Zum Inhalt springen


Comic Blog


Mittwoch, 23. Dezember 2009

Sleeper 4 – Das lange Erwachen

Filed under: Thriller — Michael um 15:24

Sleeper 4 - Das lange ErwachenGretchen hat eine merkwürdige Art und Weise, um für einen Auftrag in Schwung zu kommen. Sie prügelt sich gerne. Manchmal tötet sie auch mit einer starken Beiläufigkeit einen Menschen. Niemand sollte Miss Misery, wie ihr Unterweltsname lautet, über Gebühr reizen. Das Beste ist eigentlich, man geht ihr einfach aus dem Weg. So schnell wie möglich und so weit wie möglich. Einigen sind diese Chancen verwehrt. Ein alter Mann im Rollstuhl freut sich gerade noch über die Hilfe, die ihm durch die freundliche Dame zuteil wird. Im nächsten Augenblick … Und wäre das noch nicht genug, kann sich der Taxifahrer, der Gretchen transportieren soll, auf eine Schlittenfahrt der besonderen Art freuen. Oder doch nicht?

Die letzte Runde im Untergrundkampf von Carver Holden gegen eines der mächtigsten Verbechersyndikate der Welt. Abseits der üblichen Superhelden-Geschichten, mit deutlichen Wurzeln in der Welt der WILDC.A.T.S. konnte der Leser bis hierher einer Agentenhandlung folgen, die ihresgleichen sucht. Versorgt mit dem Besten aus mehreren Welten, hat Ed Brubaker beinahe ein neues Genre erschaffen: Ein dreckiges Geschäft namens Superkräfte.

So ungefähr jedenfalls. Ed Brubaker hat eine komplexe Handlung geschaffen, in der weder die Hauptfigur noch der Leser stets sicher sein kann, wer eigentlich die Guten sind. Am allerwenigsten weiß der Leser, ob er gerade weiß, wo der Hase lang läuft, denn hier ist der Schein alles. Nicht nur Holden, sondern auch Tao, das Ziel der gesamten Operation agiert mit schwer durchschaubaren Winkelzügen. Wenn schließlich noch Holdens eigentlicher Chef ins Spiel kommt und seine eigenen Pläne verfolgt, dann … Kurzum, hier liegt ein sehr langes Finale vor, dessen Ende bis kurz vor Schluss kaum absehbar ist.

Wie Ed Brubaker in dieser Phase den Spannungsbogen nicht nur hochhalten, sondern auch noch steigern kann, ist ein wahrhaftiges Kunststück, nicht nur für das Comic-Genre, vielmehr für eine Erzählung insgesamt. Gäbe es den Sammelbegriff Sex and Crime nicht, müsste er für dieses Szenario erfunden werden. Brubaker erspart weder seinen Figuren, noch dem Leser etwas. Wer die vierteilige Reihe bis hierher verfolgt hat, kennt die Eskapaden von Miss Misery, doch derart ausfallend ist noch nie geworden. Das geht zuerst an die Grenze der Parodie, in jene Sphären, die auch ein Garth Ennis mit The Boys erreicht. Und stürzt zum Schluss auf einen sehr harten realistischen Boden ab.

Bei aller Härte hat Brubaker einen sehr verletzlichen Helden geschaffen. Könnte es sein, dass die harten Knochen, die sich in mancherlei Agententhrillern tummeln, in Wirklichkeit ein weiches Herz haben und sich nach der Normalität eines Normalbürgers sehnen? Holden ist in Wirklichkeit ein derartiger Mensch. Je mehr er in die Ecke des Gangsters gedrängt wurde, desto mehr hat er den Wunsch entwickelt, aus allem auszubrechen und diese unselige Angelegenheit endlich hinter sich zu lassen. Einerseits kämpft er mit einer stetig wachsenden Verzweiflung, andererseits zieht er auch Kraft aus diesem Wunsch. Sonst wäre er in vielen Szenen nicht bereit, derart weit zu gehen.

Sean Phillips zeichnet die Geschichte mit einer ungeheuren düsteren Ausstrahlung. Diese Welt versinkt nicht in den Schatten, sie lebt darin. Sleeper wird zu einem Alptraum, aus dem es nur auf einigen wenigen Seiten ein Erwachen gibt. Ansonsten explodieren die Bilder in dunklen Gassen, in Kämpfen, in Mord und Totschlag, auch in Perversion. Man könnte sagen, Phillips wird zum Sargträger des Superhelden-Genres. Was einst Alan Moore und Dave Gibbons mit ihren Watchmen begannen, wird hier konsequent zu Ende geführt. Die reduzierten und leicht skizzenhaften Bilder besitzen eine Art Gerichtszeichnungscharakter. Sie dokumentieren, besonders dann, wenn es schnell gehen muss. Sicherlich gibt es Zeit zum Luftholen, doch selbst in der Ruhe scheint stets ein Countdown mitzulaufen.

Durch die Kolorierung von Carrie Strachan gibt es kein Entkommen für das Auge des Lesers. Keine wirklich helle Stelle bietet einen Anker oder Zufluchtsort. Dunkler war eine Geschichte selten und noch viel seltener ging sie optisch so stark Hand in Hand.

Eine Messlatte für Agententhriller und Superheldengeschichten. Ed Brubaker hat zusammen mit Sean Phillips (ein anderes Duo scheint hierfür kaum denkbar) einen Wahnsinnsalptraum geschaffen. Die Kenntnis der drei Vorläuferbände ist zwingend, aber es lohnt sich. 🙂

Sleeper 4, Das lange Erwachen: Bei Amazon bestellen

Keine Kommentare »

No comments yet.

RSS feed for comments on this post. | TrackBack URI

Leave a comment

You must be logged in to post a comment.