Die Katastrophe ist geschehen. Was eine Zuflucht hätte sein können, war am Ende eine Sackgasse, eine Falle. Die beiden Mäuse WIX und PICT setzen ihre gemeinsame Flucht fort. Ein Fluss bietet dazu eine riskante Gelegenheit. Überall treibt Zivilisationsschrott der verschwundenen Menschen umher, bis sich schließlich der Müll so weit auftürmt, dass er eine Weiterreise auf dem Wasser verhindert. Die Mäuse müssen an Land. Dort ist es keineswegs sicher. Aus der Luft droht Gefahr und selbst in ihren Träumen verfolgen sie ihre Ängste…
Zurück in der Apokalypse aus tierischer Sicht. MAC SMITH, der Erfinder der Trilogie SCURRY, hat sich der Frage angenommen, was eigentlich mit den Tieren passiert, wenn eine Katastrophe die Menschheit auslöscht. Hier ist es ganz offensichtlich auch eine von Menschen gemachte Katastrophe, möglicherweise ein Krieg. Wie groß oder wie klein entzieht sich der Kenntnis der Tiere. Sie erfahren nur aus jenen Gegenden, in die sie zu reisen vermögen oder von denen sie erzählt bekommen. Und natürlich wissen sie nicht, was eine Bombe ist. Oder raketen. Sie übersetzen es in Worte und Bilder, die ihnen geläufig sind. Das Ergebnis sind Vergleiche, nicht weniger bedrohlich als die tatsächlichen Todesbringer.
Am Beispiel einer Mäusekolonie und einiger weniger herausragender Charaktere spannt MAC SMITH seine Geschichte, hier nun im dritten und letzten Teil angelangt, DER FLUCH DES SCHATTENS. In der zerstörten Welt ist die Nahrung knapp geworden. Tiere, die zwar nichts mit den Menschen zu tun hatten, aber dennoch auf die Lebensmittelreste, auf Felder oder Vorratslager angewiesen waren, suchen nach einem Ausweg, einem neuen Zuhause. Das wären Probleme genug, gäbe es nicht noch Rivalitäten, Machtansprüche, Intrigen und richtige Kämpfe untereinander sowie die Bedrohungen durch Fleischfresser wie Wölfe, Raubvögel oder Raben.
Aber MAC SMITH erzählt eben auch eine Geschichte, die mit alten Fabeln spielt. Tiergeschichten sind keine Erfindung neuzeitlicher Zeichentrickfilme, sondern ein lange bewährtes Mittel, um einem Thema eine Form zu geben. Und er bedient sich der althergebrachten Sagenkonzepte, in denen es einen (oder mehrere) Helden gibt (der oder die aber eigentlich nicht dazu geboren ist), einen Bösewicht (mit einer Bande im Schlepptau), einen Wahrsager (mit einer starken Prophezeiung), einen Ritter (dessen Aufgabe es ist, ritterlich zu sein), einen Erlöser (der wieder alles ins Lot bringen soll). Charakterlich kann das auf männliche oder weibliche Figuren entfallen. Neuzeitlich mehr auf letzteres, denn Heldinnen aller Art erfreuen sich seit Jahren großer Beliebtheit, besonders, wenn sie ebenso gut oder noch besser zudreschen können als ihre männlichen Pendants.
Wenn kleine Helden über sich hinauswachsen, ist das häufig einen Blick wert, wenn MAC SMITH jedoch noch einen Schritt weiter geht und einen geradezu filmischen Grafikstil an den Tag legt, eine Wirkung erzielt, als seien die Bilder allesamt einem Animationsfilm entsprungen, fast eine Hommage an den guten alten Filmfotoroman. Obwohl SCURRY das nicht ist. Bedeutet im Umkehrschluss aber, dass jedes Bild ein Fest ist und beinahe jedes als Cover herhalten könnte. MAC SMITH entlockt jedem noch so kleinen Bild (den größeren sowieso) die bestmögliche Qualität. Durch diesen entstehenden Fotorealismus (ja, ich weiß, Tiere können nicht reden, also hinkt das Wort Realismus etwas) wird das Drama der Geschichte umso mehr gepusht.
Die beiden HeldInnen, WIX und PICT, erfüllen unterschiedliche Funktionen dieses dytopischen Abenteuers. Der Leser sieht die Freundschaft der beiden Mäuse wachsen. Sieht ihre Hoffnungen, ihre Verluste, so manche lebensgefährliche Situation. Nie lässt sich vorhersagen, ob und wie WIX und PICT überleben werden. MAC SMITH schenkt seinen Figuren nichts und gönnt ihnen nur selten etwas. Das Titelbild ist hierzu ein starker TEASER, denn ein brennender Katzenkopf spielt eine sehr bildhaft bedrohliche Rolle in SCURRY (keine Bange, hier brennt keine echte Katze, soviel Spoiler darf sein).
MAC SMITH holt aus der grafischen Arbeit am Rechner ein Höchstmaß heraus und ich möchte behaupten, dass er mit SCURRY dem Tier-Abenteuer im Comic-Medium nicht nur einen ordentlichen Schub erpasst hat. Vielmehr hat er die Messlatte für nachfolgende Publikationen verdammt hoch gelegt.
Ein höchst dramatisches Finale. Ein versöhnliches und hoffnungsvolles noch dazu. MAC SMITH schickt die nordamerikanische Tierwelt in ein drittes und letztes Abenteuer. Ein paar eher seltene Kandidaten erhalten auch eine Auftrittschance (u.a. Flughörnchen und Opossums). Neben der sehr aufwendig gestalteten Geschichte (Mann, hat der Mann ein grafisches Talent!), kann MAC SMITH mit einer sehr liebevollen Erzählung überzeugen. Ein paar von den Charakteren wachsen einem echt ans Herz! Schade, dass MAC SMITH seine Geschichte zu Ende erzählt hat. Hier ist alles drin, was eine Graphic Novel braucht. Perfektes Storytelling und noch tolleres Artwork! 🙂
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