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Comic Blog


Samstag, 14. März 2009

Coraline

Filed under: Mystery — Michael um 12:42

CoralineEin neues Zuhause. Die kleine Coraline zieht mit ihren Eltern in das alte mehrstöckige Gebäude. Nur zwei ältere Damen und ein knurriger alter Mann teilen mit ihnen das Haus. Coraline fühlt sich einsam. Außerdem hat sie Langeweile. Ihre Eltern haben kaum Zeit für sie. Eine Tür im Haus, die eigentlich verschlossen sein sollte, lässt sich doch öffnen und lädt in eine viel schönere Welt ein. Eine Welt, in der Coraline alles spielen darf, alles essen darf, was sie will, ja, in der sie alles darf: Nur nicht zurückkehren!

P. Craig Russell ist ein Minimalist. Aber was für einer! Die Optik seiner Bilder erinnert an einen furchtbar feinen Holzschnitt. Deshalb mutet seinen Grafiken stets etwas märchenhaftes an, ganz gleich mit welchem Thema er sich gerade beschäftigt. Und er scheint zu wissen, dass er genau diese Gabe besitzt. Nicht umsonst befasste er sich für den amerikanischen Verlag Dark Horse mit Wagners Ring der Nibelungen. (Ein 200seitiges Werk, das leider meines Wissens nach noch nicht auf Deutsch vorliegt, obwohl es schon 2002 erschienen ist. Eine 11seitige Vorschau ist unter darkhorse.com abrufbar.) Wer auf seiner Homepage pcraigrussell.net schaut und das Cover eines Spectre-Heftes begutachtet, auf dem Coraline auf dem Knie eines riesigen Skeletts sitzt und mit diesem Tee trinkt (!), versteht sofort, was gemeint ist.

Was Coraline und der Spectre gemeinsam haben, steht auf einem ganz anderen Blatt. Zurück zu eigentlichen Geschichte, die ursprünglich von Neil Gaiman erdacht und als Roman niedergeschrieben worden ist. Gaiman ist der Mann des seltsam merkwürdigen und ungewöhnlich Phantastischen. Bücher wie American Gods, Sternwanderer oder Coraline sind nicht erst dafür verantwortlich, dass er an der Spitze der Fantasy-Autoren zu finden ist. Obwohl er sich auch mit normalen Superhelden beschäftigte, ist sein Sandman bei Marvel ein Riesenhit geworden. Mystisch verträumt ist der Sandman nicht die gewohnt leichte Comic-Kost.

Coraline: Die Geschichte eines Mädchens, das sich nach mehr Aufmerksamkeit sehnt. Eine geheimnisvolle Tür in einem nur selten benutzten und altmodisch eingerichteten Zimmer führt sie in einer andere Welt. Sie ist der ihren sehr ähnlich, doch die Mutter ist ein Monster.

Als Kinderliteratur von Neil Gaiman ersonnen, hat P. Craig Russell noch etwas mehr daraus gemacht. Er zeichnete die Geschichte nicht nur, er adaptierte den Text auch für das Medium Comic. Äußerlich unterscheiden sich die neuen Eltern von Coraline nur durch ein kleines Detail: Sie haben Knöpfe als Augen. Mit derlei gruseligen Instrumentarien wird der unterschwellige Horror in dieser Geschichte erschaffen. Coraline lässt sich von diesem Detail zuerst nicht schockieren. Erst als ihr angeboten wird, in diese andere Welt ganz überzuwechseln und als Zeichen dafür auch Knopfaugen zu tragen, setzt ihr Rückzug ein. Aber damit beginnt auch gleichzeitig der Kampf.

Coraline ist keine Alice im Wunderland, obwohl Gaiman Parallelen in der Struktur der Handlung nicht ganz leugnen kann. Ein wenig fühlt man sich als Leser auch an Der Dieb der Zeit erinnert, eine Märchengruselmähr von Clive Barker, einem anderen Meister des Phantastischen. Hier wie dort gerät ein Kind in eine andere Welt und erkennt über kurz oder lang die Falle und versucht zu fliehen. Coraline erhält, um freizukommen, eine ganz einfache Aufgabe. Sie muss drei Seelen von Kindern finden, die der falschen Mutter bereits vor langer Zeit ins Netz gingen. Die Suche bewirkt nicht den Grusel, vielmehr stößt Coraline bei ihrer Suche vor einer harmlosen Kulisse auf die furchtbaren Veränderungen, die ihre Mutter vorgenommen hat. Aus einem Streifzug durch das Haus wird eine lebensgefährliche Angelegenheit.

P. Craig Russell verwendet zur Umsetzung einen derartig zarten Strich, dass dieser Horror zuerst unbegreiflich bleibt und auf den zweiten Blick zündet. Spätestens mit dem falschen Vater, der sich in eine ghoulähnliche und schleimige Kreatur verwandelt, kippt die Zartheit des ersten Eindrucks. Russell lässt seine Technik gegen den Horror der Handlung antreten. Mit diesem Gegensatz arbeitete schon bei Conans Abenteuer Die Juwelen von Gwahlur. Es ist verblüffend, wie er damit die Erwartungshaltung des Lesers angesichts der harmlosen Optik (Es wird schon nichts passieren.) durchkreuzt.

Eine grafisch auf dem zweiten Blick beeindruckende Literaturumsetzung einer Vorlage von Neil Gaiman. Der Schrecken schleicht sich langsam, dann jedoch mit Macht ein. Tapferkeit, Erfindungsreichtum und Vertrauen ist der Schlüssel zur Rückkehr. Tolle Unterhaltung und mit einem Umfang von 200 Seiten ist für einen längeren Leseabend gesorgt. 🙂

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