Dienstag, 31. Juli 2007
Blueberry hat sich mit seiner Arbeit als Sheriff vorübergehend abgefunden. Gemeinsam mit seinem Freund Jimmy vertreibt er sich die Zeit mit Poker. Doch Ruhe währt nicht lange in Blueberrys Leben. Plötzlich fällt ein Schuss. Ein Anschlag auf das Leben des Sheriffs?
Blueberry geht in Ausübung seines Amtes in den gegenüber liegenden Saloon. Von dort kam der Schuss. Nur eine kleine Kneipenauseinandersetzung, kein Anschlag, war der Auslöser der Kugel, die versehentlich im Sheriffbüro einschlug. Bei dieser Gelegenheit lernt Mike S. Blueberry einen der schlimmsten Betrüger seines Lebens kennen: Baron Werner Amadeus von Luckner. Rein äußerlich ist von Adel bei dieser zerlumpten Gestalt nichts mehr zu erkennen. In Wahrheit unterscheidet er sich nur durch sein beständiges Gebrabbel über eine Goldmine von den anderen Säufern, die sich im Saloon herumtreiben.
Blueberry nimmt den unsympathischen Kerl sicherheitshalber in Schutzhaft. Der Sheriff kann nicht ahnen, wie groß der Ärger, den er mit diesem Prosit Luckner bereits hat, einmal werden wird.
Prosit scheint noch viel mehr auf dem Kerbholz zu haben, als nur sein loses Mundwerk. In seinem Gepäck findet sich ein alter Revolver, der jemand anderem gehört hat und der vor gar nicht langer Zeit mit einer Kugel im Rücken aufgefunden wurde. Gaunern wird im Wilden Westen schnell der Prozess gemacht. So machen sich die versammelten Menschen aus dem Saloon auf den Weg, um den alten Luckner aufzuhängen. Blueberry locken sie unter einem Vorwand weg.
Eigentlich sollte Jimmy auf Prosit aufpassen. Aber Jimmy trinkt nicht nur gerne einen Schluck zu viel, er ist auch viel zu vertrauensselig. Die Aussicht auf die Hälfte einer Goldmine und das Auftauchen zweier seltsamer Kopfgeldjäger lassen ihn mit Prosit einen Handel abschließen. Jimmy verhilft dem Gauner zur Flucht. Blueberry bleibt nichts anderes übrig, als die beiden zu verfolgen und zu hoffen, dass er sie vor den beiden professionellen Pistoleros findet.
Mit der 6. Folge der Blueberry Chroniken wird eine der spannendsten Doppelfolgen aus den Blueberry-Erzählungen neu aufgelegt. Prosit Luckner und die vergessene Goldmine fasst Die vergessene Goldmine und Das Gespenst mit den goldenen Kugeln zusammen. Obendrein findet der Leser die etwas kürzere Episode Donner über der Sierra, in der sich Blueberry gegen einen gemeinen Überfall zur Wehr setzen muss.
In der ersten Geschichte, in der Blueberry sich plötzlich in einem unerwarteten Kugelhagel wieder findet, stößt der Leser auf Zeichnungen, in denen Giraud einen weitaus leichteren Strich als sonst führt. In der Ausführung ist Giraud erkennbar, aber auf den ersten Blick könnte auch Hugo Pratt den Zeichenstift geschwungen haben. Der Blueberry-Fan, der skeptisch sein mag, ob ihm die Geschichte gefällt, kann ganz beruhigt sein. Die Handlung ist straff durcherzählt, sie hat Action und sie mündet in einer gelungenen Pointe.
Weitaus aufwendiger ist das Abenteuer, für das Prosit Luckner der Auslöser ist. Aus einer völligen Routineszene entwickelt sich ein handfestes Abenteuer. Erzähler Jean-Michel Charlier belässt es nicht bei der Jagd, bei der Blueberry, aber auch sein Freund Jimmy, an seine Grenzen gehen muss. Ein Prise Grusel durch das Gespenst mit den goldenen Kugeln, indianische Verfolger und Auseinandersetzungen unter Gangstern machen aus der Titelgebenden Doppelfolge ein Western-Ereignis, das sich mit den ganz großen Western, die der Fan von der Leinwand her kennen mag, messen kann. Spätestens in der Abgeschiedenheit der Mesa, einem Felslabyrinth, das von den Apachen gemieden wird, herrschen eine fesselnde Spannung und eine unheimliche Stimmung vor, die jeden Leser an die Geschichte bannen wird.
Der Tausendsassa Blueberry ist ganz bestimmt ein sympathischer Held. Aber es ist sehr erfreulich, dass sein Sidekick Jimmy McClure eine größere Rolle in dieser Geschichte inne hat, sogar maßgeblich daran beteiligt ist. Es zeigt auch ein besonders enges Verhältnis zwischen Blueberry und Jimmy. Anders lässt sich Blueberrys verzeihendes Verhalten nicht erklären. Dank Jimmy hat er nicht nur seine Arbeit als Sheriff nicht zur vollsten Zufriedenheit ausführen können, ihm fällt auch noch ein halber Berg auf den Kopf, unter dem er sich erst einmal frei graben muss. Von seinen Problemen, die sich ergeben, als die beiden Freunde wieder zusammen agieren können, soll gar nicht gesprochen werden.
Was die Strapazen anbelangt, die Blueberry zu überstehen hat, gehört diese Geschichte sicher zu den besonders schwierigen Abenteuern.
Das mag daher kommen, dass Prosit Luckner zwar auf den ersten Blick nicht zu den furchtbarsten Verbrechern gehört, aber letztlich zu denen zählt, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit über Leichen gehen. Trotzdem gelingt es Charlier und Giraud aus ihm einen Charakter zu formen, dessen eigene Erfahrungen während der Handlung mitfiebern lassen. Nicht selten wird aus der Sicht Prosits erzählt. Besonders in den Momenten, wenn er sich gegen das Gespenst behaupten muss, ist der Leser gezwungen, weiter zu blättern. Das abschließende Kapitel in der alten Pueblo-Höhle, in der es von Gängen und Kammern nur so wimmelt, in der jederzeit etwas aus den Schatten kommen kann, gehört ganz bestimmt zu den ungewöhnlichsten, aber auch zu den präzisesten Showdowns im Western.
Eine Hommage von Giraud an Morris (Lucky Luke auf Gir-Art) und eine Gegenhommage im Vorwort der Geschichten bieten hervorragend zeichnerisches Anschauungsmaterial und sind für mehr als einen Lacher gut.
Western pur und konzentriert: Prosit Luckner und die vergessene Goldmine gehört zu einer der besonders guten Abschnitte innerhalb einer bereits herausragenden Comic-Reihe. Besser geht’s kaum! 😀
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Freitag, 22. Juni 2007
Felix Ducharme ist tot. Er führte den Laden in der kleinen Ortschaft Notre-Dame. Für die Menschen des Ortes in der kanadischen Wildnis ist der Laden stets ein Lebensmittelpunkt gewesen, wo sie alles für den täglichen Bedarf bekamen. Doch was wird jetzt werden, wo Felix tot ist?
Seine Witwe Marie versucht nicht nur, den Tod ihres Mannes zu verarbeiten. Außerdem fühlt sie sich von allen Seiten unter Druck gesetzt. Jeder erwartet von ihr, dass sie dort weitermacht, wo Felix aufgehört hat. Das scheint das einzige Anliegen der Gemeinschaft zu sein. Hätte es Felix nicht gegeben, wäre Marie niemals auf die Idee gekommen, sich in Notre-Dame anzusiedeln. Warum sollte sie also jetzt noch bleiben?
Maries erste Bewährungsprobe erfolgt wegen eines Unfalls. Der kleine Jean-Baptiste bricht sich ein Bein. Eigentlich soll sie nur den Arzt anrufen. Dieser will jedoch nicht kommen. Marie muss Jean-Baptiste zum Arzt hinfahren. Ihr Engagement wird auf eine zusätzliche Probe gestellt, denn ihre Fähigkeiten als Autofahrerin sind sehr beschränkt. Meistens ist Felix mit dem Wagen gefahren. Auf der Ladefläche des Wagens muss Jean-Baptiste feststellen, dass Marie mit Schlaglöchern nicht sehr elegant umzugehen weiß.
