Ein kleiner Junge hat einen großen Traum. Spät in der Nacht bastelt er an seiner Rakete, die ihm nicht einmal bis zur Brust reicht. Aber sie soll hoch hinauf, so weit wie irgend möglich. Er hat die Maße, das Gewicht, den Treibstoff berechnet und nun scheint der richtige Zeitpunkt gekommen, der Point Of No Return. In seinem Zimmer finden sich viele Hinweise auf seine Interessen und Träume. Modelle aus der Fliegerei, doch viel mehr zeigen die Raumfahrzeuge der NASA. Solche, die es bis zum MOND geschafft haben oder solche, die einen regelmäßigen Flugbetrieb in den Orbit gestatteten, das SPACE SHUTTLE. Der Junge schleicht sich aus dem Haus, immer noch mitten in der Nacht, denn seine Ambitionen (das sind sie für ihn, nicht bloß ein Hobby) werden nicht gern gesehen. Auf einem Hügel angelangt, wird die kleine Rakete in Stellung gebracht, ein Streichholz entzündet die Lunte und dann…
LARGO WINCH bedeutete von Anfang an, als Comic-Leser einen Thriller in den Händen zu halten, der mit internationalem Flair spielt. LARGO-WINCH-Erfinder, der Autor JEAN VAN HAMME legte die Figur zunächst als Romanhelden an, bevor ein Comic-Charakter aus ihm wurde. Inzwischen hat JEAN VAN HAMME den Stift, sprichwörtlich, an seinen Autorennachfolger ÉRIC GIACOMETTI übergeben, der das gesamte LARGO-WINCH-Universum hervorragend verstanden hat und die Mischung aus Agenten- und Actionszenarien, Hochfinanzdramen, Familiengeschichten und amorösen Abenteuern perfekt fortführt. So auch im 24. Band, DAS GOLDENE ZENTIL.
Die Zeiten von Begriffen wie DIE OBEREN ZEHNTAUSEND haben sich längst überlebt. Geld ballt sich noch viel mächtiger, wie es der Leser von den besonders extravaganten Milliardären in den Nachrichten oder den Boulevardmagazinen verfolgen kann. In diesem Bereich ist DAS GOLDENE ZENTIL angesiedelt. JAROD MANSKIND ist im vorliegenden Thriller einer jener Milliardäre, die das Abenteuer der Menschheit ins All vorantreiben wollen, sozusagen die letzte halbwegs unberührte Spielwiese für reiche Menschen. Und ganz so, wie sich in den (echten) Nachrichten für den Leser anhören mag, wenn von Siedlungen auf dem MARS fabuliert wird, so ist die Wirkung auch hier: Könnte, ja. Braucht man’s? Hm. Na, der Mann ist reich, lasst ihn reden und wir klatschen.
Bisher – und dieses Rezept wird hier fortgeführt – hat sich LARGO WINCH immer vor der Kulisse der realen Welt bewegt, Szenarien oder Ideen weiter erzählt. Mancher Leser fragt sich vielleicht, ob einem brisant reichem Menschen etwas Ähnliches widerfahren kann wie zu Beginn von DAS GOLDENE ZENTIL (der Fortsetzung zu Band 23, HINTER DER KARMAN-LINIE). Wer aber einen Blick auf die Schicksale solcher (echter) Charaktere wirft, stellt fest, wie leicht selbst jene in fremdbestimmte oder selbst gewählte Schwierigkeiten kommen, deren Verlauf oft thrillertauglich ist. So viel zum starken INTRO dieses ABENTEUERS, ohne die SPOILER auszupacken. 🙂 Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass ÉRIC GIACOMETTI die verschachtelte Erzählweise eines JEAN VAN HAMME mit unterschiedlichen Handlungssträngen so versiert wie respektvoll aufgreift und umsetzt.
Mit PHILIPPE FRANCQ ist der langjährige LARGO-WINCH-Zeichner am Start, der dafür bekannt ist, feinlinige, äußerst fragil wirkende Bilder zu gestalten, in denen es vor Details manchmal geradezu wimmelt. Manche Zeichner würden eine Gebirgskette, einen Fluss, einen Wald oder auch eine Skyline mit wenigen Strichen hinwerfen, erst recht, wenn sie wirklich nur Kulisse sind und der Fokus der Szene ganz woanders liegt. Bei PHILIPPE FRANCQ verhält es sich nicht so. Hier werden Felsspalten und – absätze herausgearbeitet. Bei Veranstaltungen muss noch der Gast in der hintersten Reihe als Mensch erkennbar sein (und das ist superwinzig). In langjährigen Computerzeiten ist eine Arbeit in solchen Dimensionen natürlich kein Problem mehr. Dass sich jemand die Mühe macht, diese Einzelheiten so herauszuholen, aber schon.
PHILIPPE FRANCQ geht entsprechend in die Technik hinein. Obwohl die Geschichte mit dem Weltraum zu tun hat, sind die grafischen Knaller hier nicht zu finden. Die finden teils mehr in der Luft statt (vor allem im finalen Run gibt es eine starke Sequenz, die ich sonst so noch nirgendwo gesehen habe und verdammt dramatisch ist). Hubschrauber heißt das Zauberwort. Hier kann PHILIPPE FRANCQ vom Leder ziehen, während er ansonsten immer auf der Suche nach der perfekten Kameraeinstellung für eine Szene ist (und diese auch stets findet).
Ein LARGO-WINCH-Abenteuer ist ein verlässlicher Thrillerkracher. ÉRIC GIACOMETTI (anstelle von LARGO-WINCH-Erfinder JEAN VAN HAMME) begleitet als nicht mehr ganz neuer Szenarist Band 24, DAS GOLDENE ZENTIL, und führt LARGO WINCH alles andere als sprichwörtlich in ungeahnte Höhen. Die Charaktere besitzen (wie sich für die Reihe gehört) Tiefe, sind greifbar, gerade so, damit Sympathie oder Antipathie für den Leser funktionieren. PHILIPPE FRANCQ ist als Comic-Illustrator nach jahrzehntelanger Tätigkeit so versiert, dass man als Comic- Thriller-Fan nur noch genießen muss. Empfehlenswert! 🙂
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