Donnerstag, 04. Juni 2009
Melvin Woodsworth, ein britischer Schriftsteller mit serbischen Wurzeln, keineswegs erfolglos, aber irgendwie von einer Art Schreibblockade und einer stillen Rebellion gegen seinen Verleger beherrscht, zieht sich auf der Suche nach Inspiration in die Schweizer Berge zurück. Die Welt hier, kurz vor dem zweiten Weltkrieg, hält den Atem an, verharrt in einer meditativen Ruhe, in ihrer Einsamkeit, aber auch in ihrer einzigartigen Menschlichkeit. Melvin muss aber auch feststellen, dass diese Welt nicht unschuldig ist. Gleich auf einer seiner Wanderungen wird er von zwei Gendarmen angehalten, die auf der Suche nach einem gewissen Baptistin sind. Melvin hat den Gesuchten bis dahin nie gesehen, was sich aber im nächsten Augenblick ändert. Er könnte Baptistin an die Polizisten verraten, aber er schweigt.
Ein altes Hotel hat es Melvin in dieser verschneiten Gegend besonders angetan. Und nicht nur ihm: Sobald er sich dort in der Nähe bewegt, fühlt er sich beobachtet. Melvin hat nicht nur einfach so hier gefunden. Sein Bruder, Dragan, gastierte vor Jahren in diesem Hotel und schrieb an seiner Musik. Doch nun scheint es, als habe sich ein Geist des alten Hotels bemächtigt. Eines Nachts, Melvin macht einen kleinen Spaziergang, da er nicht schlafen kann und seine Gedanken fortwährend um einen neuen Roman kreisen, hört er Klaviermusik aus dem Hotel. Als er nachschaut, ist niemand zu finden.
Auf der Suche nach Peter Pan ist keine neue Geschichte, gleichwohl kann sie bereits auf Jahrzehnte zurückblicken. Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts entstand eine Handlung, sehr erwachsen, die sich im wahrsten Sinne des Wortes als Grafische Novelle bezeichnen lässt. Der Begriff Comic Roman würde mir hier nicht gefallen, er wäre zu platt gewählt.
Cosey (Bernard Cosandey), Autor und Zeichner, ist Schweizer und bewegt sich hier optisch in seiner Heimat. Er macht aus dieser verschneiten Landschaft in den Bergen mit seinen leicht verschrobenen Menschen ein verwunschenes Schloss. Es ist eine Traumwelt, in der sich die Hauptfigur Melvin Woodsworth wiederfindet, ganz besonders dann, als die Warnung vor einer Lawine zur Evakuierung des Dorfes führt und Melvin beschließt, alleine zurückzubleiben. An diesem Punkt bewegt sich die Geschichte nur noch um sehr begrenzte Zentren, genauer um drei Figuren: Melvin, Baptistin und eine junge Frau.
Baptisitin wird zu einer Art Schlüssel für Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Wer in ihm allerdings einen besonders weisen Mann vermutet, bloß weil er alt ist und in den Bergen lebt (er ist kein Alm-Öhi), sieht sich getäuscht. Baptistin entpuppt sich als bodenständig und mit ausreichenden Schwächen behaftet, jedenfalls auch mit solchen, die ein Mensch haben kann, der immer am Rande des Existenzminimums und der Legalität lebt. Durch diese Figur lernt Melvin etwas über sich, seine Vergangenheit, sein Leben, seine Ziele. Sein Leben, das eines Autors, eines Schreibtischtäters, wird lebendiger, auch angesichts der Gefahr, die von oben, vom Gletscher her droht. Melvin hat diese Gefahr vorher schon gesucht, indem er die Mahnungen seines Verlegers stoisch in den Wind geblasen hat. Durch den Gletscher und das Abenteuer, in dem er sich plötzlich wiederfindet, wird er noch viel mehr gefordert.
Cosey zeichnet diese Bergwelt in einfachen Strichen. Er skizziert wie ein Reisereporter, der ohne Kamera arbeiten muss. Cosey bildet diese Nische, die auch eine Grenzwelt ist, auch mit Liebe zu seiner Geschichte ab. Anders lässt sich die leichte Hand, die in seinen Grafiken (wie auch in den Skizzen im Begleitmaterial) erkennbar ist, nicht erklären. Die Suche nach Peter Pan ist wie ein Märchen entworfen, einem Märchen, mit sich Erwachsene ein Stück ihrer Kindheit zurückholen, mit einer Geschichte, die ein sicheres Fundament bietet, eine Rückzugsmöglichkeit, aber auch die Aussicht auf ein gepflegtes Abenteuer mit sehr viel Ungewissheit. Die Bilder strahlen eine beondere Ruhe aus. Strahlen ist darüber hinaus der richtige Begriff, da die Farben regelrecht leuchten. Nur sparsam angelegt, nie sind vielfache Farbtöne beieinander versammelt, setzen sie Schwerpunkte in kühlem Blau, warmem gelb oder heimeligem dunklen Rot und Braun.
Eine leise, aber auch sehr intensive Geschichte, mit viel Gefühl erzählt und gezeichnet, märchenhaft, abenteuerlich, schön. Beste Unterhaltung. Jene, die bisher nichts mit Comics anzufangen wussten, sollten einen Blick in dieses neu aufgelegte Kleinod werfen. Vielleicht können sie eines Besseren belehrt werden. 🙂
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Sonntag, 29. März 2009
Die Bombe explodiert, doch ihr Rauch manifestiert sich nicht in einem gigantischen Pilz, sondern in einem riesigen Herzen. Ein Lied soll nur eine begeistern, aber selbst das gelingt nicht. Benjamin ist ein malender Dichter.
Glaubt man den Bildern und den Texten Benjamins, und es besteht keinerlei Veranlassung das nicht zu tun, ist er ein Künstler durch und durch. Schwankend zwischen Kunst und Kommerz, zwischen dem Drang frei arbeiten zu können und der Notwendigkeit Geld für den Lebensunterhalt zu haben, liegt hier ein Werk von dichter Beobachtungsgabe vor. Hinter dem scheinbar ziellosen und sorglosen Verhalten von Teenies und jungen Twens ist die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenbruchs ebenso hoch wie in jeder anderen Altersgruppe auch.
Benjamin seziert eine Alterstufe im Leben der Menschen, in der es andere Schwerpunkte gibt, in die Kindheitsträume zerbrechen und der Realität weichen. Die gerade entdeckte Liebe begeistert längst nicht nur, sondern schießt scharf. Selbstfindung gepaart mit Egoismus kämpft mit dem Wunsch nach Zweisamkeit. One Day begleitet in einer Szene einen Hanns-guck-in-die-Luft. In den Straßen der Großstadt ist am Himmel jedoch mehr los als in alter Zeit. Ein Geräusch ist ständig präsent. Allein die Gebäude verbreiten durch ihre Unregelmäßigkeit bereits Hektik. Allerdings endet für den Helden der Geschichte der Weg nicht im Wasser. Ein Mädchen auf einem Balkon reißt den jungen Mann aus seiner Lethargie: Sie zeigt ihm den Stinkefinger, jedoch mit einem Lächeln.
Zum Schluss erwartet ihn auch noch der Stinkefinger des Schicksals, den jeder einmal in dieser oder jener Form zu sehen bekommt. Es ist ein Ende, auf das laut Benjamins Handlungskonstruktion die Wiedergeburt folgt. Es bleibt nur die Frage offen, ob der Held der Geschichte nach all der Eintönigkeit überhaupt eine Wiedergeburt will.
