Mai 1755, Akadien, im Nordosten des nordamerikanischen Kontinents: Das Schiff kämpft sich in der Nacht auf die Küste zu. In der Ferne strahlt ein großes Feuer und verheißt Hoffnung. Niemand an Bord ahnt, dass Strandräuber sich bereits bereit halten, um das Schiff zu plündern. Die Klippen sind in der Brandung nicht zu erkennen. Die Menschen an Bord kämpfen mit aller Kraft um ihr Überleben. Sobald das Segelschiff auf die Felsen aufsetzt, versuchen sie ihr Heil in der Flucht mit einem Beiboot. Leichter wird es dennoch nicht, das rettende Ufer zu erreichen. Dort werden sie bereits erwartet.
Die neue Welt: Emy, die mit ihren Zufallsgefährten ihren Fuß auf diese fremde Welt setzt, stellt in Windeseile fest, wie gefährlich dieser Kontinent ist. Die Gefahren drohen von den bereits angekommenen Siedlern. Indianische Stämme suchen sich die Weißen, denen sie ihre Freundschaft schenken, sehr genau aus. Meist gehen sie Bündnisse ein, um gegen andere Stämme einen Vorteil zu erlangen. Und schließlich sind die Rotröcke, die Engländer, auf Emys Spur, die nur ein Ziel hat.
Denis-Pierre Filippi setzt vom Start der Serie weg, genauer von der ersten Seite an, auf Dramatik. Es scheint unmöglich, in diesem Land auch nur einen ungefährlichen Schritt zu setzen. Dies ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wenn es um Feinde und Todesarten geht. Zwischen den einzelnen Wegabschnitten, denen der Leser im Laufe der Zeit folgt, gibt es kurze Rückblicke zu der nicht minder gefährlichen Überfahrt, die Emy und ihre neuen Freunde überhaupt erst an diese Küste gebracht hat. Die Schilderung dieses gänzlich unzivilisierten Landes bewegt sich auf den Spuren von Abenteuerromanen, die dieses Genre so anziehend gemacht haben. James Fenimore Cooper und sein Lederstrumpf lassen grüßen.
Der wilde Osten: Über den Wilden Westen gibt es viele Geschichten. Cowboys, die durch die Prärie streifen, sind sattsam bekannt. Doch der Osten, üppig bewaldet, eher dunkel als hell, ist teilweise wie ein blinder Fleck im Westerngenre. Umso spannender ist es, dieser Frühphase der amerikanischen Kolonialisierung in diesem Serienauftakt beiwohnen zu dürfen. Sind auch Indianer bekannt, so bestechen diese Ureinwohner durch ihre Andersartigkeit, Irokesen und Delawaren, und ihre größere Wildheit, die noch weniger durch weiße Einflüsse durcheinandergebracht wurde. Denis-Pierre Filippi macht dem Leser mit diesen und weiteren Einflüssen schnell deutlich: Hier kann an jedem Punkt alles geschehen.
Und so bleibt man an der Geschichte dran, die von Gilles Mezzomo in flottem und gleichzeitig klassischem Strich inszeniert wird und manches Mal einem frühen Francois Bourgeon oder Jean Giraud nahe kommt. Gilles Mezzomo, der zusammen mit Denis-Pierre Filippi schon die eher städtisch orientierte Westernreihe Ethan Ringler umsetzte, pflegt eine Strichführung, die zurück den Wurzeln früherer beliebter Stile in Tuschezeichnungen reicht. Im Zusammenhang mit Mezzomo dürfen auch die Zeichnungen eines Hugo Pratt zum Vergleich herangeführt werden. Sehr inspiriert, instinktiv, ein wenig wie eine Momentaufnahme, aber immer mit sicherem Blick für die richtige Bildeinstellung.
Diese heben sich von den herkömmlichen Western ab. Die Kämpfe verlaufen anders, noch weniger maschinell, auch ein Folge von Gewehren, die nur einen Schuss abgeben können und dann wieder nachgeladen werden müssen. Die Wanderung erinnert mehr an Dschungelabenteuer, mit den Rückblicken auf die Ereignisse zur See erhalten die Bilder sogar eine Spur Seeräuberflair.
Denis-Pierre Filippi zaudert nicht: Sofort ins Geschehen, mitreißend, an der Seite einer starken Frauenfigur auf einem noch sehr ungezähmten neuen Kontinent. Gilles Mezzomo geht versiert zu Werke, mit dem Gespür für einen flüssig zu lesenden Bildaufbau, sehr filmisch, genau richtig für diese Handlung. Wer klassische Abenteuergeschichten aus der Frühphase Nordamerikas mag, liegt hier richtig. 🙂
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