Samstag, 09. Dezember 2023
Es herrscht Nacht über der Welt. NOCTERRA. Eine Nacht, die niemals endet. An einem Tag, vor mehreren Jahren, wurde es plötzlich dunkel. Der Sonnenschein verschwand. Doch es wurde nicht bloß dunkel. Wer zu lange in der Finsternis lebte, begann sich zu verändern. Menschen und Tiere verkamen zu schwarzen Kreaturen, darauf aus, alles und jedes in ihrer Umgebung zu vernichten. Mutierte Tiere paarten sich. Im Endergebnis wurden die Monster immer kurioser, alptraumhafter. Die letzten Menschen versammelten sich in kleinen Siedlungen, abgeschirmt gegen den Rest der dunklen Welt durch voluminöse Strahler. Nicht nur zu ihrer Sicherheit, denn das Licht wehrte die Kreaturen ab. Auch um nicht dieser mysteriösen Krankheit zu verfallen und selbst zu einem Schattenmenschen zu werden.
Eine kleine Gruppe von Menschen, solche, die den Kontakt zwischen den Siedlungen aufrecht erhalten, hat einen Hinweis erhalten. Es besteht die Möglichkeit, das Licht in die Welt zurückzuholen. Angeführt von einer jungen Frau, VAL, einer regelrechten Veteranin, wenn es darum geht in der Finsternis zu überleben, jagt ein Konvoi durch die Nacht, immer bedroht und gejagt von einem unbarherzigen KILLER: BLACKTOP BILL.
Nach dem fulminanten Auftaktband von NOCTERRA halten SCOTT SNYDER und TONY S. DANIEL den Spannungsbogen weiter hoch. Sie haben ein Szenario geschaffen, das ihnen jede Möglichkeit bietet, die Nerven den Lesers mit immer neuen Überraschungen zu strapazieren. In der Dunkelheit ist einfach alles möglich. Das ist das Schöne an NOCTERRA. Es ist eine Comic-Achterbahnfahrt. Der Leser weiß, dass hinter der nächsten Kurve alles Mögliche warten kann. SCOTT SNYDER und TONY S. DANIEL kitzeln immer wieder aufs Neue dieses Gefühl heraus: Gleich passiert was! Da waren doch Hinweise … Aber dann wird der Leser (vielleicht) erneut in Sicherheit gewiegt. Erwartet das Unvorhersehbare.
Drei Charaktere stehen im Vordergrund der Handlung. VAL, die Anführerin des Konvois und deshalb auf Verantwortung gedrillt. PIPER, die junge Frau mit dem Brain, das der Welt ein neues Gesicht verpassen kann. Und BLACKTOP BILL, ein KILLER, der schon vor der Dunkelheit ein KILLER war und jetzt in der für ihn perfekten Umwelt gelandet ist. Im Gegensatz zu den (meisten) übrigen Menschen mit ein paar Extras ausgestattet, die ihm das Töten noch erleichtern, wird er von SCOTT SNYDER und TONY S. DANIEL als düsterer HELD präsentiert. Man darf ihn nicht mögen (weil er ein KILLER ist), aber als Charakter fasziniert er dennoch. BLACKTOP BILL ist eben kein tumber Klotz, sondern verdammt gewitzt. Da bleiben VAL und PIPER etwas blasser, allerdings sei es ihnen nicht vorgeworfen, denn gute HELDEN fallen meist etwas blasser aus, weil der GUTE sich nicht alles erlauben kann. Außer zu leiden! Und an seine Grenzen zu gehen!
Das ist das, was jeder gute Held durchmachen muss, ganz gleich, in welchem Universum er gerade unterwegs. Leiden. Wegen Verlust, Trauer, Schmerz, Erschöpfung. Und natürlich ganz viel ACTION. Hier greifen die starken Bilder von TONY S. DANIEL und die fetzig explosive Kolorierung von MARCELO MAIOLO. Ist die Austaktepisode dieses Bandes, ein Rückblick zur Entstehung von BLACKTOP BILL, noch von einer sehr skizzenhaften Technik geprägt, greift daraufhin eine sich sehr auf Realismus und Perfektionismus bedachte Technik. Der Kontrast ist enorm. Wenn Licht Gegenstände, Figuren und Kreaturen aus der Dunkelheit reißt, kann jeder Illustrator mit diesen Grundbedingungen selbstredend trefflich spielen.
Beispielhaft hierfür steht der Konvoi, der sich mit gleißenden Scheinwerfern voranwälzt. Die Kreaturen, deren glosende Augen für den nötigen (noch sanften) Grusel sorgen. Explosionen und Waffenfeuer. Und dann gibt es da noch die NOKTURNEN, rein schwarze Gestalten (wie BLACKTOP BILL), die sich durch Kleinigkeiten wie blendende Gebisse oder leuchtende Augen hervotun. Kurzum, MARCELO MAIOLO arbeitet Effekte heraus, in jeder Beziehung passend für dieses HORROR-SCIFI-SZENARIO.
Im 2. Band von NOCTERRA wird das von SCOTT SNYDER und TONY S. DANIEL geschaffene HORROR-SCFI-Universum durchsichtiger, ein paar Geheimnisse werden gelüftet und eine Reise erreicht ein erstes wirkliches und höchst unerwartetes Ziel (Stichwort: Cliffhanger). Das verlangt nach mehr und das rasende letzte Drittel von AUF DIE TUBE, FERTIG, FLUCHT! verspricht genau das. SCOTT SNYDER und TONY S. DANIEL wissen genau, wie die richtigen süchtigmachenden Brotkrumen ausgestreut werden! Dickes Rundumsorglospaket für alle Horror-Scifi-Darkfantasy-Fans! 🙂
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Mittwoch, 29. November 2023
Ein MÖRDER geht auf den Straßen von BRÜSSEL um. Der Winter hat seine weiße Schneepracht über der Stadt ausgebreitet. Nachts bleiben die Menschen lieber daheim. Nur wenige Auots sind unterwegs und hinterlassen Spuren im frisch fallenden Schnee. SUZY BELAIR, eine Barsängerin, wurde soeben von ihrem Chef darauf hingewiesen, dass ihr Auftritt leblos, kraftlos sei. Der Abend ist gelaufen, die Laune im Keller. SUZY macht sich auf den Heimweg, ärgerlich über den Schnee. An manchen Tagen geht eben alles schief. Sie soll sich diesbezüglich nicht täuschen.
