Zwar haben die Kinder Paris nun hinter sich gelassen und damit auch ein gefährliches Pflaster, in dem entkommene Zirkustiere das Leben erschwerten, doch leichter wird es für sie trotzdem nicht. Außerhalb der großen Stadt haben sich noch andere Tiere zusammengerottet. Einst waren sie der beste Freund des Menschen. Nun, da dieser verschwunden ist, haben sie sich wieder zu Rudeln zusammengeschlossen und gehen auf die Jagd: Hunde. Die weitere Fahrt hätte so schön sein können, aber die Hundemeute setzt sich auf ihre Fersen und jagt dem alten Bus hinterher, in dem die Kinder unterwegs sind.
Sie haben schon nicht mehr daran geglaubt: Neben der Fahrbahn scheint plötzlich ein Licht in der Nacht auf. Andere Kinder. Dodji, Yvan, Leila, Camilla und der kleine Terry haben plötzlich wieder Gesellschaft. In einem Vergnügungspark haben sich viele andere Kinder verbarrikadiert. Saul, ein blonder schlanker Junge, hat diese Gruppe zusammengeschmiedet und ihnen neue Regeln gegeben. Sie nennen sich selbst: Haifisch-Clan.
Die Katastrophe, während der alle Erwachsenen von einer Sekunde auf die andere verschwanden (sowie ein Großteil der Kinder), wird für die fünf Kinder, die der Leser im ersten Band kennen lernte, langsam zum Normalzustand. Sie haben gelernt, mit der Situation umzugehen. Sie improvisieren, lernen dazu, übernehmen Verantwortung füreinander und ergehen sich in Aufgabenteilung. Die kleine Gruppe ist durch die Vorkommnisse bei aller Unterschiedlichkeit zusammengeschweißt worden.
In einem Vergnügungspark findet die Geschichte nun ihren vorläufigen Höhepunkt und erinnert an dieser Stelle wohl am stärksten an den Herrn der Fliegen von William Golding. Im Vergnügungspark, der eine Insel- und Piratenwelt nebst Meeresshow darstellt, haben sich die versammelten Kinder allesamt als Piraten verkleidet und folgen ihrem Anführer Saul, der hochherrschaftlich residiert und die Gesetze erlassen hat. Ein leibhaftiger Hai in einem großen Wasserbecken gibt dem selbsternannten Clan seinen Namen. Gleichzeitig dient er als Druckmittel zur Erhaltung der Ordnung, wie auch zum Vergnügen.
Fabien Vehlmann zeigt ein für Kinder seltsames, aber beileibe nicht außergewöhnliches Verhalten. Mit einer geradezu verzweifelten Komik versuchen sie unter der Führung von Saul eine Art Gesellschaftsform zu entwickeln, die einer Erwachsenenwelt nachempfunden ist. Saul greift bei seiner Form der Gemeinschaft (ein Missgriff von Fehlmann, aber häufig nicht anders von Autoren zu erwarten) auf Vorlagen zurück, die er aus Büchern hat: Themen aus dem Dritten Reich.
Es ist ein Szenario, das, auch durch die Bekleidung der Kinder, an Geschichten wie Hook erinnert und die Gemeinschaft der verlorenen Jungs. Und verloren sind sie. Dank Saul irren sie durch Rituale wie das der Verheiratung per Losentscheid. So findet sich Camilla, 8 Jahre, bald in einer Ehe mit Saul, 11 Jahre, wieder. Saul bereitet sich außerdem darauf vor, Nachkommen in die Welt zu setzen. Dies ist die verzweifelte Komik und sie wird von Vehlmann sehr treffend erzählt, teilweise düster, wenn die Befehlsstrukturen einer Hitler-Jugend greifen, aber es ist unter dem Strich auch sehr traurig. Vehlmann schlägt für den Leser willkommene Haken. Aus dem Endzeittrauma wird ein Drama und schließlich erwartungsgemäß die Tragödie. Vehlmann gönnt seinen Helden nichts. Bislang bleiben sie am Leben, doch derart wie die Handlungen ihren Verlauf nimmt, sollte man als Leser nicht darauf wetten, dass es so bleibt.
Bruno Gazzotti, Zeichner dieser Comic-Reihe, bleibt bei sehr geradlinigen Gestaltung. Er bleibt cartoony und entschärft das Szenario. Die Ernsthaftigkeit, die Vehlmann bei seiner Erzählung an den Tag legt, findet sich in den Bildern nicht wieder. Sicherlich verfügt Gazzotti auch mit diesen Figuren über alle Möglichkeiten, um Emotionen zu wecken, ganz bestimmt schafft er es mittlerweile eine sehr große Sympathie für die fünf Freunde zu entfachen. Die optische Mischung der fünf Helden stimmt ganz einfach. Ähnlich wie man es bei einem Casting vermuten würde, bei der möglichst echte Charaktere zu einem Ganzen zusammenfinden, sind auch diese Fünf, Dodji, Yvan, Leila, Camilla und der kleine Terry, perfekt aufeinander abgestimmt.
Eine sehr spannende, aber im weiteren Verlauf auch über die Maßen traurige Episode. Ein kleiner Hinweis sagt etwas über das Schicksal all der verschwundenen Menschen aus, doch nicht genug, um genauere Vermutungen anzustellen. War spannend, bleibt spannend, unterhält perfekt. Was will man mehr? 🙂
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