Die Wölfe kommen. LADY GRAVESTONE, ihr kleiner Sohn JOHN und ihr Diener TIBBETT sind auf der Flucht durch den tiefen Schnee. Es ist Nacht, der Sturm rauscht, die kleine Kirche neben dem Friedhof verspricht kein sicherer Unterschlupf zu sein. Das Wolfsrudel kommt näher, kreist sie ein, eine Tragödie bahnt sich. JOHN wird diese Nacht nie vergessen! Viele Jahre später treibt sich JOHN GRAVESTONE wieder nächtens herum. In der Ferne heult ein WERWOLF. Die dämonische Kreatur bietet sich als Beute an. Es ist in mehrfachem Sinne lohnenswert, das Biest zur Strecke zu bringen. Rasch ist die BESTIE gestellt, doch auf die Jäger wartet eine Überraschung.
LORD GRAVESTONE ist ein klassisches HORROR-GRUSEL-ABENTEUER im STILE des ORIGINALS von BRAM STOKER (DRACULA). Angesiedelt einhundert Jahre vor jener viktorianischen Ära wird das Leben der GRAVESTONES beleuchtet, einer Familie, die sich die Bekämpfung des Bösen auf die Fahne geschrieben hat. Zwei Brüder sind Priester geworden. Der eine dient der katholischen Kirche, der andere der anglikanischen Kirche. Da in letzterer die Priester heiraten und eine Familie gründen dürfen, ist der Fortbestand der Familie gesichert, denn mit dem kleinen JOHN wächst die nächste Generation heran.
Freilich genügen zwei Dämonenjäger alleine nicht, um die Mächte der Finsternis in Schach zu halten. Deshalb gibt es unterschiedliche Organisationen, ein Netzwerk von Gotteskriegern, aber auch die Rekrutierung von Nachwuchs, Schülern, die akribisch auf ihre lebensgefährlichen Aufgaben vorbereitet werden. Das allein wäre schon spannend genug und erzählenswert, stellte SZENARIST JÉRÔME LE GRIS nicht die Familie GRAVESTONE in den Mittelpunkt des Geschehens. So erreicht er ein Höchstmaß an Anknüpfungspunkten über verschiedene Charaktere. Da ist vom jugendlichen Überschwang bis zum sorgenvollen und erfahrungsreichen Mentor alles dabei. Wer einigermaßen gruselfest oder Horror-Fan ist, wird sicherlich Verweise entdecken. Nicht nur an das Buch-Orignal DRACULA, auch an seine zahlreichen Interpretationen.
Das schmälert das Vergnügen keineswegs, denn vor der Fülle all dieser Abenteuer besitzt LORD GRAVESTONE sehr viele eigene Anteile. Im besonderen Kern wird nicht bloß auf Grusel und die notwendigen Vampirbrutalitäten geachtet, sondern ebenfalls auf das Quäntchen Romantik und Erotik. Diese Beigaben hatte bereits das Original, ist doch der Akt des Blutsaugens im übertragenen Sinne ein sexueller Akt (Und wurde bei genauer Betrachtung in seinen zahlreichen Umsetzungen auch so gewertet; wer die jeweiligen Reaktionen der Opfer sieht, kann das bestätigen. Erst in jüngeren Jahren ändert sich diese Bild zugunsten eines menschlichen Opfers, das einen ähnlichen Rang einnimmt wie Schlachtvieh für uns Menschen.)
Hier wandelt sich das Bild des blutrünstigen Vampirs teilweise, indem die Verwandlung in einen Blutsauger in einen langwierigen Prozess mündet. Nicht, wer einfach gebissen wird, verwanelt sich, sondern wer den ROTEN KUSS empfängt, kann – selbst dann muss es nicht – zum Vampir werden. Zwei der Hauptakteure auf der Seite der dämonischen Widersacher sind zudem einander in Liebe zugetan. Neben körperlicher Begierde stellt Zeichner und Kolorist NICOLAS SINER diese Verbundenheit sehr schön dar.
NICOLAS SINER konnte hierzulande bereits mit der Serie HORACIO D’ALBA auffallen. Hier konnte er bereits in einem Dreiteiler mit den Bildern zu einem historischen Szenario punkten. LORD GRAVESTONE, angesiedelt zu Beginn des 19. Jahrhunderts und später in dessen 1820er Jahren, zeigt eine Epoche, in der Militär und Waffentechnik der Zivilisation voranschreiten, der Rest aber noch nicht wirklich an der neuen Geschwindigkeit teilnimmt. Alte Architektur, alte Transportmöglichkeiten, alte Ansichten von Ehre in einer sich verändernden Epoche. Auch letzeres findet eine grafische Umsetzung. Wenn Ehre verletzt wird, konnte diese Verletzung nach Meinung manches Geschädigten einzig mit einem Akt der Gewalt gesühnt werden. In realistischen Bildern arbeitet NICOLAS SINER seine Vampirversionen ein, die über Fähigkeiten verfügen, solchen, die man als Horror-Fan kennt und solchen, die die Detailfülle der Monströsitäten erweitern.
Eine starke Schauermähr! LORD GRAVESTONE, angelegt als Trilogie, bietet mit seinem Auftakt ein spannend durcherzähltes Horrormärchen mit ein paar schaurig schönen Charakteren. Wer es im Gruselgenre eher klassisch mag, findet hier die genau richtige Lektüre – mit einigen modernisierten Anpassungen versehen. Toll illustriert von NICOLAS SINER! 🙂
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