Der Tod von Felix ist ein kleines Rädchen im Leben der Menschen in Notre-Dame. Schnell ist klar, dass das Leben weitergeht. Der neue Pfarrer muss sich einleben und eckt dabei schon einmal an. Wer hätte gedacht, dass sich auch mit dem Bau eines Schiffes Schäfchen sammeln lassen?
Gaetan ist ein Kind im Körper eines Erwachsenen. Bisher wusste niemand mit ihm etwas anzufangen. Gaetan lebte in den Tag hinein, bis er bei Marie eine Anstellung erhält.
Ist Marie zu gutmütig? Vielleicht, denn irgendwie vermag sie sich nie so recht durchzusetzen. Die Pelzjäger, die von ihr in die Stadt gefahren werden, strapazieren ihre Geduld auf das Äußerste, als sie sich stundenlang in einer Kneipe betrinken und sie draußen warten lassen.
Das Leben geht weiter in Notre-Dame. Mal langsam, mal zügig und immer sehr menschlich.
Das Nest zeigt eine wunderbar einfühlsame Seite in der Welt der Graphic Novels. Régis Loisel und Jean-Louis Tripp, zwei Comic-Veteranen, versetzen den Leser nach Kanada in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Wer Geschichten gewöhnt ist, die sich mit der heutigen Zeit beschäftigen oder wenigstens unsere kulturellen Errungenschaften als Grundlage haben, wird die Ruhe, die dieser vorzüglichen Erzählung innewohnt, umso stärker erfahren.
Ein Todesfall ist der Einstieg in die Welt des kleinen Ortes Notre-Dame, der nach außen so gut wie unberührt bleibt. Felix, der Tote, war ein Tor zur Welt, indem er die dringend benötigten Gegenstände von außen hereinbrachte. Der Postbote, geduldet, aber nicht unbedingt gelitten, der mit dem Postfahrzeug in den kleinen Ort einbricht, ist ein deutlicher Eindringling. Als Gaetan seinen Wagensitz berührt, ist seine Reaktion so rüde, dass er sich den offenen Unmut der anderen Ortsbewohner zuzieht.
Simonac! Mach das nie wieder, du Postschnecke!
Die Gemüter in Notre-Dame haben ein starkes Gefühlsleben. Man beobachtet die anderen – aber es ist nicht nur Neugier, man achtet auch aufeinander. In dem Wissen, voneinander abhängig zu sein, in einer Gemeinschaft, wo ein Rädchen in das andere greift, kochen die Emotionen zwar auch hoch, aber sie senken sich auch wieder auf ein verträgliches Maß herunter. Ein gutes Beispiel sind Real und sein bester Freund, die sich während eines Dorffestes prügeln.
Die Szene ist von Loisel und Tripp sehr gut aufgebaut. Sie kommt gänzlich ohne Text aus – sieht man von den Gesangstexten ab. Zuerst herrscht noch eine Atmosphäre voller guter Stimmung in der Festscheune. Plötzlich kippt das Geschehen in einen riesigen Tumult. Ein besseres Beispiel für eine Erzählung ohne Worte kann es kaum geben. Eine kurze Versöhnung der beiden Streithähne ist nur die Einleitung für einen schockierenden Epilog dieses Handlungsabschnitts.
Loisel und Tripp wissen sehr genau, wie sie ihre Leser berühren und erschüttern können.
Weniger tragisch, dafür mit viel mehr Humor erzählt, ist die Beziehung des neuen Pastors zum alten Schreiner Noel. Der alte Mann hat nichts für Religion und Pastoren übrig und macht das dem Neuen auch direkt unmissverständlich begreiflich. Über den Schiffsbau finden die ungleichen Männer zueinander und werden Freunde.
Dieser zentrale Kern, wie Menschen entgegen aller Unterschiedlichkeiten zueinander finden können, findet sich immer in die einzelnen Episoden eingewoben.
Das Nest zeigt eine Welt, wie sie einmal war, kurz bevor sehr große Umbrüche sie veränderten. In dieser kleinen Ortschaft, in der die Straßen eher an eine Westernstadt erinnern, leben die Menschen sehr intensiv. Es gibt ohne ein Höchstmaß ein Technik, wie wir es kennen, mehr zu tun. Jeder ist bereit, seine Fähigkeiten in den Dienst des anderen zu stellen. Die Ankunft eines Menschen, eine Heimkehr, ein Brief aus der fernen Stadt, ist noch ein Ereignis. Die Bindungen sind noch viel enger. Betrachtet man die Welle künstlich nachgestellten Lebensumständen, wenn z.B. Menschen in einem Segelschiff den Atlantik überqueren, bietet Das Nest auf seine Art ein gelungenes Zeitzeugnis, das auf gleicher Augenhöhe wie so mancher gute Roman gelesen werden kann.
Die Zeichnungen zeigen ein skurriles Völkchen – auf den ersten Blick jedenfalls. In Wahrheit finden Loisel und Tripp das zentrale Thema eines Gesichtes. Das mag sich seltsam anhören, trifft es aber. In den Gesichtern gibt es ein Stück Geschichte abzulesen. Diese Fähigkeit der beiden ist auch notwendig in den Szenen, in denen ohne Worte erzählt wird. Obwohl Szenen ohne Dialoge ablaufen, fehlt es ihnen nicht an Dramatik. Dank der lebendigen Farben von Francois Lapierre wird der Leser bereits nach wenigen Seiten von Notre-Dame eingefangen.
Eine stimmungsvolle Reise in der Zeit, eine gelungene Reportage und dramatische Erzählung, eine Soap und ein einfühlsamer Roman – Loisel und Tripp erzählen so, wie das Leben schreibt. Wer bisher Vorbehalte vor Comics hatte, wird durch das Nest eines Besseren belehrt. 🙂
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Mittwoch, 13. Juni 2007
Ein neuer Auftrag für Lucky Luke: Wieder einmal muss er einen Treck in den Westen führen. Der einsame Cowboy hat viel Erfahrung darin, die ihm Anvertrauten durch die Prärie zu leiten, doch einen solchen Treck hat er noch nie geführt: Heiratswillige Frauen.
Im Osten gibt es nicht genügend Männer, in den Westen haben sich bisher nicht genügend Frauen gewagt. So sieht es im Westen besonders unordentlich aus. Männer, die sich in der Gegenwart von Frauen nicht benehmen müssen, schlagen häufiger über die Stränge. Was schert es einen Mann, der geteert und gefedert wurde, wenn er sich nach ein paar Tagen immer noch nicht von seinem schmutzigen Äußeren befreit hat – oder den lieben langen Tag nur in langen Unterhosen herumläuft. Wo keine Frau, da kein Richter in Sachen Körperpflege.
Das kann so nicht weitergehen, denkt sich der Bürgermeister von Purgatory und organisiert einen Transport mit Frauen an den kleinen (sehr kleinen) beschaulichen Ort. Gesagt, getan: Jede der Frauen, die sich einen Mann angeln möchte, sucht sich ein Exemplar nach einem Foto aus.
Lucky Luke lässt sich nach anfänglichem Zögern überreden, den Treck zu geleiten. Alles Nötige ist im Gepäck, sogar ein Coiffeur und Damenausstatter ist mit von der Partie. Luckys Bedenken zerstreuen sich zu seiner Freude bald. Selbst eine Begegnung mit feindlich gesinnten Indianern, verläuft zu seiner Überraschung sehr friedlich. Die Indianer lassen sich mit einer kleinen Modenschau milde stimmen. Doch schließlich geschieht etwas, was Lucky Luke immer und zu allen Zeiten abgelehnt hat: Eine Frau wirft sich ihm an den Hals. Sie wird Die Verlobte von Lucky Luke.
Gerade hat er noch diesen Schrecken in den Gliedern, da wird es für Lucky Luke erst richtig gruselig: Die Geisterranch ist ein düsterer Flecken Erde. Aber eine resolute alte Dame will sich nicht von dem Ruf der Ranch abschrecken lassen. Zusammen mit ihren Lieblingen, Bisons, zieht sie auf der Ranch ein. Als es ihr zu unheimlich wird, ist Lucky schnell zur Stelle.