ROBERT SAX ist zurück! In der 2. Episode, VERLORENES PARADIES, erwartet den Leser ein geheimnisvolleres BRÜSSEL als zuletzt. RODOLPHE nicht so ganz zufällig in diesen Thriller stolpern. Eine Nachricht trifft ROBERT SAX ins Herz. Sofort ist der Held auf den Beinen und versucht von dieser Nachricht eine Verbindung zu seiner eigenen Vergangenheit herzustellen. Der Leser erfährt mehr über den Mann, der doch mehr als eine Art Hallodri daherkam und nun plötzlich mit einer todernsten Traurigkeit umgehen muss. Dieses Kippen des Charakters gibt der ganzen Handlung ein starkes Gewicht und der Figur des ROBERT SAX zusätzliche Ecken und Kanten, die nicht nur ihn interessanter machen. Auch das BRÜSSEL der 1950er Jahre ist mit seinem altstädtischen Charme, seinen verschneiten Gassen die perfekte Krimikulisse.
Dabei belassen es RODOLPHE und LOUIS ALLOING (sowie Kolorist DRAC) es nicht. Neben falschen Fährten, die hier ausgelegt werden, lassen die Comic-Künstler es sich nicht nehmen, einen absoluten Automobilklassiker in Szene zu setzen: einen PLYMOUTH FURY, Baujahr 1958, knallrot, mit weißen Seitenstreifen. Natürlich hätten sich die Comic-Künstler für jedes Automobil zu diesem Zweck entscheiden können. Automobile Klassiker aus jenen Tagen gibt es reichlich, auch sportliche. Und das Ergebnis? Ganz einfach: die Szenen mit dem PLYMOUTH FURY, als fahrbares Utensil ebenso wie als kurzfristige Werkstattkulisse sind schlicht eine Augenweide. 🙂
RODOLPHE gelingt eine ausgewogene Mischung aus persönlicher Tragödie, aus detektivischer Arbeit, Action und dem Aufbau von Beziehungen und dem Vertiefen von Freundschaften. ROBERT SAX als Serienheld kommt dem Leser näher. Neben der Spannungssteigerung gelingt es RODOLPHE, Mitleid für ROBERT SAX zu wecken. Plötzlich wird aus dem Tunichtgut und Schürzenjäger ein Mann, der mit seiner Vergangenheit (völlig zu Recht) hadert und bei anderen Menschen nur langsam auftaut.
LOUIS ALLOING kann sich für Szenen generell Zeit lassen. Der Aufbau, oft über mehrere Seiten hinweg, ist ruhig (für den Leser, nicht grundsätzlich für ROBERT SAX oder seine Mitstreiter). Bilder (und Text) leiten den Leser ungeheuer versiert, streuen Atmosphöre und Information punktgenau ein. Ein gutes Beispiel ist ein Gespräch zwischen dem Chefmechaniker von ROBERT SAX und der Sekretärin. Aktuelles Geschehen und Rückblick werden geschickt, für das Auge flüssig, ineinander verwoben.
Sehr viel ernsthafter als die erste Folge kommt Band 2 der Serie ROBERT SAX daher. Gab es im ersten Thriller noch Anflüge einer humoristischen oder auch satirischen Note, geht es hier (wie bei einem Krimi mit einem Serienmörder nicht anders zu erwarten) todernst zur Sache. ROBERT SAX selbst muss sich seiner Vergangenheit stellen. Die damit erreichte dramatische Tiefe richtet sich alsbald nach außen, denn eine alte Wunde scheint nur durch die Lösung eines Kriminalfalls zu schließen sein. VERLORENES PARADIES nennt RODOLPHE diese Wunde. Gleichzeitig ist VERLORENES PARADIES auch ein Schwelgen in einer leicht romantisierten BRÜSSELER VERGANGENHEIT (in der nicht alles besser war, aber vielleicht eine Spur konzentrierter). LOUIS ALLOING, der Zeichner, hat seine Figuren und sein dramatisches Umfeld im Griff, vertrautes Ambiente, vertraute Charaktere, die zudem an der Geschichte wachsen dürfen. Ein Wohlfühlkrimi! 🙂
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Sonntag, 19. November 2023
Buchstäblich jede Reise hat ein Ende. Die Expedition unter der Leitung der beiden Abenteurer MERIWETHER LEWIS und WILLIAM CLARK ist auf ihrer letzten Etappe des beschwerlichen Weges, der sie zur pazifischen Küste des nordamerikanischen Kontinents führen soll. Hetzend, gejagt und von einer unglaublichen Idee beseelt ist die Gruppe seit ihrem Aufbruch nicht nur sehr dezimiert, sondern auch innerlich zerrissen. Freund und Feind sind schon lange nicht mehr klar definiert. Augenblicklich braucht man sich, denn das Land wehrt sich weiterhin gegen die Eindringlinge. MONSTER können in jeder Verkleidung überall lauern. Das Erklimmen einer Felswand, gefährlich genug selbst für erfahrene Kletterer, wird rasch zu einer Belastungsprobe für die gesamte Gruppe …
Seit 2013 befinden sich MERIWETHER LEWIS und WILLIAM CLARK auf ihrer Comic-Reise. In diesem Medium ist das eine sehr lange Zeit, vor allem da es sich um eine neue Reihe handelte. Weltweit gab es einige bremsende Widrigkeiten, an denen kaum einer vorbeikam. Acht Hardcover-Bände sind heruntergebrochen auf die komplette Reihe 48 Ausgaben, die insgesamt erschienen sind. CHRIS DINGESS stützte sich zu Beginn auf wahre Begebenheiten, nämlich die tatsächliche Expedition von LEWIS und CLARK, die selbstverständlich Eingang in amerikanische Geschichtsbücher gefunden hat. Alles weitere dazwischen, von der Ost- zur Westküste, ist weitestgehend gruselig und spannend fabuliert, sieht man von einigen Charakteren ab, die ebenso wirklich an der Reise beteiligt waren.
Eine ganz wichtige Figur hierbei ist SACAGAWEA, indianischer Abstammung und Mutter eines Sohnes. Dieses Kind spielt eine wichtige Rolle im Endspurt der Geschichte, denn (so hat es sich CHRIS DINGESS ausgedacht) es hängt das Schicksal eines Kontinents und eines noch jungen Staates von ihm ab. Es ist ein KRIEGSKIND, der Sproß zweier verfeindeter Parteien, entsprechend groß ist seine Bedeutung. Ausgerechnet SACAGAWEA, die den weißen Eindringlingen eigentlich nichts schuldet (obwohl sie auch eine gewisse Dankbarkeit empfindet), will die aufgezwungene Aufgabe erfüllen. Am Ende wartet, wählt man den Gamer-Jargon, der BOSS-GEGNER, ein DÄMON namens NAVATH (nicht der Teufel, wie zu erwarten gewesen wäre, aber nah dran).
