders schwer sogar, wenn die Elternteile aus gegensätzlichen kriegerischen Lagern stammen und der gemeinsame Sproß Hoffnung verheißt. Hoffnung, die offiziell nicht existieren darf und beiderseitig zum Abschuss freigegeben ist. Wer dauernd damit rechnen muss, gejagt und getötet zu werden, kann das übliche, eher ruhige, Familienleben nicht aufbauen. Und so ist die kleine Familie, die auf ungewöhnliche Weise sogar gewachsen ist, ständig auf der Flucht und auf der Hut …
Zurück in der SAGA. Drei Jahre hat es gedauert, bis nun endlich die Fortsetzung der Reihe vorliegt, nachdem der Leser mit einem äußerst traurigen Cliffhanger zurückgelassen wurde.
Wie die einführenden Worte schon andeuten: SAGA ist eine Familiegeschichte im SPACE-OPERA-Gewand. Und dank ihrer ungewöhnlichen Figuren ragt SAGA weit über das gewohnte Maß solcher Geschichten hinaus (was den langanhaltenden Erfolg der Reihe unter anderem begründen dürfte). Wer sich heute für Weltraumabenteuer interessiert und medial unterwegs ist, kennt reichlich außergewöhnliche Kreaturen aus Comic, Roman und natürlich Film. SAGA kann (und macht es) geht noch viele Schritte weiter. Weder den Ideen von Autor BRIAN K. VAUGHAN oder der Künstlerin FIONA STAPLES scheinen hier Grenzen gesetzt.
Wer die Bilder betrachtet (bereits das Titelbild), wird für den Begriff PATCHWORK-FAMILY eine völlig neue Definition finden müssen. BRIAN K. VAUGHAN und FIONA STAPLES lieben es für die gesamte Länge der Reihe, alles Erdenkbare auf die Spitze zu treiben. Äußerlichkeiten sind ein Mittel dafür. (Beispiel Titelbild: Eine humanoide Figur mit der Nase eines Koalas und ebenso entlehnten Puschelohren. Gleichzeitig kriegsversehrt und mit eine Prothese versehen, die so gar nicht zum restlichen muskulösen Äußeren des Charakters BOMBAZINE passt.) Aber sie verfahren gleichfalls mit gesellschaftlichen Umständen ziemlich anarchisch und krempeln Bedeutungen um (Stichwort: Kopfgeldjäger) oder präsentieren Beziehungen, die selbst langjährigen Comic-Fans neue Bilder vor Augen führen (die es so noch nicht zu sehen gab). All das lässt sich mit einem Wort übertiteln: Überraschungen.
Jemand, der keine Anstellung finden kann, der gesucht wird, nicht sesshaft ist, dem bleiben nicht viele Optionen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. ALANA, Mutter von HAZEL (einer sehr besonderen Tochter) und dem kleinen BROBOT (einem ebenso besonderen Waisenkind), verdingt sich als Schmugglerin. Offiziell. Inoffiziell ist ihre Tätigkeit noch eine kleine Spur gefährlicher. Die junge Frau ist tough, erfinderisch, risikobereit. Alles Eigenschaften, die bis zum Äußersten in der Geschichte gefordert werden. BRIAN K. VAUGHAN lässt sich einiges einfallen.
Aber das ist es nicht allein. Wie das Titelbild verrät (allen Sci-Fi-Fans, die bisher noch nicht mit SAGA in Berührung gekommen sind), gibt FIONA STAPLES ihren Figuren einen realistischen Look. Und obwohl sie sich an wirklich kuriose Gestalten heranwagt, funktioniert das Aussehen (meistens). Ein Highlight der vorliegenden 10. Folge von SAGA ist eine BAND mit dem Namen SHOWING BUNT (ein vorübergehend ausgewählter Name). Deren Mitglieder bestehen unter anderem aus einem Angehörigen des ROBOT-Volkes, einem menschgroßen FROSCH und einer Kreatur, die eine jugendlichere Verwandte von NOSFERATU sein könnte. Alle rufen sich jeweils nur mit den Bezeichnungen ihrer jeweilig gespielten Instrumente wie Schlagzeug, Gitarre oder Trommel.