In der Folge muss er sich noch in anderen kleineren Abenteuern behaupten, bis es wieder ein sehr gefährliches Abenteuer zu bestehen gibt. Nitroglyzerin heißt das furchtbare Wort, das gestandenen Kerlen den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Die Voraussetzung ist natürlich, dass dieser Kerl auch tatsächlich weiß, was Nitro. Leider besitzen die Daltons dieses Wissen leider nicht. Nitro muss der Ort, wo die Kiste hin soll. Da sie so schwer bewacht ist, kann es sich dabei nur um Gold halten. Fortan muss Lucky nicht nur dafür sorgen, dass das Nitro sein Ziel erreicht, er muss außerdem die Daltons davon abhalten, sich selbst und andere in die Luft zu jagen.
Aus heutiger Sicht sind die Abenteuer-Bände Die Verlobte von Lucky Luke, Die Geisterranch und andere Geschichten und Nitroglyzerin schon klassisch zu nennen. Lucky-Fans finden diese drei Bände in der Gesamtausgabe 1985 – 1987 zusammengefasst. Obwohl über 20 Jahre alt, zieht der Humor aus jenen Tagen immer noch. Angelehnt an die letzte der drei Bände, könnte man sogar sagen, er explodiert immer noch so gut wie eh und je.
Die Thematik der Emanzipation war in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts noch ein viel größeres Thema als es heute noch der Fall ist, wo vieles, was damals noch gefordert wurde, selbstverständlich ist. Autor Guy Vidal nutzt die alten Vorurteile und all die Vorlagen in Western, die das Frauenbild im Wilden Westen geprägt haben. Doch das Vergnügen ist nicht einseitig. Die Männer werden hier ebenso durch den Kakao gezogen. Ein Westmann ist gut als Cowboy, ansonsten ist er nur ein großes Kind geblieben, für das Körperpflege nur ein Thema ist, wenn sich jemand in der Nähe befindet, der sich an mangelnder Pflege stören könnte. – Entsprechend sieht es in einem reinen von Männern bewohnten Ort aus.
Vidal peppt die Geschichte außerdem durch sehr schöne Running Gags auf. Das Irish-Stew, das nach einem langen Tag serviert wird, schmeckt niemandem, schreckt sogar die Indianer ab. Luckys Alpträume sind Verwandlungen unterworfen. Aus springenden Schafen werden Schafe mit Frauenköpfen. Und nicht nur Jolly Jumper muss wiehern, wenn aus dem einsamen Cowboy dank seiner Verlobten ein geschniegelter Städter wird. (In einem rosaroten Anzug und gestreiften Hosen. Zu Hause wird sogar der Stiefel mit dem Pantoffel gewechselt.) Die Verlobte von Lucky Luke ist liebenswerter Ausflug in die kleinen Bissigkeiten, mit denen Mann und Frau sich ein bißchen das Leben schwer machen – natürlich nur in der Komödie, nicht im realen Leben.
Lucky Luke und Asterix waren schon immer für kleine Cameo Auftritte von Stars gut. Gezeichnet, versteht sich. In der längeren der Kurzgeschichten mit dem Titel Die Geisterranch finden sich passenderweise Alfred Hitchcock und Christopher Lee. Die Geisterranch selbst erinnert an das finstere Haus von Norman Bates. Hier wird auch deutlich, wo das Publikum von Lucky Luke zu finden ist: Cineasten werden an den kleinen Seitenhieben und Andeutungen ihre helle Freude haben. Die Verfolgungsjagden auf die Bisons besitzen Parallelen zur guten alten Slapstick-Zeit, der sich die Geschichten immer besonders annähern. Diese Spaßtechnik findet sich sehr gut umgesetzt auch in der Geschichte Die Rutsche. Ein Paradebeispiel ist die Hütte des Oldtimers, die solange zur Zielscheibe der Baumstämme wird, bis die Rutsche perfekt eingerichtet ist.
Das Highlight der kleinen Sammlung ist Nitroglyzerin. Es ist herrlich, wie zwei Seeleute zum Landtransport einer Fuhre Nitroglyzerin abgestellt werden. Neben den Daltons, deren Sprüche und Situationskomiken gewohnt gut sind, folgt auch ein Leichenbestatter der Ladung, immer auf der Suche nach neuen Kunden.
Morris ist der Zeichner dieser drei gesammelten Ausgaben. Es ist sehr schön, wie er es schafft, französischen Humor, der universeller nicht sein könnte, zu Papier zu bringen. Es zeigt sich wieder einmal, dass Lucky eine Leitfigur der Serie ist. Der besondere Humor entsteht wie so oft durch die tollen Nebenfiguren, die stets auf besonders feine Art etabliert werden und einem bereits nach wenigen Seiten ans vor Lachen geschüttelte Herz wachsen.
Perfekter Humor aus der Lucky Luke Reihe mit einer guten Mischung aus intelligentem und action-reichen Humor. Eine gute Mischung, die durch die Ansätze verschiedener Autoren in diesem Band entsteht.
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Dienstag, 29. Mai 2007
Die Indianer verbreiten Terror unter den weißen Siedlern. Die Übergriffe gefährden den dünn besiegelten Frieden. Blueberry gelingt es dank seiner guten Kontakte zu den Indianern, den Anführer der Aufrührer gefangen zu nehmen.
Aber es formieren sich auch Stimmen in den Reihen der Soldaten und der Siedler, die Blueberry wegen seiner Kontakte als Verräter bezeichnen. Die Tatsache, dass sich Blueberrys Rückkehr in der winterlich verschneiten Steppe verzögert, verschlimmern diese Mutmaßungen zusätzlich. Außerdem verhärten sich die Ahnungen über die Herkunft der Waffen, die von den Indianern bei ihren Überfällen benutzt wurden.
Die Waffen müssen aus Fort Navajo stammen.
Blueberry hat in der Zwischenzeit ganz andere Probleme. Er birgt den Überlebenden eines Postkutschenüberfalls, der ihn dringend sucht. Blueberrys Fähigkeiten als Problemlöser sind gefragt. Von höchster Stelle erhält er den Auftrag einer Bande von Waffenschiebern auf die Spur zu kommen.
Die Spur führt weg von Fort Navajo, nachdem Blueberry bei der Klärung einer gefährlichen Situation geholfen hat. Die Indianer, die ihm freundschaftlich verbunden sind, tun ihr Übriges, um die Bedrohung durch ihr Volk abzuwenden. Bisher konnte Blueberry den Waffenschieberring nicht ausheben. Einer der Verantwortlichen ist flüchtig. Blueberry hängt sich an seine Fersen.
Blueberry wird der neue Polizist im Himmel, der Marshal von Heaven. Begeistert ist er von dieser Aufgabe nicht, aber der Befehl kommt von ganz oben, geradewegs aus Washington.
Diese Stadt ist auf dem besten Weg, eine Kloake zu werden.
Dieser Meinung ist nicht nur die junge Tess Bonaventura, die auf ihrer Ranch andere Frauen aufgenommen hat, um sie aus der Prostitution und der täglichen Erniedrigung zu befreien. Auch an anderer Stelle macht die städtische Obrigkeit sich Sorgen. Allerdings denkt sie dabei auch an die Horde von Sünderinnen, die gemeinsam auf einer Ranch lebt. Blueberry versucht, sich aus all dem herauszuhalten und einzig seinen Auftrag zu verfolgen. Das fällt ihm jedoch zunehmend schwerer.
Bald gibt es noch einige Rechnungen zu begleichen. Doch zuvor muss Blueberry wieder auf die Beine kommen. Da trifft es sich, dass er die Herzen einiger Menschen erwärmt hat, die sich nun fürsorglich um ihn kümmern.
Hinter jedem mutigen oder mächtigen Mann, steht eine Frau, für die es sich lohnt, mutig zu sein oder für die es sich lohnt, die Spitze zu kommen. Blueberry kann sich der Liebe seiner neuen Freundin gewiss sein. Ebenso kann auch sein Gegenspieler auf die Unterstützung seiner Frau zählen. Die Tragödie nimmt ihren Lauf.