Der Erfolg der Serie hat verschiedene Gründe. Einer ist die hervorragende Charakterzeichnung der Figuren und ihre Entwicklung über die Reise hinweg. Unterschiedlichste Einflüsse haben die Charaktere geformt. Tiefste Ängste mussten bezwungen werden. Hass wurde geschürt, teilweise besiegt. Unmenschliche Anstrengungen wurden vollbracht. CHRISS DINGESS hat seine Figuren einmal durch die Hölle und zurück geschickt. Nach den körperlichen Herausforderungen werden nun die SEELEN der Reisenden auf eine besondere Probe gestellt. NAVATH ist einer jener DÄMONEN, die zu den geschickten Manipulatoren gehören. Sie quälen ihre Opfer gerne mit Wahrheiten (natürlich auch körperlich, daraus macht er gar keinen Hehl), weil die innere Vernichtung, eine unsichtbare Qual des Menschen dem DÄMON eine ungeheure Freude bereitet.
Gleichzeitig fallen einige Masken zum Schluss. Es gibt Enthüllungen und dabei kommt so mancher Beteiligter überhaupt nicht gut weg. Das ist von CHRISS DINGESS verdammt gut gelöst und erzählt, außerdem konsequent. Hier werden keine falschen Helden aufgebaut. Sie (und ihre Träume und Ziele) werden eher zertrümmert. BAND 8, mit dem Titel SACRIFICIUM & REDITUS, ist so abgrundtief düster geraten, dass er sogar die sieben Vorläuferbände abhängt. Es gibt nur eine Sequenz, die etwas Glück und Freude (bei den Figuren) verbreitet (und die währt nicht lange).
Erzählerische Kunst ist die eine Seite, die grafische Gestaltung ist die andere. Hierfür standen zwei absolute Könner bereit, nämlich MATTHEW ROBERTS (Zeichnungen) und OWEN GIENI (Farben). Die leicht ausgeführten Figuren zusammen mit einer organischen Farbgebung ergeben einen Zeichentrickcharakter früherer Machart, weit entfernt von computergenerierten Zeichnungen heutiger Produktionen. Die Farbgebung von OWEN GIENI, die wirkt, als sei er mit Gouache, Aquarell, teils Buntstift zu Werke gegangen, ist erfrischend vielfältig. Wenn Farben es gestattet wird, ineinander zu verlaufen, Lichter aufgesetzt werden, abschattiert wird, je nach Sonneneinstrahlung (oder nächtlicher Atmosphäre, Feuerschein). Manche Seiten folgen einer Farbstimmung und erzählen zusätzlich zur Szene, zum Text (soweit vorhanden) noch eine zusätzliche Spur. Das Ergebnis ist ein höchst intensives Leseerlebnis.
Ein dramatischer Abschluss, ein trauriger Abschluss. Es ist spannend, weiterhin, aber zum Ende stehen andere Ziele der Geschichte im Vordergrund. CHRIS DINGESS gibt den verbliebenen Charakteren sehr viel Raum, sich dem Leser zum Schluss zu erklären. Haben sich Träume erfüllt? Hat sich das Leben verändert, auch für die Zukunft (in den meisten Fällen, aber kaum zum Besseren)? Selbst auf der dämonischen Ebene ist ein NAVATH nachvollziehbar. Das Böse kann begriffen werden. Optisch ist es ein Hammererlebnis in der achten und letzten Folge. MATTHEW ROBERTS und OWEN GIENI liefern ganz besonders hier, unabhängig vom mysteriösen Faktor der Geschichte, ein starkes Wildwestabenteuer ab, in dem die Wildnis von Nordamerika mehr ist als nur Kulisse. Eine der stärksten Mystery-Adventure-Serien der letzten Jahre (ganz gleich in welchem Medium)! Toller Abschluss! 🙂
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Freitag, 17. November 2023
SONNY ist ein ganz normaler Mann, durchschnittlich, passt auf seine alte Mutter auf und schlittert da in eine Sache rein. Eine ganz besondere Sache. Eine besonders widerliche Sache. Furchtbar. Eigentlich wollte er nur helfen. Leben retten. Doch plötzlich sind da zwei Tote. Nackt. Gefoltert. SONNY kam zu spät. Aber er hat noch eine Chance. Er muss sich beeilen. Und er muss auf alles gefasst sein. Auf alles. Aber in erster Linie muss er sich verdammt beeilen! Bevor er schon wieder zu spät kommt.
RICK REMENDER hat sich nicht nur als Comic-Autor etabliert, sondern auch als Garant für starke Geschichten, die ungewöhnliche Wege gehen. A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE ist eine dieser Geschichten. Mischungen aus FANTASY und SCIENCE FICTION, KILLER (wie in DEADLY CLASS) oder knallharte und satirische SPACE OPERA (wie in FEAR AGENT) waren seine bisherigen Themen.
RICK REMENDER setzt sich selbst keine Grenzen, nimmt Bekanntes und setzt Neues hinzu oder stellt direkt ein Genre auf den Kopf. Hier in A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE ist er sehr ernst, sehr nah an der Realität (na, ungefähr, denn wer die Nachrichten verfolgt, wird einige Parallelen finden), mitreißend, aufwühlend, mit einer Story, die den Leser (mir) zuweilen ein paar Atemaussetzer beschert hat. Ähnlich, wie es ein Film oder eine Serie manchmal vermag, schafft es A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE, einen die Umgebung vergessen zu lassen und ganz in die Handlung einzutauchen.
Es gibt nur wenige Brüche, die zum Aufatmen einladen, allenfalls dann, wenn die Handlung einen Sprung hinlegt, zum Beispiel ein halbes Jahr verstreicht. Zuvor, wenn der Leser die vergehenden Stunden ausführlich mitverfolgen kann, bleibt keine Zeit für eine Pause. Außerdem erzählt RICK REMENDER seinen THRILLER unter eine Prämisse: TRAUE NIEMANDEM. Unter dieser Voraussetzung hält RICK REMENDER die Spannung non-stop hoch, denn man weiß NIE (!), wo der nächste Wendepunkt wartet, welches Schicksal im nächsten Moment um die Ecke kommt.