Auf diese Art hält die Musik in SAGA Einzug. Die Band ist (bei allen Querelen) sympathisch, durchgeknallt (aber sympathisch) und insgesamt als Idee innovativ. Wenn sich jemals eine Truppe für ein Spin-Off qualifiziert hat, dann diese Band!
Einfach stark. Wer die Serie mag, dürfte hier in Band 10 sozusagen nach Hause kommen. Es ist spannend, aber auch dramatisch, weil einem die Charaktere, selbst die Neuen, schnell ans Herz wachsen. Das ist der Erzählung von BRIAN K. VAUGHAN geschuldet und den originellen und tollen Zeichnungen von FIONA STAPLES. Eine vorbildliche SPACE OPERA und grandiose Familiengeschichte. 🙂
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Freitag, 17. Februar 2023
Die Wochenschaunachrichten sind in schwarzweißen Bildern gehalten. Ton haben sie nicht. Trotzdem sind die Jungen neugierig darauf, was sie gleich sehen werden. Dezember 1939. Es ist ihnen verboten, den Projektor alleine zu benutzen. Aber sie riskieren es. Die Bilder zeigen ihnen den deutschen Überfall auf Polen. Moderne Technik trifft auf verzweifelte Gegenwehr. Doch ein altmodische Kavallerie hat gegen Sturzkampfbomber keine Chance.
SAINT-MALO, August 1944. Die deutsche Besatzung ist unter Druck. Amerikanische Streitkräfte rücken weiter vor. Ein Glück für die Bevölkerung der französischen Küstenstadt, sollte man meinen. Aber die Bombardierung der Alliierten fordert viel von der Franzosen. Persönliches Leid, persönliche Verluste. Wer sich in französischen Augen schuldig gemacht hat, muss öffentliche Demütigung fürchten. Wer sich als Frau mit Deutschen eingelassen hat, wird geschoren und zur Schau gestellt. Manche wolle lieber die Flucht ergreifen und einen Weg zur Insel Jersey suchen, wo die Wehrmacht immer noch die Stellung hält.
CÉZEMBRE hat natürlich Kampfgeschehen, aber viel mehr noch hat es Drama, Drama, Drama. Menschen sehen ihr Hab und Gut verbrennen. Deutsche Soldaten sind verblendet genug zu glauben, sie könnten die amerikanischen Streitkräfte besiegen oder immerhin zurückschlagen. Dabei sind es die immer häufigeren Angriffe amerikanischer Flugzeuge, die sie eines Besseren belehren sollten. NICOLAS MALFIN, als Autor und Zeichner gleichermaßen für CÉZEMBRE verantwortlich, beleuchtet hier die Endphase der Befreiung von SAINT-MALO, basierend auf historischen Fakten. Der redaktionelle Teil im Anhang gibt hier textliches Begleitmaterial und Originalfotografien zur Vertiefung der Geschehnisse.
Der große Kampf, Vormarsch und Schlacht um SAINT-MALO, ist der Rahmen für mehrere Einzelschicksale, die sich teils kreuzen, teils unabhängig voneinander stattfinden. Während die Hoffnung wächst, weil sogar Paris zwischenzeitlich befreit wurde, ist eine der Hauptfiguren, Francoise, noch mitten im Gefecht und in höchster Gefahr. Und ausgerechnet ein Verräter könnte zu ihrer Rettung beitragen. NICOLAS MALFIN erzählt seine Geschichte außerordentlich dicht. Hier wird kein Platz, kein Wort, kein Bild verschenkt. Die Dramaturgie lässt keine Zeit zum Luftholen. Das ist hier ist ein echter Page-Turner!
Dennoch entsteht zu keiner Zeit der Eindruck, NICOLAS MALFIN habe den historischen Ereignissen seinen eigenen Stempel aufgedrückt. Hier ist nichts drüber oder extrem actionlastig inszeniert. Wer hier eine Art Kriegsfilmästhetik vergangener Art (wie z.B. DIE BRÜCKE VON ARNHEIM, DER ADLER IST GELANDET) oder von neueren Versionen (wie z.B. DUNKIRK, IM WESTEN NICHTS NEUES) sucht, der sucht vergebens. Hier menschelt es im besten Sinne, teilweise bis zur allerletzten Sekunde. Echtes Drama kann eben nur von echten Charakteren getragen werden.