In den Geschichten Auf Befehl Washingtons, Mission Sherman und Blutige Grenze hat Jean Giraud den Zeichenstift mit der Schreibmaschine vertauscht. An seiner Stelle zeichnen William Vance (Episode 1 + 2) und Michel Rouge, der die dritte abschließende Geschichte zeichnet.
Wer sich ein wenig mit Comic-Thrillern beschäftigt hat, wird vielleicht Vance’ Arbeiten von Bob Morane, Bruno Brazil und der Langzeitserie XIII her kennen. Von jemandem, der 1964 seinen Einstieg ins Comicgeschäft schaffte, kann man mit Fug und Recht behaupten, ein Comic-Veteran zu sein. Seine Männer sind harte und toughe Kerle, seine Fieslinge sind finstere Burschen mit zerfurchten Gesichtern. Seine Frauen sind jung und schlank, verführerisch und mutig. Vance’ Figuren sind stets wieder erkennbar. Seine Frauen sind stets identisch anzuschauen, sieht man einmal von Haar- und Hautfarben ab. Ähnlich wie bei Zeichnern vom Kaliber eines Hermann oder Romero ist das aber egal. Hier geht es nicht um Realismus, sondern um Unterhaltung. Wie in einem guten Thriller oder wie hier in einem guten Western sollen die Frauen schön sein.
Der genaue Gegensatz zur Weiblichkeit ist die knallharte Action, die auch vor den Frauen keinen Halt macht. Direkt in der Eingangsszene zeigt sich, was Vance unter Western versteht. Beim Betrachten der Bilder drängt sich einem weniger der Eindruck eines amerikanischen Westerns auf, sondern vielmehr der eines Spaghetti-Westerns, der unter den Fittichen eines Sergie Leone entstanden ist. Sehr oft blicken die Akteure den Leser direkt an und beziehen ihn scheinbar in die Handlung mit ein. Es ist viel Wut, mitunter auch Verzweiflung in diesen Gesichtern. Bei den Männern findet sich außerdem die Entschlossenheit, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen – so, wie es Blueberrys Art im Besonderen und die des Westmannes im Allgemeinen ist.
Ähnlich und doch weicher ist der Zeichenstil von Michel Rouge. Er tendiert mehr zur Visualisierung seines Vorgängers Jean Giraud. Blueberry sieht hier wieder mehr nach Belmondo aus. Schatten und Strichführung erinnern in weiten Teilen an Giraud.
Beeindruckend an der letzten Episode ist der Showdown, an dem Blueberry überhaupt nicht beteiligt ist. Mag der eine oder andere Leser kritisieren, dass Girauds Erzählweise nicht so komplex wie die eines Charlier ist, weiß er doch mit diesem Abschnitt sehr zu überraschen. Es ist schlüssig, wie der Wahnsinn und die Gier um sich greifen. Am Ende lässt dieser Schluss sogar Mitleid zu, denn irgendwie waren die Akteure gezwungen, so zu handeln.
Der tolle Eindruck dieses Abschnitts ist natürlich auch Rouge zu verdanken, dem es durch ein einzelnes Bild gelingt, den Irrsinn dieser Menschen auf den Punkt zu bringen. Vor der Kulisse einer grandiosen und scheinbar ewigen Landschaft ist es gleichgültig, wie sich der Mensch benimmt.
Abseits von Jean-Michel Charlier weiß auch Jean Giraud als Erzähler dieser in sich geschlossenen drei Episoden zu überzeugen. Vance und Rouge vermitteln als Zeichner einen deutlich härteren Eindruck als in bisherigen Geschichten. Ein knallhartes Western-Erlebnis in bester Italo-Tradition.
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Donnerstag, 17. Mai 2007
Manchmal etabliert sich heimlich still und leise ein Gebäude in einer langen Reihe von Geschichten. Eines dieser Gebäude ist ein Geldspeicher. – Ein Geldspeicher? Wer Onkel Dagobert kennt, kommt an seinem Geldspeicher nicht vorbei. Besser gesagt, er kommt nicht hinein!
Ein derart geiziger Charakter wie Dagobert Duck kam natürlich auf Dauer mit einem normalen Haus für sein Geld aus. Es musste etwas Spektakuläres her, etwas Außergewöhnliches. Carl Barks entwickelte die Idee eines Geldspeichers, eine überdimensionale Spardose. Äußerlich gepanzert und innerlich an ein mit Geldstücken und Geldscheinen gefülltes Schwimmbad erinnernd, war der Geldspeicher häufig ein Handlungsort oder ein Ausgangspunkt so mancher Abenteuer.
Im Laufe der Jahre hat das Gebäude verschiedene architektonische Entwürfe durchlaufen. Nicht immer war ein Abriss und Neuaufbau für das neue Aussehen verantwortlich. Manchmal verschwand das gute Stück auch in der Tiefe der Erde oder wurde jenseits des großen Teiches (in Italien) neu gestaltet.
Jeder Donald Duck Leser, der Geschichten über seine Familie gelesen hat, wird irgendwann Onkel Dagoberts Vergnügen im Geldspeicher gesehen haben. Er schwimmt und paddelt darin herum. Jedes Sinken des Pegels verursacht bei ihm Verzweiflung und Übelkeit, wenn nicht Schlimmeres. Dagoberts Bemühungen sein Geld zu vermehren stehen in engem Zusammenhang mit dem Geldspeicher, der im Laufe der Zeit immer mehr zur Festung wurde.
In dieser 5. Ausgabe aus der Reihe Heimliche Helden sind einige Geschichten zusammengetragen worden, die beispielhaft die Entwicklung des Geldspeichers beleuchten. Die Zeitschiene der Erscheinungen beginnt im Jahr 1951, streift die 60er Jahre und springt sogleich ins neue Jahrtausend. Ganz zweifellos haben die alten Geschichten aus der Disneyschen Urzeit immer noch den meisten Charme. Carl Barks war ein Könner auf seinem Gebiet. Zeichner wie Tony Strobl und Luciano Bottaro folgen ihm mit ihrem Talent sicherlich gleichauf. Don Rosas Ruf ist natürlich bekannt und sicherlich berechtigt, wegen meiner Vorbelastung durch die vorher erwähnten Zeichner habe ich mich aber so richtig mit seinem Zeichenstil anfreunden können.
Im Vorwort wird die äußerliche Entwicklung des Geldspeichers geschildert, die sich in Geschichten wie Eingefrorenes Geld (1951, dt. 1954) oder Eiskalt erwischt (1957, hier in dt. Erstveröffentlichung). Es ist aus gestalterischer Sicht sehr interessant, was aus einem Würfel werden kann. Die Idee von Carl Barks, die Front des Speichers mit einem großen Dollar-Zeichen zu verzieren, ist sehr prägnant. Das aus der italienischen Ecke ausgeführte Design mit roter Kuppel und einem Doppel-D auf der Front ist etwas moderner und leichter. Die Symbiose der beiden Designs, wie sie in den Duck Tales zu sehen war, ist die perfekte Variante. (Mit den leicht gewölbten Außenseiten ist der Eindruck besonders cartoony.)
Der Einfallsreichtum dessen, was man mit einem Geldspeicher anstellen kann, lässt äußerst phantastische Ideenblüten entstehen. Der Geldspeicher platzt, sein Inneres verschwindet in den Tiefen der Erde, er fliegt durch die Luft und natürlich ist er der ständigen Bedrohung ausgesetzt, geknackt zu werden. – Der Geldspeicher ist oft ohne die Panzerknacker undenkbar. Diese Räuberbande hat natürlich mehrmals versucht, an das Geld von Bertel zu kommen, wie sie ihn liebevoll nennen, aber die Erstürmung des Geldspeichers gehört zu den Höhepunkten ihres Schaffens. Auch hierzu finden sich Auszüge mit kleinen Geschichten, die sehr unterschiedlich ausfallen. – Sich in Kisten hineinzuschmuggeln, ist noch einfach, in Donalds Identität in den Geldspeicher einzudringen, ist eher ungewöhnlich.
Ein Haus ist ein Haus, der Geldspeicher jedoch ist ein Symbol für den Reichtum und den Geiz von Onkel Dagobert geworden. Sicherlich haben reale Geldaufbewahrungsanlagen wie das legendäre Fort Knox auch Vorbildcharakter für den Geldspeicher gehabt, der zeitweise ähnlich waffenstarrend abgebildet wurde. Für die Abenteuer der Ducks ist der Geldspeicher mitunter so wichtig geworden wie die Panzerknacker.