So eine Geschichte, spannend und brutal, braucht einen Comic-Künstler, der die Geschichte möglichst realistisch inszenieren kann, ansonsten funktioniert es nur halb so gut. ANDRÉ LIMA ARAÚJO (und CHRIS O’HALLORAN) ist so ein Zeichner, der aus einem anfangs unbekannten Charakter eine lebende und leidende Figur macht, die dem Leser ans Herz wächst: SONNY. Stilistisch bedient sich ANDRÉ LIMA ARAÚJO beim MANGA und bei modernen AMERIKANISCHEN STILEN. Dünne Outlines, feinste Linien innen arbeiten die nötigsten Details heraus. Hautfalten, Faltenwurf der Kleidung, Schweißtropfen, Bartstoppeln. Dünn angelegte Streifenmuster symbolisieren rasante Geschwindigkeit. Daneben finden sich teils fein ausgearbeitete Hintergründe, wie es der MANGA- bzw. ANIME-FAN kennen mag. Hier kann es aber von beruflichen Hintegrund ANDRÉ LIMA ARAÚJOS herrühren, denn der Portugiese ist ebenfalls Architekt.
In Sachen Bildeinstellung und Zooms auf Gesichtsausdrücke werden MANGA-FANS ebenfalls einige der bekannten Techniken wiedererkennen. Aber COMIC-FANS mehr der amerikanischen Machart oder der europäischen müssen sich keine Sorgen machen und nicht abgeschreckt sein. A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE nimmt sich gleichfalls ein Beispiel an filmischen Vorbildern. Lange Sequenzen, zueinandergehörende Bildfolgen erinnern an die Arbeiten von SERGIO LEONE oder QUENTIN TARANTINO, die Rasanz mancher Szenen könnte auch in einem Film von JOHN WOO vorkommen. Kurzum, die Bilder von ANDRÉ LIMA ARAÚJO (nach entsprechenden Vorgaben von RICK REMENDER) finden ihre Parallelen in der Popkultur, beziehen von dort ihre Modernität. Kennen muss man diese Idole und ihre Arbeiten aber nicht.
Helden wider Willen, Killer und finstere Machenschaften sind eine Seite der Medaille und erfinden das Rad nicht neu. Wo RICK REMENDER und ANDRÉ LIMA ARAÚJO enorm punkten können, sind Atmosphäre und Charakterentwicklung beziehungsweise die Charakterzeichnung. Plötzlich steht eine Aufgabe oder ein Problem im Raum. Wie wird das gelöst werden? Wird derjenige, den es betrifft, überhaupt darauf eingehen? Wird er sich zurückziehen oder den nächsten Schritt wagen? Darüber hinaus entwickelt RICK REMENDER keine Dialoglandschaft. Charaktere reagieren mitunter wortlos oder wortreduziert. Dem entgegen setzt ANDRÉ LIMA ARAÚJO Nuancen in Mimik und Gestik und erhöht so die Konzentration des Lesers auf die Details, die das Fundament der Geschichte auf der ganzen Strecke bilden.
Selten kommen Comics daher, die das Potential eines Vorbildcharakters für ein Genre haben: A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE ist so eine Geschichte. Erzählweise, Aufbau, grafische Gestaltung, die Ausgewogenheit zwischen Ruhe und Spannung machen aus A RIGHTEOUS THIRST FOR VENGEANCE einen echten Pageturner. Das funktioniert als Comic und darüber hinaus generell als vorbildlicher Thriller. RICK REMENDER (Autor) und ANDRÉ LIMA ARAÚJO (Zeichner) präsentieren sich als Comic-Dreamteam. Starke Empfehlung! 🙂
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Donnerstag, 09. November 2023
Ganz Gallien ist von den Römern besetzt. Ganz Gallien? Nein, ein kleines Dorf voller unbeugsamer Gallier widersetzt sich den Besatzern dank seiner mutigen Krieger und eines Zaubertranks, der ihnen übermenschliche Kräfte verleiht. Die Geschichte ist sattsam bekannt. Die Geschichte entstand 1959, ein Zeichentrickfilm folgte bereits 1967. Dieses vorliegende Hörspiel wurde 1997 produziert. 26 Jahre her, aus heutiger Sicht. In Anbetracht der Erscheinung des mittlerweile 40. Bandes der Reihe, DIE WEISSE IRIS, sei mal ein Blick zurück riskiert auf ein Medium, das HÖRSPIEL, das die Comic-Figur ASTERIX nun sogar noch länger begleitet als die hier vorliegende Fassung von KARUSSELL.
Die Figuren im Hörspiel können mit ihren VORBILDERN (im wahrsten Sinne des Wortes) existieren, als Zugewinn, aber sie sollten auch ohne sie verständlich sein. Und das gelingt durch die stimmliche Besetzung, die so gelungen ist, dass sie gleichfalls für eine Synchronisation in Frage gekommen wäre.
WOLF FRASS (Jahrgang 1948) gibt als Erzähler den verschmitzten Unterton vor. ASTERIX ist in diesem Fall nicht nur ein Abenteuer für Kids, es ist in gewissem Sinn auch Comedy. Dieser Eindruck verstärkt sich mit der fortlaufenden Handlung (spätestens, wenn der römische Spion ins Lager der GALLIER kommt) und mit den Stimmen der HELDEN.
ASTERIX wird von PETER HEINRICH gesprochen (leider schon ein Jahr nach Veröffentlichung dieses Hörspiels verstorben) und mit einem Wort: Toll! Die Heiserkeit, die selbstbewusste Art des kleinen Kriegers, das alles passt hervorragend zum Charakter der Comic-Figur. OBELIX, gesprochen von DOUGLAS WELBAT, kommt hier handlungsbedingt noch etwas zu kurz, aber wo er dabei ist (zum Beispiel und ganz besonders bei der Ausgabe des ZAUBERTRANKS), liegt er goldrichtig mit seiner Interpretation des Hinkelsteinlieferanten. Der stimmliche Knaller, wo es wirklich zu 100 Prozent perfekt ist, ist WOLF RAHTJEN als MIRACULIX. WOLF RAHTJEN synchronisierte unter anderen mehr den MERLIN in der Zeichentrickserie PRINZ EISENHERZ, was zeigt, dass seine Stimme für einen alten Druiden prädestiniert war. In diesem MIRACULIX steckt richtig viel Leben drin.
