Die Beschwörung des Waltras muss mit allen Mitteln verhindert werden. Nur aus diesem Grund haben Marlysa, Dormunt und die schwarzen Amazonen die beschwerliche Reise auf sich genommen. Doch die Vorzeichen stehen schlecht. Ein Hindernis um das nächste droht ihre Mission scheitern zu lassen. Endlich scheint es geschafft. Sie erreichen ihr Ziel, bevor die Zeremonie begonnen hat. Aber – mit Marlysas Glück ist es nicht zum Besten bestimmt – sie tappen geradewegs in eine Falle.
Die Anführerin der roten Amazonen will den Waltras unbedingt zum Leben erwecken. Jede gute Beschwörung hat ihre Regeln. Hier sind drei Dolche nötig, um das Ritual zu vollziehen. Wer diese in das Herz des Wesens stößt, erweckt es nicht nur, der Waltras muss ihm auch zu Diensten sein und gehorchen. Ein unvorhergesehener Zwischenfall macht die Pläne beider Seiten zunichte. Eine dritte Partei mischt sich ein. Das Ritual wird vollzogen, doch die Königin der roten Amazonen wird schwer verletzt und ist bewusstlos. Wer soll dem Waltras, der mehr und mehr wächst, jetzt noch Einhalt gebieten?
Die zweite und abschließende Episode um die Erweckung des Waltras könnte für Marlysa das Ende bedeuten. Denn ein Gift breitet sich in ihrem Organismus aus. Nur das Gegengift könnte sie retten, aber um es zu bekommen, muss die Mission erfüllt werden. Ob Dormunt, ihr Auftraggeber wider Willen, ihr danach das Gegengift geben wird, ist allerdings fraglich.
Jean-Charles Gaudin, der Autor, macht es seiner Heldin nicht leicht. Sicherlich ist sie gewitzt wie immer, sie besticht durch Charme und Aussehen, ihre kämpferischen Eigenschaften stehen außer Frage, trotzdem hat es den Anschein, als habe Marlysa ihre bisherigen Abenteuer zu leicht bewältigen können. Gaudin rollt ihr in dieser Geschichte – sinnbildlich gesprochen – einen immer größeren Stein in den Weg, der unter größten Mühen bewältigt werden will.
Der größte dieser Steine ist natürlich der namensgebende Waltras. Für dieses Wesen, dessen äußere Erscheinung sich in diesem Band enthüllt, mussten sich Gaudin und der Zeichner Jean-Pierre Danard etwas Besonderes einfallen lassen. Bei seiner Geburt entsteht aus dem Herzen des Waltras zunächst eine Art Übergangsform, wie sie der Leser vielleicht aus Schockern wie Das Ding aus einer anderen Welt (die John Carpenter-Variante) her kennt. Im weiteren Verlauf, dem sehr schnellen Wachstum, wird aus dieser blutigen Monströsität ein schwarzes muskulöses Wesen auf vier Beinen. Auf den ersten Blick erinnert er an einen Werpanther. Auf den zweiten Blick fallen die zusätzlichen Extremitäten auf dem Rücken des Wesens auf, den Fangarmen eines Kraken ähnelnd.
Das ist erst der Anfang. Denn der Waltras wächst. Die Proportionen verschieben sich. Hatte er zu Beginn noch die Ausmaße einer zu groß geratenen Raubkatze, erreicht er bald die Dimensionen eines Sauriers. Danard kann mit dieser Figur spielen – die Konstruktion bietet sich geradezu an. Die Erweckung einer solchen Kreatur ist nicht neu. Fantasy-Fans konnten dies auf der Leinwand in Conan, der Zerstörer verfolgen oder auch in der Comic-Version des Themas (Im Bann des goldenen Horns), basierend auf dem Originaldrehbuch. Auch andere Autoren spielten schon mit der durchdrehenden göttergleichen Bestie. Hier kann der Leser sogar Handlungsanleihen an Predator finden.
Die Jagd durch den Dschungel ist grafisch sehr aufwändig. Jean-Pierre Danard ist ohnehin ein Zeichner, der das Verspielte, Verschnörkelte liebt. Aufwand gehört für ihn einfach dazu. Für Danard ist Mehr einfach Mehr und das muss so sein. So ergeben sich nicht immer dem Thema angemessen ernsthafte Bilder, aber ungeheuer liebevoll gestaltete Seiten. Ob es die Tiere sind, beladen mit Figuren und Ausrüstungsgegenständen, die Dörfer im Wald, die Kleidung der verschiedenen Völker, die Qualität der Grafiken bewegt sich mit ihrer Detailtiefe auf Titelbildniveau.
Farblich ist es popart-bunt. Yoann Guillo schert sich nicht um Außenbeleuchtungen. Die Farben sollen knallen. Besonders deutlich wird dieses Konzept im Dorf der roten Amazonen. Selsya, ihre Königin, könnte direkt aus einer südamerikanischen Indiokultur entsprungen sein. Pompös, keine Farbkombinationen scheuend, mit roten Haaren und bekleidet mit einem eng anliegenden Dress aus Leopardenfellimitat ist sie ein drastisches Beispiel für die grafische Explosion, die sich die Macher hier leisten und so etwas ganz eigenes schaffen.
Bunt, bunter, Marlysa! Hier ist Fantasy gleichbedeutend mit ausufernder Gestaltung und einem Höchstmaß an Phantasie. Die Erzählung ist ebenso farbig, sympathisch, mit fortschreitender Geschichte immer spannender. Ein guter Abschluss des Doppelabenteuers, der schließlich zu einem richtigen Action-Kracher wird. 🙂
Marlysa 8 – Der Waltras: Bei Amazon bestellen