Freitag, 31. Oktober 2014
Es war einmal ein Page, der zu einer herausragenden Comic-Figur wurde. An der Seite seines Freundes Fantasio erlebte dieser ganz in roten Stoff gewandete Spirou die unglaublichsten Abenteuer. Und so richtig groß begann alles mit einer Erbschaft. Doch zuvor waren die kleinen Geschichten, zu denen Jije den Grundstein legte und nachdem das Fundament stand, übergab er die Zeichenfeder an Franquin. Diesen Wechsel konnten die Leser anhand des vollendet kopierten Strichs zunächst nicht einmal bemerken. Zurück zur Erbschaft, im wahrsten Sinne des Wortes: Franquin, der am Beginn seiner Zeichnerkarriere war, machte die Figuren Spirou, Fantasio und das Eichhörnchen Pips zu den seinen.
Wie wird es enden? Die Frage lässt sich zu Beginn eines dieser alten Abenteuer nicht beantworten. Einzig lässt sich mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit vermuten, dass es gut ausgehen wird. Denn auf Fridolin, wie Spirou hierzulande auch einmal in längst vergangenen Tagen hieß, warteten noch weitere Geschichten. In der Mitte der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts schwang noch ein durch schwarzweiße Slapstick-Streifen inspirierter Humor in Spirous Abenteuern mit durch. Es fällt nicht schwer, in den gummiartigen Verrenkungen der Figuren die schlaksigen Bewegungen eines Tramps mit Bowler und Spazierstock wiederzuentdecken.
Alles geht! Radar, der Roboter ist ein weiteres Beispiel für die Goldgräberstimmung jener Tage. Alles konnte ausprobiert werden, Geschichten entstanden wie aufs Geratewohl ersonnen. Ein weitaus weniger breites Spektrum, als es heutzutage vorhanden ist, ließ größere Spielräume. Die Abenteuerlichkeit, mit der Spirou und Fantasio nicht nur mit einem verrückten Wissenschaftler, sondern auch mit seiner Kreatur, Radar, konfrontiert werden ist maßgeblich für die gesamte Reihe geworden. Denn der Grundgedanke, Alles geht!, zieht sich bis heute durch Handlungen.
Aufregung, Aufregung, Aufregung! Diese ist ein besonderes Merkmal der Geschichten jener Tage. Ein wenig Ruhe, Zwischenentspannung, ist sehr selten. Bei den Abenteuern auf Albenlänge dringt der episodenhafte Charakter der einzelnen Abschnitte durch. Ein Höhepunkt jagte den nächsten. Das legte sich bereits etwas in Spirou bei den Pygmäen. Der Humor kümmerte sich damals, wie heute sicher einige bemängeln werden, nicht um Political Correctness.
Das Album Spirou im Wilden Westen konnte hingegen fröhlich mit den Vorurteilen spielen, ohne dass es jemanden stören musste. Wo im alten Europa die Kultur die Zivilisation fest im Griff hatte, herrschten in Amerika abseits der großen Städte noch die rauen Sitten des Wilden Westens. Franquin konnte auf den Spuren von Jijes Western-Erzählungen wandeln, den, aus heutiger Sicht, Western von gestern einfließen lassen. Betrachtet man sich einzelne Szenen, darf der Cineast sich fragen, ob hier nicht auch ein Robert Zemeckis für den dritten Teil der Zurück in die Zukunft Trilogie in dieses Abenteuer gespinkst hat. Oder so manches gehört vielleicht schon zu den Urtümlichkeiten eines Westerns, ist Allgemeingut geworden. Franquin hat zu seiner Verbreitung sicherlich einiges beigetragen.
Schmuggel, so der Titel der letzten in der ersten Gesamtausgabe vorliegenden Episode, zeigt eine deutliche Veränderung im Vergleich zu den ersten Schritten von Spirou unter Franquins Feder. Die Proportionen der Figuren werden noch genauer aufeinander abgestimmt, die Zeichnungen wirken weniger zappelig als in den Anfangstagen. Bis in die kleinste Nebenfigur hinein wird auf ein stimmiges Äußeres geachtet. Die Choreographie der Slapstick-Szenen wurde perfektioniert ( Stichwort: Motorrad verliert seinen Beiwagen, samt Mitfahrer).
Die Anfänge eines Zeichners, eine Entwicklungskurve, die stetig nach oben weist. Ein interessantes Werk Comic-Geschichte, schöne Comic-Abenteuer aus der Frühzeit einer Figur, die den Comic-Markt erobert hat, wie nur wenige es geschafft haben. Franquin zeigt, wie fein ein Künstler zu arbeiten versteht, wenn aus einem Lehrling langsam ein Meister wird. Toll! 🙂
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Freitag, 23. Mai 2014
Da werden Hecken in Form geschnitten. Ach, was?! Form?! Das sind Kunstwerke! Ein Gartenzwerg auf dem Rasen ist im Vergleich wenig repräsentativ. Und Donald Duck möchte doch gerne ein wenig mithalten. In Zeiten des Internets sind schnell ein paar passende Schnitte für einen großen Busch gefunden, aber so richtig überzeugend sind die Muster noch nicht. Dann hat Donald den passenden Einfall. Ein Elefant soll es sein, hoch aufgerichtet und in Trompeterpose. Der Erpel macht sich ans Werk. Es gelingt sogar, aber leider hat er nicht lange Freude an seinem Ergebnis.