Tolle Nummer, für KIDS, aber auch für Hörspielnostalgiker, die sich für frühere Einsätze starker Stimmen begeistern können, in einem echten Klassiker der Comic-Historie! 🙂
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Sonntag, 05. November 2023
JOVAN und ALIANA werden Eltern. Die kleine DANITZA wird in eine Zeit hineingeboren, in der MARSCHALL TITO mit harter Hand über JUGOSLAWIEN herrscht. JOVAN hat als Dorflehrer keinen leichten Stand. Gerüchte machen die Runde. Es heißt, sein Vater habe im 2. WELTKRIEG mit den Deutschen kollaboriert. Es dauert nicht lange und die feigen Anschuldigungen und Lügen aus dem Hinterhalt fallen bei den geheimdienstlichen Behörden auf fruchtbaren Boden. JOVAN wird verhaftet. Zur gleichen Zeit, jenseits des Atlantiks, in den Vereinigten Staaten von Amerika, hat NERIO WINCH ganz andere Probleme. Er ist Geschäftsmann, außerdem nur 155 Zentimeter groß, ein Umstand, über den sich so mancher seiner Gegner auf dem finanziellen Parkett lustig macht. Allerdings lachen sie nicht lange, denn wenn es um Geld geht, ist NERIO WINCH gnadenlos und von geradezu teuflischer Schläue …
JEAN VAN HAMME schuf mit der Serie um LARGO WINCH eine der erfolgreichsten Comic-Serien (neben mehreren anderen). Die Thrillerreihe (demnächst erscheint bereits Band 24) hat eine frische Hauptfigur. Durch den Tod des Adoptivvaters gerät der junge Mann an die Spitze der GRUPPE W, eines weltweit und unternehmerisch sehr diffenrenziert agierenden Konzerns. Von jetzt auf gleich liegt ihm ein milliardenschweres Imperium zu Füßen. Was zuerst als Segen für einen Habenichts wirken mag, entpuppt sich schnell (fast) als Fluch. Geld und Macht wecken Neid. Daraus resultieren Intrigen und im schlimmsten Fall Mord.
Aber wie konnte LARGOS Adoptivvater NERIO WINCH ein derartiges Vermögen aufbauen? Das erzählt die Familiensaga DAS SCHICKSAL DER WINCZLAV, beginnend in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im dritten und letzten Band der Trilogie, DANITZA 1965, spielt die Moderne eine immer größere Rolle und der Wiedererkennungswert mit unserer Gegenwart steigt drastisch an. Zumindest auf einer Seite des Atlantiks. JEAN VAN HAMME erzählt uns zwei verschiedene Familienstränge (die er später gekonnt verbindet). Und so unterschiedlich diese Erzählungen sind, so anders sind die Charaktere (und Schicksale), die der Leser hier kennenlernt. In grundverschiedenen gesellschaftlichen Schichten (obwohl es Überschneidungen gibt), nähern sich der amerikanische und der jugoslawische Familienzweig einander an.
JEAN VAN HAMME kann nicht ins kleinste Detail hinein erzählen. Der Platz steht zwangsläufig in diesem Format nicht zur Verfügung. Also muss er auf ausgewählte und wichtige Ereignisse setzen (selbst davon gibt es noch reichlich!). Hierbei sind die Gegensätze der Lebenswelten toll gelungen. Sie grenzen sich ungeheuer streng gegeneinander ab. Auf der einen Seite das mondäne Amerika der Upper Class, auf der anderen Seite die Niederungen eines real existierenden Kommunismus mit all seinen dunklen Seiten. Wie die Annäherung dieser beiden Seiten klappt, ist lesenswert und ein echtes Kabinettstückchen. Wichtig ist allerdings, den bisherigen Anlauf zu diesem Finale zu kennen.
Mit PHILIPPE BERTHET steht für diesen Dreiteiler ein Comic-Künstler an JEAN VAN HAMMES Seite, der extra für dieses Special in das LARGO-WINCH-Universum eingestiegen ist. Er pflegt einen völlig anderen Zeichenstil als der LARGO-WINCH-Veteran PHILIPPE FRANCQ. Die Welt um die Figuren herum ist mit präzisem Strich realistisch abgebildet, allerdings etwas idealisiert. Bei PHILIPPE BERTHET ist alles ein wenig schöner als in Wirklichkeit. In der Klarheit seiner Bilder findet sich kein Schmutz, selbst abgelegene Gegenden und Morde sind ziemlich reinlich. Allerdings bietet die Geschichte in dieser Idylle reichlich Abgründe. Und Kuriositäten gibt es auch. Ich glaube, in Comics wurde nie zuvor ein Trabbi als Fluchtfahrzeug verwendet.
PHILIPPE BERTHET gelingt es, die traurigen Momente der Handlung einzufangen, die wiederum manchem halbseidenem Erfolg gegenüberstehen. Die Geschichte der WINCZLAV ist in vielen Fällen furchtbar, voller Verzweiflung (vor allem auf der jugoslawischen Seite des Erdballs), die Inszenierung richtig (schön) theatralisch, eindrücklich. Nach JEAN VAN HAMMES Vorgaben bleiben einem die Charaktere nicht fremd, noch lässt ihr Schicksal einen kalt.
Ein starker Abschluss, traurig und tröstlich zugleich. Natürlich endet die Geschichte der Familie WINCZLAV hier nicht. JEAN VAN HAMME hat sich eine wahre Achterbahnfahrt für die Familie ausgedacht. Wer sich manche prominente Familien in den USA anschaut, kann kaum verneinen, dass es sich tatsächlich so zutragen könnte. Also Hut ab, vor diesem teils bitteren, finsteren Realismus. Weiterhin fein inszeniert von PHILIPPE BERTHET, inzwischen ein Comic-Veteran, aber ein ebensolcher Garant für ein tolles Comic-Vergnügen. Zwei Daumen hoch! 🙂
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Mittwoch, 01. November 2023
Wie konnten die meisten der irdischen HELDEN fallen? Wie konnte die ZOMBIE-APOKALYPSE die Oberhand gewinnen? HELDEN wie SUPERMAN, WONDER WOMAN oder jemand mit der Macht eines BLACK ADAM? In KAHNDAQ sorgt BLACK ADAM für Ordnung und hält die Seuche zurück. Die HELDEN der JUSTICE LEAGUE sind ihrerseits auf derSuche nach einem Zufluchtsort für Überlebende. BLACK ADAM will ihnen diesen rettenden Ort nicht gewähren. Die Grenzen von KAHNDAQ bleiben geschlossen. Wenig später will BLACK ADAM inkognito unter seinem Volk wandeln, will hören, was sie tatsächlich von ihm denken. Dabei begeht er einen verhängnisvollen Fehler …
TOM TAYLOR setzt seinen DC-HORROR fort. Eigentlich war nach dem ZOMBIE-VIRUS alles klar, die Erde über den Abgrund hinaus. Aber es ist eben nicht nur die Zeit der SEQUELS, sondern auch der PREQUELS und so erzählt DIE ZOMBIE-APOKALYPSE von dem, was während des Niedergangs der Menschheit noch alles geschah und wie einige HELDEN trotz ihrer Macht, dem ZOMBIE-VIRUS zum Opfer fielen.
