In der Affenkolonie der Schneemakaken ist die Welt noch in Ordnung. Im Winter vertreibt man sich die Zeit in den heißen Quellen. So lange man nicht vom Chef, dem weißhaarigen TARO, traktiert und gemobbt wird, verläuft alles seinen ruhigen, über die Maßen gewohnten Gang. Bis eines Tages ein Affe vom Himmel fällt. Von den Menschen experimentell in die Erdumlaufbahn geschossen, ist die Kapsel mit dem Rhesusaffen ausgerechnet in den verschneiten Bergen von JIGOKUDANI gelandet. Das Äffchen hat nicht nur ein großes Abenteuer erlebt, es verfügt auch über eine ungeheure Erfindungsgabe. Und so erfindet er mal eben DIOU, einen Gott …
JEAN-PAUL KRASSINSKY hat eine Fabel über die Irrungen und Wirrungen von Religion verfasst. Im Rahmen des Förderprogramms des französischen Außenministeriums erschienen, lässt JEAN-PAUL KRASSINSKY einen großen Teil religiöser Entwicklungen auf eine vollkommen unbedarfte Gemeinschaft prallen. Es wird eine Leere gefüllt, die vorher, vor der Ankunft des Rhesusaffen aus dem All gar nicht bemerkt worden ist. Doch plötzlich wird Beten zum Selbstzweck. Ein Gott wird erfunden, ein Name kreiert. Es wird prophezeit, gezweifelt, gestritten, gefolgt, verfolgt, gemordet, gehasst. Der Glaube, für einige zunächst unbequem, wird vereinnahmt, instrumentalisiert zur Festigung der eigenen Macht. Wer glaubt, soll Zeichen seines Glaubens offen tragen und dafür auch leiden …
JEAN-PAUL KRASSINSKY lässt kaum etwas aus. Und es ist überaus gruselig, wie aus einer nach absoluten Macht strebenden Diktatur eine religiös fundamentalistische Diktatur wird. Wenn Herrscher und Gott aus einem Mund sprechen, wer sollte da noch aufbegehren? Mit fein aquarellierten Hintergründen und cartoony überzeichneten Makaken begibt sich der Autor, Zeichner und Kolorist in Personalunion an ein über 290seitiges Epos. Man könnte in der Affenbande kleine Clowns sehen und die Geschichte nur von ihren komischen Seiten nehmen (von denen es zahlreiche gibt), aber JEAN-PAUL KRASSINSKY stopft dem Leser ganz schnell wieder das Lachen in den Hals zurück. Komik und Tragik liegen hier verdammt eng beieinander.
Kapitel für Kapitel driftet die Ausgangsituation in eine Tragödie, von einem erzählt, der die Mär um DIOU überlebt hat. Dabei werden unterschiedlichste religiöse Aspekte angesprochen, die über die Glaubensgemeinschaft hinaus gehen. Was mag wohl passieren, wenn ein Prophet den Antrieb zu seiner Mission verliert und dem, was er dort aufgebaut (oder angerichtet) hat, den Rücken kehrt? JEAN-PAUL KRASSINSKY gelingt es, viele Antworten zu geben, indem er die Mechanismen von Gemeinschaften allgemein und Religionsgruppen im Besonderen zerpflückt und letztlich das Grauen die Oberhand gewinnen lässt. Man kann als Leser nicht anders, als in diesen Zeiten automatisch mit den Gedanken zu real existierendem Fanatismus hinüberzugleiten.
Auf den ersten Blick sind die Affengesichter einfach gehalten, die Figuren bis auf wenige Ausnahmen nicht schnell zu unterscheiden. Aus der Situation heraus gewinnen die Figuren an Tiefe, der Blick addiert Deutungen hinzu. Dies gelingt JEAN-PAUL KRASSINSKY ganz besonders, wenn die Handlung in Extreme verfällt, Mitleid oder Grauen produziert oder in Hysterie verfällt (wie sie manchen Glaubensprozessen zueigen ist).
AFFENDÄMMERUNG von JEAN-PAUL KRASSINSKY ist kein Affentheater, sondern eine bitterernste Fabel, die thematisch lange nicht so aktuell war wie heute. In Zeiten von fundamentalistischen Glaubenstendenzen zeigt AFFENDÄMMERUNG, wie schnell sich Automatismen in Gang setzen und ein Entkommen undenkbar scheint. Die fatalistische Erzählweise (durch einen Affen, der das alles erlebt hat) schürt die Düsterkeit der Handlung, eine Grundstimmung, die dem in der Folge aufkeimenden, bunteren Frühling völlig entgegensteht. Eine Graphic Novel, die zum Nachdenken anregt UND unterhält. 🙂
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