Freude? Nein. Freude ist in Benjamins Welten selten. Hoffnung gibt es immer wieder. Eine Blume, die den Sommer nicht erlebt, eine Geschichte über die Liebe, kommt gänzlich ohne Text aus. Sie lässt Raum für Interpretationen und sie hat, auf ihre Art, ein gutes Ende. Benjamin lässt selbst in seinen Erläuterungen, Nachwörtern und Essays Platz für eigene Gedanken. Er ist weit davon entfernt, seinem Leser etwas vorschreiben zu wollen. Er schließt nicht von sich auf andere. In seinem Universum steht er im Zentrum. Er ist nur sich Rechenschaft schuldig. Das klingt so einsam wie die Ausstrahlung und Aussage mancher seiner hier vorliegenden Geschichten und Bilder. (Eigentlich ist es gerade in diesem Band so etwas wie eine heimliche Überschrift: Einsamkeit.)
Ist diese Einsamkeit in seinen Schwarzweißgeschichten bereits sehr stark ausgeprägt, knallt einem dieser Aspekt in seinen farbigen Grafiken geradezu ins Gesicht. Benjamin arbeitet mit einem gelungenen Pop-Realismus. Er setzt das Gesicht eines Menschen gerne ins Zentrum eines Bildes, gibt ihm die höchste Ausdruckskraft, während die Umgebung verwischt oder in Unschärfe verschwindet. Benjamin liebt die Blicke seiner Figuren, die er in Portraitbildern häufig den Betrachter ansehen lässt. Aber er lässt die Blicke auch gerne Richtungen vorgeben und Konfrontationen aufbauen. Ein Bild, das den Betrachter ansieht, macht es den Menschen vor der Leinwand schwieriger, sich dem Werk zu entziehen. Mitunter findet man Zweifel, Trauer, Schüchternheit, auch Unschuld in den Blicken.
Diese Augenblicke werden von einer Farbpalette unterstrichen, die äußerst grell ist. Pink kracht Meerestöne, Benjamin scheint die Neonbeleuchtung der Großstadt in seinen Bildern auffangen zu wollen. Im Buchformat sind die Grafiken eindrucksvoll, in Lebensgröße auf einer Leinwand würden sie den Besucher einer Galerie aus den Schuhen hauen.
Das Debut-Album von Benjamin zeigt bereits in dieser frühen Phase, wohin der Weg geht. Zu Beginn gibt es noch ein paar Schwächen, die sich nach Umstellung auf Farbe zu verlieren beginnen. Ein trauriger Blick auf die Jugend im Reich der Mitte, durchzogen von Hoffnung. Gut, aber nichts für einen düsteren Tag. 🙂
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Mittwoch, 29. Oktober 2008
Die Leute im Dorf haben sich an Serge gewöhnt. Das La Raviole, das kleine Restaurant, hat die Menschen begeistert und ihnen einen kleinen Ausschnitt auf eine größere Welt geliefert. Etwas mehr Zivilisation ist eingekehrt, etwas mehr Manieren, ja auch etwas mehr Freundlichkeit. Serge ist ein Mann. Man könnte fast sagen: Er ist der Mann im Dorf, solange die Ehemänner draußen in den Wäldern sind und Holz schlagen. Sie wissen nichts von dem Kerl, der sich da daheim bei ihnen ins Nest gesetzt hat und den Menschen – insbesondere den Frauen – auf seine Art den Kopf verdreht hat.
Dabei beginnt alles so fröhlich. Gaetan hat Geburtstag. Die Geschenke, die er erhält, sind zwar ein wenig merkwürdig, so auch ein Paar Damenschuhe. Aber insgesamt ist es ein fröhlicher Tag, der erst später, aus anderer Sicht, wie der Schlusspunkt eines Kapitels wirkt. Die Anwesenden möchten ihm seine Geschenke gerne wieder abnehmen, da er sich damit lächerlich macht. Doch Gaetan, erwachsen zwar, aber mit dem Verstand eines kleinen Kindes versehen, will sich die Damenschuhe und die Kochmütze nicht mehr nehmen lassen. Kurzerhand nimmt er Reißaus und wird von den heimkehrenden Männern im Wald sitzend aufgefunden. Was Gaetan ihnen erzählt, klingt lächerlich. Ein Restaurant? Was soll denn ein Restaurant in ihrem Nest? Die Heiterkeit über diesen Umstand weicht bald der Ernüchterung und der Verwunderung und schließlich …
Die Männer sind zurück aus dem Wald. Es sind gestandene Mannsbilder, die in diesen 20er Jahren des letzten Jahrhunderts aus dem Wald stapfen und alles wie gewohnt wiederzufinden glauben. Regis Loisel und Jean-Louis Tripp haben in den ersten beiden Folgen mit Trauer und Wünschen gespielt. Sie brachten Hoffnung in die Handlung und skizzierten das Miteinander einer streng begrenzten Anzahl von Menschen fernab der Großstädte irgendwo in den kanadischen Wäldern. Mit Serge, dem Fremden, der auf seinem Motorrad liegen bleibt und während des Winters nicht weiterkommt, setzten sie eine Art Kuckuckskind in dieses Nest.
Serge ist zuerst ein Fremdkörper. Die einen beobachten ihn misstrauisch, eingefleischte Jungfern zerreißen sich gar das Maul über ihn und nutzen jede Gelegenheit, um ihren Unmut in der Gegenwart des Dorfpfarrers kundzutun. Schließlich lebt er – mehr oder weniger – mit einer Frau unter einem Dach, die erst vor kurzer Zeit Witwe geworden ist. Serges Idee, ein Restaurant zu eröffnen, kratzt weiter an der eingefahrenen Oberfläche des Dorfes. Genau in dem Moment, als die ersten Grenzen niedergerissen worden sind, die verbliebenen Bewohner des Dorfes sich mit dem Neuling angefreundet haben, kommt die andere Hälfte des Dorfes nach Hause.
Loisel und Tripp legen ihre Geschichte auf verschiedenen Ebenen an. Es ist einerseits ein Sittenbild einer Gemeinschaft, deren Vorstellungen heute vielerorts auf Unverständnis treffen werden – nicht überall natürlich. Sie zeichnen einen Umschwung, in dem ein Element, ein völlig unerwartetes noch dazu, vielen Leben eine leicht andere Sichtweise, eine andere Richtung gibt. Aus der Heiterkeit des Beginns der Geschichte wird langsam eine Bedrohung, die sich immer höher auftürmt, aufbläht, bis sie nur noch eines kann: Platzen.
Die Männer gehen zur Attacke über, mit dem einzigen Mittel, mit dem sie etwas anfangen können: Gewalt. Denn Worte sind ihnen fremd. Plötzlich sollen sie mit ihren Frauen diskutieren. Nicht nur das, ihre Frauen widersetzen sich ihnen regelrecht. Und das alles wegen dieses Fremden!
Auf überaus geschickte, fast heimliche Weise, setzen Loisel und Tripp ein Steinchen an das nächste, bis das Bild komplett ist. Es ist eine Schilderung, die spannend wie ein Krimi abläuft, von dem der Leser gleich zu Beginn weiß, dass es nicht gut ausgehen kann. Doch er ist bereits so eng mit den Charakteren verbunden, dass er nicht wegschauen kann.
Aber die beiden Autoren und Zeichner wären nicht über all die Jahre so erfolgreich, würden sie sich in altbekannten Bahnen bewegen und nicht mit den Instrumentarien einer Geschichte gekonnt spielen können. So wird der eine oder andere unerwartete Haken geschlagen und am Ende …
Das wird nicht verraten. Sinnbildlich jedoch läuft noch eine zweite Geschichte ab. Zuerst unbemerkt, dann immer offensichtlicher wird die Geschichte eines Hundes, einer Katze und einer kleinen gelben Ente erzählt. Es ist ungewöhnlich genug, dass sich Hund und Katze verstehen. Wie sich die Beziehung zu der Ente entwickelt, muss der Leser selber herausfinden. In jedem Fall ist es ein gutes Beispiel, wie die beiden Autoren ohne ein einziges Wort, nur mit ganz kleinen Szenen Emotionen vermitteln und die gesamte Handlung noch stärken.