NICOLAS MALFIN ist hierzulande hauptsächlich durch GOLDEN CITY bekannt, einem Science-Fiction-Szenario, angesiedelt in nicht allzu ferner Zukunft. Seine grafischen Fähigkeiten bei der Darstellung zukünftiger Architektur und Technologie steht außer Frage. Da war es natürlich spannend zu sehen, wie er mit historischen Formen umgeht, städtischen Strukturen, Schiffen, Flugzeugen und anderem Beiwerk zu Erzählung des Dramas. Gleich die allererste Doppelseite kündet von einer intensiven Beschäftigung mit der vorliegenden Thematik. Eine weitläufige Ansicht von SAINT-MALO und seiner Hafenanlagen, der vorgelagerten Inseln zeigt, wie sehr das Gelände mit der Geschichte zwangsläufig verwoben ist. Angriffe, Verteidigung, Fluchten, Einzeldramen können keiner klaren Front folgen.
Im großen Ganzen entstehen viele kleine Schauplätze, in denen es keine Ruhe gibt. (Stichwort: Page-Turner) NICOLAS MALFIN ist prädestiniert mit seinen Gestaltungfertigkeiten, dieser Handlung eine Form zu geben. Allgemein sind seine Bilder überaus fein, zerbrechlich wirkend, angelegt. Die tatsächlichen Vorgaben, Kulissen, Technik und Gerät, Uniformen, Waffen, Landschaftszüge sind penibelst gezeichnet. Darüber hinaus ist es gespickt mit Details, seien der Flüchtlingstreck mit diversen Habseligkeiten, das Innere einer Kapelle mit der Abbildung eines Heiligen oder die deutschen Artilleriestellungen (um nur ein paar Beispiele zu nennen). Die Bilder von NICOLAS MALFIN sind ein Garant für eine fesselnde Atmosphäre, die viele Entdeckungen bietet.
Ein spannender, dramatischer und einfühlsamer Abschluss des Zweiteilers CÉZEMBRE. Perfektionistisch gestaltet, mit kinematografischem Blick. Toll. NICOLAS MALFIN darf sich gerne öfter an eigens geschriebene Projekte wagen. 🙂
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Samstag, 04. Februar 2023
GLENN BAXTER musste eine Bruchlandung in der Wüste hinlegen. Kurz danach betritt er ein weiteres Flugzeugwrack: ALI-LA-CAN, den B-24-Bomber, den er seit 15 Jahren nicht mehr gesehen hat. Erinnerungen werden heraufbeschworen. Und mehr noch, sie erwachen geradezu zum Leben, denn im Inneren des Wracks, von der Wüste wie konserviert, hat jemand die Kriegsgeschichte der drei Freunde, allesamt Besatzungsmitglieder von ALI-LA-CAN, aufgemalt. Bis zum heutigen Tag hat GLENN BAXTER nichts von diesen Bildern gewusst.
Man stelle sich vor: Es existieren Erinnerungen an eine Vergangenheit, die Freuden, die Leiden. Es finden sich sogar Erinnerungsstücke, die das Ganze zu zementieren scheinen. Doch plötzlich gibt es Hinweise, schließlich Beweise, dass so manches anders war, sehr bitter sogar und dass eine sehr böse Geschichte hinter allem zu finden ist. GLENN BAXTER hat im Zweiten Weltkrieg den Absturz seines B-24-Bombers überlebt. Aber ihm fehlen Details. Lange hat er nach dem Wrack des Flugzeug in der libyschen Wüste gesucht. Der Fund bringt ihm aber zunächst kein Glück, den er legt eine zweite Bruchlandung hin, 15 jahre später (siehe auch Band 1).
Die Erzählung aus Band 1, DAS PIN-UP DER B-24, ALI-LA-CAN, wird im zweiten Teil nahtlos fortgesetzt. Einmal mehr steht das Leben von GLENN BAXTER auf des Messers Schneide. JACK MANINI, verantwortlich für Text und Farben, entführt seinen Helden von Gegenwart in die Vergangenheit und verdeutlicht so, wie sehr sich die Ereignisse aus dem Krieg in GLENN BAXTER eingegraben haben. Bei aller Tragik ist sofort erkennbar, dass GLENN BAXTER offensichtlich nie wieder eine solche Freundschaft erlebt hat wie mit seinen Kameraden an Bord des Flugzeugs. Hinzu kommt die Liebesgeschichte der drei Piloten mit drei Krankenschwestern. JACK MANINI festigt diese Ereignisse auch für den Leser, nur um kurz darauf den Vorhang vor der verborgenen Wahreit zu lüften.
