Die Kinder sind allein. Immer noch. Dodji, derjenige, der viel zu erwachsen für sein Alter ist. Terry, der kleinste von ihnen, der gar nicht genug Spielzeug sammeln kann, da ihn kein Erwachsener mehr daran hindert. Leila, die versucht, sich zusammenzureißen. Yvan, der nicht aufgibt und eine Telefonnummer nach der anderen ausprobiert und schließlich Camilla, ein wenig schüchtern und mit einem großen Herzen versehen. Sie haben Zuflucht in einem Hotel gesucht. Fünf Kinder können in diesem palastartigen Haus schalten und walten, wie sie wollen. Und obwohl sie auch einsam sind, genießen sie die Situation ein wenig.
Gefahren sind vorhanden, aber die Kinder haben schon gelernt, damit umzugehen. Die freilaufenden Tiere, aus einem ehemaligen Zirkus entkommen, wurden mit Sperren daran gehindert, in die Nähe des Hotels zu kommen. Ein Wettrennen mit einem Nashorn, was an einer solchen Sperre aufgehalten wird, ist eher aufregend als furchtbar. Eines Tages allerdings, aus einer Spiellaune heraus, begehen sie einen Fehler. Es ist nur ein Schuss, aber dieser geht in die falsche Richtung. Plötzlich haben die fünf Freunde einen Gegner, mit dem sie nicht gerechnet haben.
Der Mensch gewöhnt sich an eine Situation und er lernt, sich zurecht zu finden und das Beste aus einer Lage zu machen. Überleben lautet die oberste Priorität der fünf kleinen Helden wider Willen. Das haben sie bisher gemeistert, aber ihre Gegner waren auch nur Tiere. Jetzt tritt ein Mensch gegen sie an: Der Herr der Messer. Seine Motive … Es sind keine erkennbar, wenigstens für die Kinder nicht (für den Leser schon), die sich zum ersten Mal in ihrem Leben gegen jemanden wehren müssen, der sie töten will.
Fabien Vehlmanns Szenario läuft eigentlich der künstlerischen Gestaltung etwas entgegen. Der Humor bricht hier nur zeitweise wie in einem Cartoon durch. Der Grundgedanke – hier noch stärker als im ersten Band – ist sehr ernsthaft angelegt und könnte, entsprechend gezeichnet ein noch breiteres Publikum ansprechen. Vorbehalte könnten durch den Cartoon-Look entstehen, so dass nicht angenommen wird, es handele sich um eine erwachsene Geschichte, sondern vielmehr um ein Kinderabenteuer mit Paris als großem verwaisten Spielplatz.
Dem ist aber nicht so. Vehlmann nimmt sich der eigenverantwortlichen Kinder an, die vermehrt auf sich gestellt sind, die vernünftiges Handeln entwickeln müssen. Dodji, der älteste der Gruppe, aus dem Waisenhaus stammend, ist das Paradebeispiel, fast schon vernünftiger als so mancher Erwachsene in dieser Situation. Die Unvernunft seiner Gefährten ärgert ihn, verlasst ihn beinahe, die anderen zu verlassen und sein Glück alleine zu versuchen. So ist es denn auch wirklich diese Unvernunft, die die Gruppe erst in die Schwierigkeiten bringt, die zum Ende des Bandes aufgeklärt werden.
Der Zeichenstil von Bruno Gazotti soll nicht schlechtgeredet werden, ganz im Gegenteil, doch er kann – muss nicht – Missverständnisse produzieren und so Leser außen vorhalten, die sich ansonsten für diese spannende Geschichte interessieren würden. Vielleicht kann der Ausdruck der Figuren hier durch den Zeichenstil noch besser transportiert werden. Cartoon-ähnliche Mimiken erlauben ganz andere, auch deutlichere Ausdrücke, als es Realzeichnungen in Comics gemeinhin vermögen. Der Strich sitzt in jedem Bild auf dem Punkt. Gazotti wäre mit seiner Technik auch ein guter Zeichner für Klassiker wie Spirou + Fantasio oder Lucky Luke.
Der Herr der Messer betritt das Szenario optisch wie einer der vielen Slasher-Gestalten, eine vermummte Gestalt im Kerzenschein, die eine Tür zu einem einzelnen Zimmer öffnet. In einem Film würde nur allzu deutlich, was sich hier anbahnt, denn Boden und Wände sind über und über mit Hieb- und Stichwaffen ausgelegt und behängt. Für einen Comic in dieser Optik will man diesen Gedankengang als Leser zuerst nicht wahrhaben. Und doch sehen sich die Kinder bald einem erbarmungslosen Killer gegenüber … Oder doch nicht?
Noch größere Spannung als im ersten Band, eine erwachsene Geschichte im Cartoon-Gewand, ungewöhnlich, gruselig, mit sympathischen Hauptfiguren, die einem noch ein wenig mehr ans Herz wachsen als zuvor.
Allein 2 – Der Herr der Messer: Bei Amazon bestellen