DAKOTA SMITH und CHELSEA TYLER werden von der Polizei gesucht. Ihre Fahndungsfotos werden im Fernsehen gezeigt. Die Polizei wird angefeindet, denn anscheinend macht sie ihren Job nicht vernünftig und fasst die beiden Frauen einfach nicht. Immerhin gehen zwei Cops einer Meldung nach und befragen eine Kellnerin in einem Diner. Routine. Aber sie werden beobachtet. Und erwartet. Als sie das Lokal verlassen, stellen sie fest, dass sie nicht die einzigen Personen sind, die DAKOTA SMITH und CHELSEA TYLER finden wollen. Ein Wort gibt das andere, dann gibt einer der Cops eine falsche Antwort. Das kurze Treffen endet in einem Blutbad …
Mehr als nur ein Comic. Eine Satire wie auch eine Verbeugung vor den 1980er Jahren. SHOOTING RAMIREZ erzählt nicht nur eine Geschichte, einen Thriller, in dem sich diverse Action-Abenteuer des TVs und des Kintopps jener Ära mischen, es nimmt gleichzeitig die Werbung aufs Korn, die Popkultur. Es spielt mit jenen Tagen, als Frauen zu Action-Heldinnen wurden, ganz im Stile von FRAUEN MIT EINER 45er MAGNUM, und der DEATH WISH zum Vorreiter einer ganzen Generation von Action-Baller-Filmen wurde. Das aufmerksame Auge findet hier den PINK CADILLAC genauso wie einen roten Sportwagen, der einem FERRARI TESTAROSSA wie aus dem Gesicht geschnitten ist (wolle man, wie es manche später taten, einem Auto eine vermenschlichte Persönlichkeit unterstellen), aber anders heißt und echte JAMES-BOND-AUTO-QUALITÄTEN entwickelt.
Kurzum, hier geht es nicht nur um eine Comic-Geschichte, hier geht es NICOLAS PETRIMAUX um die Beschreibung eines Zeitalters und dem damit einhergehenden FEELING jener Tage. Doch nicht zu vergessen: SHOOTING RAMIREZ ist ein Thriller! All das FEELING schafft nur den Unterboden für eine Geschichte, die eigentlich um einen Anti-Helden herum gestrickt ist. Hinzu kommt, dass dieser Anti-Held außerdem kein Wort sagt (weil er stumm ist) und nur über seine Mimik und seine Haltung mit dem Leser kommuniziert. Und natürlich mit allen anderen Charakteren im Comic, sofern sich diese darauf einlassen. Am Beispiel seines Vaters gibt es noch die Variante, in einem eigentlich nicht existenten Gespräch die fehlenden Antworten gleich mitzuliefern.
Staubsaugerbestandteile werden hier als Waffen zweckentfremdet in arg brutalen Auseinandersetzungen. Was wieder zu den toughen Frauen führt. Toughe Frauen sind ein heißes Thema in der medialen Welt. Toughe Detektivinnen in Romanen, toughe Monsterkillerinnen in Horrorserien, toughe Rächerinnen in Filmthrillern, was den Kreis wiederum schließt. DAKOTA SMITH und CHELSEA TYLER sind keine THELMA und LOUISE, sind eher die BRAUT im Quadrat (aus KILL BILL). Hier sind zwei Damen unterwegs, die sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Sie teilen aus, stecken ein, geben alles, bis zum letzten Quäntchen Power.
Und damit geht es auch sogleich zur grafischen Umsetzung. Nicht nur, dass NICOLAS PETRIMAUX klassische 1980er Film- und Fernsehszenarien mit neuzeitlichen Erzählstrukturen mixt, er wählt für die Optik seiner Seiten auch einen geradezu filmischen Ablauf. Und darüber hinaus, zelebriert er so manche Szene richtig und gibt sich nicht mit einer Seite zufrieden, sondern streckt und intensiviert charakterliche Tiefgänge. Die Figuren werden gut aufgebaut, das Menschliche wird herausgearbeitet.
Im besten Sinne spektakulär sind die Inszenierungen der Action-Szenen. NICOLAS PETRIMAUX will mit seinen gezeichneten Dialogseiten stets einer Statik durch Perspektiv- und Ansichtswechsel entgegenwirken. Filmsprachlich wären das Kamerafahrten. Aber Dialog braucht auch eine gewisse Ruhe. Hier soll die Information rüberkommen, sich festigen. In den Action-Szenen lässt NICOLAS PETRIMAUX die Pferde laufen. Stichwort: Toughe Frauen. DAKOTA SMITH und CHELSEA TYLER sind zu diesem Thema in gleich drei hammerstarken Szenen vertreten, jeweils stets auf sich allein gestellt. CHELSEA schießt hierbei den Vogel ab.
Herausragend ist die Sequenz eines Live-Konzerts. Rock’n Roll und Pyrotechnik auf der Bühne, abertausende von Zuschauern, maskierte Musiker, sozusagen die DAFT PUNK des Rocks und alles mündet, unerwartet, in eine alptraumhafte Erinnerung, die ausgerechnet unserem Helden auf dem Gewissen lastet. NICOLAS PETRIMAUX zeichnet mit leichten Strichen, leichten Outlines. Volumen wird über eine pralle, plastische Farbgebung erreicht. NICOLAS PETRIMAUX ist ein meisterhafter Seitenarrangeur. Zu seinen Skills zählt er laut ARTSTATION STORYBOARDING, und das merkt man auf jeder Seite. Darüber hinaus weiß er eine Sequenz mitreißend aufzubauen. Es gibt welche, die sind von Dialogen geprägt und entsprechend gemächlich. Andere nehmen regelrecht Tempo auf und rasen schließlich mit ihrer Action fast wortlos dahin. Beispielhaft ist das erwähnte Live-Konzert. Es gibt einen Songtext, den man beinahe überfliegt, weil die Szenerie in einem fantastischen Realismus vor dem Auge abläuft.
Ein starker Thriller, weiterhin im gelungenen 1980er-Jahre-Design. Hier werden keine Gefangenen gemacht, szenisch an ein erwachsenes Publikum gerichtet, das mit Quentin Tarantino und/oder Michael Mann aufgewachsen ist. Hier finden unterschiedliche Thrillertypen zueinander, hart, geradlinig, hochgradig spannend von Anfang bis Ende. Der erste Teil sollte bekannt sein. 🙂
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Oder bei Schreiber und Leser.
Wer einen Eindruck über die Arbeiten von NICOLAS PETRIMAUX bekommen möchte, findet einen schönen Überblick auf seiner ARTSTATION-Seite: https://www.artstation.com/nicolab (Link)