Ein rundum gelungener Querschnitt, angenehm nostalgisch von damaligen Comic-Größen gezeichnet, modern und liebevoll in die Gegenwart transportiert. Schön aufbereitet. Für Disney-Fans auf jeden Fall empfehlenswert. 🙂
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Montag, 09. April 2007
Wer von Deutschlands großen Denkern spricht, spricht von Goethe. Wer von Literatur spricht, denkt an Goethe. Goethe ist in den Köpfen der Deutschen wie auch der Welt, der Literat Deutschlands. Als Dichter und universaler Denker hat er den Olymp der Kunstfertigen bestiegen. Sein Faust hat ihn unsterblich gemacht.
Es hat der Autor, wenn er schreibt, so was Gewisses, das ihn treibt.
In jungen Jahren ist Goethe noch kein Getriebener. Natürlich wird sein Talent sichtbar, aber er lässt sich auch treiben, was seinem Vater manchmal die Sorgenfalten auf die Stirn treibt.
Nach einer sorgenfreien Jugendzeit zieht es den 16jährigen Goethe zum Studium der Juristerei nach Leipzig. Die Stadt mit ihren Messen und ihrer Weltoffenheit ist eine so ganz andere Welt, als er sie bisher kennengelernt hat. Die Privilegien, die er infolge seiner Abstammung genießt, nützt er weidlich mit seiner Unterkunft aus. Sein Studium hingegen verfolgt er ausreichend, aber bei weitem nicht mit dem gebotenen Ehrgeiz. Die schönen Künste haben es ihm angetan. Er schreibt und dichtet selber, er liebt das Theater und die Musik und natürlich erfreut er sich an den Ausschweifungen des Studentenlebens. In Leipzig hört er die ersten Legenden über den Herrn Doktor Faust.
In der ersten Geschichte über die jungen Jahre Goethes tragen der Autor Friedemann Bedürftig und der Zeichner Christoph Kirsch verschiedene Details über Goethes erste Schritte in der Welt zusammen. Die Erzählung ist ein Mosaik, bruchstückhaft und konzentriert sich in dieser Form auf die Kleinigkeiten, die Goethes späteres Leben maßgeblich beeinflusst haben. Neben den zahlreichen kulturellen Einflüssen waren das freilich auch die Menschen. Allen voran die Mitglieder seiner Familie, aber auch die Frauen, die ihn liebten und zu denen er sich hingezogen fühlte.
Es war eine Zeit einer gewissen Naivität in Goethes Leben, jedenfalls macht es den Anschein und drückt sich auch in den Zeichnungen so aus, die eine heile Welt um Goethe herum abbilden.
Goethe wird Anwalt, doch seine Liebe gilt der Dichtkunst. Sein Vater deutet das juristische Desinteresse als Faulheit und schickt den jungen Mann zur weiteren Ausbildung nach Wetzlar. Dieser Gang wird zum Wendepunkt in Goethes Leben. Die Liebe verleitet ihn zu seinem Roman Die Leiden des jungen Werther, der ihn über Nacht berühmt, aber auch berüchtigt macht. Das Ende der Romanfigur wird zum Vorbild manches lebenden unglücklich Verliebten. Sie erschießen sich. Die Kirche geht mit Goethes Werk hart ins Gericht.
Doch wie es auch heute der Fall ist: Ein Werk, das verdammt wird, macht die Öffentlichkeit erst recht neugierig.
Mit Gefühlen kann er gut umgehen und sie beschreiben. Er selber ist nicht so leicht bereit sich ihnen zu stellen. Eine geplante Hochzeit lässt er platzen. Ein weiterer großer Wendepunkt in seinem Leben führt ihn nach Weimar, wo er von der Obrigkeit mit offenen Armen empfangen wird. Die Weimarer Zeit wird zu einem seiner wichtigsten Abschnitte in seinem Leben.
Bedürftig und Kirsch folgen diesen Tagen, in denen sich Goethe immer weiter entwickelt. Faust, Erlkönig und das dringende Bedürfnis, einmal das klassische Italien zu sehen sowie noch viele weitere Begebenheiten und Einflüsse bereichern Goethes Leben, der vom Treibenden endgültig zu einem Getriebenen wird.
Die inhaltliche Fülle, die alleine diese Lebensbeschreibung des Dichterfürsten und späterem Geheimrats zu bieten reicht nach noch für viel mehr, so dass Goethes zeitweilige Unzufriedenheit, so wie sie sich hier abbildet, kaum nachzuvollziehen ist. Auch lässt sich die mangelnde Reife nicht zur Gänze verstehen. Einzig, dass sie ihn bis zum Schluss antrieb, weil er durch ihre Neugier immer neuen Ansporn erfuhr, lässt sich sehr gut nachvollziehen.
Mit Goethes Heimkehr aus Italien endet die Episode Zum Sehen geboren.
Bedürftig erzählt das Leben Goethes fort mit Zum Schauen bestellt. Hier findet sich mit Thomas von Kummant ein neuer Zeichner, dessen Bilder von Benjamin von Eckartsberg koloriert wurden.
Die Bilder sind sehr viel ernsthafter gestaltet und befassen sich mit dem Leben und Wirken Goethes in dessen zweiter Lebenshälfte. Die Werke wurden schwerer, gewichtiger, die Beziehungen viel wichtiger, hier ganz besonders erwähnenswert die viel zu kurze Freundschaft zu Schiller.
Der zweite Teil beginnt zugleich mit dem Auftakt zu Faust und der verhängnisvollen Wette zwischen Gott und Mephisto. Doch das Leben ist auch so aufregend genug, denn der Krieg gegen Frankreich hält Europa in Atem. Goethe lässt sich nach dieser Erzählung nicht sehr von Ereignissen beirren, obwohl er sie hautnah erlebt.
Viel, viel wichtiger ist seine Beziehung zu Schiller, in dem er endlich einen Seelenverwandten gefunden zu haben scheint. Zwar hat Schiller auch seine Marotten, die dem Dichterfürsten ein merkwürdig vorkommen – so zum Beispiel Schillers Tick, verfaulte Äpfel aufzubewahren, weil er von dem Geruch einen rauschhaften Zustand erlangt. Es ist beeindruckend, wie Schiller gemeinsam mit Goethe den Wilhelm Tell spinnt.
Die Geschichts- und Deutschstunde ist viel spannender und aufschlussreicher, als es der eigentliche Unterricht je fertig gebracht hat. Zwei Dichter, zwei Vollblutkünstler entwickeln den Tell mit all seiner Dramatik und es wird deutlich, dass Theater bei aller Poesie und Tiefsinnigkeit auch immer Unterhaltung gewesen ist.
Das gegenseitige Lob der beiden treibt sie voran in ihrer Arbeit und beflügelt sie regelrecht. Bei einer derartig tiefen Freundschaft, wie sie auch durch diese Biographie deutlich wird, lässt sich der tief empfundene Verlust nachvollziehen, den Goethe bei dem Tode Schillers empfunden haben muss.
Goethe steigt weiter hinauf, in den Dichter-Olymp, wohin ihm nach Schillers Tod keiner zu folgen vermag. Freunde verlassen ihn außerdem, weil der Tod sie abberuft. Goethe wird einsamer als jemals zuvor. Er ist seine eigene Legende geworden, jemand, der mit Schillers Totenschädel spricht.
In seinen spätesten Jahren, 73, verliebt sich Goethe ein letztes Mal – in eine 19jährige. Der Geheimrat ist ein wenig richtungslos geworden und verfällt ein wenig in die Verhaltensweisen seiner Jugend. Tragisch erlebt er den Tod des Sohnes. Mit letzter Kraft schafft er den 2. Teil von Faust und beendet damit sein Lebenswerk.