Eine geniale Geschichte, die auf den ersten Blick klein aussieht, aber alltägliche Dramen und menschliche Schicksale in einem Comic beschreibt, wie es der Leser sonst eher aus der gehobenen Literatur gewohnt sein mag. Die Spannung wächst unmerklich, aber Loisel und Tripp gönnen dem Leser auch stets das kleine Schmunzeln zwischendurch. Eine schöne Geschichte mit unaufdringlichen Denkanstößen. 🙂
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Donnerstag, 11. September 2008
Alice hat einen Spiegel. Dieser Spiegel bildet nicht nur das ab, was sich vor ihn stellt. Er ist auch magisch. Er beobachtet fast schon sezierend, kühl, distanziert und ist so der vollkommene Gegensatz zu den Geschehnissen. In den Ausschnitten seines Blickfelds geht es zur Sache, wild, ungestüm. Alice vertreibt sich die Zeit mit Sex. Sonst hat sie nichts, nur den Spiegel natürlich, ein Relikt. Aber jetzt? Was ist sie jetzt? Diese Frage hängt über ihrer Existenz, aber Alice hat keine Lust, sie zu beantworten. Obwohl, Lust hat sie schon, auf andere Frauen, zur Not auch auf sich selbst.
Gealterte Kinder
Diese Überschrift, die Alan Moore, Autor dieser Trilogie, dem ersten Band voranstellt, beschreibt perfekt in zwei Worten den Kern der gesamten Handlung.
Aber um den Kern herum ist viel Platz für weitere Deutungen.
Alan Moore nimmt den Leser nicht an die Hand. Er verrät nicht, mit keiner Silbe, was er hier eigentlich ausdrücken will. Ist es anspruchsvolle Pornographie – sofern es so etwas überhaupt gibt? Ist es eine Verbeugung vor der Literatur, die sehr früh dort aufhört, wo Moore mit großen Schritten weitergeht? Will er kleine Mythen, ja, beinahe Ikonen der Literatur zerstören, indem er sie alt und nackt, eher bis auf die armselige oder verlorene Seele entblößt, präsentiert?
Will er den Leser (oder wieder einmal die Gesellschaft) mit einer offensichtlichen Provokation hereinlegen, die am Ende keine ist, sondern nur ein Experiment und das nicht einmal sehr gewagt, sondern wohl berechnet?
Alice, Dorothy Gale und Wendy Darling sind in die Jahre gekommen.
Lady Fairchild hat eine Vorliebe für junge Frauen entwickelt. Mit höchstem Interesse verfolgt der Spiegel die Szenen und kleinen Episoden, wie auch die Stellungnahmen der Bediensteten und die eher tapsigen Annäherungsversuche eines Hoteldirektors.
Dottie Gale, Fräulein Gale, ist in die Jahre gekommen. Die Zeiten in Oz sind lange vorbei und auch Wendy blickt zuweilen sehnsüchtig zu den Tagen des Fliegens an der Seite von Peter Pan zurück …
Ganz so einfach ist es dann doch nicht.
Das Leben scheint aus den Figuren verschwunden zu sein und um zu retten, was noch zu retten ist, flüchten sie sich in sexuelle Phantasien. Mann/Frau, Frau/Frau, Mann/Mann, Alt/Jung, verschiedenste Stellungen und Techniken, zu zweit, zu dritt, in größeren Gruppen, orgiastisch, harmlos, im höchsten Fall anstrengend, Neugier, Erinnerungen. Sex ist Leben, bedeutet Gefühl. Sex liefert den Beweis, am Leben zu sein.
Ist da sonst gar nichts mehr? Im Leben der drei Frauen jedenfalls nicht, die sich zuerst kennen, dann lieben lernen, Erinnerungen austauschen, darin schwelgen, so etwas wie Freundinnen werden. Alan Moore entblößt sie als sinn- und nutzlose Gestalten, aber nicht hirnlos. Sie sind einsam und dekadent und zu keiner Zeit kann die Darstellung ihrer sexuellen Ausschweifungen reizen, antörnen, erotisch sein.
In einer Blumen- und Bienenoptik, einer jugendstilartigen Imitation, einer frühlingshaften Lieblichkeit geht es pornografisch zur Sache und wird nichts verheimlicht oder verschleiert. Ein alternder Gentleman trauert einem verlorenen Sexualleben hinterher, ergötzt sich an erotischen Texten und Bildern, lauscht den Ausschweifungen anderer, fühlt sich zuerst von einem anderen Mann genötigt und lebt dann doch ein kleines schwules Abenteuer aus. Peter Pan führte die drei Kinder zu höchsten Höhen, doch anders als es seinerzeit James Matthew Barrie konzipiert und erdacht hat.
Das blumige Aussehen, eine ziemliche grafische Leistung von Melinda Gebbie, ahmt die Bonbon-Optik andere Darstellungen dieser bekannten Figuren nach, sei es aus dem Haus Disney oder auch muntere Klassiker wie Der Zauberer von Oz.
Es imitiert naive Kunst, aber auch sehr verwackelte, leicht primitiv aussehende grafische Techniken. Abgrenzend malt Gebbie hervorragende Tuschzeichnungen, die an Jugendstil erinnern. Randzeichnungen erinnern an die Geschichte von den schwarzen Buben. Hauptsächlich lässt sich eine Linie finden, die immer wiederkehrt, aber daneben wird viel ausprobiert, sind die Grafiken auch bewusst einfacher gehalten. Irgendwann verlieren sich die traumatisierten Figuren in einem abschließenden Traum – oder auch Alptraum – der aus einem seitenlangen paradiesischen Gerammel in einem irdischen Alptraum namens Krieg mündet.
Die Frauen bleiben zurück, die Männer verlassen das Hotel, den Mikrokosmos. Sie können sich dem kommenden Krieg nicht entziehen. Die Frauen treten die endgültige Flucht in den ultimativen und dauerhaften Orgasmus an, eine Reise ohne Wiederkehr. Am Ende ist Sex zur Sucht geworden. Alle können nicht mehr anders, in der Erinnerung, in der Gegenwart, beiläufig, zur Entspannung, die eigentlich ständig gefragt ist.
Und nach einem schier endlosen Sex-Marathon wird die Lust langweiliger und langweiliger, wird der Sex monströs, bedrohlich.
Text und Bild gehen Hand in Hand, täuschen, versetzen schließlich in Staunen, wenn echte Gefühle gewaltsam durchbrechen und die sexuellen Handlungen zu einem oberflächlichen bedeutungslosen Mischmasch machen. Es ist Alan Moores Können zuzuschreiben, dass er den Leser in einen Strudel hinab zu ziehen vermag, der all das anrührt, was Menschen im Unterbewusstsein, im Traum oder auch bewusst mit sich herumschleppen oder glauben, dass sie es mit sich herumschleppen – nicht umsonst weckt einer der Akteure die Erinnerung an einen Psychoanalytiker, dessen Naivität und Schlussfolgerungen hier immer für einen Lacher gut sind.