Donald Duck ist kein Verlierer. Donald Duck ist ein Kämpfer. Von einer Pechsträhne lässt er sich am Ende nie unterkriegen, steht immer wieder auf, wenn er zu Boden geht. Das Leben (oder besser seine gemeinen Autoren und Zeichner) legt ihm einen Stolperstein nach dem anderen in den Weg, aber Mut und sogar Erfindungsreichtum treiben ihn stets aufs Neue voran. Hier muss irgendwo das Geheimnis dieser Figur zu finden sein, die 1934 in dem Trickfilm The Wise Little Hen ihren ersten Auftritt hatte. 80 Jahre ist das nun her und kaum eine Comic-Figur oder Zeichentrickcharakter kann auf eine derart lange Laufbahn zurückblicken. Donald Duck muss im Leben wie im Geschäft (auch das ist Comic) ein Erfolgsmodell innewohnen.
Die Sonderausgabe zum Geburtstag des Erpels versammelt einige sehr gute Interpreten von Donald Duck. Das Grundmodell ist immer gleich, doch haben viele der Ente ihren eigenen optischen Stempel aufgedrückt, kamen die Zeichner nun aus den Vereinigten Staaten, aus den Niederlanden oder Italien. Carl Barks, Al Taliaferro und Marco Rota (meine persönlichen Favoriten) sind ebenso vertreten wie Don Rosa, Daan Jippes oder William van Horn, die sich einer großen Fangemeinde erfreuen dürfen. Doch der Zeichner steht nicht im Mittelpunkt, sondern der Jubilar.
Die Geschichten bilden einen guten Querschnitt des erpelschen Lebens, zeigen sie nicht nur die viel beschworenen Pechsträhnen, vielmehr beschäftigen sie sich auch und gerade mit den Situationen, in denen Donald Duck nicht nur über sich selbst hinauswächst und mit anderen in Konkurrenz tritt. Wenn er nicht eben Mut beweist, legt sich Donald auch gerne an. Vorzugsweise mit Onkel Dagobert, aber auch mit den Oberen Zehntausend. Auf einer Festveranstaltung, zu der er fälschlicherweise eine Einladung erhalten hat, will er beweisen, dass er mit der gleichen Lebensart ausgestattet ist, die auch die Reichen und Schönen infernalisch verbreiten. Mut zeigt sich in jenen Szenen, da er als Fensterputzer auf einem Wolkenkratzer arbeitet oder seinen Hund Bolivar über Stock und Stein trägt, damit dieser eine Arbeit macht, zu dem das Tier gar nicht in der Lage ist. Keine Frage, wer diesen Job am Ende tatsächlich bekommt.
Ob ein Verlierer ein Multitalent sein kann? Wohl kaum einer würde diese Frage mit Ja beantworten, erhöhen die Fähigkeiten doch auch die Chancen für einen oder mehrere Erfolge. So verwundert es, wenn Donald Duck auf den ewigen Loser reduziert wird, obwohl der Erpel es schafft, sich in kurzer Zeit auf immer neue Lebenslagen einzustellen. Als Jockey oder Autorennfahrer, Abenteurer sowieso oder als findiger Ideengeber in einem Unternehmen zur Herstellung von Margarine.
Ewiges Leben? Erwachsen auf die Welt kommen und nach 80 Jahren immer noch so jung aussehen wie am ersten Tag? Das kommt diesem Zustand schon recht nahe. In Für immer jung von Marco Rota geht Donald Duck auf die Suche nach der Quelle der fast ewigen Jugend und unternimmt gleichzeitig eine Art Zeitreise, da es ihn in ein Tal verschlägt, wo sich die Bewohner weder vom Fleck bewegt, noch sonderlich weiterentwickelt haben. Marco Rota hält sich stilistisch an althergebrachte Vorbilder, gerade seine Nebenfiguren haben sich eine äußere Erscheinung bewahrt, die stark an die großen Tage des Zeichentrickfilms wie auch einer Comic-Zeit erinnern, die Jahrzehnte zurückliegt. Ebenso schön, etwas moderner im Strich, akurater, aber in deutlicher Anlehnung an seine Vorgänger gerät Die Margarine-Hotline des Norwegers Arild Midthun und zeigt auch, wie gut sich der Humor von Donald Duck in die Gegenwart überträgt.
Für jeden etwas dabei: von purer Slapstick, rasant und krachend (im wahrsten Sinne des Wortes) bis fein, liebevoll, mitfühlend und intelligent. Donald Duck ist ein Tausendsassa, der für jeden eine Charaktereigenschaft bereithält und dem, keine Überraschung, man seine 80 Jahre nicht anmerkt, ganz gleich wie alt die jeweilige Geschichte ist. 🙂
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Sonntag, 01. Dezember 2013
Da ging der Maulwurf spazieren. Alles stimmt. Das Wetter ist schön, die Leute sind freundlich und mit Ratte ist sogar bald ein neuer Freund gefunden. Wer hätte gedacht, dass das Leben so schön sein kann? Ein kleiner Ausflug am Fluss bringt neue Bekannte wie den Otter oder den Dachs, der allerdings ein wenig brummelig ist und gerade keine Gesellschaft will. Der Kröterich kommt vorüber und wird zum Gesprächsthema. Er hat eine neues Ruderboot, nur hat er keine Geduld. Alles muss sofort funktionieren und auch beherrscht werden, sonst kann Verzweiflung oder ein Wutanfall folgen. Beides hält jedoch nie lange an.
