Donnerstag, 22. Februar 2024
Ein Schiff muss her! Doch woher nehmen, wenn man keines stehlen kann? Ein waghalsiger Plan führt die kleine Mannschaft erst auf eine halsbrecherische Diebestour und kurz darauf mit einer Kanone (!) auf einem Floß auf hohe See. JUAN DER LANGE hat seine Leute überredet, ihm zu vertrauen und Beute versprochen. Das verlangt viel von den Halunken (und der einzigen Frau in der Mannschaft, die letztlich auch ein Halunke ist). Am Ende blicken alle auf das Wasser hinaus, warten auf Ebbe und hoffen das Beste. Es wäre gut für JUAN DER LANGE, wenn sein Plan Früchte trüge, denn die PIRATEN werden langsam ungeduldig…
Es waren einmal: PIRATEN! Über die Jahrzehnte hinweg hatten sie ihre unterhaltenden Auftritte in Popkultur. So richtig weg waren sie nie, und sie tauchten auf sämtlichen Weltmeeren auf. Eine zentrale Umgebung, wo sie, hauptsächlich, in Literatur und Film besonders gern gesehen waren, ist die von hier aus betrachtet überseeische Karibik. Dieser Knotenpunkt auf dem Weg von Europa an die Goldküsten Südamerikas mit den Besitzungen der spanischen Krone ist der weitläufige Schauplatz von JUAN DER LANGE. Dieser junge Mann möchte ein Pirat sein. Er hat seiner kleinen Mannschaft einiges versprochen, doch bisher war keine Beute in Sicht. Obendrein fehlt ihnen zum Piratendasein das Wichtigste: Ein Schiff!
ANTONIO SEGURA, der Autor, lässt seine Charaktere sozusagen bei Null beginnen. Und es stellt sich gleich zu Beginn die Frage, wie gelangt man an ein Schiff, wenn man nicht gerade in einem Hafen eines stehlen kann? Man kauft es und das Geld dazu verdient man sich zuvor mit einem Husarenstreich. Und viel Schweiß und Anstrengung. Der Leser verfolgt diesen kuriosen Plan, der auf einen einzigen Treffer setzt. Und darüber hinaus auch keine Versuche zulässt. Das reicht, um Spannung aufzubauen. ANTONIO SEGURA lässt es darauf nicht beruhen, denn die versammelte Mannschaft um JUAN DER LANGE ist punktgenau und perfekt zusammengestellt.
Das Titelbild verrät schon einiges über die Truppe, aber insgesamt ist es in der Geschichte noch um ein Vielfaches differenzierter. Auffallend betagt ist METHUSALEM, ein altgedienter Pirat, einbeinig, einäugig, doch von seiner Erfahrung her für die Truppe absolut unverzichtbar. Es gibt den FRANZOSEN, zwei Haudraufs, von denen einer der Vater der HÜBSCHEN KLEINEN ist. Hier gibt es Konstellationen, die erinnern an einen gallischen Stamm, ebenso finden sich Anleihen (oder Verbeugungen) bei klassischen Kinoabenteuern, in denen sich berühmte Piratendarsteller einen Namen machten. Entsprechend geht es durchaus ernsthaft zu, aber auch humorvoll (öfters) und familienfreundlich (meistens). Den Schurken sieht man ihre Schurkenhaftigkeit sogleich an, erst recht den anderen Piratenkapitänen wie dem HOLLÄNDER, der bei Widerworten kurzen Prozess macht.
Aber die Halunken sehen gut aus dabei! Zu verdanken ist das dem Zeichner JOSÉ ORTIZ, der hier eine Parade von Schurken abliefert und solche Gesichter aufs Papier zaubert, wie es die goldene Ära der Piratenfilme (als die Welt meistens schwarzweiß war) dem Zuschauer darbrachte. Die Comiczeichner aus Spanien brachten einen frischen realistischen Grafikstil in das Medium ein. JOSÉ ORTIZ, hierzulande mindestens noch mit HOMBRE bekannt, könnte technisch mit JORDI BERNET (TORPEDO) verglichen werden. Beiden ist zueigen, dass sie neben dem Realismus auch eine Spur Karikatur einfließen lassen. Die Figur des METHUSALEM ist ein sehr gutes Beispiel hierfür. Nicht zu echt, aber auch nicht zu abgedreht illustriert, um nicht in der Realität existieren zu können.