Jeder Leser muss am Ende selber wissen, was er aus diesem Werk für sich mitnimmt. Literatur und Pornografie schließen einander nicht aus, was bereits eine Reihe von Autoren vor Alan Moore bewiesen hat. Ob Moore mit diesem Werk sich dazu gesellen kann, ob er die sich eigens gestellte Aufgabe erfüllt hat, ob es genial, gewitzt oder platt ist, lässt sich schwerlich sagen. Es ist eine Entmystifizierung von Literatur, bei der man sich auch immer in der Position wähnen sollte, dies überzeugend tun zu können. Wer meint, Alan Moore habe diesen Standpunkt erreicht und pornografische – nicht erotische – Darstellungen vertragen zu können, sollte einen Blick riskieren. Alle anderen besser nicht. 🙂
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Dienstag, 06. Mai 2008
Der junge Ritter ist verliebt. Und stolz. Stolz und Ehre gehen vor Liebe. So glaubt es Prinz Eisenherz jedenfalls. Er hat geschworen, Aleta, die er versucht zu hassen, in Ketten an alle Fürstenhöfe der Welt zu führen. Aber die selbst gestellte Aufgabe ist äußerst schwierig.
Denn Aleta ist eine sehr energische junge Frau. Sie lässt sich nichts gefallen, hat Ideen und setzt mitunter auch die Waffen einer Frau ein. Und sie ist klüger als Eisenherz, weil sie viel schneller erkennt, wie sehr er sie liebt! Männer sind halt etwas schwerer von Begriff.
Prinz Eisenherz ist und bleibt etwas ganz Besonderes auf dem Gebiet der Comics. Wie eine wunderbar ausgestattete Theaterinszenierung präsentiert sich der Ritter mit dem singenden Schwert in dieser Neubearbeitung.
Wir begegnen Prinz Eisenherz und Aleta zunächst in der Wüste. Der Prinz ist auf Rache aus. Allerdings ist seine Rache sehr beherzt und nachsichtig, obwohl er sich das zuerst nicht eingestehen will.
Und das ist ein Zauber, den jede Frau benutzen kann.
Aleta kennt ihre Ausstrahlung und sie hat bereits nach kurzer Zeit ihre Wirkung auf Eisenherz erkannt. Ein Glück für den Prinzen, dass Aleta auch in diesen stattlichen Ritter verliebt ist, sonst stünde es ziemlich schlecht um ihn.
Prinz Eisenherz wird ohne Sprechblasen erzählt. Die begleitenden Texte, der gesprochene Text, erscheint in einer Fußzeile. Als Leser, der einen manchmal wilden Wust von Erzählkästen und Sprechblasen gewöhnt in den Panels ist, kann diese Form der Darstellung sehr beruhigend wirken. Die Form ist hier auf die ursprüngliche Erscheinungsweise als Zeitungsstrip zurückzuführen – damit erfahren Fans des Prinzen wie auch die Generation meiner Eltern, die schon den Prinzen kannte, nichts Neues. Die Szenen wirken ein wenig wie in einem Stummfilm – dieser Eindruck entsteht bestimmt durch die sprechblasenlosen Bilder – wer sich diese Bilder in aller Ruhe zu Gemüte führt, wird vielleicht beizeiten in seinem Kopf dramatische oder liebevolle Klaviermelodien hören, wie sie auch in Stummfilmen zum Einsatz kamen.
Abenteuer, Liebe, Kämpfe, Kostüme, wallende Gewänder, kecke Frauen, finstere Fürsten und natürlich ein wagemutiger junger Ritter, der seine Feinde das Fürchten lehrt, jedoch nicht ohne Fehl und Tadel ist. Hal Foster gelang mit Prinz Eisenherz eine Figur, die nicht nur vorbildlich für spätere Veröffentlichungen war, sondern bis heute nachwirkt. Seine Ritterlichkeit im Kampf, seine Hartnäckigkeit und sein Mut stehen der Unerfahrenheit in der Liebe gegenüber, ein Konzept, das heute wieder erfrischend ist und gar nicht so altmodisch erscheint, wie es auf den ersten Blick auf so manchen Comic-Leser wirken mag.
Eine bezeichnende Episode ist die Auseinandersetzung zwischen Eisenherz und dem Fürsten Donardo. Der Prinz nimmt es um Aletas Willen mit einer ganzen Stadt auf – und sie erwartet auch nicht weniger! Eisenherz’ Ritterlichkeit bringt ihn in immer größere Schwierigkeiten. Dafür wird er auch noch von seinen Feinden verhöhnt. Aber er gibt nicht auf. Am Ende … Das soll nicht verraten werden.
In einem guten ersten Drittel der vorliegenden Ausgabe ist das Format der Episoden noch zweidrittelseitig, zumeist in zwei Zeilen angelegt. Den unteren Teil der jeweiligen Seite füllt eine weitere Geschichte aus Fosters Werkstatt: The Medieval Castle.
Wie war das Leben im Mittelalter auf einer Burg? Der Leser fühlt sich fast in eine Art Dokumentation versetzt, indem er einigen Menschen aus jenen Tagen bei ihrem Alltag über die Schulter schaut. Wie wurde um eine Frau geworben? Welcher Art war die Bildung, die Erziehung? Hierzu folgt der Leser dem kleinen Arn, der den Stall ausmisten muss, bevor er in den wirklich wichtigen Fächern unterrichtet wird. Den romantischen Charakter dieser Episoden muss man als Leser verzeihen, sollte man sich doch vor Augen halten, dass es zuallerst unterhaltenden Charakter hat und nicht für sich in Anspruch nimmt, historisch korrekt zu sein.
Sobald die Handlung von Foster ganzseitig erzählt werden kann, findet sich der Leser auch in einem neuen Handlungsabschnitt wieder. Es wird wilder. Die Wandalen ziehen gegen Rom. Neben zahlreichen ausgefeilten Kampfszenen, real wie auch übender Weise, ist der Sog dieser Handlung größer, weil vielfältiger angelegt. Die Liebe wird wieder thematisiert, tragisch, besonders in einer Szene, als Cidi sich umbringt, weil sie erkannt hat, dass ihre Liebe zu Prinz Eisenherz sich nie erfüllen wird. Ein dem Wahnsinn naher Amurath hält den Leichnam mit verzweifelter Miene in seinen Armen.
Und wenn Aleta als Ritter verkleidet durch ihre Haare die Sicht verliert und einen Angriff gegen ein Dorngebüsch reitet, wird dieser Humor ebenso schwer wie so mancher tragisch oder spannende Augenblick.
Foster war auch ein Erzähler, der stets versucht war, seine Geschichte im Gleichgewicht zu halten.
Ein Klassiker im schön restaurierten Gewand, wunderbar zu lesen, wunderbar anzuschauen. Für Fans von Rittergeschichten, die viel zu selten geworden sind, ist und bleibt Prinz Eisenherz ein Muss.
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Samstag, 02. Februar 2008
Sie waren zu jung, ein Auto zu fahren, aber alt genug, einen Bomber zu fliegen. – Wer glaubt, in den Bombern beiderseitig des Kanals saßen immer nur alte erfahrene Piloten, der sieht sich gewaltig getäuscht. Marvano hat sich des Themas angenommen und eine Geschichte rund um ein solches Bomber-Team geschrieben und gezeichnet.
Marvano, mit bürgerlichem Namen Mark van Oppen, bewies bereits mit der Science Fiction Roman-Umsetzung von Joe Haldeman, dass er das Zeug für realistisch anmutende Szenarien hat. Nach einem zukünftigen Krieg setzt er sich nun mit der Vergangenheit auseinander.