Die Erzählung von JACK MANINI steht insgesamt für Abwechslung und für ein dauerhaftes Anziehen der Spannungsschraube, nicht im Thriller- Sinne, sondern das Drama erfährt immer weitere Details, so dass in Kern die Figur des GLENN BAXTER immer durchsichtiger, menschlicher, greifbarer wird. Das ist bereits klasse. Grafisch verfeinert MICHEL CHEVEREAU diese Erzählung und steuert so ein wichtiges Element bei. Es ist der Wechsel der Zeiten, Vergangenheit und Gegenwart, Krieg in den 1940ern, Gegenwart zum Ende der 1950er Jahre, der einen beständigen optischen Reiz ausmacht. Dazu kommen vereinzelte grafische Brüche bei der Darstellung eines Notizbuches, Erinnerungen sowie der spätere (kurze) Sprung sogar in den Beginn der 1960er Jahre und ein völlig anderen Standort.
Das ist die Seite der Optik. Die andere Seite ist die Vielzahl der Charaktere, zu der auch das Flugzeug (Spitzname ALI-LA-CAN) gezählt werden darf. Zentriert ist natürlich GLENN BAXTER, der in gleich zwei Varianten auftritt. Einmal in der (relativ unbeschwerten, trotz Krieg) Vergangenheitsvariante, andererseits der von den Erinnerungen gezeichnete (fast schon gepeinigt) GLENN BAXTER, dessen Konstitution nach seinem zweiten Absturz in der Gegenwart immer weiter abnimmt. Die Charaktere sind allesamt höchst individuell angelegt und optisch, wie ich finde, ein wenig aus der Zeit gefallen. MICHEL CHEVEREAU bietet dem Leser keine Helden an, wie sie aktuell (häufig) die Leinwände bevölkern, sondern orientiert sich mehr an den Stars von einst. Gesichter, die auffallend einer Epoche oder einem künstlerischen Jahrzehnt zuzuordnen sind.
MICHEL CHEVEREAU arbeitet mit einer heimlichen Hauptdarstellerin. Zwar ist die B-24 namentlich genannt (im ersten Teil sogar mit Spitznamen im Untertitel), aber es leuchtet erst nach und nach ein, wie wichtig das Flugzeug ist. Es ist optischer Erinnerungsanker sowie ein zentraler Schauplatz der Geschichte. Man sieht sie zuerst als technisches Wunderwerk (ist für alles, was Menschen in die Luft befördern kann), später als zerfallenes Wrack in der Wüste. Und zu allen Gelegenheiten ist sie eine Bühne (und ein Schutzengel, der in einer Situation versagte, ein Element, das JACK MANINI genial mit seiner Geschichte verwoben hat).
Ein Drama, weniger eine Kriegsgeschichte. Es ist eher eine Geschichte über Menschen, die zufällig in den Krieg geraten und vor Herausforderungen gestellt werden, die ihnen alles abverlangen, was sie charakterlich zu bieten haben. Typische Kriegsszenen sind zu vernachlässigen. Ich mag die ruhige Erzählweise, die sich steigernde Tragik, die Spannung, die mit dem Lüften der Geheimnisse immer eine Stufe höher steigt. MICHEL CHEVEREAU trägt die von JACK MANINI erzählte Geschichte wunderbar mit seinen Bildern. Wenn den Gesichtern ihre jeweilige Emotionalität abzulesen ist, kann man nur sagen: Mission erfüllt! (In allen Belangen.) 🙂
DAS PIN-UP DER B-24, Band 2, NOSE ART: Bei Amazon bestellen.
