Überlegene Technik wird gegen Soldaten eingesetzt. Sensoren erfassen Gesichter, separieren Menschen vom Rest des Geländes. Computergesteuerte Maschinengewehre beschießen den Boden aus der Luft großflächig. Die Überlebenschancen sind gleich Null. Doch plötzlich rast ein anderer Flugkörper durch die Luft, ein Schemen von menschlicher Kontur, ein Cape flattert auf seinem Rücken. Der fliegende Kampfroboter wird aus der Luft gefegt. Die ungewöhnliche Zerstörung der bewaffneten Drohne wird als VORFALL 41 dokumentiert.
Eine Welt verändert sich. PARIS, die romantische Weltstadt ist kaum wiederzuerkennen, als FRANK BRAFFORT, einer der Soldaten, die den VORFALL 41 überlebt haben, in die Metropole zurückkehrt. ANOMALIEN verstören die Menschen. Autor SERGE LEHMAN beschreibt eine Welt (oder den Ausschnitt einer Welt) zwischen düster, romantischer Verklärung der Vergangenheit und futuristischer Aufbruchstimmung. Wie so oft schaffen nicht alle den Sprung in die Zukunft. Einige sind bereits mit fliegenden Automobilen unterwegs, andere sehen staunend nach oben. In dieser Stimmung, in der sich PARIS nicht recht zu entscheiden weiß, wie es weitergehen soll, tauchen ANOMALIEN auf, die nicht alle gleich als FLIEGENDE HELFER zu identifizieren sind.
Das Geheimnis hinter den Geschehnissen ist kompliziert. Obwohl es durch die Erscheinung eines PHANTOMS, eines gigantischen Abbilds über dem MONTMATRE geradezu beworben wird, um Aufklärung bettelt, ist eine breite Öffentlichkeit mehr mit sich selbst und der Auslebung seiner Aggressionen beschäftigt. Die Wirkung auf den Leser ist gruselig surreal, ist aber im Vergleich zur Realität recht gut von SERGE LEHMAN durchdacht (denn wer in seinem Leben schon Zeit und Muße sich mit den großen Ereignissen zu befassen, außer sie in den Nachrichten zu verfolgen).
STEPHANE CRETY verfolgt als Zeichner eine sehr klare Linie mit sehr viel Realismus bei seinen Figuren und feinen Überzeichnungen, die eine optische Charakterisierung vereinfachen. Die Gesichter seiner Figuren gehen wohltuend leicht ins Auge. Wo er über das normale Maß hinaus punktet, ist SEIN PARIS, aus dem er eine Stadt macht, die Atmosphäre geradezu atmet. Das Titelbild fasst die Atmosphäre sehr gut zusammen. Zwischen den Scheinwerfern, die den nächtlichen Himmel der Stadt erhellen, herrscht ein reger Luftverkehr. Hinter altehrwürdigen Straßenzügen ragen ultramoderne Wolkenkratzer aus Stahl und Glas in die Höhe. Der Himmel ist wolkenverhangen, organgefarbenes Licht glänzt aus den Straßenschluchten empor.
Das Farbenspiel von GAETAN GEORGES ist eine Mischung aus klarer Tontrennung, Verläufen, leichten Texturen und bis kurz vor Schluss meist auf eine fotografische Tiefe bedacht. Erst gegen Ende übernimmt eine eher comic-ähnliche Kolorierung das Zepter. Da macht es allerdings absolut Sinn. Über die gesamte Länge des Albums entsteht eine Film-noir-Atmosphäre. Die Farben von GERORGES und die Zeichnungen von CRETY sind wunderbar aufeinander abgestimmt Eine regnerische Kulisse, grauer Himmel, Weltkriegsluftverkehr trifft auf technisches Spielzeug aus BLADERUNNER, technische Perfektion trifft Gothic.
Und in diesen Bildern schickt SERGE LEHMAN einen Mann in die Geschichte, der nicht ahnt, warum er in dieses Spiel verwickelt wird. An seiner Seite verfolgt der Leser mit gleichem Staunen, wie sich die Fäden (sehr) langsam entwirren. Ein Science-Fiction-Abenteuer, das sich genre-technisch sich nicht genau eingrenzen lässt, ausgetretene Pfade weitläufig verlässt und eine Menge ungewöhnlicher Ideen bereitstellt. Schön und spannend, wie mutig sich andernorts auf Geschichten eingelassen wird und welch tollen Ergebnisse daraus letztlich entstehen. Klasse! 🙂
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