Die sieben Zwerge sind die Flugzeugmannschaft eines Bombers, dem sie selber den Namen S-Snowwhite (Schneewittchen) gegeben haben. Die Geschichte beginnt mit einem Angriffsflug über Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Das Ziel ist das Ruhrgebiet. Die Szene ist für die jungen Männer an Bord unwirklich. Die Nacht wird von der deutschen Flugabwehr sporadisch erleuchtet, als der Lancaster-Bomber acht Tonnen seiner tödlichen Fracht aus seinen Abwurfschächten entlässt. Sie wissen nicht, was sie da unten töten oder zerstören, sie sehen lediglich das Flammenmeer nach dem Aufprall ihrer Bomben. Ein Cowboy-Schrei der Freude überlagert die Szene und entlädt die Erleichterung darüber, dass dieser Angriff vorüber ist. Nun kann der Heimflug angetreten werden.
Doch vor einer glücklichen Landung muss das englische Geschwader erst an den deutschen Nachtjägern vorbei.
Man fühlt sich als Leser ein wenig an den Film Memphis Belle erinnert, der ebenfalls die Geschichte einer, allerdings amerikanischen, Bomber-Crew beschreibt. Hier wie dort ist es der Wahnsinn über den Wolken, der sich mit rein menschlichen Aspekten ablöst. Hier ist die Freiheit über den Wolken nicht grenzenlos, sondern ihr wurde die Freiheit genommen, das Wahrhaftige, das Besondere, kurz, sie wurde missbraucht.
Für diese Männer spielt der Krieg eine Rolle, weil sie sich in ihm befinden, nicht, weil sie ihn gewollt haben. Sie zählen die Einsätze, die hinter ihnen liegen und fürchten die, die vor ihnen liegen. 17 haben sie absolviert, 30 müssen sie fliegen. Der Durchschnitt liegt bei 11. Und ein jeder fürchtet ein Ziel: Berlin. Der Anflugkorridor ist eng. Eine Kollision mit einer befreundeten Maschine ist wahrscheinlicher, als von der gegnerischen Flugabwehr oder einer Abfangmaschine getroffen zu werden.
Kein einziges Mal geht es um Politik, oder darum, den Feind zu vernichten. Es geht nur darum, zu gewinnen, damit man nach Hause kann.
Was hast du gegen Idealismus, Aubie? Zum Teufel, ich sterbe lieber für die gute Sache, für ein Ideal.
Ich ziehe es vor, überhaupt nicht zu sterben.
Wie dieses Ideal aussehen mag, bleibt offen. Ideale taugen aber auch nicht dazu, einen Zauber auszuüben, den Mut und die Hoffnung zu schüren. Rituale sind da schon geeigneter. Die Mannschaft der Snowwhite hat es sich angewöhnt, vor jedem Flug gemeinsam auf das Hinterrad ihres Bombers zu urinieren. Wenn man schon angepisst ist, dann kann man es auch selber machen.
Nicht zu früh die Bomben ausklinken, sonst treffen sie Brüssel und nicht Berlin. Und aufpassen, wohin man wirft. Am Ende fliegt die eigenen Leute unter einem und man trifft sie mit den Bomben, die eigentlich für die Deutschen gedacht waren.
Marvano trifft auf jeder Seite mit seinen nüchternen Zeichnungen und seinen Texten die Atmosphäre der Szenerie. Er lässt aus der Sicht eines Piloten erzählen, der um Kühle und Sachlichkeit bemüht ist, aber den Schrecken aus seiner Stimme nicht ganz verbannen kann.
Schließlich lässt Marvano alte Musik spielen, verzichtet auf Erzählung, lässt nur die Bilder sprechen. Mehr braucht es auch nicht. Um Haaresbreite dem Tod entgangen, steigen sie bald wieder auf.
Das Ende muss nicht gezeigt werden. Nach all den Erlebnissen kann sich der Leser ausmalen, dass in einer dieser Situationen das Glück einen anderen Bomber auswählte. Die sieben Zwerge kommen nicht mehr zurück.
Ohne Pathos, beinahe sachlich, berichtet Marvano über das Schicksal dieser Bomber-Crew, die nicht richtig gelebt hatten, als Beispiel für viele andere, die nicht überlebten. Es ist ein Blickwinkel der Sinnlosigkeit all dessen, was sich in einem Krieg abspielt, ohne Tränen erzählt, dafür aber umso trauriger.
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Sonntag, 27. Januar 2008
Ein Mann lebt unter Maries Dach, ein fremder Mann! In der kleinen Ortschaft Notre-Dame, wo jeder jeden kennt, ist dieser ungewöhnliche Gast das Gesprächsthema. Bei den Damen des Ortes, besonders bei den tugendhaften Damen, erzeugt dieser Fremde allerhand Gift und Galle. Da muss der Pfarrer her!
Der gute Pfarrer kann sich sehr bald schon vom guten Geist des Neuankömmlings überzeugen. Serge, so sein Name, ist ein weit gereister Mann, der einen Hauch von Welt in die Wälder Kanadas bringt – aber auch viel Wärme und Menschlichkeit.
Serge hat viel gesehen von der Welt. Europa, den großen Krieg, das zivilisierte Kanada, aber eine solche Idylle ist ihm noch nie begegnet. In einer solch eingeschworenen Gemeinschaft jedoch hat es ein Neuling schwer. Seine große Stunde naht, als es ein Schwein zu schlachten gibt und der verantwortliche Metzger die Arbeit nicht erledigen kann. Serge, von Beruf her Tierarzt, bietet sich an, die Lücke kurzzeitig zu schließen.
Das Schlachten des Schweins wird seine erste Bewährungsprobe, denn ein derartiges Ereignis lockt das gesamte Dorf an. Und wie es sich herausstellt, ist die Schlachtung eines solchen Kolosses nicht leicht. Spätestens als die Sau mit dem Pfarrer auf dem Rücken durchgeht, wird allen Beteiligten klar, dass die Prozedur alles andere als einfach wird.
Weihnachten naht. Marie und Serge laden zum gemeinsamen Weihnachtsschmaus ein. Nicht nur Liebe geht durch den Magen, sondern auch Nächstenliebe. Serge beweist, dass er von seinem Aufenthalt in Paris sehr viel Wissen um eine gute Küche mitgebracht hat. Sehr bald ist es dann so weit. Das erste Restaurant eröffnet in kleinem Rahmen in Notre-Dame. Serge kocht sich regelrecht in die Herzen der Menschen.
Das Nest von Regis Loisel und Jean-Louis Tripp geht in die zweite Runde. Nachdem die Charaktere vorgestellt wurden und der Alltag im Nest bekannt ist, bringen Loisel und Tripp einen Unruheherd in das kleine Dörfchen Notre-Dame – und dieser Begriff passt gar nicht einmal schlecht als Umschreibung von Serge, dem Neuen.
Marie, die Witwe und Betreiberin des einzigen Ladens im Ort, steht natürlich auch im Mittelpunkt eines gewissen Interesses. Zuerst ist es Mitleid mit der noch recht jungen Frau, die nun allein ihr Leben fristen muss. Im Ort selber sollte es für jedermann einsichtig sein, dass aus dem Dorf selbst kein neuer Gefährte kommen kann. Ausgerechnet ein Mann, der eigentlich auf der Durchreise war, beginnt in Notre-Dame Wurzeln zu schlagen – wegen Marie einerseits, wegen der Menschen im Dorf andererseits.
Sehr liebevoll lernt der Leser diese kleine Welt durch die Augen von Serge kennen. Dabei schadet es nicht, den ersten Teil nicht gelesen zu haben. Durch Serge ist alles neu. Für den Leser, der bereits eingeweiht ist, tun sich viele neue Aspekte auf.