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Sonntag, 11. Dezember 2022
MONSIEUR VADIM (oder auch Vadim Koczinsky) ist Rentner und hat ein Problem. Sein Vormund, Monieur Canesta, hat ihn übers Ohr gehauen und ist mit all dem übertragenen Geld verschwunden. MONSIEUR VADIM fliegt aus dem Altersheim, in dem er untergebracht war, heraus. Familie, die ihm unter die Arme greifen könnte, ist nicht vorhanden. Sein Enkel, sein ganzer Stolz, ist noch viel zu jung. Seinen ehemaligen Schwiegersohn, der mit seiner inzwischen verstorbenen Tochter verheiratet war, verachtet er zutiefst. Der frühere Soldat der FREMDENLEGION leidet unter seinem Alter, unter den Zipperlein, unter der Machtlosigkeit infolge seines Systems, das seine Alten eher respektlos versorgt und lieber vergisst. Aber eines kann er MONSIEUR VADIM noch: sich wehren. Als er Zeuge eines Raubüberfalls in einem Schnellimbiss wird, kommt es zum Kampf zwischen ihm und gleich drei bewaffneten Ganoven …
GIHEF stellt eine Figur in den Mittelpunkt der Geschichte, die zutiefst um Mitleid heischt. MONSIEUR VADIM ist kein Chorknabe, wie es so schön heißt, aber er ist auch kein gealterter militärischer Apparatschik. Soldat zu sein, war ein Beruf und keine menschliche oder ideologische Überzeugung. Dahinter wollte er eigentlich nur das, was viele vom Leben wollen. Er liebt seinen Enkel und will diesen von seinem verbrecherischen Schwiegersohn fortholen. Eine Daily Soap im Fernsehen ist zusätzlich zu einer Art Ersatzfamilienleben geworden. Die kurze Zeit am Tag, in der er das fiktive Leben anderer Menschen verfolgt, ist ihm wichtig geworden, weil es ihn an noch etwas Wichtigeres erinnert.
Aber, in diesem Zusammenhang greifen die Thrillerelemente, MONSIEUR VADIM wird durch äußere Umstände dazu gezwungen, sich an alte Verhaltensweisen zu erinnern. Aus der Not geboren nimmt er ein Angebot an und gerät mitten hinein in einen Bandenkrieg an der Côte d’Azur. GIHEF treibt seine Hauptfigur richtiggehend in die Enge, bevor sich diese zu einem folgenschweren Schritt entschließt. Das ist alles nachvollziehbar. Und man will es dem alten, grantigen Kerl mit all seinem Unglück nicht übel nehmen, schließlich hat man als Leser inzwischen auch die Gegenspieler kennengelernt und weiß um deren Gefährlichkeit und Brutalität.
Hat man ein verschiedenen Stellen geglaubt, wie es nun weitergehen könnte, entstehen doch Wendungen, die so nicht vorhersehbar waren. Gerade je näher es auf das Finale der ersten Episode zumarschiert, desto knackiger sucht sich die Geschichte ihre eigenen Wege. GIHEF erzählt einen traditionellen Thriller, sehr filmisch, der mit einem JEAN PAUL BELMONDO, einem CHARLES BRONSON, aber auch einem siebzig Jahre alten KEANU REEVES funktionieren würde. Denn, weil der Charakter so gut funktioniert und mitreißend ist, funktioniert auch der Thriller.
Als Comic-Künstler treffen sich hier MORGANN TANCO (Zeichner) und CERISE (KOLORIST). Stilistisch findet sich ein expressiver Ausdruck, der seinen Figuren einiges an Charakter in die Gesichter (oder im Fall von Ganoven auch in die Visagen) legt. So ist MONSIEUR VADIM auf den ersten Blick bärbeißig, unleidlich, ein durch Alter geplagte Person, die langsam mehr Gefühle zeigt und sich öffnet. Und es gibt die eine oder andere Situation, in denen einem Mann mit mehreren Jahrzehnten Erfahrung als Soldat die Gesichtszüge entgleisen.
Der Hintergrund ist einmal nicht irgendeine französische Vorstadt oder ein Stadtteil einer Meotropole, den die Politik gerne vergessen möchte, sondern eine der Urlaubsregionen Frankreichs schlechthin, die Côte d’Azur. Vor dieser Kulisse entfaltet die Geschichte, die Gewalt, die Action noch einmal eine ganz andere Wirkung und das wird, das Titelbild zeigt es schon, sehr oft gerne genutzt.
