Die beiden Taucher freuen sich über ihre Entdeckung. Jedenfalls so lange, bis sie die Hand ihres dritten Kameraden an sich vorüber schweben sehen. Hinter ihnen wird ein riesiger schwarzer Schatten sichtbar. Kurz darauf bricht die Kommunikation mit dem Team ab. Andernorts ist die Stimmung wesentlich gelöster. Die Erkundung eines Bergsees hat erstaunliche Ergebnisse zutage gefördert. Abgeschieden von allen Einflüssen haben sich die Tiere in einer Form entwickelt, die niemand für möglich gehalten hätte. Ein Meter große Krebse, Hechte, von denen das größte Exemplar fast 3,50 Meter lang geworden ist. Wenn derlei evolutionäre Sprünge möglich sind, warum nicht noch mehr? Wo es vorwärts geht, kann auf dem Weg auch etwas stabil geblieben sein.
Etwas hat überlebt! Darf es auch ein wenig mehr sein? Christophe Bec hat die Tiefsee als Thema für sich entdeckt. Der Ozean ist nicht erst seit einem Schwarm im Mittelpunkt von Öko-Horror-Thrillern. Peter Benchley schickte den den weißen Hai auf die Jagd. Sein Beast folgte als Schrecken aus der Tiefe. Viel näher an der vorliegenden Thematik lag bereits Steve Alten mit seinen Romanen MEG und der Fortsetzung Höllenschlund. (Erschienen 1999 und 2001. Der dritte und vierte Band der MEG-Reihe liegen leider nicht auf Deutsch vor.)
MEG! Genauer gesagt: Carcharodon Megalodon. Ein Ur-Hai, neben dem sich der Große Weiße ausnimmt wie ein Schmusetier, treibt mit seinen 25 Metern Länge jedem Meeresbiologen Tränen in die Augen. Christophe Bec lässt die Entdeckung des MEG zunächst unter Verschluss halten. Ein mächtiger Konzern namens Carthago macht die Entdeckung einer bis dahin sehr abgeschlossen existierenden Unterwasserwelt. Die Betonung liegt auf sehr, denn sie ist eben nicht komplett abgeschlossen. So werden weitere Zugänge gefunden. Die Forscher, die sich einer radikalen Umweltgruppe anschließen, geraten sehr bald in Gefahr.
Christophe Bec hat einen Thriller geschrieben, der sehr geradlinig verläuft, aber auch Wendungen und Überraschungen parat hält. Der Gegner ist nicht nur menschlich, er ist tierisch und somit (auch wegen seiner Eigenschaft als Relikt einer fernen Vergangenheit) nicht berechenbar. Sicherlich hat ein MEG nur ein Ziel: Fressen. Zumindest sieht es hier danach aus. Und wenn er nicht frisst, beißt er etwas gelangweilt zu, ohne sich alles zu Gemüte zu führen. Ein Wal aus dem Prolog dieser Geschichte ist der beste Beweis für diese Verhaltensweise.
Wissenschaftler müssen forschen. Aber sie gehen dabei nicht besonders klug zu Werke. Sie mögen intelligent sein, doch die Neugier und der Forscherdrang schieben zuweilen die Vorsicht zur Seite. Selbst, wenn es darum geht, das eigene Leben zu schützen. Angesichts der Vermutungen, die zu Beginn kursieren (auch angesichts eigener Erfahrungen), agieren die Wissenschaftler zwar versiert, aber relativ unbedacht. Das darf Christophe Bec aber nicht angekreidet werden. In anderen Szenarien gibt es ähnliche Verhaltensweisen, außerdem (ein Trick, der das Vorgehen der Charaktere rechtfertigt) sind die Ressourcen der Wissenschaftler begrenzt.
Mit Eric Henninot wurde neben einem geradlinigen Erzähler ein ebensolcher Künstler gefunden, im wahrsten Sinne des Wortes. Dieser Zeichner beschränkt sich auf schlichte Linienführung, die sitzt. Es ist nicht zu wenig, detailgetreu und möglichst realistisch. Das ist stilistisch vergleichbar mit einem Thierry Labrosse (Morea), vielleicht auch mit einem Colin Wilson (Point Blank). Nur gehört Eric Henninot zur künstlerischen Sorte der Architekten, Künstler, die nichts dem Zufall überlassen und eine sehr feine Ausdrucksweise haben. So wie hier ergeben sich tolle Bilder, die wunderbar zu einem Wissenschaftsthriller wie auch zu einer Monsterhatz in der Tiefsee passen.
Aufgefallen: In einem Prolog, 2300 vor Christus, kann der Leser einen Vorzeitmenschen beobachten, der eine Art Schneebrille trägt. Jedoch nur einige Bilder lang. Es ist fraglich, ob derlei Ideenreichtum damals schon existierte. Die restliche Bekleidung des Jägers ist längst nicht so innovativ.
Ein sehr spannender Auftakt: Eine Jagd auf die überlebenden Zeugen der Vergangenheit. Ebenso gut gelungen wie MEG. Wer Thriller im Stile des angesprochenen Romans mag, oder auch Szenarien wie Jurassic Park, der liegt mit dem in schönen Bildern erzählten Auftakt genau richtig. 🙂
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