Es ist tiefer Winter. Der Schnee liegt knöcheltief, nächtens fallen weitere Flocken zur Erde. Der Winter lässt die Menschen noch enger zusammenrücken. Neben dem Schnee gibt es noch einen Grund zum Zusammenrücken: Neugier. Da kommt ein Fremder gerade recht. Serge jedoch gibt zwar Anlass zu Spekulationen, aber er gibt (eigentlich) keinen Anlass zum Unmut. – Sieht man einmal von den zornigen Blicken der tugendhaften Drei ab, die nur einem männlichen Wesen Respekt zollen: Dem Pfarrer.
Die Beziehungen in dieser Gemeinschaft sind fein ausgearbeitet. Langsam werden die unsichtbaren Geflechte und Grenzen abgesteckt, wird sichtbar, wer welche Rolle im Dorf spielt. Aber die Beziehungen sind locker. Jeder lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster, lässt Freiraum, kurzum ein einigendes Element fehlt. Maries Laden im Zentrum ist ein Treffpunkt, den alle brauchen, doch ein Kern lässt sich nicht ausmachen. Mit Serge ändert sich das.
Wirklich, Serge, das war … Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass man so gut essen kann.
Der Genuss hält Einzug in Notre-Dame und mit ihm werden gepflegte kleine Einladungen ausgesprochen, bei denen der Reihe nach alle Einwohner zum Essen zu Marie und ihrem Gast kommen, der sich zunehmend heimischer fühlt. Es ist den beiden Autoren und Zeichnern in Personalunion zu verdanken, dass sich dieses zelebrierte Kennenlernen beinahe greifen lässt. In jeden Fall greift die Stimmung auf den Leser über. Es ist warm, beschaulich und jene, die schon seit einer halben Ewigkeit in Notre-Dame zu leben scheinen, kommen sich noch einmal näher.
Die Bilder von Loisel und Tripp geben diese Stimmungen perfekt wieder, erinnern ein wenig an naive Kunst, Alltagsstillleben, Szenen des Miteinanders in einer anderen Zeit, weitab von stetig wachsender Zivilisation. Wie gut die beiden aufeinander abgestimmt sind, zeigt sich gleich im Vorfeld der Geschichte. Die Arbeitsphasen der beiden werden einander gegenüber gestellt, zuerst Loisel, dann Tripp, der die Feinarbeit übernimmt. Für die Kolorierung ist Francois Lapierre zuständig. So ergeben sich spannende Mixturen aus Bleistiftvorzeichnung und schönen Farben, in denen die Lichter diesmal eine große Rolle spielen.
Lichter auf den Gesichtern, in der Dunkelheit, zu Weihnachten Wärme ausstrahlend. So entsteht eine perfekte Inszenierung dieser kleinen Welt.
Am Ende, nach einer trefflichen Episode über menschliches Zueinanderfinden, steht der Ausblick auf die weitere Entwicklung. Wenn die Katzen aus dem Haus sind, tanzt die Maus auf dem Tisch. Was mag sein, wenn die Katzen zurückkehren? So liegt über einer heiteren Geschichte auch ein Spannungselement. Erzählungen der Einwohner deuten an, was alles in Notre-Dame passieren kann. Wunderbar gezeichnet und geschrieben, so erzählen sich Loisel und Tripp direkt in das Herz des Lesers. Toll. 😀
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Mittwoch, 28. November 2007
Und Gott sagte: „Es werde Licht.“ Mit ganz einfachen Worten und Sätzen beginnt das Buch der Bücher, wie es auch manchmal genannt wird. Fest steht, dass dieses Buch einen gigantischen Einfluss auf die Geschichte der Menschheit gehabt hat. Aber dieses Buch ist mit Altem und Neuem Testament auch sehr dick. Der Zugang ist dank einer zuweilen rätselhaften Sprache ist nicht unbedingt leicht. Wenigstens Jugendliche werden eher mit Desinteresse auf diese Texte reagieren. Diese Comic-Adaption soll einen leichteren Zugang bieten.
In verkürzten und aussagekräftigen Szenen findet der Leser alles vor, was in der Bibel Rang und Namen hat. Zu jeder Szene gibt es Verweise zur entsprechenden Bibelstelle, wo der Inhalt anschließend vertieft werden kann.
Lassen wir einmal den religiösen Aspekt beiseite und konzentrieren uns nur auf die Handlung. So gesehen, kann sich jeder Genre-Fan nur die Hände reiben, denn die Bibel ist Fantasy pur.
Die Welt wird von einer göttlichen Macht erschaffen. So erzählt Moses seinen jungen Zuhörern. Doch das erste Paar der Menschheitsgeschichte, ebenfalls von Gott geschaffen, fällt auf die Einflüsterungen einer Schlange herein, die fortan ohne Gliedmaßen ihre Zukunft fristen muss. Adam und Eva verlassen den Garten Eden, und damit erwartet den Menschen auch viel Unheil.
Das Alte Testament schlüsselt die Menschheitsgeschichte auf seine ganz eigene Art auf. Die Stammbäume lesen sich manchmal abenteuerlich, die Altersgrenzen der auserwählten Menschen, auf die Gott immer noch ein Auge hat, haben heestersche Dimensionen. Kain und Abel, der Auszug der Israeliten aus der ägyptischen Knechtschaft, die Zehn Gebote, die Geschichte von Josua und in vielen Beispielen mehr – Gott hat es den Menschen nicht leicht gemacht. Hier und da zeigt er sich, belohnt, aber er bestraft auch. Der Gott des Alten Testaments ist ein knurriger alter Mann, der seine Kinder mit fester Hand führen will – man kann schwerlich behaupten, dass es ihm immer gelingt.
Auch ist er ein exklusiver Gott, der Gott eines Volkes, einiger Auserwählter. Den Redlichen steht er zur Seite, belohnt sie manchmal, wenngleich diese Belohnung auch auf sich warten lassen kann und der Weg zum Ziel steinig und voller Entbehrungen bleibt.
Wer die entsprechenden Passagen in der vorliegenden bearbeiteten Ausgabe liest, entdeckt diesen Umstand sehr schnell.
Aber es ist auch eine Geschichte der Hoffnung.
Ebenso deutlich bei der Auswahl der Geschichten um Simson und David und vieler anderer ist die Lebendigkeit. Künstler Siku, in seiner Form als Zeichner und Konzepter, setzt diese Lebendigkeit in Rasanz um. Fluchten und Kämpfe, Schlachten und einstürzende Tempel wechseln sich ab mit der Ruhe glücklicher Zeiten, in denen die Stammbäume fortgeschrieben werden. Der adaptierende Erzähler Akinsiku würzt diese Erzählung hier und da mit dem einen oder anderen sehr fortschrittlichen Satz.
Der Geschichte des Volkes von Israel mit all seinen Höhen und Tiefen folgt eine wirkliche Hoffnungsgeschichte, abgebildet im Evangelium. Entgegen der langen Herkunftsgeschichte geht es hier nur um einen besonderen Menschen und sein Schicksal.
Der Beginn allerdings hält schon ähnlichen Horror bereit, dem sich schon die Israeliten gegenüber sahen. Jedes Kind unter zwei Jahren soll wegen einer Weissagung getötet werden. Aber Josef und Maria, die Eltern eines kleinen Jungen, fliehen. Viele Jahre später begegnet ein junger Mann an einer Wasserstelle Johannes dem Täufer. Der Täufer ist schockiert. Er hat den Sohn Gottes gesehen, jenen Mann, auf den er sein Leben lang gewartet hat.