Ein feiner Thriller mit einer knurrigen Hauptfigur, deren Panzer im Laufe der Geschichte immer weiter aufbricht. Sehr strikt erzählt, teils düster vor einem Mittelmeersonnenschein. Vor allem aber, weil der Hauptcharakter, MONSIEUR VADIM, so viel Profil besitzt, über die gesamte Sttrecke fesselnd. Klasse! 🙂
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Montag, 07. November 2022
CATTLE GULCH. LUCKY LUKE hat einen Auftrag. Es ist die typische Westernstadt, in die er gerade einreitet. Und man könnte sagen zu einem typischen Zeitpunkt, denn die Leute vor Ort wollen gerade jemanden lynchen. LUCKY LUKE schreitet ein, kein Problem für einen Mann, der schneller als sein Schatten schießt. Der Gerettete stellt sich als OVIDE BYRDE vor, Präsident und einziges Mitglied des örtlichen Tierschutzvereins. BYRDE steht auf nahezu verlorenem Posten. CATTLE GULCH lebt von der Rinderzucht, und die Menschen scheren sich einen Deut um die Belange von Tieren.
RANTANPLANS RACHE, der 101. Band der LUCKY-LUKE-Reihe, nimmt den Leser auf ein nahezu unmögliches Unterfangen mit in den WILDEN WESTEN: TIERSCHUTZ. JUL (Text) und ACHDÉ (Zeichnungen) haben die Reihe als Künstler beerbt und schicken den den allseits beliebten Cowboy in ein wirklich schwieriges Abenteuer. Denn die eigenen Überzeugungen werden auf den Kopf oder sogar in Frage gestellt. LUCKY LUKE kommt nicht nur so nach CATTLE GULCH. Sein Auftrag ist es, eine Rinderherde nach DODGE CITY zu treiben. Und die Rinder sind natürlich, wie könnte es in jener Zeit der großen Viehtrecks anders sein, zur Schlachtung bestimmt. Da macht der Cowboy, der schneller schießt als sein Schatten, schon mal große Augen.
Ein OVIDE BYRDE steht natürlich in diesen Zeiten auf ziemlich verlorenem Posten. Angelehnt an die originale Figur des HENRY BERGH, dem Gründer des allerersten amerikanischen Tierschutzvereins (weil er von der Brutalität New Yorker Kutscher gegen ihre Pferde völlig erschüttert war), kämpft OVIDE BYRDE nicht nur gegen die Ignoranz in seiner näheren Umgebung, er muss auch schauen, wie er seinen Tierschutzverein überhaupt finanziert bekommt. Das ist wiederum eine Anlehnung an moderne Zeiten und Tierschutzorganisationen, die häufig auf Spenden angewiesen sind und sehr oft am Limit wirtschaften. Wie OVIDE BYRDE von seinen Schützlingen begrüßt wird, ist herzerwärmend (und sehr schön gezeichnet).
Aber LUCKY LUKE muss sich natürlich auch mit Schurken auseinandersetzen. Das ist der WILDE WESTEN. Es kommt GOLD ins Spiel. Und damit ein paar raffgierige Halunken. Plötzlich ändert sich manches in CATTLE GULCH. Sogar der Name. Aus CATTLE GULCH wird VEGGIE TOWN. Das ist mehr Drama, als der Leser von der ansonsten sehr humorigen Serie her gewöhnt sein mag. Da schaffen ACHDÉ und JUL mit einem kleinen Ausflug in ein Lager der INDIANER vom STAMME DER KOMANTSCHEN einen spaßigen Einschub. Aber auch ein Besuch im Gefängnis (mit allseits beliebten und bekannten Insassen) sorgt für Humor. Aus gutem Grund, denn hier ist eigentlich RANTANPLANS ZUHAUSE.
ICH LIEBE DIESEN HUND! 🙂 Sein (ungewöhnlicher) Name, RANTANPLAN, steht bereits im Titel der Episode. Er ist ein gern gesehener Gast (sogar vor Jahren mit eigenem Spin-off). Stets ist er irgendwie abwesend und interpretiert das Geschehen um sich herum völlig verkehrt. Das führt, so auch hier (mehrmals), zu kuriosen sowie knuffigen Szenen. Und nimmt den Ernst aus mancher Szene, ganz besonders gegen Ende. Wie gesagt, es geht nicht ganz ohne DRAMA. Man darf gespannt sein, was LUCKY LUKE (und die Reihe) letztlich aus den Geschehnissen dieses Abenteuers macht und ob davon etwas hängen bleibt (Raucher ist er immerhin auch schon seit geraumer Zeit nicht mehr).