Natürlich ist ein Opfer wie BLACK ADAM ein Garant für die Niederlage. TOM TAYLOR verändert für seine Fortsetzung ein paar Blickwinkel. Da geschehen Ereignisse aus der Sicht von JIMMY OLSEN. Wir erfahren, wie Leute im DAILY PLANET gerettet wurden. Wie zum Beispiel die ehemalige BLACK CANARY und nun neue GREEN LANTERN viele Überlebende in Sicherheit bringt. TOM TAYLOR setzt auf Drama, Drama, Drama, vor allem, wenn er einen Zufluchtsort ins Spiel bringt und neue Heldengesichter, die bislang in dieser Geschichte nicht auf dem Schirm auftauchten und ein Ort gerät ins Zentrum der Handlung: JÖTUNHEIM. Allein die Verteidigung dieser Festung ist im wahrsten Sinne des Wortes APOKALYPTISCH. Das Besondere sind einige neue Konstellationen sowie Figuren, deren Fähigkeiten plötzlich an Gewicht gewinnen und sogar für eine Verschiebung der Ergebnisse sorgen.
Ähnliche lässt sich auch über den Gastauftritte sagen. Nicht unbedingt handlungsrelevant, dafür sehr gelungen und überraschend ist der Auftritt von BOBO, dem SCHIMPANSEN, KRYPTO dem SUPERHUND und nicht zuletzt dem erst vor kurzem im Animationsfilm DC LEAGUE OF SUPERPETS auftretenden ACE, dem Hund von BATMAN. Wenn BOBO zwischen den Tieren vermittelt, wegen seiner Begabung, mit diesen sprechen zu können, wechselt eine ZOMBIE-APOKALYPSE wieder auf ein ganz anderes Level.
Verschiedene Zeichner arbeiten sehr unterschiedliche (allesamt gute und starke) Bilder heraus. Da gibt es punkige Anflüge (passt zur Brutalität) mit einer Mixtur aus groben und extrem feinen Strichen. Da gibt es einen tollen Realismus mit einem SUPERMAN, der einem CHRISTOPHER REEVE schon recht ähnlich sieht. Da finden sich Bilder, die einerseits moderner, junger amerikanischer Comic sind, andererseits auch Spuren von Animestilistik enthalten. Und schlussendlich findet auch jener Style seine Nachahmer, wie sie Animationsserien um SUPERMAN, BATMAN und BATMAN UND ROBIN in den 1990ern geprägt haben. Da ist wirklich für jeden etwas dabei und alles ist auf seine Art meisterlich.
Ja, DIE ZOMBIE-APOKALYPSE, sie ist furchtbar (gut), hat ihre komischen Momente, ist aber meistens hart, schnell und fügt sich klasse in den bisherigen Erzählstrang ein (wie gesagt PREQUEL). Das Ende, obwohl es natürlich so kommen muss, ist bombastisch. Top! 🙂
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Montag, 30. Oktober 2023
Die Welt ohne einen FRANC in der Tasche zu umrunden, ist eine Mammutaufgabe. Diese Erfahrung macht auch MARC DACIER, als er in KARATSCHI festsitzt und nach einer Möglichkeit sucht, das Land zu verlassen. Und in der richtigen Richtung, versteht sich, schließlich soll es vorwärts gehen, nicht rückwärts. Als er endlich eine Idee hat, Geld für die Weiterreise zu verdienen, landet er am Ende im Krankenhaus. Und obwohl dies eine bittere Erfahrung für den jungen Reporter aus Frankreich ist, findet MARC DACIER ausgerechnet an diesem Ort eine Mitfahr… Mitfluggelegenheit.
Einmal um die ganze Welt, ohne Geld, dafür mit mit grenzenlosem Enthusiasmus. Heutzutage wäre MARC DACIER mit einem Smartphone unterwegs und hätte wahrscheinlich den Status eines Influencers. In den 1950er Jahren jedoch verläuft seine Reise relativ anonym, fast schon heimlich. In der zweiten Episode, AUF DER JAGD NACH DER SONNE, warten erneut allerhand Schwierigkeiten auf den Reporter, der sich entschlossen hat, auf Biegen und Brechen sein Können und seinen Einfallsreichtum zu beweisen, damit er die ersehnte Stelle bei der renomierten Zeitschrift ÉCLAIR bekommt.
JEAN-MICHEL CHARLIER hat damals (und heute immer noch) mit dieser Serie einen genialen Coup gelandet. Eine riesige Welt voller Abenteuer stand dem Weltenbummler MARC DACIER zur Verfügung. Die Schwierigkeit, nicht gerade auf das beste Fortbewegungsmittel zurückgreifen zu können, sondern sich mit dem zufrieden geben zu müssen, was sich eben bietet, sorgt nonstop für einen spannenden Durchlauf. Dabei stellt MARC DACIER nicht immer sehr verantwortungsvoll dar. Ganz im Gegenteil. Und seine Naivität (oder Gutgläubigkeit) bringt ihn sogar mehr als nur in Lebensgefahr. Das sind nicht unbedingt die besten Eigenschaften eines Mannes, der es sich zum Ziel gesetzt hat, ein guter Journalist zu werden. Was sich aber auf jeden Fall sagen lässt: MARC DACIER ist ein Stehaufmännchen.
Hier wird Humor mit Spannung vermischt. Allerdings ist mancher Aufenthalt auch skurril. Die Gefahren setzen die beiden Comic-Künstler, JEAN-MICHEL CHARLIER und EDDY PAAPE, in PAKISTAN gekonnt in Szene. Als es luftiger wird, können sie es sich nicht verkneifen und deutliche humoristische Akzente zu setzen. In CHINA wird es für MARC DACIER richtig brenzlig, aber eben auch merkwürdig (was an der Gefahr nichts mindert). Und der Einfallsreichtum der beiden Comic-Künstler zeigt sich schon am Titelbild, auf dem MARC DACIER an einem Fallschirm schwebend auf einen aktiven VULKAN zuschwebt.