Die Umsetzung von Jesu Leben ist mangaesk gelöst. Schön ist die räumliche Enge so mancher Informationen, die man als Leser so auf einen Blick präsentiert bekommt. So finden sich die Apostel alle beieinander, aber auch die Gleichnisse werden einfacher gezeichnet, kindlich, denn sie sollen auch in aller Einfachheit eine Wahrheit vermitteln. – Das gelingt auch wunderbar.
Nach der Apostel-Geschichte folgt die Offenbarung des Johannes, die Apokalypse. Letztere wird in aller Kurzform abgehandelt, obwohl sie einen wichtigen Teil der Bibel darstellt. Man kann hier auch von einer dramaturgischen Überarbeitung sprechen, denn nach dem Heil, was Jesus brachte, ist die Düsternis der Offenbarung eigentlich ein Rückschritt in die Düsternis des Alten Testaments.
Die Umsetzung findet in Schwarzweiß statt, skizzenhaften Außenlinien und hellen bis dunklen Rasterflächen. Die Figuren sind sehr schlank, drahtig zu nennen. Fast fühlt man sich an eine Mischung aus der berühmten Es war einmal …-Zeichentrickserie und einer handelsüblichen Animeserie erinnert. Auf eine übermäßige Charakterisierung wird verzichtet. Die Figuren und ihre Gesichter bleiben eher gleichförmig.
Es geht hier um einen Abriss, eine Zusammenfassung eines umfangreichen Buches, der alleine stehen kann, aber nicht sollte. Diese Intention der Macher ist eindeutig und sehr lobenswert. Teile der Bibel wurden auf die unterschiedlichste Weise erzählt, gerade, um die jüngeren Leser an diese Geschichte heranzuführen. Dieser neue Ansatz ist gelungen und überaus modern, vergisst aber auch nie, wo die Wurzeln dieser Geschichte liegen, denn der Respekt vor der Materie ist immer spürbar. 🙂
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Mittwoch, 15. August 2007
Einer lebt, einer stirbt. Doch wenn ein Zwilling stirbt, hat der Überlebende die Kraft von Zweien! Wer vermag zu sagen, ob Elvis tatsächlich als kleiner Junge zusammengeschlagen wurde und danach die Worte ausrief: Eines Tages werdet ihr euch dafür schämen!
Elvis fand schnell den Weg zur Musik. Es begann mit dem Gospel, der schwarzen Kirchenmusik und Lobpreisung Gottes, die so ganz anders war als der übliche Kirchengesang. Es war diese Musik, die Elvis einen Weg eröffnete, wie ihn nur wenige Menschen finden. Wenig später, noch ein Kind, wagt sich Elvis an seinen allerersten Auftritt. Der zweite Platz eines Gesangswettbewerbs, fünf Dollar und freie Fahrt auf allen Karussells sind der Lohn für seine Mühen. Zu seinem elften Geburtstag bekommt der Junge seine erste Gitarre geschenkt.
Elvis hat sich den Traum vom Glanz eines Sängers in den Kopf gesetzt. Ein Sänger braucht das richtige Outfit. Aber ein ansprechendes Erscheinungsbild hat seinen Preis – den Elvis nicht bezahlen kann. Es trifft sich, dass so mancher in Elvis etwas entdeckt. So auch Mr Lansky, der Elvis mit einigen guten Kleidungsstücken weiterhilft: Der Junge hat was. Von dem werden wir noch ne Menge hören oder er fällt gewaltig auf die Schnauze.
Mr Lansky hatte mit beidem Recht.
Anders als die anderen! In einer Zeit der Vorurteile war es für Elvis ein Glück, dass es einen Plattenproduzenten gab, der einen Weißen suchte, der klang wie ein Schwarzer. Bald ist es soweit. Die erste Single sitzt. Mr Lansky, der Herrenausstatter, bekommt alle Hände voll zu tun, diesmal auch gegen sofortige Bezahlung. Elvis’ Aufstieg beginnt. Der Colonel tritt in Elvis’ Leben. Der Mann hinter dem zukünftigen King legt einen Grundstein, aber auch einen Stein, der alles andere ins Rollen bringt. Elvis wird Schauspieler. Elvis kauft Graceland. Elvis kauft und verschenkt Caddys. Als die Army ruft, hat Elvis einen der Höhepunkte seines Lebens erreicht. 1958 wird er einberufen, er ist 23 Jahre alt. Die Folgezeit seines Armeedienstes ist tragisch und glücklich zugleich. Seine von ihm sehr geliebte Mutter stirbt. Aber er lernt in Deutschland auch seine spätere Frau Priscilla kennen.
Schließlich wird es immer kälter um Elvis. Seine spendable Art lässt nicht mehr erkennen, wer sein wahrer Freund ist und wer nicht. Mit dem Zusammenbruch seiner kleinen Familie beginnt ein unaufhaltsamer Abstieg, der nur durch einige wunderbare Glanzlichter unterbrochen wird. Am 16. August 1977 stirbt Elvis Presley, der King, doch er stirbt nicht wirklich, denn seine Musik macht ihn unsterblich.
30 Jahre nach seinem Tod erscheint nun die Die illustrierte Biografie von Elvis, die einige wichtige Episoden seines Lebens zusammenstellt. Unter der Federführung von Reinhard Kleist und Titus Ackermann haben verschiedenste Zeichner ihren Beitrag geleistet, um einen Teil von Elvis’ Leben zu Papier zu bringen. Bela B., Ärzte-Rocker mit langjährigem Hang zum Comic, schrieb das Vorwort zu diesem Projekt.
Die gestalterische Auswahl, die sich dem Leser hier präsentiert, wird wahrscheinlich nicht jedem gefallen. Zu unterschiedlich fallen die Ergebnisse der einzelnen Episoden aus. Einige haben einen schon kindlichen Zeichencharakter, andere sind in höchstem Maße ausgefeilt und können entweder als Comic oder als professionelle Illustration bestehen. Als Leser ist es ratsam, die Bilder stets mit dem jeweiligen Alter von Elvis in Verbindung zu bringen. Nimmt man sich vor, die Bilderwelt mit dem Zusammenhang in Beziehung zu setzen, lernt man außerdem ein Gefühl für Elvis’ Welt und Zeit kennen.
So gestaltet sich Elvis’ Kindheit eher simpel. Die Erinnerungen sind schlicht und entsprechen dem Gemüt eines Kindes, wie auch seinen Fähigkeiten, sich auszudrücken. Es ist eine eher graue Welt mit nur wenigen Farbtupfern, aus der Elvis spätestens mit einer knallroten Jacke ausbricht – in Farbe und Schnitt ein Kleidungsstück, das auch dem Rebell James Dean zum zeitweiligen Idol-Status verhalf.
Holzschnittartig, eher düster, eine Zeit der Plackerei, so zeigt sich der Weg bis zu Elvis’ Durchbruch, bevor seine wahrscheinlich beste Zeit anbricht.
Reinhard Kleist gestaltet die gelungenen Abschnitte um den G.I. Blues und Das Elvis-Produkt. Grafisch in höchstem Maße perfekt ausgeführt und mit außerordentlicher Wärme gezeichnet ist die Episode Der Colonel von Thomas von Kummant. Es ist die Zeit, in der Elvis strahlt und sein Lächeln die Menschen in seiner Nähe schlicht umhaut. Es ist die Zeit des Aufbruchs, eines grenzenlosen Tatendrangs, eine Zeit, von der Elvis immer geträumt hat. Kummant trifft den Ton dieser Zeit absolut.
Isabel Kreitz widmet ihre Episode der Zeit nach Elvis’ Militärdienst. Seine ersten Auftritte, seine Zweifel, ob das Publikum ihn noch will – in einer Art Stil, der an Bernie Wrightson erinnert, ihn aber nicht erreicht.