Kapitelweise, jeweils schön abgeschlossen, ohne den Gesamtfluss der Geschichte stark aufzuhalten, erzählt ANTONIO SEGURA vom Leben der PIRATEN und das beinhaltet natürlich eine gehörige Portion ACTION. Zu WASSER selbstverständlich, aber eben auch zu LANDE. Da gibt es die Kämpfe gegen ihresgleichen, auf dem SCHIFF. Da müssen Stürme bestanden und Wege durch Sumpfgebiet beschritten werden. Da droht eine Begegnung mit vermeintlichen Kannibalen unschön auszugehen. Da gibt es in einer Situation höchster Not noch Zeit für eine Spur ROMANTIK (die braucht ein PIRAT auch). Und ein Kollege von ROBINSON CRUSOE sorgt für Einlagen, die für besondere Abwechslung im PIRATENLLEBEN sorgen. Daneben aber, zum Beispiel in einem Kapitel das den Sklavenhandel thematisiert, wird auch es auch mal bitterernst.
Das alles ist von JOSÉ ORTIZ mit außerordentlich leichter Hand gezeichnet. Er führt den Leser nah an die Auseinandersetzungen, auf die Decks der Schiffe, die Strände, die Hafenstädte und die Spelunken sowie in die Dschungel. Das ist sehr lebendig, wie vor Ort skizziert und mit Tusche meisterhaft leicht hingeworfen. Kein Wunder, denn JOSÉ ORTIZ war auch ein Perfektionist darin, wenn es darum reine Schwarzweißzeichnungen abzuliefern. Hier muss er sich zugunsten der Kolorierung nur etwas zurücknehmen. Nicht ein Strich zu viel, keiner zu wenig und obwohl JUAN DER LANGE erstmals vor über 30 Jahren erschien, ist der grafische Stil immer noch modern.
PIRATEN kommen heutzutage viel zu kurz, da kommt die klassisch erzählte Geschichte um JUAN DER LANGE von ANTONIO SEGURA (Autor) und JOSÉ ORTIZ (Zeichner) gerade recht mit einer Neuauflage. Das Vermächtnis der beiden Comic-Künstler kann solche Comic-Leser, die sich für PIRATEN und HISTORISCHE SZENARIEN begeistern, ganz bestimmt einfangen. Jung, frisch und in einer Erzählweise, die gerade der heutigen Zeit sehr angepasst scheint. Klasse! 🙂
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Freitag, 16. Februar 2024
Das Drama hat in MYJOY seinen Lauf genommen. Obwohl es gerade dort kein Drama geben sollte. Denn MYJOY ist der größte Ferienpark aller Zeiten, wo jeder Mensch, der es sich leisten kann, sich zwei Wochen lang seinen Vergnügungen hingeben kann. Aber hinter den Kulissen von MYJOY gärt es. Schon seit längerem entgleisen die Strukturen, gibt es immer mehr Menschen, die über die Stränge geschlagen haben, sich überschuldeten und nun auf den Straßen von MYJOY leben. Jeden Tag sind solche Leute auf der Flucht, weil das computerisierte System es jedem Individuum nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt gestattet, seine Schlafstätte zu nutzen. Wer danach noch vor Ort ist, verliert sein Leben. Darüber hinaus, für alle sichtbar, hat der Kopf von MYJOY, sein Erfinder SPRINGY FOOL, nicht nur die Kontrolle über sich selbst, sondern auch über den Park verloren. Eine unaufhaltbare Abwärtsspirale setzt ein …
LUC BRUNSCHWIG, Autor, und ROBERTO RICCI, (Zeichnungen und Farben) setzen SPRINGY FOOL, der im Gewand des HASEN aus ALICE IM WUNDERLAND auftritt und völlig verantwortungslos ist, einen jungen enthusiastischen Mann, BUZZ, gegenüber, der in MYJOY als Sicherheitsbeamter (oder vielleicht besser als Parkpolizist) arbeitet. Inspiriert von einer alten Zeichentrickserie, in der ein Indianer namens LAUGHING RACOON durch die Zeit reist und unbestrafte Verbrecher richtet, hat sich BUZZ von seinem elterlichen Bauernhof verabschiedet und will ein gänzlich anderes Leben führen. Diese völlig gegensätzlichen Charaktere prallen in URBAN aufeinander. Es entspinnt sich ein, über die gesamte Länge andauerndes, SCIENCE FICTION DRAMA der besten Art.