Eine Welt voller kleiner (und großer) Wunder: Der Wind in den Weiden. Eine Ratte, ein Maulwurf, ein Dachs und, ganz besonders wichtig, ein Frosch gehören zu der Riege der Darsteller in dem sicherlich unsterblichen Roman von Kenneth Grahame. Es ist eine Welt der Gefühle und Freundschaften, der Leidenschaften. Die Geschichte beschreibt das Leben in all seiner Fülle. Die Umsetzung durch Michel Plessix, zuerst in Einzelgeschichten zwischen 1996 und 2001 erschienen, gehört zu einem Paradebeispiel wie gelungen eine Comic-Umsetzung einer literarischen Vorlage sein kann (und sein sollte). Da er sich eng an den Roman von Kenneth Grahame hält, war ein Scheitern der Adaption nur noch rein grafisch möglich, aber Michel Plessix kann mit seinem märchenhaften Zeichenstil, einer phantastischen Kolorierung auf ganzer Linie überzeugen.
Auftritt: die Ratte und der Maulwurf. Der kleine dicke Maulwurf ist ein kleiner, dicklicher, auch etwas ängstlicher Vertreter seiner Zunft. Mit Abenteuern hat er wenig am Hut, gerne von zu Hause weg ist er auch nicht. Die Ratte hingegen verbringt gerne den Tag draußen an der frischen Luft, jahreszeitlich ungebremst und reißt den Maulwurf mit. An der Seite des neuen Freundes lernt der Maulwurf noch mehr Freunde kennen und hört, bevor er ihn überhaupt zu Gesicht bekommt, einige seltsame, wenn auch freundliche Geschichten über den Kröterich.
Der Kröterich ist der heimliche Held aus Der Wind in den Weiden. Er ist der wahrhaft abenteuerliche Charakter, oft besinnungslos mitgerissen von seinen jeweils neuen Interessen. Technik, Beweglichkeit, Innovationen, aber auch Kultur und Stil haben es ihm angetan. Die Begeisterung, die der Kröterich immer aufs Neue aufbringt, regt zum Schmunzeln an, zum Lachen, vor allem, da Michel Plessix mit dieser Figur noch ein Stück mehr gelingt, sie zu personifizieren, figürlich zu charakterisieren. Durchweg verwendet er nur feine, dünne Striche im Zusammenspiel mit einer seidenweichen, aquarellartigen Kolorierung. Details werden in der reinen Tuschearbeit ebenso beachtet wie in der Farbgebung.
Aber zurück zum Kröterich, der sehr früh vorgestellt wird, aber auch erst zur Mitte hin verstärkt in den Fokus rückt. Aus der tollen ländlichen Umgebung heraus, in der sich die Tiere hauptsächlich bewegen, bricht der Kröterich in die Welt der Menschen aus, wird sogar angeklagt und muss in einer aberwitzigen Verkleidung fliehen. Sind die meisten Tiere für eine heitere, auch irgendwie romantische Atmosphäre gut, steht der Kröterich für Klamauk und bietet die Grundlage für optische Gegensätze. Das Land könnte zu jeder Seite Ansichten von idyllisch anmutenden Postkartenmotiven entsprungen sein. Die Stadt hingegen ist zwar sauber, allerdings eng, gedrängt, überfüllt, hektisch. Und diese Hektik wird durch die Clownerie des Kröteriches noch einmal befeuert.
Sehr schön ist das warme Farbenspiel in Der Wind in den Weiden. Die putzigen Figuren werden hierdurch noch einmal putziger und es ist auch ein Zeichenstil wie auch Farbgebung, die sich amerikanischen Vorbildern verschließt, aber nicht automatisch europäisch zu nennen ist. Es ist eher eine klassische Illustration, die eigene Figuren entwirft, trefflich herausarbeitet, so dass mit den figürlichen kleine Schauspieler entstehen, die dank Michel Plessix hervorragend in der Lage sind, unterschiedlichste Emotionen zu transportieren. Nur so kann Der Wind in den Weiden optisch funktionieren. Im Comic-Bereich wollen vergleichbare Werke regelrecht gesucht werden, jedenfalls solche, die auch eine tatsächliche Erzähltiefe besitzen.
Ein Wort: fantastisch. Eine vorbildliche Comic-Adaption von einem Meister seines Fachs höchst liebevoll, illustriert. Perfekte Unterhaltung, ob nun als Roman oder Comic gelesen. 🙂
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Donnerstag, 21. Februar 2013
Niemand will Benni glauben. Er ist ja noch Kind. Erwachsene glauben Kinder keine Räuberpistolen. Allerdings erzählt Benni keine Märchen. Die Taxifahrer aus den roten Taxis sind allesamt Ganoven. Aber Benni ist nicht irgendein Junge. Er hat besondere Fähigkeiten, die es ihm erlauben, die Finsterlinge an der Nase herumzuführen. Als sie ihn fangen wollen, führt er sie nach allen Regeln der Kunst an der Nase herum. Das löst aber das eigentliche Problem nicht. Denn er will ja Herrn Piepke helfen, der noch ein ganz altmodisches Taxi fährt und dessen Existenz durch die rote Konkurrenz massiv bedroht wird.
Wenn Comics wieder auftauchen, an die man sich aus seiner eigenen Kindheit erinnern kann, dann fühlt man sich nicht alt, sondern gleich viel jünger. Als Peyo den kleinen Benni Bärenstark ins Comic-Leben holte, wandelte er auf ähnlichen Spuren wie einige der bekannten Kinderautoren von einst, die in die Herzen ihrer Leser schauen und ihre Wünsche nach Abenteuern erkennen konnten. Nach Geschichten für Kinder setzte er hier eine schöne Idee Kindern um: Benni Bärenstark. Ein kleiner Junge mit schwarzer Schirmmütze, blauem Schal, weißem T-Shirt, rotem Jäckchen, kurzer schwarzer Hose und Straßentretern, da Turnschuhe sich im Straßenbild noch nicht so durchgesetzt hatten.