Schließlich geht Elvis’ Leben in eine Art Schussfahrt über. Die Episoden werden brutaler. Elvis ist Emotionalität pur, aber so überschäumend, dass er die kleinen, die wichtigen Gefühle übersieht. Glaubt man der Biografie, so bringt er auf diesem Weg seine Ehe zu Fall, die ihm doch den wichtigsten Halt nach dem Tode seiner Mutter gegeben hat.
Je näher Elvis dem kommt, was er sich immer gewünscht hat, umso abstrakter wird sein Leben – auch optisch. Am Ende bleibt nur ein Zerrbild. Da ist nichts Schönes mehr, nicht in seiner Musik, nicht in seinen Auftritten. Elvis ist zur Maschine geworden, die als Treibstoff Tabletten einwirft. Uli Oesterle und Frank Schmolke karikieren und demontieren den King, der sich selbst nicht mehr im Griff hatte und die Realitäten nicht sehen konnte. Selbst als der Colonel ihm die Pleite vor Augen hält, will der King sich der Realität nicht stellen.
Es stellt sich der Eindruck ein, dass diese Biografie auch ein Urteil fällt. Man mag einige Bilder nicht mögen, andere lieben, im Kontext jedenfalls sind sie passend und aussagekräftig. Ein aufregendes und tragisches Leben in Episoden, die es in sich haben. 🙂
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Donnerstag, 02. August 2007
Was ist nur aus dem guten alten Wilden Westen geworden? Spirou und sein Freund Fantasio sollen genau das in Erfahrung bringen. Doch in den Vereinigten Staaten angekommen scheint es von der Wildwest-Romantik keine Spur mehr zu geben.
Ein findiger Mann, der die enttäuschten Gespräche der beiden belauscht, fasst einen Plan. Die beiden jungen Männer wollen den Wilden Westen kennen lernen? Sie sollen ihn bekommen! Gleich am nächsten Tag bringt eine althergebrachte Postkutsche die beiden Freunde in die Prärie. Nicht lange danach wartet schon der erste Überfallversuch auf sie. Ehe sich die beiden versehen, haben sie mehr vom Wilden Westen, als ihnen lieb ist.
Wie bringt man einen Leser dazu, sich zu bewegen? Eines Abends kommt Spirou nach getaner Arbeit nach Hause. Er sehnt sich nur nach Gemütlichkeit, doch wenig später hängt er schwebend unter der Decke seines Wohnzimmers. Fantasio, wütend darüber, an diesem Abend gestört zu werden (weil eine Halskrause seinen schmerzenden Hals nur ungenügend schützt), macht sich auf den Weg, um Spirou zu helfen. Bei diesem Problem ist er allerdings auch machtlos.
Kurzzeitig scheint wenig später alles wieder in Ordnung zu sein, doch mitten in der Nacht geschieht es: Spirou schwebt schlafend an die Decke.
Spirou und die Froschmänner ist ein Abenteuer, das die beiden Freunde an die Küste führt. Fantasio gibt den forschen Kapitän und Steuermann. Ihre erste Küstenrundfahrt bringt sie prompt in Schwierigkeiten. In einer abgelegenen Bucht versagt plötzlich der Motor. Die Lady, die ihnen als Fahrgast vertraute, ist maßlos von den Fertigkeiten der beiden Freunde enttäuscht. Auch Fantasios loses Mundwerk stößt bei ihr auf keinerlei Begeisterung. Mit ihrer Schlagfertigkeit hat Fantasio nicht gerechnet.
Schmuggel beschäftigt die beiden Freunde im Rahmen einer Reportage über Rauschgifttransporte, die regelmäßig von dubiosen Figuren über die Grenze vorgenommen werden. Spirou und Fantasio machen sich ans Werk. Aber bei der Polizei ist man überhaupt nicht begeistert von ihrer Tatkraft. In zwei Tagen wollen die beiden den Fall gelöst haben, an dem die Polizei sich die Zähne ausgebissen hat? Das kann nicht sein!
Spirou im Wilden Westen ist eine Reise zurück in der Zeit, als eines der bekanntesten Duos – nein, Trios, denn Pips war auch schon dabei – also, Trios noch in den Anfängen steckte, aber nicht weniger aufregende Abenteuer erlebte als heutzutage. In frischer Farboptik darf der Leser die Anfänge von Fantasio miterleben, der von Zeichner Joseph Gillain aus der Taufe gehoben wurde. Zwischen 1940 und 1946 betreute er die Reihe um die beiden ungleichen Helden (um die drei natürlich). Die Bilder wurden erneut mit dem Computer bearbeitet, so dass die Farben frisch und extrabunt erstrahlen.
Wer sich ein wenig in den Zeichnungen der 40er Jahre auskennt, kann sich ein sehr gutes Bild davon machen, wie die Bilder von Spirou und Fantasio zu jener Zeit aussahen. Das Grundkonzept ist heute noch erkennbar, natürlich auch durch die spätere Betreuung durch Franquin. Gillain oder auch Jijé, wie der Zeichner in Kurzform genannt wird, gibt den beiden Helden eine deutlich kompaktere, massigere Form. Ihre Gliedmaßen sind nicht derartig spindeldürr, wie es von Franquin bekannt ist. Hals und Kopf machen bei Gillain manchmal den Eindruck, als gingen sie nahtlos ineinander über. Diese Unausgewogenheit wurde in späteren Jahren komplett entfernt. Aber vor den Zeichnungen der Zeit treffen die Bilder von Gillain voll ins Schwarze.
Der Aufbau der Seiten ist häufig klassisch durchstrukturiert mit drei oder vier Bilder pro Zeile und fünf Zeilen pro Seite. Das Format ist dem der üblichen Zeitungsstrips sehr ähnlich. Wer es einmal genau beobachtet, wird sehen, dass es am Ende jeder Zeilenfolge einen kleinen Clou, einen kleinen logischen oder witzigen Schluss. So erzählen zu können, ist eine kleine Kunst, weil es stets eine hohe Aufmerksamkeit des Autors erfordert. So betrachtet, ist Spirou im Wilden Westen nicht nur die Neuauflage eines Klassikers, sondern auch ein Lehrstück über die Grundlagen der (französisch-belgischen) Komödie.
Dieser Humor findet sich später nicht nur in den guten alten Louis de Funès-Filmen, sondern scheint immer noch die Vorgabe der Abenteuer von Spirou + Fantasio zu sein. – Vielleicht es sogar das Geheimnis ihres Erfolgs. Humor ist manchmal gleichbedeutend mit Slapstick. Wenn sich der Beiwagen des Motorrades löst, der Kommissar wild protestierend mit dem Helm auf dem Kopf in die Büsche schießt, dann ist das immer für ein Schmunzeln gut.
(Der Angler, dem hier ein Modellflugzeug an den Haken gerät, könnte ein Vorläufer von Rummelsdorf gewesen sein.)
Neben dem Humor finden sich natürlich auch Spannung und Rätsel. Besonders in den Folgen über den Wilden Westen, in den Abenteuern um die Froschmänner und den Schmuggel wird dies deutlich. Der Aufbau, der sich später auf Albenlänge findet, ist hier bereits in allen Einzelheiten vorhanden.
Spaß und Spannung am laufenden Band in diesen vier Episoden des vorliegenden Bandes. Spirou im Wilden Westen, das ist Cartoon-Unterhaltung in Reinkultur. Es hat den Anschein, als hätten alle die danach kamen, nur von den beiden Helden abgeschaut und Variationen abgeliefert. Fans kommen an den Urvätern der Cartoon-Abenteuer-Comedy nicht vorbei. 🙂
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