Das rastlose, schaffensreiche Leben Goethes wird aus den verschiedensten Blickwinkeln beleuchtet, stets respektvoll, sehr ernsthaft, aber auch unterhaltsam, untermalt von Ausschnitten seines Schaffens. Die einzigartigen Facetten zeigen den Künstler und Menschen. Als Künstler einzigartig, als Mensch gewöhnlich mit allen Wünschen, Ängsten und Sorgen. Wer sich Goethe auf unkonventionelle Art nähern will, sollte diesen Comic lesen. 🙂
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Donnerstag, 22. Februar 2007
Der kleine Schiffsjunge ist das Leben in der Mannschaft von Kapitän Hackepeter leid. So macht er sich nächtens mit der Katze Nelson auf und davon. Auf der Suche nach einem Schiff, das ihn so weit wie möglich von Kapitän Hackepeter weg bringt, landet er leider ausgerechnet auf des Kapitäns Schiff Knurrhahn.
Der Kapitän ist zunächst äußerst wütend über Pittjes unerlaubtes Fernbleiben von der Mannschaft. Als er aber hört, dass der Junge in den Besitz einer Schatzkarte gekommen ist, ändert sich das sogleich. Die Knurrhahn setzt Kurs auf die Schatzinsel.
Seltsam aber ist, dass der Schatz auf dieser Insel kein großes Geheimnis ist. Warum also wurde der Schatz immer noch nicht geborgen? Und was ist mit jenen geschehen, die es versuchten?
Kapitän Hackepeter und seine Mannen schreckt die Aussicht auf etwas Furchtbares, das auf der Insel sein Zuhause hat, nicht. Ganz im Gegenteil, nach dem langen Aufenthalt im Hafen muss jetzt ein Abenteuer mit einer ordentlichen Beute her.
Wer sind diese furchtlosen Männer, die ihrerseits auf allen Weltmeeren gefürchtet werden? Neben Kapitän Hackepeter gehören Männer wie Staif Olafson zur Mannschaft, ein Nachkomme der Wikinger, der stets seinen Ahnen alle Ehre zu machen versucht. Kuddel Priembeiss ist ein Original von der Waterkant und steht seinen Kamerade in Verwegenheit in nichts nach. Auch der Schiffskoch Sham-Pu ist immer vorne dabei, wenn es eine ordentliche Keilerei gibt.
Auf der Insel angekommen stoßen Hackepeter und seine Leute schnell auf riesige Zyklopen, die sich wegen der Neuankömmlinge auf eine schöne frische Mahlzeit freuen. Hackepeter schreckt das immer noch nicht und langt richtig zu.
Pittje weiß von alldem nichts. Eigentlich wollte er ja auf dem Schiff auf die anderen warten – wäre da nicht Nelson, die Schiffskatze, die plötzlich mit einem ganz besonderen Spielzeug daher kommt: Einer Brosche aus purem Gold. Da gibt es auch für Pittje kein Halten mehr. Er und Nelson machen sich auf eine gefährliche Schatzsuche ins Innere der Insel.
Pittje Pit und Der Schatz der grünen Monster ist ein mittlerweile klassisch zu nennendes Cartoon-Abenteuer mit liebenswerten und zuweilen auch skurrilen Charakteren. In diesem bereits 1970 erschienenen 2. Abenteuer von Pittje Pit nehmen Autor Frans Buissink und Zeichner Eddy Ryssack den Leser mit auf eine wahrhaft witzige Comedy-Piraten-Reise.
Die Figuren, die hier mit viel Humor durch die Geschichte geleiten, sind typische Cartoon-Vertreter jener Zeit, zeichnerisch wie auch von ihrem Charakter her. Kapitän Hackepeter ist das Raubein, ein bißchen übergewichtig, häufig lauthals im Dialog und immer forsch voran stürmend, wenn es jemanden zu versohlen gilt. Der Schiffsarzt ist immer auf der Suche nach seiner oder einer neuen Mütze und auch keine Probleme damit, sich wegen seiner Kopfbedeckung mit einem Riesen anzulegen. So gesehen durchzieht die Charaktere eine gesunde Portion Naivität, wie es häufig bei derlei Figuren der Fall ist.
Der klügste und besonnenste der Mannschaft ist, wie kann es anders sein, auch der kleinste von ihnen und das ist selbstverständlich Pittje Pit. Pittje ist ebenfalls ein Junge, der weiß, wann es an der Zeit ist, das Weite zu suchen. Deshalb ist er mit weitaus mehr Vernunft gesegnet als seine Mannschaftskameraden.
Ausschlaggebend ist jedoch, dass dieses uralte Rezept des Geschichtenerzählens hervorragend funktioniert. Natürlich hat es ein wenig von den uralten Asterix-Folgen, aber es erinnert noch ein wenig mehr an das Konzept von Wickie und den starken Männern, das literarisch früher, tricktechnisch aber später erschien.
Zeichnerisch bietet Pittje feinste Cartoon-Szenen mit einem richtig kräftigen Tuschestrich und satten Farben. Die Bilder von Eddy Ryssack gehören zu einer wunderbar alten Schule, aus der sich nicht nur Können, sondern auch echtes Handwerk ablesen lässt. Was Hintergrundzeichnungen angeht, hält er sich zurück, dafür liegt das Hauptaugenmerk auf den Figuren, die manchmal für den Leser wie auf einer schönen Bühne agieren und sich bester Komödienmanier die Stichworte für den nächsten spritzigen Dialog liefern.
Da es sich auch um eine Monstergeschichte handelt, haben die beiden Macher sich nich lumpen lassen und gleich ein ganzes Rudel auffahren lassen. Die grünen Monster sind riesige grünhäutige Zyklopen, die ähnlich wie einst Polyphem in der Odysseus-Sage darauf warten, dass menschliche Kost an ihrer Küste angeschwemmt wird. – Und wenn es jemals ulkige Monster gegeben hat, dann sind es diese Zyklopen mit ihrem wunderbaren Sprachfehler!
Toller Cartoon, spaßige Comedy, unterhaltsam für alle, die jung geblieben sind oder einfach Spaß an einer ordentlichen Portion Humor haben! 😀
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Donnerstag, 08. Februar 2007
Eine Verbindung beider us-amerikanischer Küsten ist der Traum vieler Geschäftsleute und Reisender in den noch sehr jungen Vereinigten Staaten. Die Eisenbahngesellschaften Union Pacific und Central Pacific bewegen sich während ihres Baus quer durch das ganze Land aufeinander zu – sehr zum Leidwesen der Indianer, denn mit dem eisernen Pferd kommen immer mehr Weiße, die ihre Lebensgrundlage bedrohen.
Doch nicht nur die Indianer sind bedroht. In der Geschichte Das eiserne Pferd wird sehr schnell deutlich, wie hart auch der Konkurrenzkampf der Gesellschaften untereinander ist, denn je länger die Strecke des Einzelnen ist, umso mehr Eisenbahnlinie kann hinterher vermarktet werden. Spionage und Sabotage mit allen Mitteln sind an der Tagesordnung. Und Blueberry gerät wieder einmal zwischen die Fronten.
Bereits auf dem Hinweg geraten Blueberry und sein neuer Weggefährte Red in Gefahr. Eine riesige Bisonherde, die bewusst in Panik versetzt wurde, droht die beiden Reisenden zu zertrampeln. Die Reise wird nach überstandener Gefahr nicht leichter. Bald schon treffen Blueberry und Red auf Blueberrys alten Freund Jimmy. Schnell ist klar: Jemand wiegelt ganz bewusst die Indianer auf, um den Vormarsch der Union Pacific zu verlangsamen, wenn nicht sogar zu stoppen.
Im Lager der Eisenbahner angekommen ist es für Blueberry noch vor seinem offiziellen Amtsantritt Streit zu finden. Der Gegner heißt Steelfingers, ein Raubein und Verbrecher, der einst eine Hand verlor und durch eine stählerne Hand ersetzte, die er eigens in Europa anfertigen ließ. Mit Steelfingers hat Blueberry gleich von Beginn an einen Feind gefunden, der ihm noch viele Schwierigkeiten machen wird.
Blueberrys Mission ist klar. Da niemand weiß, warum die Indianer derartig in Aufruhr geraten sind, wird der abkommandierte Soldat zu ihnen geschickt, um zu vermitteln. Der junge Mann legt all seine Fähigkeiten und sein ehrliches Mitgefühl in die Waagschale, aber seine Mission gerät zur schwierigsten seit langem. Die Indianer haben keine Geduld mehr. Nur mit Mühe sind sie von einem Treffen auf Häuptlingsebene zu überzeugen. Sitting Bull und Red Cloud erklären sich bereit, Blueberry zu treffen. Leider stehen seine Bemühungen unter einem schlechten Stern, weil Steelfingers seine eigenen Interessen verfolgt, die zufällig mit denen der rivalisierenden Central Pacific Gesellschaft übereinstimmen.