Benni war nicht nur Bärenstark, er war auch pfiffig. Er war schnell und geschickt. Eigentlich war er in vielerlei Hinsicht schlauer als die Erwachsenen. Als die Ganoven, die er in seinem ersten Band Die roten Taxis zur Strecke bringt, sowieso. Das sind beileibe nicht alle seine besonderen Fähigkeiten. Und einen Nachteil besitzt er auch. Ein Schnupfen beraubt ihn seiner Kräfte. Man könnte auch sagen, Bazillen sind Bennis Kryptonit. Peyo setzt diese Schwäche gezielt ein, natürlich für Benni stets im falschen oder auch schlechtesten Moment. Aber das muss auch so sein, denn ansonsten wäre es für den kleinen Helden allzu leicht.
Problematisch sind auch die kleinen Missgeschicke, die Benni geschehen, wenn er seine Kräfte einmal öfter unterschätzt. Eine Pflastersteinstraße muss darunter leiden oder auch ein Schokoladenautomat. Da geht bei aller Vorsicht etwas zu Bruch. Peyo erzählt seine Geschichte (und zeichnet sie ebenso) derart liebevoll, wie es im Vergleich von diversen Märchenverfilmungen oder auch Kinderserien jener Tage her bekannt ist. Thematisch ist es sicherlich ganz anders, doch das Einverfühlungsvermögen, auch die Begeisterung der Erzählers ist hier auf ähnliche Weise spürbar.
In den Zeichnungen wird selbstverständlich auch die Komödie sichtbar. Mit exaktem Strich eröffnet sich eine Comic-Welt, die äußerlich parallel selbstverständlich zu den Schlümpfen existieren könnte (und nachweislich im Kino die Neuzeit erreicht haben). Einfache Formen bilden die Figuren, aber ungeheuer effektiv in ihrer jeweiligen Endversion. Sie haben auch nichts von ihrer Modernität verloren. Nachdem dieser Stil zwischenzeitlich einmal aufgeplustert werden sollte, sind die Comic-Künstler wieder auf der Spur der alten Meister wie eben Peyo. Hier ist, um es einmal so zu nennen, zeitloses Design entstanden.
Wer nun glaubt, die Geschichte Dir roten Taxis bliebe auf städtisches Flair beschränkt, sieht sich durch einen kleinen Kniff Peyos getäuscht. Plötzlich sind die Charaktere reif für die Insel und für Benni beginnt eine kleine Odyssee. Das ist schön fürs Auge und für Kinder abwechslungsreich, unvorhersehbar und spannend, denn genau so funktionieren die Abenteuer für die Kids heute noch. Auch wieder: zeitlos.
Peyo hatte ein feines Händchen für Kindergeschichten, die allerdings auch von Junggebliebenen und Comic-Fans immer noch gelesen werden können. Die Aufmachung ist fein, das Leseerlebnis sehr schön. Ein Klassiker, vollkommen zu recht. 🙂
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Dienstag, 30. Oktober 2012
Es war einmal: Yps. Für viele Kinder, Verzeihung, heutige Erwachsene und Junggebliebene, war die Comic-Zeitschrift ein wesentlicher Bestandteil dessen, auf das man sich freute. Auf die Comics, die Gimmicks, den Spaß allgemein. In der Flut späterer Veröffentlichungen ging Yps irgendwann unter, die Interessen der Kids in der medialen Landschaft verschoben sich und so war dem Magazin das Ende beschert. Doch so ganz gehen sie ja nie und manche kehren zurück. Manchmal mehrmals.
Yps ist nun wieder da, in neuer Form, mit einem wehmütigen Blick zurück und mit einem zweiten Blick nach vorn. Die neue Publikation betrachtet die Vergangenheit nicht nur in Form dessen, was seinerzeit als Comics in Yps erschien oder als Gimmick beilag. Es schaut auf die Technik von damals, die Autos selbstverständlich, die Computer oder auch Sportidole wie Michael Groß, den dreimaligen Goldmedaillengewinner. Liegen auch wieder einmal die Urzeitkrebse als Gimmick bei, ist die Zielgruppe doch erwachsen und soll mehr informiert als unterhalten werden. Themen von einst sind entsprechend aufbereitet, auf neueren Stand gebracht. Ob Dinos, Agenten oder Zaubertricks, allesamt Themen, die auch über ihre Gimmicks große Beliebtheit erlangten, die Herangehensweise erinnert ein wenig an Wissen macht Ah! für Erwachsene.
Comic ist, wenn man trotzdem lacht, könnte man sagen und so greifen die neuen Comics in Yps den kurzen, bebilderten Witz, den Sketch auf, rund um das Thema Mann und Familie. Aber auch bekannte Cartoon-Größen wie Ralph Rute und Joscha Sauer haben ihren Beitrag. Aber da es auch um einen Blick zurück geht, werden auch verschiedene Beiträge von einst behandelt. Interessant hierbei ist die Metamorphose eines Kängurus. Viele Comic-Figuren durchlaufen, wenn sie eine entsprechende Laufzeit schaffen, eine Verwandlung, eine Modernisierung. Comic-Fans kennen solche Veränderungen von Asterix oder Micky Maus, aber auch Yps, das Magazinmaskottchen, ist davon betroffen. Letztlich lässt sich sagen, dass Comic-Charaktere auf die Dauer meist runder, fluffiger werden. Auch Yps, das Känguru, macht da keine Ausnahme.
Sehr schön ist Zombillenium, ein zeitgemäßer Comic zum Thema Monster. Der Start macht neugierig und fügt sich in das moderne Konzept ein, atmet aber ebenfalls ein wenig den Geist früherer Ausgaben (man erinnere sich nur an die Vampirzähne).
