Der rote Korsar ist weithin berüchtigt auf See und zu Land. Seine Gegner fürchten ihn wie der Teufel das Weihwasser. Noch schlimmer ist, dass sie ihm alles zutrauen. Wer Schiffe kapert, der ist bestimmt auch ein Meuchelmörder und macht keinen Unterschied zwischen Mann, Frau und Kind. Aber weit gefehlt. Es gibt auch Grenzen, die dieser berühmte Pirat nicht überschreitet. Ein ganz in schwarzes Tuch gekleideter Mann macht dem roten Korsaren ein Angebot. Er möge auf See ein bestimmtes Schiff einholen und eine ebenso genau bestimmte Frau an Bord dieses Seglers ermorden. Die Reaktion ist unerwartet. Entrüstet schlägt der Pirat die Offerte aus, will sogar dem Auftraggeber an den Kragen. Vergeblich. Was bleibt zu tun? Gemeinsam mit seinem Sohn macht sich der Pirat auf den Weg, um die Frau zu warnen und vor dem Schlimmsten zu bewahren. Ein Wettrennen gegen die Zeit beginnt.
Ein neuer Zyklus im Leben des roten Korsaren und seines Sohnes Rick beginnt. Eigentlich scheint es zu Beginn eine einfache Angelegenheit zu sein. Eine Frau ist in Gefahr und muss gerettet werden. Dass letztlich das Leben so manches bekannten Piraten am seidenen Faden hängen wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Der Comic-Autor Jean-Michel Charlier schickt den roten Korsaren aus der amerikanischen Hemisphäre in die alte Welt zurück. Damit auch ja keine Pause aufkommt, setzt er seine Helden komplett durch all drei hier vorliegenden Geschichten unter Zeitdruck.
Gefährliche Erbschaft, Die Gefangene und Das Höllenschiff beschreiben eine Jagd auf unterschiedlichen Wegen. Mit dem Ende der dritten Episode ist das Langezeitabenteuer noch nicht am Schluss angelangt, aber immerhin konnte der Leser schon einen sehr ausgiebigen Blick auf das neue Schiff des roten Korsaren werfen. Der neue Schwarze Falke ist frisch von der Werft in Amsterdam gelaufen und spielt im dritten Abenteuer der 6. Gesamtausgabe der Reihe eine zentrale Rolle. Für die Feinde des roten Korsaren (und es sind sehr, sehr viele in dieser Folge) wird der Schwarze Falke wirklich zum Höllenschiff. Meisterzeichner Victor Hubinon gestaltete Seeschlachten, wie sie in diesen Konstellationen sicherlich äußerst selten, dafür aber umso aufregender sind.
Die Karibik lassen die beiden legendären Comic-Künstler in diesem Band komplett hinter sich. Die Jagd geht quer über den Atlantik, hinein ins Mittelmeer. Als neue Feinde treten die Mauren auf, teilweise von Europäern aufgestachelt. Geld und Liebe sind bald auf orientalischer Seite im Spiel, die europäischen Intriganten begnügen sich mit der Schacherei um die Macht. Österreich streckt seine Fühler gen Italien aus. Mittendrin stellt Rick, der Adoptivsohn des roten Korsaren weiterhin eine moralische Instanz dar, aber er wird hier sehr schnell an seine Grenzen geführt. Erkennen will er sie dennoch nicht. Da greifen seine Freunde ein. Zuerst zur Unterstützung herbeigeeilt, stellen sie die Vernunft in den Vordergrund und belehren ihren Freund nach Piratenart.
Die drei Abenteuer sind mit einer tollen Geschwindigkeit erzählt (Stichwort: Wettrennen gegen die Zeit) und jedes Ereignis sorgt für einen nur noch größeren Sprung nach vorn. In der Episode Das Höllenschiff gipfelt dieser Erzählschwung von Jean-Michel Charlier. Von diesem Gipfel geht es in die Schussfahrt, im wahrsten Sinne des Wortes. Der Schwarze Falke mit den feuerroten Segeln kann gleich mehrfach seine Eignung in der Schlacht beweisen. Wo sich andere Schiffe (auch durch eine weniger findige Besatzung) die Zähne ausbeißen, kann das Piratenschiff sich freikämpfen. Pirat hin oder her, der rote Korsar und seine Mannen waren nicht häufig vom Glück begünstigt (allenfalls im richtigen Moment), so ist es einmal spannend mit anzusehen, wenn der Teufel mit ihnen ist. So betonen es die Halunken beider Seiten oft genug.
Die maltesische Hafenausfahrt, die über einen besonderen Schließmechanismus verfügt, wie auch die maurischen Piraten können ein Lied von der Schläue und der Durchsetzungsfähigkeit ihrer karibischen Kollegen singen. In den abschließenden Kämpfen, während derer nicht allein, aber besonders der technische Vorsprung des Schwarzen Falken eine Niederlage selbst gegen eine Überzahl des Feindes unmöglich macht, herrscht wieder eine Kintoppatmosphäre, wie sie mit Leinwandhelden wie Errol Flynn und auch neuerdings Johnny Depp einhergehen (allerdings ohne Fantasy).
Eine geballte Ladung Roter Korsar lässt sich mit Fug und Recht unter dem Strich für die sechste Gesamtausgabe der Reihe behaupten. Hier kracht es, dass sich die Balken biegen und brechen. Deutlich mehr Action und Rasanz als gewöhnlich. Klasse! 🙂
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