Ein Junge ohne Arme und Beine wird geboren. Dennoch soll er eines Tages das Joch der Unterdrückung dieses Planeten abschütteln und die Völker in die Freiheit führen. Alef-Thau wächst behütet auf. Bedrohungen sind indes in dieser Welt an der Tagesordnung. Ein Kind, später ein Junge, wehrlos, scheint oft eine leichte Beute zu sein. Gäbe es nicht all jene, die an die Prophezeiung glauben und ihr eigens Leben für seines riskieren. Und tatsächlich: Das Schicksal hat ein Einsehen. Es gibt ihm eine Chance. Allerdings muss Alef-Thau daraufhin noch härter für seine Ziele kämpfen und je mehr sich seine Fähigkeiten verbessern, desto gefährlicher wird es.
Alejandro Jodorowsky ist ein Autor, der in den Genres umherwandert, die Phantastik, die Science Fiction, die Historie und auch den Thriller zu seinen Spielfeldern erkoren hat, aber stets wirft er das Bekannte halb über Bord, um durch neue Elemente etwas Ungewöhnliches zu erzählen. Ein sehr gutes Beispiel ist Alef-Thau. Welcher Held in einem doch sehr aktionsgeladenen Abenteuer startete zuletzt ohne Arme und Beine in eine Geschichte?
Immerhin sehr geliebt und behütet wächst der Held auf, nur um schließlich in sein erstes großes Abenteuer getragen zu werden. Jodorowskys Arbeit ist von Bildern geprägt und liefert der reinen Unterhaltung gerade hier einen gewissen Interpretationsspielraum. Es ist einerseits Fantasy mit Kriegen, Vorhersagen, vielen verschiedenen Völkern, auch einer verwunschenen Landschaft. Aber es ist auch ein Märchen, dessen Grenzen zwischen Gut und böse immer weiter aufbrechen, mit Wendungen, die durch die Figur Alef-Thau erst möglich werden. Am Ende geht es um die ganz große Liebe. Und um Hass. Beides findet sich bei Jodorowsky in einer untrennbaren Einheit wieder, ein Motiv, das er in verschiedenen Publikationen aufgreift. Man könnte auch sagen: Jodorowsky liebt den Kampf von Gut gegen Böse.
Arno zeichnet eine klare Linie, eindeutig, ohne zu verbergen. Eine Form, die er braucht, aber verschleiert, weil sie vielleicht nicht optimal ist, gibt es bei ihm nicht. Schatten überlässt er der Kolorierung. Es ist eine mitunter kindliche, mal auch naiv aussehende Phantastik im besten Wortsinn, die dann wieder durch drastische Bilder überrascht. Aber dies ist eben auch ein Märchen und solche wissen durch heftige Aktionsspitzen zu überraschen. Optisch ist Arno sicherlich in der Nähe eines Moebius. Die mit einer einfachen Strichstärke gezeichneten Bilder strahlen Ruhe aus, auch, je nach Szenario, eine wohl berechnete Dramatik. In Massenszenen, Schlachten hat das Auge des Lesers einiges zu finden, an anderer Stelle kann es sich schlicht an den feinen, im wahrsten Sinne des Wortes kleinen Charakteren erfreuen.
(Der kleine Pirlipei ist eine Art Chewie im Miniformat, weniger eine Mischung aus Hund und Bär, dafür von unerschütterlicher Treue und großer Freundlichkeit.)
Alejandro Jodorowsky schickt den Leser an der Seite von Alef-Thau auf eine Quest, die jedoch manchmal den Eindruck erweckt, als handele es sich um ein Kammerstück. Die Welt und die Weite von Mu-Dhara, wo sich Alef-Thaus Schicksal erfüllen soll, erscheint übersichtlich. Entfernungen werden zu Fuß, per Boot, fliegend oder auch per Geistform überwunden. Der Eindruck verstärkt sich noch durch den Umstand, dass Mu-Dhara für die weibliche Hauptfigur Diamantha eine Art Experimentierfeld ist, weil es auch bei ihr ein Schicksal zu erfüllen gibt (dem Alef-Thau so ziemlich im Weg steht).
Phantastik in Reinkultur: Mit Alef-Thau liefert Alejandro Jodorowsky in diesem ersten Teil der zweibändigen Gesamtausgabe sicherlich eine der schönsten und märchenhaftesten Erzählungen ab. Sicherlich auch mit der gewohnten Schrägheit, aber auch mit viel Wärme und Herzlichkeit dargeboten. Mit Arno findet sich ein Künstler, der die Atmosphäre mit der gleichen Wärme technisch zwischen Comicstrip und frankobelgischer Klassik einfängt. Vorbildlich. 🙂
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