So wie das Känguru älter geworden ist, so sind es auch die Leser und das Alter, das Älterwerden, ist ein Thema, das zwischen den Zeilen mal mehr, mal weniger stark hervorblinzelt. Beispielhaft hierfür sind das Interview mit Michael Groß, der Artikel von Rüdiger Nehberg, sogar das Satzkomplettierspiel mit Maddin Schneider. Rückblicke und das Sinnieren über Alter und Veränderungen sind notwendig, auch gut, können aber auch zu viel des Guten sein. Zu viel Rückblick sieht zu kurz nach vorn.
Spaß macht es. Wir wurden nicht vergessen, könnte die Antwort auf die geheime Frage lauten, warum jetzt ein neues, ein anderes Yps erscheint. So sind die kleinen Zaubertricks, hier erläutert (leider ohne Gimmick) nachahmenswert und sollten, bei fachgemäßer Anwendung, auf der nächsten Party, vielleicht einem Koch-Event (vielleicht zusammen mit einem viereckigen Ei) für Auflockerung sorgen.
Ein jugendliches Magazin für Erwachsene, ein Anheizer auf kommende Ausgaben, der noch austestet, wo aktuelle Interessen liegen, der mit Rückblicken kleine Tränchen produziert und versucht die Brücke zur Neuzeit zu schlagen, gleichzeitig zeigt, welche guten Konzepte es in der Vergangenheit für Kinder gegeben hat.
Dienstag, 21. Dezember 2010
Diese Söldner führen nichts Gutes im Schilde. Trotzdem führt sie Mariotte, die eben noch von den anderen Gedemütigte, sie auf den rechten Weg und ebnet ihr Leben für das Verderben. In ihrer jugendlichen Einfalt mag sie nicht so recht begreifen, etwas Schlimmes getan zu haben. Das ändert sich, als sie das Dorf betritt. Die Söldner haben ganze Arbeit geleistet. Alles ist zerstört. Die Leute sind tot, regelrecht abgeschlachtet, die Frauen vorher vergewaltigt. Nur einer hat überlebt, einer, dem es Mariotte am wenigsten gönnt: Anicet. Und doch wird sie sich ausgerechnet mit ihm über eine lange Zeit hin zusammenraufen müssen.
Dieser Krieg, sagt man, dauerte hundert Jahre. Mit diesen Worten begann Francois Bourgeon (Reisende im Wind) eine der eindringlichsten Mittelaltererzählungen, die es im Bereich des Comics gibt. In 1. Band der Gefährten der Dämmerung finden sich die Leser zusammen mit den drei Hauptfiguren Im Zauber des Nebelwaldes wieder. Nach einer Einleitung, die es in sich hat, wird aus der doch recht realistischen Schilderung eines mittelalterlichen Kriegsschauplatzes ein mythisch anmutendes Fantasy-Abenteuer, das geschickt mit Legenden und Aberglauben spielt.
Doch vorab, vor der Hölle des Alptraums, steht die Hölle des Krieges. Soldaten, gelangweilt von der Vernichtung, mit grausamem Hass versehen und der Lust zum Quälen, ziehen durch die Lande und nehmen sich, was sie gerade brauchen. Das rothaarige Mädchen entgeht ihnen durch Glück und Dreistheit und legt damit gleichzeitig den Grundstein für ihr weiteres Leben. Francois Bourgeon stellt zwei Begegnungen einander gegenüber. Mariotte sah das Leben bisher spielerisch, ebenso ging Anicet, ein Dorfjunge, mit seinem Leben um. Ein Überfall ändert alles. Fast jedenfalls, denn Francois Bourgeon geht mit dem Ausbau seiner Helden-Konfiguration noch einen Schritt weiter. Er stellt ihnen einen Ritter an die Seite, der zunächst seinen Namen verschweigt. Dafür spricht sein entstelltes Gesicht Bände.
Gemäß des Sprichworts, das besagt, bei dreien seien einer zuviel, dauert es auch hier, bis die sehr ungleichen Reisegefährten sich einigermaßen zusammengerauft haben. Als es dann soweit ist, vollzieht Francois Bourgeon einen Schwenk. Die kleinen Kreaturen, auf die im Anhang ausführlicher eingegangen wird (und die von Bourgeon als Skulturenköpfe nachgebildet worden sind), sind von alten Quellen inspiriert. Es ist interessant, wie Bourgeon mit den Erwartungen spielt und diesen völlig zuwider handelt. Denn mit dem Abenteuer im Abenteuer, mit einer solchen Begegnung, konnte der Leser nach derart handfestem Mittelalterdrama nicht rechnen.
Grafisch überlässt Francois Bourgeon nichts dem Zufall, wie seine Entwurfszeichnungen aus dem Anhang beweisen. Wie bereits bei seiner Serie Reisende im Wind tüftelt er die Accessoires bis ins kleinste Detail aus. Selbst die Sättel der Pferde, das Zaumzeug, die Ausstattung erhalten ureigenes Äußeres. Insgesamt, das zeigt sich nicht nur im Anhang (versteht sich von selbst), präsentiert sich Die Gefährten der Dämmerung als die Arbeit eines Perfektionisten. Das wird bereits nach der ersten Folge klar (obwohl er diese mit der dritten Episode noch einmal in den Schatten stellt). Aber der Perfektionist Bourgeon ist auch ein knallharter Realist (den Romantiker gibt es auch, aber selten).
Die Rückblicke des Ritters lassen dem Auge genug Raum, um die eigene Phantasie anzuwerfen und die Schatten mit Licht zu füllen. Sofern man das will, denn eigentlich reicht das, was noch so zu sehen ist, vollkommen aus, um die Schrecken dieses Krieges (oder besser: dieses historischen Durcheinanders, das es war) zu begreifen. Bourgeon malt mit dünnen Strichen, markiert äußere Begrenzungen, konstruiert Frisuren und Faltenwürfe und füllt die Flächen mit sanften Farbaufträgen, stimmungsvoll und treffsicher. Eine Schönheit, die der Handlung manchmal entgegensteht.