Der Halunke Jethro Steelfingers versteht es sich, sich geschickt auf neue Situationen einzustellen. Was Blueberry sich nicht vorstellen konnte, geschieht. Steelfingers überredet die Indianer zu einem Zugüberfall. Plötzlich geht es für Blueberry und seine Freunde nicht nur um das Geld der Eisenbahngesellschaft, sondern um das nackte Überleben.
Die vierte Zusammenfassung der Abenteuer in den Blueberry Chroniken erweckt eine weitere dramatische Zeit in den jungen Vereinigten Staaten zum Leben: Die große Zeit des Eisenbahnbaus. Jean-Michel Charlier und Jean Giraud mischen wieder einmal harte Fakten und geschichtliche Ereignisse gekonnt mit abenteuerlicher Fiktion. Erneut entsteht ein Western-Epos, das damals zur Zeit seiner Entstehung wie auch heute den Leser festnagelt und erst wieder loslässt, wenn die letzte Seite gelesen ist.
In diesen Chroniken mit der Überschrift Das eiserne Pferd und die Sioux sind die Geschichten Das eiserne Pferd, Steelfingers, Die Fährte der Sioux und General Gelbhaar zusammengefasst. Alle vier Geschichten gehen beinahe nahtlos ineinander über und bilden so einen sehr spannenden Handlungsbogen.
Sehr auffallend ist in diesen vier Geschichten ist die Verachtung, mit der der Großteil der Weißen den Indianern begegnet. Wer sich über die gut aufbereiteten Informationen im Vorfeld der Handlung über jene Zeit hinaus Details anliest, muss zugeben, dass Charlier die Atmosphäre des Hasses und der Verachtung den Indianern gegenüber perfekt eingefangen wurde.
Gleichwohl kommen Charlier und Giraud auch an der Geschichte nicht vorbei, so ist klar, dass Blueberrys Misserfolg vorherbestimmt ist. Sein Bemühen ist verzweifelt, kleine Erfolge liegen eher in seinem Überleben. Sein Pech ist es außerdem, dass er in der Befehlsstruktur der Armee gefangen ist.
Blueberry, wie von Giraud als Belmondo in Reinkultur gezeichnet, kann gegen den Starrsinn von General Allister nicht an, der es sich auf die Fahne geschrieben hat, die Indianer per Waffengehalt zu befrieden und dies auch im tiefsten Winter – selbst gegen Frauen, Kinder und Greise.
Man kann nicht anders, als dieses Westerndrama gebannt zu verfolgen.
Girauds technische Fähigkeiten und sein Talent in dieser Zeit stehen außer Frage. Selbst aus heutiger Sicht gibt es rein gar nichts an den Bildern auszusetzen. Auffällig sind jedoch ein wenig besseren Bilder, wenn Indianer in Szene gesetzt werden, die natürlich wegen ihrer Aufmachung und ihrer Kleidung optisch weitaus mehr zu bieten haben. Vielleicht hat Giraud sie lieber gezeichnet als das übrige Szenario. – Das mag natürlich ein völlig subjektiver Eindruck sein.
Für Humor in diesem Band sorgt selbstverständlich die alte Saufnase Jimmy, der mit Red einen ebenbürtigen Kumpanen erhält. Zum Ausgleich auf der weiblichen Seite taucht Guffie Palmer auf, die Leiterin einer kleinen Variete-Truppe. Giraud zeichnet die resolute Frau mit einem wirklich tollen Schmiss, der ihr lautes Verhalten großartig unterstreicht.
Besser kann Western nicht sein. Ein tragisches Drama aus den Pioniertagen im Wilden Westen. Charlier und Giraud waren ein tolles Team. 😀
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Mittwoch, 29. November 2006
An der mexikanischen Grenze herrscht das Chaos. Immer häufiger werden weiße Siedler von indianischen Banden überfallen und getötet. Die Übergriffe sind brutal und machen vor nichts halt: Männer, Frauen und Kinder. Fort Navajo füllt sich mit Flüchtlingen.
Wieder einmal wird Mike Blueberry ausgeschickt, um mit den Indianern zu verhandeln. Wieder einmal muss Blueberry sich beeilen, denn ihm wurde von seinen Vorgesetzten ein Ultimatum gesetzt. Doch dass es inzwischen Stimmen gibt, die Blueberry wegen seiner guten Kontakte zu den Indianern als Verräter bezeichnen, ist neu.
Die Verhandlungen gestalten sich äußerst zäh, obwohl Blueberry höchstmögliche Geduld an den Tag legt. Er hat Glück. Seine indianischen Freunde zeigen sich verständig.
Was nützt uns die Tapferkeit in einer Welt, die verrückt geworden ist?! So lautet das Fazit des Häuptlings, der gerade noch von Blueberry für die Tapferkeit seines Volkes gerühmt worden ist. Blueberry wähnt sich in einer glücklichen Position. Mit seiner kleinen Truppe macht er sich auf den Rückweg durch die dicht verschneite Landschaft.
Daheim sehen die Zurückgebliebenen die Angelegenheit ganz anders. Argwöhnisch werfen alle immer wieder einen Blick auf die Uhr, aber Blueberry ist noch nicht wie versprochen zurück.
Außerdem haben sie noch ganz andere Probleme. Die Waffen, mit denen die Indianer ausgerüstet wurden, stammen aus Fort Navajo. Leider konnte es dem verdächtigen Mr. Newman nie nachgewiesen werden. All dies stört die Indianer nicht. Für sie ist es eine willkommene Situation, dass die meisten Soldaten zu einer Strafaktion ausgerückt sind. So besteht die Verteidigung des Forts aus einer kleinen Stammbesatzung, alten Männern, Frauen und Kindern – Menschen, die sich verbissen wehren, aber kaum Aussichten auf Erfolg haben.
Unterdessen klärt die Blueberry die Angelegenheit auf seine Weise: durchgreifend, hart und wie immer ein wenig ungestüm, ohne Rücksicht auf sich selbst.
Marshal Blueberry schickt den Zeichner Jean Giraud an die Autorenfront. Wir schreiben das Jahr 1868. Chronologisch angesiedelt sind die Ereignisse zwischen den Blueberry-Alben 10 und 13. Die Zeichnungen hat der Künstler William Vance übernommen.
William Vance kennen Fans von Serien wie Bob Morane, Bruno Brazil oder auch XIII. Nach solchen Thrillern, in denen Vance bewiesen hat, dass er knallharte Geschichten zu zeichnen vermag, hat es ihn mit Blueberry auch in den Wilden Westen verschlagen. Man kaum wohl mit Recht behaupten, dass seine Strichführung er dem Westernhelden, der von Charlier und Giraud erschaffen wurde, einen ganz eigenen Charakter verleiht.
Girauds Zeichenstil in den früheren Jahren war schnell geführt, zuweilen skizzenhaft auf das Papier geworfen.
Im Gegensatz dazu ist Vance’ Zeichenstil eher dokumentarisch, wie der eines Gerichtszeichners, exakt in jedem Strich. Die Figuren wirken härter, besitzen aber einen ähnlichen Realismus wie seinerzeit die Zeichnungen von Giraud. Vance hat sich sehr auf Gesichter konzentriert. Wer die Szenen genau beachtet, wird sehen, dass er Gesichter häufig in den Mittelpunkt der Szene setzt. Die Mimik unterstreicht die Handlung. Bei den Belagerten im Fort lässt sich Verzweiflung ablesen, bei Blueberry ist es Durchsetzungsvermögen und Entschlossenheit.
Aus anderen Geschichten weiß der Leser, dass Vance auch ein Könner von Landschaft und Technik ist. Hier kann dies Talent nicht voll einsetzen, denn es herrscht Winter in Arizona, entsprechend liegt eine dicke Schneedecke über der Landschaft und es schneit zwischendurch immer wieder. Ein Blick auf das spannende Intro und die Bilder, in denen Pferde zu sehen sind, lässt erahnen, zu wieviel mehr Vance noch fähig ist.
