1610. Spanien. In der Region Navarra. Der junge ALONSO DE SALAZAR Y FRIAS ist als Inquisitor unbequem. Geschützt durch einen mächtigen Mentor, selbst einmal einer Anklage entronnen, vertritt er stets einen ganz eigenen Standpunkt und erkennt schnell, wen er charakterlich vor sich hat und sieht die Schwächen im System der Inquisition. ALONSO redet manchmal zu schnell, die Zunge ist rascher als das Gehirn und ignoriert Konsequenzen. Das mag jedenfalls der Eindruck seiner Gesprächspartner sein, besonders aber GONZALO ist dieser Ansicht. Als Sekretär und Leibwächter muss er für seinen Herren häufiger in die Breche springen, als ihm lieb ist. Bislang ließ sich so manche Situation bereinigen, doch die neue Aufgabe zeigt Grenzen auf und offenbart Kräfte, gegen die ALONSO und seine Getreuen (erst recht nicht der Neuling DIEGO) noch nie antreten mussten.
Auf der Basis eines Seriendrehbuches entstand der Zweiteiler SALAZAR, dessen erste Folge hier vorliegt. DAVID ABAJO und JAVIER QUINTAS kreierten die Vorlage, EL TORRES adaptierte sie und IGNACIO NOÉ lieferte die grafische Umsetzung. Besonders letztere ist es, die der Geschichte eine enorme Lebendigkeit und Nähe verleiht.
LEBENDIGKEIT und NÄHE funktioniert über CHARAKTERE. Und hier sind natürlich erst einmal die Hauptfiguren gefragt: ALONSO, GONZALO, DIEGO und nicht zuletzt MARIA. Zeichner INGANCIO NOÉ hat bereits mit dem hierzulande erschienenen HELLDORADO bewiesen, dass er historische Stoffe bearbeiten kann. Damals wie heute ist der Schlüssel, Figuren zu erschaffen, die so aus einem alten Meistergemälde gestiegen sein könnten. Darum sei am Ende, im Anhang begonnen, wo IGNACIO NOÉ einen Einblick darin gibt, wie er seine Figuren findet und gestaltet.
Einerseits inspiriert von KOPTISCHEN GEMÄLDEN, andererseits fündig geworden bei Künstlern jener Epoche wie einem EL GRECO (1541-1614), DIEGO VELÁSQUEZ (1599-1660) oder BARTOLOMÉ ESTEBAN MURILLO (1617-1682) entsteht ein optisch hervorragend recherchiertes Werk. Außerdem gleichen diese hier gezeigten Menschen, wie sie sich ganz offensichtlich in jener Zeit gaben, weil sie vielleicht doch eine Spur anders aussahen als heute. Und ihre Kleidung, ihre Haartracht diesen Eindruck sogar noch unterstrich. IGNACIO NOÉ lässt den Leser in diese Zeitspanne eintauchen, in das, was heute noch architektonisch Bestand hat, und jenes, das im Miteinander und täglichem Leben verloren gegangen ist.
Der Look seiner Bilder wirkt stets etwas entrückt. Die Farben kommen der Natur sehr nahe, aber eben nur nahe. Es ist eine Spur künstlich. Das hat nichts mit einer Computerkolorierung zu tun (die es eben nun einmal ist). Das ist so vom Künstler gewollt. In Räumlichkeiten, die vom Kerzenlicht erhellt werden (oder in denen nur punktuell Ecken aus der Dunkelheit gezerrt werden und der Rest im Zeilicht bleibt), stellt sich ein natürlicher Effekt ein. Darüber hinaus ist alles etwas blasser als in Wirklichkeit.
IGNACIO NOÉ liebt den fetten, expressiven Strich. Seine Figuren stehen wuchtig im Bild, sie füllen ihren Platz aus. Gesichter, Konturen, Profile, Faltenwürfe sind wie herausgemeißelt, hart vor dem weichen Hintergrund. Die Wirkung ist prall, als wären die Figuren fassbar. Je weiter von Reklamebildlichkeit unserer Gegenwart entfernt, umso echter, grandioser ist die Wirkung der Figuren und gleichzeitig schauen sie lebendig gewordenen Statuen ähnlich, kolorierten Büsten noch früherer Tage, als es vor Charakterköpfen gewimmelt haben muss. Insgesamt arbeitet IGNACIO NOÉ, als platziere er Figuren auf einer Bühne und holt den Zuschauer auf einen möglichst naheliegenden Stuhl, halb mittendrin im Geschehen.
EL TORRES fiel die Aufgabe zu, das Drehbuch zu adaptieren. Im Anhang wird schön veranschaulicht, wie der Prozess dieser Arbeit (bis zur fertigen Comic-Seite) aussieht. Denn Drehbuchseite ist nicht gleich Comicvorlagenseite. Aufbau und Bilderabfolge sind nicht identisch. Nicht alles kann und muss im Comic ebenso wahrgenommen werden wie im Medium Film. Spannend wird es, wenn die ersten Kritzeleien einen Seitenaufbau andeuten, sich alles schließlich verdichtet und nach der Kolorierung am Ende der Text hinzugefügt wird. Die Arbeit heutzutage am Rechner vereinfacht diesen Prozess erheblich.
So mag es Bilder geben, die den Sprung vom Bildschirm nicht auf die Seite geschafft haben. Allerdings gibt es Bilder, die dort von IGNACIO NOÉ umgesetzt wurden. Umso schockierender sind sie (auch, da Schockmomente überaus sparsam verwendet werden). In einer sich stetig spannungssteigernden Handlung zupfen solche Momente an den Nerven des Lesers.
THRILLER, MYSTERY, HORROR, GRUSEL, HISTORIENABENTEUER: SALAZAR 1, JUDICA CAUSAM TUAM, vereinigt verschiedene Genres in sich. ALONSO DE SALAZAR Y FRIAS (den ein junger Vincent Cassel gespielt haben könnte) ist eine Hauptfigur, die den Leser schnell für sich einnimmt. Mit Ecken und Kanten, ein paar Schwächen, dafür umso mehr Stärken versehen, ist er eine Art kirchlicher Detektiv, der den in menschlichen Abgründen nach der Lösung suchen muss. Diese ist diesmal anders, als er es bislang erfahren musste. Ungewöhnlich, düster, hart, packend! Sehr gut! 🙂
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