Ein wunderbarer Auftakt einer Trilogie, sehr intensiv erzählt, mit einem ungewöhnlichen Trio im Mittelpunkt und einer Handlung, die im Verlauf immer magischer wird. 🙂
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Samstag, 24. Juli 2010
In der zweiten Hälfte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts gab es eine ungewöhnliche Form des Spiels: Rubbelbilder. Das Konzept war einfach. Auf einem Satz vorgefertigter Hintergrundbilder wurden mittels der beiliegenden Rubbelbilder die entsprechenden Szenen zusammengestellt. Die kleinen Faltblätter mit bis zu drei Hintergrundbildern waren bereits für 50 Pfennig zu haben.
Es gab Reihen zur beliebten Zeichentrickserie Pinocchio ebenso wie zu Kung Fu, ebenfalls bekannt aus Fernsehen und Comic. Neben einigen Anbietern solcher Rubbelbilderabenteuer ragte Kalkitos heraus, der eine Vielzahl von Themen im Programm hatte. Neben historischen Themen wie Cäsar und Kleopatra, Die Wikinger, Ritter-Turnier konnten ebenso Szenen zu Fußball, Fallschirmsprung und Geheimagent aufgerubbelt werden.
Ein Themenkreis bestand aus, wie kann es anders sein, Comic-Vorlagen und Zeichentrick-Serien. Für die Kleineren standen Szenen aus Yogi Bär, Anschlag auf Popeye und Tweety und Sylvester bereit. Für die Größeren gab es Superman und Batman und Robin. Letztere, so konnten die Kinder in den mehrsprachigen Überschriften lernen, hießen in Schweden Läderlappen och Robin (irgendwie niedlich).
Kalkitos gab es in zwei Größen. Die kleinen Ausgaben mit bis zu drei Bildern waren relativ schnell gerubbelt. Die großen Ausgaben hingegen erforderten schon etwas Zeit und Muße. Hierbei handelte es häufig um Massenszenen. Über Themen wie Seeschlacht bei Lepanto, Pizarro bei den Incas oder auch Sir Francis Drake gab es gleichzeitig ein paar historische Anstöße.
Etwas besonderes hierbei war das Metropolis-Poster. Es setzte sich aus vier großen Ausgaben zusammen und zeigte am Ende einen Wolkenkratzer, um den es rund herum zur Sache ging. Klar, dass Superman hier fleißig zum Einsatz kam. Neben der Action im Bild selbst, wurden auf die Rückseite wissenswerte Kleinigkeiten zusammengetragen wie So kannst Du Verletzten helfen. Passend zum Wolkenkratzer im Comic-Bild erfuhren die Kinder auch etwas zur Geschichte der mehrere hundert Meter hohen Gebäude.
Es war eine etwas andere Begegnung mit Comics, die über das übliche Ausmalen hinausging (obwohl es bei den großen Kalkitos manchmal auch ein Ausmalbild auf einer der Rückseiten gab). Es gab etwas kreative Freiheit und schulte auch ein wenig das Verständnis zu erkennen, wohin welche Figur (oder Gegenstand) von ihrer Haltung her gehörte, denn bildliche Vorgaben existierten dazu nicht. Aber eines bedeutete das Konzept vor allem: Spaß. 🙂
Montag, 05. Juli 2010
Es ist nicht leicht. Eben noch war die Tür zu klein. Jetzt ist sie viel zu groß. Und zu weit weg. Schnell einen von den Keksen gegessen, deren Schriftzug verkündet, dass sie gegessen werden wollen. Und jetzt? Oh! Plötzlich ist Alice wieder groß, viel zu groß. Viel größer noch als zuvor. Alice greift nach dem Fächer, den das Kaninchen verloren hat. Ein Fächer, den sie so gerade mit ihren Fingerspitzen halten kann. Ein Fächer, der immer größer wird, weil Alice immer weiter schrumpft. So weit zusammenschrumpft, dass der Fächer zu schwer für sie wird. Die Tränen, die sie vor wenigen Augenblicken vergossen hat, werden zum reißenden Fluss, der Alice davonspült. Nur wohin?
Die Geschichte um Alice, das Mädchen, das ins Wunderland fiel, ist zeitlos und immer noch rätselhaft schön. Die beiden Comic-Macher David Chauvel (Autor) und Xavier Collette (Zeichner) haben den Roman von Lewis Carroll für dieses Album adaptiert.
Wenn jeder vor seiner eigenen Tür kehren würde, könnte sich die Welt bedeutend schneller drehen.
Alice versucht diese Welt mit einer gewissen Rationalität zu erfassen. Eine Welt, in der aus einem Säugling ein Ferkel wird. Eine Welt, in der die Uhr des Hutmachers die Tage misst und ein Uhrwerk aus Butter besitzt. Eine Welt, in der die Herzogin immer einen schlauen Spruch auf den Lippen hat. Eine Welt, in der man der Königin keine Widerworte geben darf, denn sonst heißt es: Schlagt ihr den Kopf ab!
Eine traumhafte Welt ohne Sinn und Verstand (nun vielleicht gibt es den einen oder anderen Sinn) benötigt ein traumhaftes Design. Mit Xavier Collette wurde ein Künstler gefunden, der bereits bei der Entwicklung der Figuren so viel Geschick beweist, dass der Anhang mit den Produktionsskizzen ruhig hätte größer ausfallen können. Die kleine Alice, mit leicht puppenhaften Äußeren ausgestattet, wirkt zerbrechlich. Collette hat ihr ein ovales Gesicht und Kulleraugen gegeben, umrahmt von schwarzen schulterlangen Haaren. Auf ihre Art gehört Alice in diese Welt, in der es von scheinbaren Verrücktheiten nur so wimmelt. Und die, trotz der gewalttätigen Königin, insgesamt einen liebevollen Eindruck hinterlässt.