EDDY PAAPE hat ein Händchen dafür, nicht nur Charaktere zu kreieren, sondern auch sich für seine Zeichnungen bestimmte landesspezifische Merkmale anzueignen. Das wird gleich zu Beginn durch einen britischen Piloten und seinen italienischen Flugmechaniker bestätigt. Gesicht, Haltung, Ausdruck bilden die Grundlagen für eine in Teilen komödiantische Umsetzung. Very britisch, very italienisch. Man fühlt sich an Figuren aus einem MISS-MARPLE-KRIMI erinnert. Irgendwoher muss auch EDDY PAAPE seine Inspiration geholt haben. Die andere Seite ist eine Darstellung fremdländischer Akteure, die bei frankobelgischen Künstlern in jenen Tagen, den 1950er und 1960er Jahren häufiger zu beobachten waren, wenn der eine oder andere Charakter in die Karikatur abzurutschen droht.
In Sachen technischer Darstellung ist EDDY PAAPE zusammen mit anderen Künstlern auf der Höhe seiner Zeit. Schwer zu sagen, wo seine Vorlieben zu finden sind. Bei anderen lässt es sich ablesen, bei EDDY PAAPE scheint es, zumindest was diesen Band betrifft, ausgewogen gewesen zu sein. Die geschaffene Atmosphäre ist in nahezu jeder Situation stimmig (obwohl es in einer Sequenz kurz vor Schluss etwas überspannt wirkt), gerade dank der (auch technischen) Details.
Starke Fortsetzung. In fremderen Ländern geht es weiter, es wird exotischer und immer noch finden die Abenteuer zu Lande, zu Wasser und in der Luft statt. Es gibt Ausflüge ins Spionagegenre, aber auch Freunde von spannenden Flugzeugabenteuern kommen auf ihre Kosten. JEAN-MICHEL CHARLIER und EDDY PAAPE setzen auf Abwechslung. Mission voll erfüllt! 🙂
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Sonntag, 22. Oktober 2023
DELPHINA CRUYSHANK, von Haus aus reich, hat sich mit einem seltsamen Turm einen Rückzugsraum geschaffen, in dem andere Menschen nichts zu suchen haben. Hoch oben beobachtet sie die Welt draußen durch ein Teleskop und schreibt ihre Romane, die sie für ihre Außenwelt noch geheimnisvoller erscheinen lassen. Eines Tages entdeckt sie, selbst für ihre Begriffe, ein merkwürdiges Szenario. In der benachbarten Vollzugsanstalt wird ein Raum hergerichtet. Und es dauert nicht lange, da begreift DELPHINA den Sinn dieser Vorbereitungen. In der Haftanstalt soll ein elektrischer Stuhl seine Arbeit aufnehmen. Eines Abends ist es so weit. BALTIMORE HARMON, ein zum Tode verurteilter Mörder, wird in den Raum geführt, wo sich bereits einige offizielle Vertreter von Gesetzes wegen versammelt haben. DELPHINA kann den Blick nicht abwenden, kurz darauf flackern die Lichter des Gefängnisses …
Ein in Vergessenheit geratener Autor wird neu entdeckt: RAYMOND JEAN-MARIE DE KREMER schrieb unter dem Pseudonym JEAN RAY an der Serie HARRY DICKSON, der ganz offiziell den Serienuntertitel DER AMERIKANISCHE SHERLOCK HOLMES trug. Mysteriös ging es in den knapp 180 Romanepisoden zur Sache. Der amerikanische Detektiv logierte außerdem noch in der BAKER STREET, allerdings unter der Hausnummer 111 B, unweit des international berühmteren Kollegen. Sein Partner TOM WILLS, wie hier in der Comic-Adaption zu erleben, hilft bei den Ermittlungen und weiß manchmal nicht, wo sich HARRY DICKSON gerade aufhält. Denn Lebensgefahr lauert überall. Das beweisen die adaptierenden Autoren DOUG HEADLINE und LUANA VERGARI mit dem Auftaktband der neuen Comic-Serie: MYSTERAS.
Wer sich mit SHERLOCK HOLMES ansatzweise beschäftigt hat, wem in der POPKULTUR diverse PHANTOME untergekommen sind, solche wie FANTOMAS als prominentes Beispiel, diese mochte, wird von dieser gruseligen Kriminalgeschichte erst recht angetan sein. Das Ambiente fängt den Leser gleich im 1. Kapitel DIE TODESZELLE ein. Es ist geheimnisvoll, und es entstehen sofort viele Fragen. Solche, die nicht weniger werden, wenn man eine Antwort erhält. Selbstverständlich wird der Leser auch über den Voyeurismus der Figur der DELPHINA CRUYSHANK gepackt. Sie beobachtet ein Gefängnis und kurz darauf sogar eine Hinrichtung. Diese läuft relativ mechanisch ab, emotionslos. Selbst der Delinquent will, so sieht es aus, die Angelegenheit hinter sich bringen. Eine letzte Zigarette raucht er nicht zu Ende. Die wort- wie tonlose Stimmung dieser Inszenierung ist fantastisch gelungen. DOUG HEADLINE und LUANA VERGARI transportieren diese Stimmung über den ganzen weiteren Verlauf der Handlung. Denn es wird noch viel mysteriöser.
Interessanterweise haben HARRY DICKSON, sein Assistenz TOM WILLS, deren Haushälterin MRS. CROWN ihren ersten Auftritt erst im 2. Kapitel. Und gleich auf der ersten Seite dieses Kapitels wird gezeigt, welchen Stellenwert die einzelnen Figuren besitzen, innerhalb der Handlung und entsprechend später auch für den Leser. HARRY DICKSON ist bereits ein etablierter DETEKTIV, bekannt in LONDON und darüber hinaus. Außerdem haben seine Fälle auf sein Umfeld gehörig abgefärbt. Die Kriminalität ist zum Lebensinhalt der genannten drei Charaktere geworden, wenn es auch Hobbys zu geben scheint. Das Kennenlernen an dieser Stelle ist kurz, der Rest erfolgt über die Ermittlungen. Kein Innehalten, keine Zeitverschwendung, die Geschichte läuft kapitelweise ab wie ein Uhrwerk. Ohne je zu verraten, woraus die nächsten Schlüsse bestehen werden.
