Largo Winch wollte nur eine alte Schuld begleichen und tappte blindlings in eine Falle. Nun sitzt er gefesselt in einem geheimen Verlies, wo er den Anblick eines toten Freundes ertragen muss. Largo harrt aus, während seine übrigen Freunde nach einem Weg suchen, um ihn zu finden. Nach kurzer Zeit offenbaren sich die wahren Drahtzieher. Largo scheint gebrochen zu sein. Er geht sogar darauf ein, einer Übernahme eines Teils seiner Firma zuzustimmen. Hager und ausgezehrt, bärtig durch die lange Haft und schweigsam setzt er sich an den mitgebrachten Laptop, um seinen Geheimcode an seine Holding in Liechtenstein zu schicken.
Die Fortsetzung von Hüter des Tao hält sich nicht lange mit einem Rückblick auf. Gerade einmal eine Seite genügt, damit der Leser ins rechte Licht gesetzt ist und sich mit ins Abenteuer stürzen kann. Und was für ein Abenteuer das ist!
Der Weg der Tugend führt hier kaum zum Ziel. Largo Winch muss sich nicht zum ersten Mal mit Verbrechern der finstersten und gefährlichsten Sorte herumschlagen, aber selten zuvor waren sie derart verschlagen und über alle Maßen hinterlistig. Wir begegnen Largo Winch in einer Situation, die an Kriegsgefangenschaft erinnert. Nur mit einer Hose bekleidet sitzt er der Leiche dessen gegenüber, mit er einst aus einer Haft in Tibet flüchtete. Der Tote, bereits von Ratten angenagt, wirkt wie ein Zeichen von Largos Zukunft. Jean van Hamme zeigt dem Leser einen abgrundtief gebrochenen Mann, wie er gemeinhin aus diversen Gefängnisgeschichten und –filmen her bekannt ist. Wer dieses von Philippe Francq erstklassig gezeichnete Szenario sieht, muss einfach glauben, dass nun das Ende von Largo Winch bevorsteht.
Es sollte jedem klar sein, dass Largo dieses Szenario übersteht, ansonsten wäre die vorliegende Geschichte schnell vorüber. Andererseits ist bereits dieser Handlungsauftakt gespickt mit Überraschungen, die sich schnell hochschaukeln, bis …
Der Abschluss dieser Sequenz endet mit einer Szene, die ohne den berühmten Computer in einem Film nicht machbar wäre, da sich – gerade im heutigen Hongkong oder in einer beliebigen anderen Weltstadt – hierfür niemals eine Drehgenehmigung finden ließe. Diese Bilder sind dank der überaus akuraten Zeichnungen nicht nur ein Hochgenuss, sondern reißen gerade durch die Optik ganz besonders mit. Jean van Hamme mag Verfolgungsjagden durch Großstädte. Mit diesem Kniff, der sicherlich auch für den sehr guten Zeichner Philippe Francq eine Herausforderung war, hat er sich selbst übertroffen. Darüber hinaus sollte es sogar menschenmöglich sein – setzt man einen Vergleich zu James Bond an, dessen Überwindung physikalischer Gesetze das eine oder andere Stirnrunzeln der Zuschauer hervorruft.
Im Anschluss widmet sich Van Hamme der Entknotung diverser Endstücke, die den Leser bisher vor ein Rätsel stellten. Pläne werden geschmiedet, neue Allianzen entstehen. Ovronnaz, Largos schweizerischer Freund, und Silky, Largos asiatische Pilotin müssen sich notgedrungen zusammenraufen und bilden zusammen mit Freund und Chef ein entschlussfreudiges Trio. Am Rande geht es auch immer noch um das Tao Te King, jene uralte Schriftrolle, die einst von Laotse selbst geschrieben worden sein soll. Der geschichtliche Exkurs währt nicht lange. Auf abenteuerliche Weise führen die drei ihren nächtlichen Plan aus – allerdings läuft es auch hier wieder nicht glatt, ganz und gar nicht.
Gerade die menschliche Komponente – andere würden es auch Murphys Gesetz nennen – lässt stets neue Überraschungen entstehen. Van Hamme nutzt die Stärken und Schwächen seiner Charaktere exzellent, damit keine Längen entstehen. Es lässt sich zu keiner Zeit vorhersagen, wann sich eine Schwäche nachteilig auswirkt oder sogar zum Vorteil gereicht. Neben einer sorgfältig vorangetriebenen Handlung fehlt auch der Humor nicht – der hier jedoch sehr viel kürzer ausfällt als sonst. Der Witz beschränkt sich hier auf ein paar Neckereien zwischen Ovronnaz und Silky, meist erotischer Natur, und heitert an den richtigen Stellen auf. Wie Jean van Hamme punktgenau erzählt, ist erschreckend gut. Und es wird als Augenschmaus dank der strahlenden Farben noch einmal besser.
Largo Winch erlebte viele Abenteuer an verschiedenen Orten der Erde, doch gerade in Asien (mit den Abenteuern Makiling, Tiger, Hüter des Tao und dem vorliegenden Band) hat sein Erfinder Jean van Hamme den perfekten Spielort für seinen Helden gefunden. Ein glänzendes Action-Abenteuer mit wahnwitzigen Ideen, die einem – obwohl auf Papier dargeboten – den Atem anhalten lassen. 🙂
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