Der Junge ist schwer krank. Jesus hat Mitleid. Er hat es auf seine Art zu bekämpfen versucht, so recht gelungen ist es ihm nicht. So ist er auch sofort bereit, den Jungen zu heilen. Der ihn daraufhin mit einer Waffe zu bedroht. In der amerikanischen Großstadt, zwischen Normalbürgern, Versagern und Todkranken, treibt sich der Sohn Gottes herum. Obwohl er sich verraten fühlt, geht er noch seiner Aufgabe nach, heilt und teilt mit anderen. Nur manchmal, wenn ihm dann doch der Kragen platzt und er den Wahnsinn dieser Welt nicht mehr erträgt, wird er rabiat.
Der Vater hat den Sohn verlassen. Einzig ein Gehilfe steht dem Blinden zur Seite. Der besagte Sohn, Jesus, weilt wieder auf Erden, dick geworden, niedergeschlagen, resignierend und ständig den Versuchungen eines Hilfsteufels im Miniformat ausgesetzt. Dieser, zwergenhaft, mit Narrenkappe, dem Aussehen sowie dem völkermordenden Charakter eines Hitler ausgestattet, versucht, verführt oder versorgt den Sohn Gottes wenigstens mit Stoff. Matthias Schultheiss kreiert einen Jesus, der von seines Vaters Machenschaften, von all dem, was dieser zulässt, ziemlich angeekelt und angeödet ist. Gleichzeitig, bei allem Verdruss, hilft Jesus Kindern, wo er nur kann.
Dieser Jesus meint es ernst: Keine Komödie, eher eine ironische, zynische Anklage mit jenem Jesus in der Hauptrolle, der die Händler aus dem Tempel vertrieb und am Kreuz klagte, dass sein Gott ihn verlassen habe. Und dieser Jesus hat sich Fett angefressen und jagt sich Drogen in die Adern. Andererseits wirft er sich in die Flammen eines brennenden Hauses, um Kinder zu retten. Jene, von denen er glaubt, dass sein Vater auch sie verlassen habe. Er heilt die Todkranken und ist voller Mitleid jenseits der Verzweiflung, die ihn um die Welt treibt.
Aber dieser Jesus rennt nicht nur weg, flieht nicht nur vor seinem Schicksal, weshalb Gott ihn mit Blindheit strafte, er wird zugleich gejagt, als die Kirchenoberen erkennen, wer da wieder auf der Erde wandelt. Matthias Schultheiss lässt nichts aus, lässt seinen Jesus regelrecht auf die Menschen los. Dieser Jesus stellt die Fragen, die sich die Menschen oft über den Allvater stellen, der das Leid der Welt nicht verhindert. Und er stellt ihm gleichzeitig eine Kreatur zur Seite, die einer der größten Massenmörder der Menschheit ist. Dieser kassiert auch mal Prügel. Letztlich still bekommt ihn auch Jesus nicht.
Matthias Schultheiss pflegt einen sehr intuitiv wirkenden, sehr ausdrücklichen Zeichenstil, der das Schöne treffen kann, aber das Hässliche in den Mittelpunkt stellt. Einzig die Kinder bilden einen wirklich schönen Aspekt seiner Bilder mit ehrlichem Lächeln, auch Dankbarkeit und Freude um ihrer selbst willen, will man es poetisch ausdrücken. Jede Seite will als Einheit betrachtet werden: Text und Bild bilden ein Ganzes. Im Dialog oder aus dem Off erzählt, sogar unterstützt durch krakelige Strichzeichnungen, wie Jesus eine auf dem Titelbild auf dem Rücken eingeritzt hat.
Dieser Jesus ist optisch ein heruntergekommenes, völlig desillusioniertes Wrack, aus feinen, schnellen Linien geformt, mit einer fetten, starken, expressiven Computerkolorierung ausgewölbt. Schultheiss karikiert den Realismus, sie beißen ins Auge und schüren Mitleid, für diesen Jesus, der rebelliert und sich gegen Gott auflehnt, ebenso wie er sich weigert, sich selbst aufzugeben. Unmerklich gleitet der Realismus ins Surreale ab, wenn Jesus in die Fänge der Kirche gerät, die nichts besseres zu tun hat, als ihn erneut zu kreuzigen.
Eine Abrechnung, eine Anklage, ein Bombardement von Fragen: Matthias Schultheiss reiht sich mit dieser (nennen wir sie) Satire in Veröffentlichungen ein wie Suing the devil oder Gott bewahre (von John Niven), in der Jesus ebenfalls seine Probleme mit der modernen Welt und Gott hat. Er ist ein wenig so, wie Klaus Kinski ihn in seinem legendären Vortrag über Jesus Christus Erlöser beschreibt. Eines wird auch in dieser Geschichte deutlich: Hier wartet bei allen Fragen keiner auf den Messias. Nicht mehr.
Deutlich, unmissverständlich, eine Aussage: Vielleicht ein wenig mehr, vielleicht zu viel, vielleicht auch zu wenig. Matthias Schultheiss nimmt in jedem Fall kein Blatt vor Mund und scheut sich nicht, den Zeichenstift da anzusetzen, wo es möglicherweise weh tut. Sehr menschlich, eindringlich, aber bestimmt nicht jedermanns Sache. Grafisch stilistisch eigen, mit starkem Ausdruck. 🙂
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