Der Priester hat seine Arbeit vollbracht. Die Schläferin, die Vampirin, die nächtens die Lebenden terrorisierte, ist nun endgültig tot. Ihr Kopf wurde vom Rumpf getrennt, wie es für die Vernichtung eines Vampirs vorgeschrieben ist. Aber der Priester hat ihren Meister vergessen, den, der die Schläferin erschaffen hat. Kurz darauf schlagen sich messerscharfe Zähne in den Hals des Priesters, der panisch reagiert und mit seinem Kreuz zusticht. In dieser Welt des Schreckens sind Vampire allerdings noch das kleinste Übel. Viel schlimmer ist der Mensch, der mordet und meuchelt und der dennoch immer wieder auf das Fürchterlichste lächelt.
Obwohl er nur 40 Jahre alt wurde, hat Edgar Allan Poe mit seinen Geschichten Vorreiter für unheimliche und hintergründige Handlungen gespielt. Der von 1809 bis 1849 lebende Autor schrieb Geschichten wie Der Goldkäfer oder Der Doppelmord in der Rue Morgue. Filme nach seinen Themen katapultierten den Filmschauspieler Vincent Price in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts verstärkt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. So erfreuten sich plötzlich Das Pendel des Todes, Der Untergang des Hauses Usher, Die Maske des Roten Todes oder auch Der Rabe wieder einer größeren Beliebtheit. Dieses Gedicht von Poe diente als Vorlage zur Verfilmung unter dem Titel Der Rabe – Duell der Zauberer. Der Film mit Vincent Price, Peter Lorre und Boris Karloff war eine grandiose Komödie.
Im vorliegenden Band interpretiert Autor Rich Margopoulos die Textvorlagen von Edgar Allan Poe weniger humorvoll. Der Rabe weist in der Interpretation den Weg zu einer alten Schuld. Ist das Gedicht in seiner Urform bereits düster, schwarz umwölkt, erdrückt der Verlust den Erzähler, kann Margopoulos dies in seiner Umsetzung noch eindeutiger festlegen. Der Rabe wird zum Todesboten – ein Motiv, das James O’Barr mit seiner Geschichte The Crow wieder aufgriff.
Die Interpretationen stehen Seite an Seite mit den alten Texten und entlocken ihnen neue Bedeutungen oder transportieren sie in die Neuzeit. Der Sieger Wurm, thematisch auch von Mike Mignola mit seinem Hellboy aufgegriffen worde, wird hier zu apokalyptischen Grauen in der Zukunft, fast einer Art neuen Form des Soylent Green. Die Würmer haben den Sieg davongetragen. Am Ende sind sie es, die mit Menschen gefüttert werden, damit eine bestimmte Kolonie von Menschen überleben kann. Der Mensch frisst sich über einen Umweg selbst.
Damit dieser Horrorverbund gelingen kann, wurde ein Künstler verpflichtet, der seit langem ein Garant für den gepflegten Grusel, aber auch für den knallharten Horror ist: Richard Corben. 1940 geboren, aber noch lange nicht zum alten Eisen gehörend, greift mit Freude die Vorlagen von Margopoulos auf und verknüpft die alten Texte mit Gewalt, aber auch Gesellschaftskritik oder gesellschaftlichen Einsichten. Mit zweierlei Techniken geht Corben ans Werk. Auf Farbe, wie bei seinem Cover zu Bat out of hell von Meat Loaf, mit dem er ein noch größeres Publikum erreichte, verzichtet er vollkommen. Er setzt auf Licht und Schatten. In manchen Geschichten verwendet er ein plakatives Helldunkel, gestützt von einigen bewusst gesetzten Grautönen. Andere Geschichten, die optisch so auch viel atmosphärischer werden, arbeitet er feinsäuberlich in Graustufen aus und gibt ihnen einen metallischen Glanz, aber auch eine höhere Räumlichkeit.
Corbens Figuren haben zuweilen die Eigenschaft, ins Lächerliche abzudriften. Sie karikieren, wenn die Köpfe viel zu groß geraten und der gesamte Körperbau mehr der von Marionetten ist. Eigentlich sollte derlei Gestaltung einer Geschichte die Schärfe nehmen, da sie dadurch der Realität noch mehr entrückt wird. Das ist bei Corben aber nicht der Fall. Corben lässt einen Rausch entstehen. Seine Bilder entführen den Leser so, als habe eine Reizüberflutung stattgefunden oder das Gehirn könne die Informationen nicht mehr zur Gänze sinnvoll verarbeiten. Man muss sich darauf einlassen können oder es optisch mögen, allenfalls werden die Bilder ihre Kraft nicht entfalten können.
Eine Fahrt mit der guten alten Geisterbahn nach einem Schlag auf den Kopf: Rich Margopoulos und Richard Corben nehmen den Leser mit ihren Interpretationen von Edgar Allan Poe Themen auf einen Horrortaumel mit. Das Ziel der Reise ist der menschliche Abgrund und der ist, will man diesem Trio glauben, verdammt tief. 🙂
Welt des Schreckens – Edgar Allan Poe: Bei Amazon bestellen