Vater werden ist nicht schwer. Vater sein dagegen sehr. Bislang war WAYNE SHELTON davon ausgegangen, kinderlos zu sein. Aus einer dubiosen Quelle allerdings erfährt er nicht nur von einem alten Feind, der wieder aufgetaucht sein soll, sondern darüber hinaus von einem jungen Mann namens TRAN, der behauptet, WAYNE SHELTON sei sein Vater. SHELTON ist immerhin auf diesen angeblichen Sohn neugierig. Doch in SHELTONS Leben geht es alles andere als leicht zu. Das ist der Sicherheitsfachmann gewöhnt. Einen Häftling aus einem Gefängnis in Indonesien ist dennoch kein alltäglicher Job. Zumindest kann TRAN, der dort in einer Zelle in der Nähe von Jakarta hockt, erst einmal nicht weglaufen …
WAYNE SHELTON bedeutet gut gestylten Thriller im Medium Comic. Autor THIERRY CAILLETEAU lüftet ein paar Geheimnisse aus der Vergangenheit des charmanten Serienhelden. Der Mann, eine Kreuzung aus TOM CRUISE und DAVID NIVEN, weltweit tätig in Sachen Personenschutz, Spionage und anderen Sonderfällen, war als Soldat in VIETNAM und erlebte dort den ganzen Alptraum vieler junger amerikanischer Truppenangehöriger. Eine Aufklärungsmission läuft aus dem Ruder. Und WAYNE SHELTON macht die bittere Erfahrung, dass Feinde nicht nur unter den VIETCONG zu finden sind. Allein dieser Abschnitt des zweiteiligen Thrillers, der in der Vergangenheit in VIETNAM, in der Gegenwart in INDONESIEN spielt, macht das Abenteuer lesenswert. Der Brückenschlag in unsere Zeit über den angeblichen Sohn lässt den Gentleman SHELTON menschlicher, nahbarer werden.
Diese emotionale Tiefe war im Zusammenhang mit Freunden oder seiner (partiell) langjährigen Lebensgefährtin HONESTY GOODNESS spürbar. Aber zwischen Vater und Sohn fallen die Bande auf die eine oder andere Art nun einmal stärker aus. THIERRY CAILLETEAU nutzt dieses neue Gespann, um diese Form der Verbindung herauszuarbeiten, Rückblicke inklusive (damit der Leser auch erfährt, wie es zu diesen Vaterfreuden letztlich kam und wie stets ist es bei WAYNE SHELTON ein alles andere als gewöhnlicher Vorgang). Der Sohn, TRAN, geleitet von einem fernöstlichen Ehrbegriff, ist seinem Vater zwar äußerlich nicht ähnlich, sein Gemüt und sein Mut hingegen stehen der Leitfigur in Nichts nach.
CHRISTIAN DENAYER arbeitet seit den 1960ern im Comic-Geschäft. Sein Talent führte ihn schnell zu eigenen Projekten und in die Zusammenarbeit mit bekannten Autoren des Mediums. Comic-Fans für die Bereiche Thriller oder Fahrzeug-Action werden ganz bestimmt einmal auf Arbeiten von ihm gestoßen sein. Hier ist, das lässt sich guten Gewissens und voll des Lobes behaupten, alte Schule am Werk und CHRISTIAN DENAYER darf getrost mit ähnlichen Talenten wie ROGER LELOUP, PHILIPPE FRANCQ und ähnlich technisch versierten Künstlern auf eine Stufe gestellt werden. Der Strich ist klar, jede Perspektive perfekt eingefangen, jedes Fahrzeug, jede Figur, jede Kulisse vom Möbelstück bis zur Gebäudefassade. CHRISTIAN DENAYER bietet seinen Lesern eine filmreife Leistung.
Und würde es sich um einen Film handeln, würde an Schauplätzen nicht gegeizt. VIETNAM und INDONESIEN, Piraterie auf hoher See (inklusive der Kaperung eines Containerschiffes), spektakuläre Hubschrauberabstürze, indonesische und afrikanische Exotik, japanische Gangster und afrikanische Warlords, menschliches Drama und Vietnamkrieg, kurzum: das Spektrum in dieser Ausgabe ist weit gefächert und wäre als Film eine vielfach millionenschwere Investition. Und es passt: Das Indonesien-Abenteuer baut seine Charaktere optisch toll auf, präsentiert einen souverän agierenden WAYNE SHELTON, der im Smoking, im Trechcoat wie im Dschungel-Look immer gleichermaßen starke Auftritte hinlegt.
Echte Kerle paradieren auf den Seiten der Helden, wenngleich WAYNE SHELTON derjenige mit dem besten Stil ist und seine Kollegen, meist Haudegen ähnlichen Alters, etwas bequemer geworden und weniger fit sind. Als Erzfeind ist HOOKER gut herausgearbeitet, dicklich, aber nicht unsportlich, von hohem Wiedererkennungswert, ähnlich wie die Figuren CHULEPAS und MADAM YOON, die eine sehr besondere Episode verbindet. Als exemplarisches Rasseweib, ein Augenstern, auf den auch die großen Blockbuster nicht verzichten, steht HONESTY GOODNESS vorne an. Weit und breit spielt ihr niemand die Show.
Die Mechanismen eines guten Thrillers und einer tollen, international handelnden Abenteuergeschichte funktionieren hier auf jeder Seite. WAYNE SHELTON ist nicht rundum gut, seine Aktionen aber stets nachvollziehbar. Er ist kein englischer Geheimagent, dafür steht er zu oft auf der falschen Seite des Gesetzes. Ein Gentleman-Verbrecher eben und von THIERRY CAILLETEAU schön entworfen und lesenswert erzählt. Sehenswert dank CHRISTIAN DENAYER. 🙂
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