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Comic Blog


Dienstag, 03. September 2019

MONDGESICHT 1

Filed under: Mystery — Michael um 16:34

MONDGESICHT 1Eine abgeschlossene Inselgesellschaft ist zu einem furchtbaren Staat mutiert. Bekannte Formen des Zusammenlebens wurden pervertiert. Der Klerus hat sich dem Staat untergeordnet. In den oberen Etagen kümmert man sich um den Zustand der diktatorischen Hämorrhoiden. In den wahrhaft unteren Etagen haben sich Gruppen etabliert, die alle dem gemeinsamen Feind da oben frönen. Zwischendurch vergnügt man sich, opfert man sich oder glaubt an eine Erlösung. In diesen Zeiten wird die Insel immer wieder von Flutwellen überspült, mal mehr, mal minder stark, in jedem Fall aber ein willkommenes Wasserspiel, um unliebsame politische Gegenspieler loszuwerden. Als eines Tages eine besonders große und zerstörerische Wasserwalze das Eiland heimsucht, nehmen Kameras ein unglaubliches Schauspiel auf. Inmitten der Fluten tanzt ein menschliches Wesen nicht nur, nein, es scheint den Gewalten des Meeres sogar seinen Willen aufzuzwingen und die Wellen nach seinem Gusto aufzutürmen und zu bewegen …

ALEJANDRO JODOROWSKY schaut mit wirklich jeder Geschichte, die er bislang geschrieben hat, in die Abgründe menschlicher Psyche. Er zerrt seelische Qualen hervor, Sehnsüchte bitterster Natur, Grausamkeiten, die ganze Palette dessen, was den Menschen hassenswert macht. Und vor dieser Kulisse erschließt sich, wie eine einzelne blühende Blume auf einer grau verdorrten Wiese, poetisch gesprochen, der berühmte Funken Hoffnung. ALEJANDRO JODOROWSKY gibt diesem Funken in dieser von ihm kreierten Welt einen Namen: MONDGESICHT.

MONDGESICHT ist eine Projektionsfläche. Er wird eigentlich BORRADO gerufen, ist selbst stumm und sein Gesicht besitzt nur sehr wenige persönliche Merkmale. Er hat ein paar Haare auf dem Kopf, schmalste Augenbrauen, aber zum Beispiel keinerlei Ohröffnungen im äußerst rudimentären Ohrenwulst. Seine Nasenlöcher werden von einer sehr kurzen und kleinen Nasenspitze überschattet. Sein Gemüt ist kindlich. ISHA, eine Frau aus dem Untergrund wacht über ihn, sofern er sie lässt. Denn eigentlich, das wird bald deutlich, benötigt er keinen Schutz. Und so baut sich langsam aber sicher ein messianisches Konstrukt um den BORRADO auf, der, so unglaublich und so undurchschaubar das auch sein mag, eine Mission zu haben scheint.

ALEJANDRO JODOROWSKY macht auch hier keine Gefangenen, geschweige denn, dass er auf den Leser in irgendeiner Form Rücksicht nimmt. Hat er damals nicht und heute nicht. Das muss man an ALEJANDRO JODOROWSKY mögen (oder eben nicht). Diese Welt ist dem Wahn verfallen. Einem überspitzten, sehr satirischen Wahn, aber auch einem nicht erfundenen Wahn, der auf den Revolutionswellen reitet, wie er in Russland vorgemacht wurde, mit jenem Irrsinn, wie er in Afrika zu finden ist und despotischen Idioten, wie sie überall dort auf der Landkarte auftauchen, wo gesellschaftliche Großbrände auflodern. Hier lässt sich vieles aus der Wirklichkeit übertragen. ALEJANDRO JODOROWSKYS Kunst ist es, einen globalen Wahn auf einen konzentrierten Blick hin zu bündeln. Sei es gesellschaftlich, technisch, technokratisch, religiös (das spielt sehr oft mit) oder auch historisch. Oder alles zusammen. Und noch mehr. Man kann gut und gern behaupten, dass ALEJANDRO JODOROWSKY ein exakter Beobachter ist.

Und dann ist da noch FRANCOIS BOUCQ! Er gestaltet diese Welt mit einer grünlich-grauen Grundstimmung. Machbare Technik mischt sich mit herkömmlichen Untergründen, Tunneln, Abwassergewölben. Grüne Uniformen, schwarze Uniformen treffen auf Rost und Untergang. Eiförmige Architektur, einer Gesellschaftsgrundlage folgend, trifft auf Natur, die an schottisches Hochland erinnert und ebensolche Meeresküsten drumherum. Darauf tummeln sich die Menschen, meist versteckt und wenn doch offen, dann, wie im Falle der Fischer, um durchzudrehen oder um ein Versteck zu suchen. Aber seine schönste Kreation inmitten all des Wahnsinns ist MONDGESICHT oder auch MOON, wie er gerufen wird.

Denn MONDGESICHT lächelt. Nicht immer. Die Qualen eines Tiers machen ihn traurig. Aber alles andere, wie das, was ihm angetan wird, bringt ihn zum Lächeln. Das sind tolle Momente und es ist der Kunst von FRANCOIS BOUCQ zu verdanken, dass sie so toll funktionieren. Denn eine Figur, die sich durch das Erstaunen und die sonstigen Reaktionen der sie umgebenden Gestalten charakterisiert und selbst über Knotenschnüre kommuniziert, ist alles andere als leicht zu bewerkstelligen.

Ein Märchen von ALEJANDRO JODOROWSKY. MONDGESICHT lebt in einer wahnsinnig gewordenen Welt und wird dort zum Heilsbringer. Das ist mit jener starken satirischen (auch philosophischen) Handschrift erzählt, für die ein ALEJANDRO JOROWSKY berühmt ist. Aber es ist umso mehr von einem ungemein hervorragenden Künstler, nämlich FRANCOIS BOUCQ, illustriert. Thematisch sicherlich nicht jedermanns Sache, aber auf dem weiten Feld der Comics und Graphic Novels ganz bestimmt ein Meilenstein. 🙂

MONDGESICHT 1: Bei Amazon bestellen.
Oder bei Schreiber und Leser.

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