Im vorliegenden 5. BAND, mit dem Untertitel SCHIZO ROBOT, werden viele über die Reihe URBAN hinweg ausgeworfene Fäden zusammengeführt. Glücklich werden hierbei die wenigsten Charaktere. Tote, Verletzte, seelisch gebrochene Gestalten bleiben in den Fährten von BUZZ und SPRINGY FOOL zurück. Das ist von LUC BRUNSCHWIG meisterhaft geschrieben und mit großer Weitsicht über einen sehr gestreckten Handlungsbogen. So manches klärt sich erst zum Schluss. Den einen oder anderen AHA-Moment gibt es ebenfalls, wenn sich die letzten Knoten entwirren. Bezeichnend ist eine tolle Charaktertiefe, selbst bei solchen, die realtiv kurz eingeführt werden. Bedeutet im Klartext: Selbst wenn der Leser glaubt, eine Figur könnte wichtigere Bedeutung in der Handlung erlangen, kann er ziemlich falsch liegen. Hier kann jeder Charakter über die Klinge springen.
ROBERTO RICCI arbeitet mit einem starken Mix aus organischen Zeichnungen und Computerkolorierung. Neben der bereits bekannten Zeichentechnik darf sich der Leser aber auch noch auf eine Abwandlung freuen. Die von BUZZ so geliebte Zeichentrickserie seiner Kindheit wird in einem Rückblick vorgestellt. Genauer gesagt wird sie gepitcht. Das Serienkonzept, der Handlungsablauf, die Hauptfigur LAUGHING RACOON. Die gezeigten Ereignisse sind anfangs nah an der amerikanischen Historie, bevor die Geschichte in Richtung SCIENCE FICTION schwenkt. Der Zeichenstil ist von ROBERTO RICCI so gewählt, dass er durchaus in einer modernen Zeichentrickserie Verwendung finden könnte (das sieht richtig gut aus!). Es wäre schön, wenn ROBERTO RICCI diesen Stil irgendwann einmal wieder aufgreifen würde (vielleicht für ein SPIN-OFF mit LAUGHING RACOON).
Das ist ein SCIENCE FICTION DRAMA. Natürlich gibt es Übertreibungen, aber nicht hin zur Komik. LUC BRUNSCHWIG und ROBERTO RICCI nehmen die Geschichte und ihre Charaktere sehr ernst. Neben Spannung, Tiefe gibt es auch Platz für Mitleid. Und das nicht zu knapp. Eine toll erdachte Dystopie, stark und durchdacht erzählt, bestens illustriert. Für SCIFI-FANS absolut empfehlenswert! 🙂
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Sonntag, 04. Februar 2024
Wo die Liebe hinfällt. Wo sie hinfällt, kann sie Menschen verändern. Verbessern. Auf neue Wege führen. So ist es auch mit Edwyn. Edwyn war online unterwegs und hat sich in Virginia verliebt, sie im echten Leben kennengelernt und jetzt sind sie auf der Straße unterwegs nach nirgendwo. Aber EDWYN, der ein Serienkiller war, ist friedlich geworden und tötet niemanden mehr. Ja, er ist sogar überaus freundlich zu jedermann und jederfrau. Bis zu dem Tag, als es jemand an einer Tankstelle wagt, VIRGINIA dumm und obszön von der Seite anzuquatschen. Da zeigt es sich, dass Edwyns Geduldsfaden verdammt kurz ist. Er rastet aus …
DOUG WAGNER, Autor von PLASTIK, hat sich mehrmals ein paar merkwürdige Charaktere vorgeknöpft (vorsichtig formuliert). EDWYN ist ein SERIENMÖRDER, der die Köpfe seiner Opfer gerne in Klarsichttüten packt. Das ist sein Tick. Darüber hinaus tötet er einfach und bedient sich der Gegenstände dazu, die gerade in Reichweite sind oder deren Benutzung ihm Spaß bereitet. Wenn die Wut die Oberhand gewinnt, endet die Angelegenheit meist blutig. Neu ist der Umstand, dass er nun selbst auf die Abschussliste gerät und die mit dem Blut eben nicht nur die anderen sind.