Stilistisch haben sich ACHDÉ und JUL natürlich den großen Vorgängernamen der Serie angeschlossen. Selbstverständlich besonders denjenigen, die die Serie zu dem gemacht haben, was sie heute noch ist. MORRIS einerseits, aber natürlich ebenso GOSCINNY. ACHDÉ ist beinahe seit zwanzig Jahren dabei. Liebgewonnene Figuren haben ihren Charakter behalten. Neue könnten von MORRIS selbst zu Papier gebracht worden sein. Hängen bleiben hier (für mich) die Schurken, von je her ein besonderes Merkmal der Abenteuer, ob nun von leibhaftigen Vorbildern karikiert oder frei erfunden. An der Bande, die sich hier formiert, hätten noch andere Western-Erzähler ihre helle Freude.
LUCKY LUKE kommt mit einem seit Jahren stetig wachsenden und mittlerweile brandaktuellen Thema daher. Tierschutz wird immer wichtiger (!), und das ist gut so! Die Darstellung über verschiedene Kanäle kann auf unterschiedlichen Wegen zu besserem Verständnis beitragen. Das ist eine schwierige Aufgabe, die hier allerdings von ACHDÉ und JUL toll gemeistert wird. LUCKY LUKE wird selbst einmal in seinen Grundfesten erschüttert (und der Leser ein gutes Stück gleich mit). Das bleibt hängen. Bei allem Spaß, dem man bei der Lektüre des Bandes trotzdem hat. 🙂
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(Lucky-Luke-Abenteuer erscheinen im deutschsprachigen Raum bei Story House Egmont, www.egmont.de.)
Cover: Lucky Comics ©2022/Egmont Ehapa Media.
Sonntag, 23. Oktober 2022
Eine moderne amerikanische Familie. Vater und Mutter einander ebenbürtig, auf Augenhöhe. Die Kinder aufgeweckt, auf gutem Kurs. Großeltern liegen als Anker nahebei. Man liebt sich. Das Leben läuft. Gäbe es da nicht den einen großen Funken Vergangenheit des VATERS OWEN JOHNSON, der gleichzeitig der Samen ist, um all das schöne Konstrukt des amerikanischen Traums zum Einsturz zu bringen. Die ersten Trümmer liegen bereits verstreut. OWEN JOHNSON früherer Mentor WEI LUN liegt schwer verletzt im Krankenhaus und OWENS Frau KELLIE, eine Polizistin, verliert langsam die Nerven. Die Bedrohung scheint zunächst ausgestanden zu sein, in Wahrheit aber müssen die Helden nun an die Wurzel des Übels, damit endlich wieder Frieden herrscht.
Totgeglaubte leben länger! So ähnlich lässt sich wohl der Beginn von FIRE POWER 3 umschreiben, denn gleich zwei vermeintlich Tote sind hier wieder auf den Beinen. Das beschauliche Leben der Familie Johnson ist gehörig aus den Fugen geraten. Vater, Mutter, zwei Kinder, Großeltern, ein beschauliches Barbecue geben ein Gefühl der Normalität und sind doch nur ein Stück weit Flucht in das, was kurz zuvor noch war. Denn OWEN JOHNSON, die Hauptfigur in FIRE POWER, muss zurück zu seinen Wurzeln, zurück in den Tempel, wo er seine Ausbildung erhielt, um dort mit seinen einzigartigen Kräften die Ordnung wiederherzustellen und dem Terror ein Ende zu setzen.