Diese Klarheit findet sich ebenfalls im Zeichenstil von ONOFRIO CATACCHIO, einem italienischen Comic-Künstler. Wer die dortige Comic-Landschaft ein wenig verfolgt, wird dieser Stilistik häufiger begegnen. Sehr akurat, sehr eindeutig, mit sicherem Blick für das Wichtige. Hier merkt man den Fokus auf ein sauberes Schwarzweißbild, in dem Farbe nur eine Zutat ist. So folgt die Kolorierung HIROYUKI OOSHIMA genau diesem Rezept, nämlich diese Klarheit nur zu stützen und niemals zu überlagern. Das passt zu einer klassischen Kriminalgeschichte, deren Romanvorlagen in den 1930er Jahren richtig durchstarteten und die das Flair mit (wie man so sagt) schaurigschönen Orten und Ereignissen zu uns transportiert. Rückblicke ins vergangene Indien, an die englische Küste oder unheimliche Gemäuer, in denen eine Art Spuk sein Unwesen treibt.
Atmosphäre ist Trumpf in diesem klassischen Kriminalabenteuer. Zwei Kriminalisten, HARRY DICKSON und TOM WILLS, geraten in einen Fall, in dem übernatürliche Kräfte am Werk zu sein scheinen. DER AMERIKANISCHE SHERLOCK HOLMES ermittelt wie sein berühmter Kollege, überlegt, intelligent, begibt sich in Gefahr, deduziert, recherchiert. Stimmungsvoll und stilistisch passend sowie perfekt von ONOFRIO CATACCHIO illustriert. So darf Gruselkrimi immer sein! 🙂
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Oder bei Schreiber und Leser.
Samstag, 21. Oktober 2023
Die JUSTICE LEAGUE bekämpft einmal mehr einen ihrer größten Feinde: DARKSEID von APOKOLIPS. Und einmal mehr sucht der finstere Herrscher über die PARADÄMONEN nach der ANTILEBENSFORMEL, die für ihn ultimative Waffe. Es gelingt der JUSTICE LEAGUE den mit göttlichen Kräften ausgestatteten Feind zurückzuschlagen. Aber der Preis ist hoch. CYBORG gerät in Gefangenschaft des monströsen Potentanten. Der irdische Held, halb Mensch, halb Maschine, wird von DARKSEID verdächtigt im Besitz einer Hälfte der ANTILEBENSFORMEL zu sein. Es scheint, als würde der irre Herrscher Recht behalten, allerdings unterläuft ihm ein fataler Fehler. CYBORG gelingt die Flucht zur Erde und mit ihm trifft das Grauen in der Welt der Menschen ein …
ZOMBIES sind in. Lange haben sie die VAMPIRE überholt (obwohl diese inzwischen auch ihren Einzug mittels eines zweiteligen Events in das DC-UNIVERSUM gehalten haben: ANGRIFF DER VAMPIRE). Aber Zombies sind inzwischen etwas schwieriger unterzubringen, denn sie benötigen eine Entstehungsgeschichte und die will etwas spezieller ausgedacht sein. Zu viele saßen schon auf diesem Zug und haben sich einen Weg einfallen lassen, wie die menschenfressenden Untoten in die Welt gelangen (so wie MARVEL mit seinen ZOMBIES). Und vielleicht will man das Szenario außerdem noch reparieren können. Halbwegs wenigstens. Auch dazu hat sich DC später einen Kniff ausgedacht. Genauer Autor TOM TAYLOR hat das erledigt.
DC HORROR präsentiert also DER ZOMBIE-VIRUS. (Im Original ist das Wortspiel schön: DCEASED, von deceased (engl., verstorben). Wie bei MARVEL lautete eine der Grundfragen: Was passiert, wenn SUPERHELDEN sich in Monster verwandeln und den Planeten überrennen? Schwer zu beantworten, auf alle Fälle ist rasend schnell alles erledigt. Vielmehr sind die Menschen erledigt. So auch hier. Der ZOMBIE-VIRUS verbreitet sich auf zweierlei Wegen, nicht nur organisch. Er verbreitet sich überirdisch und unter Wasser. Die ZOMBIES behalten verschiedene Eigenschaften, wie etwa eine rudimentäre Intelligenz und Kontrolle über ihre Fähigkeiten. Das ist ein Problem, wenn die Infizierten GREEN LANTERN oder sogar SUPERMAN heißen (Kein Spoiler, sein zombiefiziertes Bild schmückt die Rückseite des Bandes. BATMAN ist vorne zu sehen. Was wird das wohl heißen?)
TOM TAYLOR präsentiert trotz der Unabänderlichkeit des Ergebnisses für die Menschheit dennoch einen wendungsreichen, mit vielen Überraschungen abgeschmeckten HORRORTHRILLER. Eigentlich sollten so manche HELDEN gegen den VIRUS standhalten. Aber ein paar erzählerische Tricks verhindern das. Wo es kurzzeitig zu funktionieren scheint, kippt der Erfolgsmoment rasch in eine neue Tragödie. Das ist mitreißend, teils herzzerreißend. Weil es TOM TAYLOR gelingt, dass einem die überlebenden (wenigstens zeitweise überlebenden) Helden und sonstigen Charaktere ans Herz wachsen. Sogar eine HARLEY QUINN (die sich hier endlich von ihrem PUPSIE abnabeln kann, mit Karacho).
Für dieses Event grafisch am Start sind gleich Top-Zeichner: TREVOR HAIRSINE (der u.a. mit Arbeiten im JUDGE-DREDD-Universum in Erscheinung getreten ist), STEFANO GAUDIANO (kennt der Comic-Fan als Inker bei THE WALKING DEAD und MANIFEST DESTINY) und außerdem DARICK ROBERTSON (der THE BOYS illustriert hat). Das sind gleich drei Comic-Künstler, die sich schon mit extrem fiesen Comic-Szenarien auseinandergesetzt und dort gepunktet haben. In weiten Teilen, bei TREVOR HAIRSINE ganz besonders, herrscht Realismus vor. TREVOR HAIRSINE ist einer jener Zeichner, dren Striche an der richtigen Stelle sitzen, nicht zu viel, nicht zu wenig. Es gibt ja durchaus welche, die sich gerne austoben, nicht so TREVOR HAIRSINE. Er lässt der Farbe Raum und die liegt in den perfekt ausführenden Händen von RAIN BEREDO (er mag als Kolorist augenscheinlich den Look von echten Farben). Wer Horror will, bekommt genau die richtige Dosis, auch optisch!
Man sollte es nicht als Superheldengeschichte lesen, sondern mehr wie einen drastischen Horrorostreifen, in dem zufällig Superhelden (und Schurken) mitwirken. Auch sollte niemand sein Fanherz an irgendeine Figur gehängt haben, denn hier hängt jedes Comic-Leben am seidenen Faden. Drastisch erzählt und gezeichnet, als Horrorstory ein echter Kracher! Starke Nummer! 🙂
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