Jede Figur hat ein höchst individuelles Aussehen, kann aber diverse Einflüsse nicht leugnen. Es mag sein, dass Ähnlichkeiten in der Gestaltung rein zufälliger Natur sind. Bei Figuren wie der Grinsekatz, der Raupe oder dem weißen Kaninchen mag man dies kaum glauben. Hier mag Disneys Variante noch ein wenig in den Köpfen herumgespukt haben (das ist überhaupt kein Nachteil), während andere Bilder wirken, als habe Tim Burton ein wenig mitgearbeitet.
Herausragend ist die samtweiche Kolorierung. Collette zeigt das Wunderland in wunderschönen Bildern. Die Farben sind stimmungsvoll, kräftig, aber nicht aufdringlich. Sehr weiche Übergänge sorgen für Szenen mit Tiefe. Dennoch ist Palette großteils eher kühl gewählt, endherbstlich. Der Gesamteindruck ist der eines albumweiten Gemäldes.
Wahnsinnig schöne Umsetzung, die der Vorlage von Lewis Carroll gerecht wird, fast schon mit Hochachtung begegnet. Freunde von Umsetzungen nach klassischen und literarischen Vorlagen könnten hier fündig werden. 🙂
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Sonntag, 04. Juli 2010
Das Wild steht am Ufer des Flusses. Sein Schicksal ist besiegelt, als der Jäger mit Pfeil und Bogen auf es anlegt, bevor der Hund, sein treuer Begleiter, einen Sprung macht und die Beute mit einem Biss niederringt. Tief in den Wäldern ist die Welt noch heil und in Ordnung. Die Gefahren sind bekannt. Ein Jäger kann sich auf sie einstellen. Mit dem Vordringen der Rotröcke ändert sich dies. Unnötiger Krieg hält Einzug und fesselt jene an sich, deren Charakter es verbietet, einfach wegzuschauen.
Lederstrumpf. Es gab eine Zeit, als ein Heranwachsender an verschiedenen Figuren der Literatur nicht vorbeikam: Ivanhoe, Robin Hood, Robinson Crusoe und Lederstrumpf. Ob als Roman, als Hörspiel oder als Film, die Geschichte fesselte als Kind und unterhielt Erwachsene. Auf der Basis des Romans von James Fenimore Cooper ist nun ein Comic entstanden. Allerdings ist der Begriff Comic hierfür zu kurz gefasst. Jede Seite ist ein kleines Gemälde und bündelt seine Informationen in bewegenden Bildeindrücken.
Ganz gleich welche Farbe eine Seite oder eine Szene dominiert, Licht und Schatten stehen in starkem Kontrast zueinander. Aus dem abenteuerlichen Szenario, dem Drama in den Wäldern, dem Kampf Gut gegen Böse und der literarischen Befreiungsaktion ist eine wahrhaft düstere Geschichte geworden, die gleich zu Beginn ihr bitteres Ende herausschreit: Jemand wird sterben.
Didier David alias Cromwell hat hierzulande kurz mit Anita Bomba auf sich aufmerksam gemacht. Etwas anarchisch, gegen den Strich steht es in keinem Vergleich zur Interpretation dieses Klassikers. Die vorliegende Graphic Novel holt die Geschichte aus der Ecke der Kinder-Literatur (wo sie zu Unrecht steht, da sie für jedes Alter geeignet ist) und hebt sie auf ein fast schon philosophisch angehauchtes Podest.
Der Bösewicht: Magua. Dieser Indianer, der sich den Weißen als Kundschafter und Führer anbietet, spielt ein falsches Spiel. Allein auf diese Erzählung gestützt, erfährt der Leser nicht viel über den Mann. Er ist finster, hinterlistig, besitzt aber auch einen gewissen Stolz. Weiße zählen nichts, andere Indianerstämme ebenso wenig. Magua ist stark. Der Starke tötet. Magua ist ein wenig wie die Wildnis, das Land, in dem die Weißen nichts verloren haben. Der Schluss spiegelt ein wenig die Tragik der Ureinwohner wider.
Cromell hat die Geschichte zusammen mit der Co-Autorin Catmalou erarbeitet. Den einzelnen Abschnitten werden Zitaten vorangestellt, die jeweils den Kern einer kommenden Szene, auch einer Figur erfassen. Das reduziert zwar einen Charakter oder eine Stufe innerhalb der Handlung, doch macht diese Umsetzung auch deutlich, wie wenig es eigentlich zur Erzählung einer Geschichte benötigt. Störendes Beiwerk wird hier komplett vernachlässigt. Allerdings findet auch ein Wandel statt. Nach der ersten Hälte finden sich deutlich textlastigere Stellen und es entsteht der Eindruck, als habe man sich zu Beginn zu viel Zeit gelassen, um am Ende etwas hastig werden zu müssen.
