Die Puppen wissen Bescheid. Wie in alter Zeit berichten Puppen in einem kleinen Theater über Missstände, verarbeitet der Puppenspieler den Klatsch und die Tragödien von der Straße. Mary, Black Mary, wie sie genannt wird, hat es an die Spitze der Bruderschaft der Gauner geschafft. Aber wer ist in dieser Welt eigentlich ein Gauner? Sind es die kleinen Fische, die stehlen und betrügen? Oder sind es die Unternehmer, die Industriellen, die durch die Ausbeutung der unteren Klassen immer reicher werden? Längst genügen Worte nicht mehr, längst ist der bewaffnete Kampf auf den Straßen angekommen, streiten die Arbeiter hinter eiligst gebauten Barrikaden gegen die Soldaten mit ihren Musketen und Bajonetten.
David Chauvel nimmt den Leser im dritten und abschließenden Teil der Black-Mary-Trilogie mit in die Zeit der Arbeiterbewegungen des 19. Jahrhunderts. Mary, eine außergewöhnlich starke Frau an der Spitze von Gaunern, öffnet ihr Herz für die Belange der Arbeiter und tritt mit der Bruderschaft in ihrem Rücken den Unternehmen offen entgegen und stellt Forderungen, die nur Widerstand hervorrufen können: Kürzere Schichtzeiten bei doppeltem Lohn. Die höhere Gesellschaft, die nicht an ein erfolgreiches Vorgehen von Polizei und Soldaten gegen das Bündnis der Arbeiter glaubt, wählt noch einen weiteren Weg zur Beseitigung von Mary: Den des hinterhältigen Attentäters.
Vor diesem Hintergrund entwickelt Chauvel unerwartet eine Liebesgeschichte, die zögerlich wächst. Mary verweigert sich dem Verehrer zunächst. Der Ernsthaftigkeit des Werbens des blonden Copley kann sie sich aber auf Dauer nicht erwehren. Und da ist noch eine magische Ebene, ein Beschützer, der dann erscheint, wenn es brenzlig ist. Hier bringt Chauvel ein Mystery-Element ein, das für denjenigen, der die ersten beiden Episoden verpasst hat, vielleicht unpassend, mindestens aber ungewöhnlich wirken muss. Chauvel verfolgt diesen Kurs aber weiter fort, im Stile alter Gruselerzählungen, so dass sich der Bogen am Ende schließt.
Grafisch kann Erwan Fages mit seinen Zeichnungen nur überzeugen. Fages, der seine Figuren mit einem möglichst realistischen und individuellen Strich versieht, kann diese Epoche an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter mit großer Lebendigkeit darstellen. In einem ruhigen Seitenaufbau, von sechs bis hin zu dreizehn Bildern pro Seite, tritt gerade durch die extrem feine Strichführung niemals ein überfüllter Effekt ein. Besonders hervorzuheben in dieser schönen historischen Darstellung (in der Ausführung, inhaltlich ist es sehr dramatisch) sind die Straßenkämpfe wie auch die kleine romantische Sequenz, die auch die einzige glückliche dieser Art bleibt.
Der kleine erzählerische Trick, den Leser mit Informationen über die Darstellung eines Puppenspiels zu versorgen, sorgt für den nötigen Humor. Er ist grafisch ulkig, erinnert selbstverständlich an das gute, alte Kasperle-Theater, ist aber ungleich ernsthafter, auch gemeiner. Chauvel verwebt die Szenen geschickt mit der Haupthandlung, die immer mehr einem überaus furchtbaren Finale zustrebt.
Gegensätze: Im Stile romantischer Gemälde kommen sich Mary und Copley näher. Es ist die einzige grüne, wirklich freundliche Sequenz von Fages, der hier auch die Kolorierung übernommen hat. Demgegenüber steht eine Hochzeit mit einer ganz in Schwarz gekleideten Mary, mit einem zur Zeremonie gezwungenen Priester, fast schon eine Verhöhnung der berühmten Szenen, in denen sich ein anderer Vogelfreier, Robin Hood nämlich, mit seiner Marian trauen lässt.
Eine streng erzählte Geschichte, keine Romanze, sondern harter Straßenkampf, Oben gegen Unten, nur böse sind sie irgendwie alle. Die einen mehr, die anderen weniger. Spannend, auch traurig, ein wenig mysteriös. Black Mary entzieht sich einer genauen Einteilung, aber das macht gerade den Reiz des Abschlussbandes aus. 🙂
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