Kirihito gerät von einer Gefangenschaft in die nächste. Die Dorfbewohner halten ihn für ein Monster mit Hundegesicht. Die Tatsache, dass sie ihn in der Gesellschaft einer nackten Frau stellten, macht es nicht einfacher für ihn. Wenig später hockt er in einem Käfig. Ein wenig ungläubig, aber auch voller Hass bestaunt. Erst der Umstand, dass er über medizinische Fähigkeiten verfügt, sorgt für eine Chance. Der Dorfälteste ist schwer erkrankt. Kirihito könnte ihn retten, wenn ihm die Gelegenheit dafür geboten wird. Wenn ihm ausreichend Vertrauen entgegengebracht wird. Wenn die schwierige Operation gelingt.
Vom Regen in die Traufe. Mit Kirihito Osanai, der titelgebenden Figur des vorliegenden zweiten Teils der kleinen Reihe, ist Autor und Zeichner Osamu Tezuka ein Held gelungen, der das Beste will und dennoch von einer gefährlichen Situation in die nächste rutscht. Ein Held, der sich wehrt, aber oft chancenlos ist. Ein Held, der durch eine schwere Krankheit das Äußere eines Hundes besitzt, der ständig erniedrigt wird. Ein Held, der sich trotz allem für andere einsetzt und durch seine Uneigennützigkeit die Herzen anderer Menschen gewinnen kann.
Obwohl sich gerade letzteres für eine gutes Ende eignet, ist die Geschichte von Osamu Tezuka weit davon entfernt zu einem schnöden Melodram zu verkommen. Der Handlungsstrang um Kirihito ist nur eine Seite der Medaille. Auf seinem Weg ist der Mediziner, der Kirihito immer noch ist, verschiedenen Menschen begegnet. Jener, der ihn zu seiner Belustigung kämpfen ließ, leidet nun selbst an der furchtbaren und entstellenden Krankheit. Kirihitos (ehemaliger) Kollege Dr. Urabe, der zum Vergewaltiger geworden ist, nicht einmal, sondern mehrmals, hat seine Monströsität erkannt, gelobt sich selbst Besserung und kämpft mit inneren Dämonen.
Während Kirihito aus echtem Interesse an einer Heilung arbeiten will, handeln Kollegen wie Kirihitos Vorgesetzter aus reinem Ehrgeiz. Der Mensch ist Versuchsobjekt, Vorzeigeobjekt, eine Trophäe. Eine neue Krankheit, eine Erfindung der Natur, wird zum eigenen Erfolg hochstilisiert. Osamu Tezuka zeigt gleichzeitig auf welch tönernen Füßen ein solcher Erfolg steht. Wie schwammig und auch wie gefährlich. Schnell kann mit dem Tod des Patienten die Karriere auf der Kippe stehen. Eine Karriere, die in diesem Moment über dem Wohl des Patienten steht. Der Hippokratische Eid ist nur noch eine Farce. Osamu Tezuka zeigt die Götter in Weiß in keinem sehr guten Licht.
Osamu Tezukas Bilder schwanken technisch zwischen kindlichem Manga, Karikatur und ernsthafter Zeichnung. Man gewinnt den Eindruck eines sezierenden Blicks. Die Zeichnungen gewähren Ausschnitte von Szenen und Gesichtern, als habe Osamu Tezuka zum Angriff auf seine Figuren übergehen wollen. Insbesondere Gesichter werden zum Plakat von Charaktereigenschaften. Ehrgeiz, gepaart mit Arroganz. Intoleranz. Und stets werden auch die negativen Folgen erwähnt, drücken sich mit aus. Einsamkeit. Gehetzt wirkend. Verfolgt. Aggressivität. In der Art sich selber zum Erfolg zu steuern, werden Osamu Tezukas Figuren zum Sklaven ihrer Ziele. Mitleid kommt trotzdem nicht auf.
Den Bildern liegt sehr oft eine traurige Grundstimmung zugrunde. Selbst auf der Höhe des Erfolgs ist jemand wie der Professor traurig gestimmt, steht der nächste Zusammenbruch gleich auf den folgenden Seiten. Wenn dann in den Bildern die Gewalt ausbricht, bleibt dem Leser nur die Frage, warum es erst jetzt dazu kommt. Ausgerechnet die Verlorenen, auch Kirihito selbst, haben diesen Zustand so lange hinauszögern können.
Komplex, hoch spannend, dramatisch: Kirihito ist und bleibt (weitestgehend) die einzige Sympathiefigur in diesem Reigen. Osamu Tezuka bemitleidet die Opfer, weist ihnen aber keinen Weg aus dieser Rolle heraus. Wer Tragödien verkraftet, in denen Figuren den ihnen zugesprochenen Platz scheinbar nicht verlassen können, einen etwas anderen, auch erwachsenen Comic, der sollte einen Blick riskieren. 🙂
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