ROBERT SAX führt die geerbte Autowerkstatt, aber irgendwie ist er fehl am Platz. Seine Sekretärin hat das Büro besser im Griff als er. Außerdem ist der Chefmechaniker Raul um einige Grade der bessere Reparateur als ROBERT SAX. Da trifft es sich, wenn das Telefon klingelt und etwas scheinbar Wichtiges zu erledigen ist. Am besten solche Kleinigkeiten, die außerhalb der Werkstatt erledigt werden müssen. Eines Tages ruft ROBERTS Freund BOON an. BOON betreibt einen Buchladen und berichtet über ein seltsames Erlebnis. Was zuerst nur als eine Kuriosität im Brüsseler Alltag daherkommt, binnen kurzer Zeit zu einem Fall, bei dem sich Spione und Killer die Klinke in die Hand geben.
Comic kann vieles. Ganz besonders toll ist es, wenn der Leser hierdurch in andere Welten oder in die Vergangenheit eintauchen kann. Mit ROBERT SAX gelingt genau letzteres Kunststück. Der Comic-Veteran RODOLPHE (Szenarist) und Zeichner LOUIS ALLOING mit in die aufblühenden 1950er Jahre, ins beschauliche Brüssel. Die Stadt schwankt zwischen altertümlichen Bauten und der nahenden Moderne, repräsentiert durch die EXPO 1958, in der das ATOMIUM, ein futuristischer Bau in Form eines gigantischen Verbunds aus neun ATOMEN, es schafft, das MANNEKEN PIS als weltweites Wahrzeichen der Stadt zu verdrängen. Aber es ist auch eine Hochzeit des KALTEN KRIEGES, in der Fortschritt gleichzeitig einen Vorsprung vor feindlichen Mächten bedeutet. Und als Ausdruck dieser Fortschrittshörigkeit kommt NUCLEON 58 ins Spiel.
ROBERT SAX schlittert in seinen ersten Fall wie die berühmte Jungfrau zum Kinde. Er demonstriert, dass er eben kein JAMES BOND oder ein anderer Geheimagent ist. An der Bar sitzen, kann er ganz gut, mit Frauen flirten auch, wenn allerdings Schusswaffen ins Spiel kommen oder gar körperliche Gewalt, dann hat sich das in entsprechenden Romanen wahrscheinlich leichter gelesen, als es in Wahrheit ist. ROBERT SAX muss diese Erfahrung jedenfalls ziemlich handfest machen. Auf der anderen Seite sind seine Fähigkeiten als Detektiv nicht übel. Noch nicht ausgereift, weil er das Handwerk nicht gelernt, aber immerhin verfügt er über ein paar polizeiliche Kontakte.
RODOLPHE hat seine Erfahrungen mit kriminalistischen Szenarien gesammelt. Hier wagt er zusammen mit LOUIS ALLOING einen geradezu nostalgischen Comic-Schritt. In vielerlei Hinsicht ist es auch eine Liebeserklärung an die Stadt Brüssel. Betrachtet man die Innenstadt, deren gebäude nicht unter dem Krieg gelitten haben und stellt ihn die neue moderne Sachlichkeit entgegen, der Verwaltungsgebäude, der glatten, glanzlosen Fassaden oder sogar ROBERT SAX‘ Wohnhaus, das sich heutzutage noch betonfrisch ins Stadtbild einfügen würde, merkt man allein an diesen Äußerlichkeiten, dass etwas im Wandel ist.
ROBERT SAX ist noch nicht ganz in dieser sich verändernden Welt angekommen. Sein Frauenbild ist etwas von gestern, während die jungen Frauen, denen er begegnet, schon einen Schritt weiter sind. Da mag eine flappsige Bemerkung seine Gesprächspartnerin vor den Kopf stoßen, und er ist ein Mannsbild, dessen Sensibilität diese Reaktion nicht einmal bemerkt. RODOLPHE hat viele kleine Charakterzüge eingearbeitet, kleine Szenen, die Leser dem zeigen, wo ROBERT SAX steht und wie er tatsächlich einen Lernprozess durchmacht.
AGENTEN IN DER DUNKLEN STADT: Ja, es ist todernst. Wer sich in dieses Geschäft begibt, kann sterben. Aber es mischt sich auch ein wenig Comedy unter, denn das Erreichen der Ziele erfordert manchmal Improvisation. Die wiederum fällt infolge einer gewissen Grundnervosität etwas unprofessionell aus. Keine Sorge, die Thrillerelemente überwiegen. RODOLPHE und LOUIS ALLOING lassen durchaus die Klassiker des Genres hochleben (DER UNSICHTBARE DRITTE, DER DRITTE MANN etc.). Das fällt besonders auf, wenn es ans Schleichen und Horchen geht und Verstecken die bessere Alternative ist.
LOUIS ALLOING arbeitet nicht mit der berühmten Ligne claire, die gerade in den Figuren den Realismus etwas vergessen lässt. LOUIS ALLOING ist immer noch sehr exakt, aber es darf auch mal etwas kantiger, etwas ruppiger sein, da darf sich eine Verdickung in eine Linie einschleichen. Sehr sauber insgesamt, doch nicht aus dem Ei gepellt. Feststellen lässt sich, wie sehr er sich in das alte Brüssel eingearbeitet hat. Automobile, Mode und Architektur bezeichnen die Veränderungen des Lebens jene 1950er Jahre. Formen brechen aus (wie bei den Fahrzeugen), eine Frau im roten Kleid fällt auf (und sei das Kleid nach heutigen Gesichtspunkten noch so bieder). Details bringen ein Lebensgefühl auf den Punkt, die grafische Fülle unterfüttert die starke Atmosphäre.
Wer die 1950er mag, wer Thriller vor dieser Kulisse mag und eben in einer besonderen europäischen Stadt wie Brüssel (nicht nur wie so oft in den USA), einen Helden wider Willen (der noch an sich arbeitet und mit seiner Aufgabe sichtlich wächst), ein tolles Gespür für den richtigen Moment und spannungssteigernde Elemente sowie den Umbruch jener Tage, der liegt mit dem Auftaktband von ROBERT SAX goldrichtig. Alle anderen dürfen ebenfalls einen Blick in diese fein erzählte und illustrierte Agentengeschichte riskieren! 🙂
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