Jean Giraud schreibt nun den Plot und hat die Aufgabe seines langjährigen Kollegen Jean-Michel Charlier übernommen. Auffällig ist die Humorlosigkeit der Geschichte. Es fehlt die Belmondo-Schnauze, eine gewisse Schnoddrigkeit, weshalb der Blueberry-Fan einfach nur einen harten Western zu lesen bekommt, ganz im Stile italienischer Spaghetti-Western der besseren Art. Aus Belmondo wurde ein Eastwood. Jeder mag für sich entscheiden, ob er diese Linie bei Blueberry mag.
Spannend wie seine Vorgänger ist es allemal.
Ein Blueberry aus einer neuen Sichtweise, härter als gewohnt. Western pur! 😀
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Montag, 20. November 2006
Das Halbblut: Die Auseinandersetzung zwischen den Apachen und den weißen Kolonisten in Texas droht in einen neuen offenen Konflikt auszuarten. Ein Reiter ist in dringender Mission unterwegs. Seine Nachricht kann einen weiteren Krieg verhindern. Doch nicht alle sind an der Verhinderung eines bewaffneten Konflikts interessiert. Während man in Camp Bowie die Rückkehr des Reiters erwartet, haben sich bereits Apachen an dessen Fersen geheftet, um die Nachricht in die Hände zu bekommen.
Die Mission würde auch kläglich scheitern, gäbe es da nicht einen Heißsporn namens Blueberry, seines Zeichens inzwischen Leutnant. Er erklärt sich bereit, Leutnant Craig zu retten, obwohl die Hoffnung nicht mehr sehr groß ist. Blueberrys Vorhaben wird zusätzlich durch ein Ultimatum erschwert. Ist er nicht rechtzeitig mit der Antwort zurück, die Craig überbringen sollte, setzt sich die Armee in Bewegung.
Die Spur der Navajos: Das zweite Abenteuer führt Blueberry und seinen neuen Freund, den alten Vagabunden Jim Mac Clure, geradewegs in die Höhle des Löwen. Der Präsident hat sich zu Verhandlungen mit den Apachen unter der Führung unter Cochise bereit erklärt. Blueberry will diese Nachricht an den Häuptling überbringen, der sich mit seinem Volk auf mexikanischen Boden zurückgezogen hat. Crowe, Blueberrys Blustbruder, führt die beiden Freunde immer tiefer auf mexikanisches Territorium.
Nach einiger Zeit reitet Crowe voraus. Er überzeugt Cochise davon, mit Gebrochener Nase zu sprechen. Der Häuptlingsstab von Cochise soll Blueberry freies Geleit gewähren. Leider sind nicht alle Indianer von diesen Gesprächen begeistert und wollen lieber mit den von den Mexikanern zugesagten Waffen in den Krieg ziehen. Einsamer Adler und seine Getreuen, die Blueberry unlängst Schwierigkeiten machten, wollen Crowe mit allen Mitteln aufhalten.
Der Sheriff: Ein kleiner Ort namens Silver Creek. Hier Sheriff zu sein, bedeutet, in sein eigenes Todesurteil eingewilligt zu haben. Die Gebrüder Bass haben Silver Creek fest in der Hand und beherrschen es mit der nötigen Gewalt. Der Stadtrat fasst einen Plan. Ein neuer Sheriff muss her. Wenn sich schon keiner aus dem Ort bereit erklärt, muss die Armee einen Sheriff stellen.
Jim Mac Clure, der gerade in Silver Creek weilt und bereits eigene Erfahrungen mit den Revolverhelden gemacht hat, die dort ihr Unwesen treiben, kennt den richtigen Mann für diesen Job: Blueberry.
Auch Blueberry hat nichts dagegen, diese Arbeit zu übernehmen. Aber er hat auch eine Bedingung. Jim, der ihm diese Arbeit aufgehalst hat, soll ihn als Hilfssheriff begleiten. Bald finden sich die beiden in Silver Creek wieder und der Ärger geht erst so richtig los.
Die dritte Folge der Blueberry Chroniken erzählt von einigen Geschehnissen, die sich während Blueberrys Dienstzeit als Leutnant zutragen. Der Bürgerkrieg ist vorüber, aber der Friede ist nicht stabil, denn die Konflikte mit den Indianern schwelen ständig.
Wer nach den Episoden Das Halbblut, Die Spur der Navajos und Der Sheriff noch daran zweifelt, dass Jean-Paul Belmondo die bildliche Vorlage für Gebrochene Nase Blueberry war, dem kann nicht mehr geholfen werden. Wer diverse Filme von Belmondo gesehen hat, kann eigentlich auch nicht daran zweifeln, dass der Abenteurer, den Belmondo häufig verkörpert hat, auch ein charakterliches Vorbild für Blueberry war.
Die ersten beiden Episoden sind ganz tolle Wild-West-Geschichten, die sich des Themas Indianer-Konflikt annehmen. Autor Jean-Michel Charlier kennt sich nicht nur in der Geschichte des Wilden Westens aus, sondern er hat auch in filmischen Western eifrig seine Hausaufgaben gemacht. Die Figur des Jim Mac Clure erinnert an die Fuzzys, die kauzigen Alten, die dem Genre-Fan in Western immer wieder begegneten. Besonders deutlich wird das in der abschließenden Episode Der Sheriff.
Hier finden sich starke Parallelen zum Klassiker Rio Bravo. Wie John Wayne muss auch Blueberry sich gegen eine Übermacht an Revolverhelden durchsetzen. Es fehlen auch nicht das Revolverwunderkind, damals gespielt von Ricky Nelson, und der Säufer und der Alte. Die letzteren beiden werden von Jim MacClure in Personalunion dargestellt, lassen aber den tragischen Aspekt der filmischen Vorlage vermissen.
Es sei Jean-Michel Charlier aus heutiger Sicht verziehen, denn er wusste damals auch, wie man aus all diesen Zutaten etwas eigenständiges, teilweise etwas Neues und ganz wichtig, etwas Gutes macht.
Charlier ist ein toller Erzähler. Das Halbblut und Die Spur der Navajos ist ein spannender Zweiteiler, in denen Charlier so richtig zeigt, was er kann. Blueberry wird während der gesamten Dauer der Geschichte gejagt, muss sich verstecken, kämpfen und die eine oder andere bittere Pille zu schlucken. Blueberry hat den Vorteil, nicht nur als Charakter, sondern auch als Geschichte, sehr menschlich bleibt. Hinzu kommt, dass auch Nebenfiguren mit genügend Details ausgestattet werden, um jederzeit nachvollziehbar zu sein.
Es ist schwierig noch etwas über Zeichner Jean Giraud, was noch nie gesagt wurde. Viele mögen Giraud seinen späteren Minimalismus nicht verziehen haben oder ihn gerade dort auf der Höhe seines Schaffens sehen.
Unabhängig davon lässt sich nur sagen, dass Giraud auch mit diesen drei enthaltenen Geschichten zeitlos gute Comics gezeichnet hat. Inzwischen lässt sich sogar behaupten, dass Girauds Zeichenstil von einst wieder topmodern ist.
Schön ist der Vergleich der einzelnen Geschichten anzuschauen. Es mag ein subjektiver Eindruck sein, aber ich meine eine deutliche Verbesserung des Tuschestrichs von der ersten bis zur letzten Geschichte festgestellt zu haben.
In Das Halbblut findet sich eine eher dickere Strichführung. In Der Sheriff finden sich sehr viele feinere Linienführungen.
Was die ersten beiden Episoden vermissen lassen, weil sie sehr ernsthaft angelegt sind, findet sich in Der Sheriff vermehrt: Humor. Besonders nett ist der kleine Abschnitt des Westpoint-Absolventen, der zuerst anstelle von Blueberry nach Silver Creek geschickt werden soll. Humor, der ohne Worte funktioniert, ist ohnehin der beste.
Informationen rund um den Wilden Westen, die Apachenkriege und Gesetzlose runden diese vorzügliche Ausgabe ab. Für Western- und Comic-Fans ein absolutes Muss und Highlight. 😀