ROBERT KIRKMAN, so gewinnt man über die Jahrzehnte den Eindruck, ist so etwas wie der QUENTIN TARANTINO des Comics geworden. Er hat mit den WALKING DEAD die alten Zombies einer vergangenen Unterhaltungsära wiedererweckt. OUTCAST entführte in die Gefilde von Besessenheit und Dämonen. INVINCIBLE letztlich spielte mit den Elementen des Superheldengenres und stellte hier einiges auf den Kopf. Mit FIRE POWER hat sich ROBERT KIRKMAN die guten alten MARTIAL-ARTS-Geschichten geschnappt, die mit SHAOLIN, KUNG FU, NINJAS und anderen Facetten des Kampfsports in den 1970ern und 1980ern Kintopp und Television heimsuchten.
Vieles von diesen Kapiteln der MARTIAL ARTS wird der Leser hier wiederentdecken. Nicht zuletzt gab es bereits damals fantastische Einflüsse – das springende Fliegen durch die Lüfte oder das spinnen- und gespenstergleiche Wandkrabbeln schwarzgewandeter Attentäter war nicht mehr wirklich auf rein menschliche Weise zu bewerkstelligen. OWEN JOHNSON, der Hauptcharakter aus FIRE POWER, besitzt die besondere Fähigkeit, FEUERBÄLLE in seinen Händen entstehen zu lassen und mit ihnen zu kämpfen. Das setzt dem Ganzen natürlich noch die Krone auf. Abseits der normalen Welt, jener mit Barbeceus, hat sich eine Parallelwelt entwickelt, in der das Fantastische niemanden ängstigt. ROBERT KIRKMAN lässt mit OWEN JOHNSON als Brückenelement beide Welt mit Karacho aufeinanderknallen. In FIRE POWER 3 wendet er sich dem Finale eines (so sieht es aus) ersten Zyklus zu.
In der ersten Hälfte des von FIRE POWER 3 werden alle Vorbereitungen für das Finale getroffen. Es menschelt und nicht nur auf der guten Seite der Charaktere. Auch jene (ja, nennen wir sie so) Bösen haben ihr Päckchen zu tragen, da sich ihre (na) Revolution nicht so entwickelt, wie sie das über die Ereignisse in Band 1 und Band 2 hinweg erwartet hatten.
Grafisch ist weiterhin CHRIS SAMNEE am Start. Er ist ein reduziert zeichnender Künstler und somit auf einer Linie mit einem frühen MIKE MOGNOLA (zu Zeiten von FAFHRD UND DER GRAUE MAUSLING, später auch nicht mehr) oder auch einem frühen CHARLIE ADLARD (zu Beginn seiner Arbeit an THE WALKING DEAD). Hier wird der Charakter angelegt, der richtige Blickwinkel auf die Szene, der Lauf einer Sequenz über die Seite. Das ist filmisch, fließend und anders als Zeichner, die sehr detailverliebt arbeiten und darauf abzielen, den Leser in ein einziges Bild eintauchen zu lassen.
Je jünger ein Charakter ausfällt, je weniger definiert fällt er zwangsläufig aus, da CHRIS SAMNEE sich durch Vereinfachung selbst eine Verdeutlichung nimmt. Betrachtet man ältere Charaktere wie zum Beispiel den VATER von OWEN JOHNSON oder auch seinen Geschäftspartner LARRY und natürlich ganz besonders den alten WEI LUN kann CHRIS SAMNEE die Figuren selbst auf einer Seite (wie LARRY) viel besser und schneller veranschaulichen.
In der zweiten Hälfte kommt das Austoben. Um im Vergleich zu bleiben, war es vorher noch Television (oder Streaming), wird es dann großes episches Kino. Ausgerechnet beginnend mit einer Szene, die einem JAMES BOND oder auch einem THE ROCK gut zu Gesicht stehen würde. Hier heben die Zeichnungen auch den Spannungsbogen an, hinein einerseits in Hammer-Action (ganz im Stil der großen Kino-Shaolinklöppereien), andererseits in einen recht tragischen Verlauf, den CHRIS SAMNEE fein inszeniert.
Stark im Aufbau, in der Fortführung der bisherigen Handlungsstränge und ihrer Auflösung. ROBERT KIRKMAN schafft es, dass man als Leser mit OWEN JOHNSON und seiner Familie einfach mitfiebern muss. Das ist fantastisch, das ist dramatisch, traurig bis sehr tragisch, mit einem Action-Feuerwerk zum Schluss. Toll gemacht, MR KIRKMAN! (Und MR SAMNEE!) 🙂
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