Graphic Novel mit fast fühlbarer Atmosphäre. Die mit harten Pinselstrichen gemalten Bilder wirken theatralisch, mit einer Ausleuchtung wie aus einem Stummfilm. Eine ganz eigene Erzählweise und sehr dicht angelegt. Die Lektüre ist nichts für zwischendurch, aber auch nicht für jedermann. Dennoch: Beeindruckend. 🙂
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Montag, 04. Januar 2010
Serge soll gehen. Aber Serge geht nicht. Zwar hatten die meisten im Dorf ihm eine ganz andere Bestimmung zugedacht und bestimmt keine Rolle als Ersatzpapa im Sinn, aber eines steht fest: Serge ist aus dem Dorf nicht mehr wegzudenken. In der Zwischenzeit haben sich ungewöhnliche Freundschaften geschlossen. Mann hält zusammen. Serge hätte das nicht erwartet. In dieser kleinen Gemeinde werden plötzlich Grenzen übersprungen, sogar von Seiten her, von denen es nicht zu erwarten war. Das ist für die Menschen wünschenswert, allerdings sind es auch Erkenntnisse, die für drei kleine Beobachter immer seltsam bleiben werden. Eine Ente, ein Hund und eine Katze haben längst gegen alle Wahrscheinlichkeit nicht nur Frieden, sondern auch Freundschaft geschlossen. Wen kümmern da die Mutmaßungen darüber, wer wen warum oder ob überhaupt liebt?
Ein Mikrokosmos menschlicher Verhaltensweisen, angesiedelt zwischen Neugier, Gutmütigkeit, Neid, Angst und Liebe. Gut durchgerührt ergibt das eine herzliche Menschlichkeit, eine Normalität, die in dieser Form in Großstädten schwer zu finden ist. Regis Loisel und Jean-Louis Tripp haben mit ihrer kanadischen Dorfgeschichte aus den 20er Jahren eine faszinierende Handlung kreiert. Die hier geschilderte Menschlichkeit, die kleinen Szenen und Episoden rangieren ohne Übertreibung auf einer Stufe mit Veröffentlichungen wie Don Camillo und Peppone. Soll heißen: Wer bislang dem Comic den Wert las literarisches Werk verweigerte, wird mit dieser Reihe eines Besseren belehrt.
In einer Zeit, in der die Uhren langsamer tickten, die Welt noch viel größer war, konzentrierten sich die Menschen viel stärker auf ihr näheres Umfeld als heute. Heute mag die Welt ein Dorf sein, mancher mag den Trost im Chatten finden, aber das hält keinen Vergleich zu einer Szene stand, die Loisel und Tripp hier mit ungeheurem Fingerspitzengefühl geschaffen haben. Gut, warum jemand mitten in einem Dorf an einem Boot baut, mag sich mancher Leser schon gefragt haben. Wichtiger ist allerdings, wie dieser Bootsbau zu einem Treffpunkt wird, wie er Menschen verbindet. Zuerst wortlos im gemeinsamen Zimmern, später im Gespräch. So treffen sich ausgerechnet der Mann, der an der Seite von Marie mit Argusaugen beobachtet wird und der Pfarrer auf dem Boot. Beide sind aufgewühlt. Der eine, weil er nicht kann, wie er soll. Der andere, weil er weiß, warum ersterer nicht kann. Und niemand, so scheint es, darf auch nur ein Wort darüber verlieren. Bis …
Es ist die Zeit der Bekenntnisse. Der alte Noel und der ebenfalls alte Isaac, der eine einäugig, der andere blind sehen so viel besser als der Rest des Dorfes. Was den einen eine Schande ist, kümmert sie nicht. Sie sehen den Kern eines Menschen mit einer Selbstverständlichkeit, die einem bei der Lektüre anrührend leicht erscheint. Die mit kleinsten Dialogen erzählten, manchmal auch wortlos geschilderten Szenen, besitzen eine enorme Lebendigkeit, die in jeder Form von medialer Unterhaltung selten ist. Sei es im Comic, Roman, Film oder Hörspiel.
Das Nest lässt sich Zeit. Viel Zeit. Das ist der Grund. Die leise und langsame Erzählweise ist entgegen aller Erwartung nicht langatmig. Die Geschichte lebt nicht nur durch ihre handelnden Figuren, sondern auch durch die Umgebung, die Fremdheit des Jahrzehnts und durch die Abgeschiedenheit von allem. Nicht nur die Geschichte dauert. In diesen geschilderten Leben dauert alles. Hier muss nichts extra ausgebremst werden, mit dieser neumodischen Entschleunigung des Lebens. Hier geht es nur so schnell, wie es geht. Und das ist im Gegensatz zur heutigen Zeit und auch zu den Erwartungen, die an die zivilisierte Welt gestellt werden, Schneckentempo.
Obwohl es Probleme in diesem Dorf gibt, gibt es auch Lösungen. Die Menschen mögen mitunter verschroben sein, aber sie sind nicht dumm. Regis Loisel und Jean-Louis Tripp entwerfen eine verschworene Gemeinschaft, die auch grafisch wunderbar funktioniert. Großaufnahmen, Gesichtsausdrücke sind hier immens wichtig, da sie einen guten Teil der Handlung miterzählen. Durch seine Abstufungen in der Mimik entsteht ein starkes filmisches Erlebnis. Die Zeichnungen insgesamt sind sehr zerbrechlich wirkend ausgeführt. Regis Loisel liefert die Grundlage, bereits ausgezeichnet, die von Jean-Louis Tripp mit hoher Strichdichte in Licht und Schatten getaucht wird. Mittels Computerkolorierung (der man diesen Aspekt aber nicht ansieht) wird die übrige Arbeit durch Francois Lapierre mit sanften unaufdringlichen Farben erledigt.
Ein toller vierter Teil, der aber nicht ohne seine Vorgänger bestehen kann. Als Reihe ist Das Nest eine absolute Ausnahmeerscheinung im Bereich Comic, gleichzeitig aber auch eine kleine literarische Entdeckung, in der zwischen den Zeilen noch viel mehr zu finden ist, als vordergründig ersichtlich. Sehr gut. 🙂
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