Tödlicher FREAK will FREUNDIN befreien. So könnte der Plot in einem Satz lauten. Darauf ruht sich DOUG WAGNER aber nicht aus. Denn der Killer trifft hier auf andere Killer. Bisher hatte EDWYN eher mit Leuten zu tun, die ihren Alltag nicht als Gangster bestritten und im Umgang mit Waffen nicht so versiert waren. Diese Erfahrung lässt DOUG WAGNER seinem ungewöhnlichen Helden zuteil werden, indem er den Schwierigkeitsgrad, VIRGINIA zu befreien, deutlich erhöht. Man könnte also den ersten Plotsatz um einen zweiten erweitern: Es wird ein SCHLACHTFEST.
Es gab im Kino mal die Ära des SPASS-SPLATTERS (zum Teil wiederauferstanden). Im COMIC wurde sie bereits mehrfach wiederbelebt (zum Beispiel in HACK/SLASH). PLASTIK ist eine Variante solcher SPASS-SPLATTER-GESCHICHTEN, die aber durch einen KILLER besticht (Wortspiel), der eben nicht durch und durch irre ist, sondern tatsächlich auch (mindestens) eine gute Seite hat und sogar so etwas wie Mitleid oder Freundschaft empfinden kann. Dabei darf, bei aller seitens EDWYN offenbarten Empathie, nie vergessen werden, dass dieser KILLER jemand ist, der mit Leichen spricht (die natürlich nicht antworten, außer in seinem Kopf).
Desweiteren sind noch drei Comic-Künstler am Start. In erster Linie muss selbstverständlich DANIEL HILLYARD genannt werden, der das ARTWORK der einzelnen Seiten abliefert und darüber hinaus diverse VARIANTCOVER der hier gesammelt vorliegenden Einzelausgaben der Miniserie PLASTIK. Da gibt es Morde zu sehen, Gewaltexzesse, auch Leichen, aber häufiger mal hält die KAMERA Abstand, schaut rechtzeitig woanders hin. Aber, liebe SPLATTER-FANS, es bleibt noch genug übrig. DANIEL HILLYARD kann, wenn er darf, wie seine VARIANTCOVER zeigen (starker Tobak!) sowie der eine oder andere Look auf das Geschehen. Das sind allerdings die Spitzen der Fights und Morde. Mehr muss DANIEL HILLYARD Stimmungen aufbauen, Spannung anheizen und die richtigen Blickwinkel, die richtigen Gesichtsausdrücke und Haltungen abbilden. Und EDWYN ist wahrlich kein Charakter, der mit Emotionen geizt. DANIEL HILLYARD inszeniert ihn als offenes Buch. Hier ist alles abzulesen.
LAURA MARTIN koloriert die von DANIEL HILLYARD sehr systematisch und leicht überzeichneten Grafiken (bei den Männern vor allem hart an der Grenze zur Karikatur). Stets wird eine farbliche Grundstimmung gesucht, die je nach Handlungsort relativ nüchtern ist (wie ein Büro bei Tag) oder eher gruselig angelegt wird (wie das Innere eines Autos mitten in der Nacht). Das ist insbesondere im weiteren Verlauf von LAURA MARTIN gut gelöst, wenn die Handlung im Halbdunkel stattfindet, es plötzlich blutig wird und anschließend jemand das Licht einschaltet.
Noch ein Wort zu ANDREW ROBINSON, der das ARTWORK der ORIGINALCOVER gestaltete. Alle Cover sind im Anhang des Bandes ansehbar. Eines ist auch das Titelbild der vorliegenden Gesamtausgabe. Im Gegensatz zu DANIEL HILLYARDS Covern setzt ANDREW ROBINSON auf Atmosphäre. Jedes seiner Bilder könnte auch das Poster zu einem HORRORFILM sein, ohne jeweils zu viel zu verraten und als Coverillustration einen Fokus auf einen bestimmten Aspekt des jeweiligen Akts richten.
KILLER-THRILLER, mit einer Prise HORROR. DOUG WAGNER, DANIEL HILLYARD, LAURA MARTIN und ANDREW ROBINSON kennen ihr GENRE. Ein psychopathischer Serienmörder, abgedrehte Gangster und korrupte Cops (und ein paar Zwischenstufen, die Übergänge sind fließend). Man kann EDWYN, den KILLER, nicht zur Gänze nicht mögen. Er kann ein paar Sympathiepunkte sammeln. Immerhin ist er verliebt. Obwohl auf der Rückseite des Sammelbandes steht, wer VIRGINIA, EDWYNS FREUNDIN in Wirklichkeit ist, soll das hier nicht verraten werden. Das ist irgendwie ein netter Clou. Starke Nummer von einem Künstler-Dreamteam! 🙂
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