Im Nachtlager der Konföderierten begegnet man dem Ende des Krieges gegen die Union mit Unverständnis, Unglauben. Einer, der nur darauf gewartet hat, dass der Krieg endlich zu Ende ist und er nach Hause gehen kann, wird als Deserteur gefangen genommen und zurückgebracht. CAPTAIN RALTON hat kein Mitleid mit dem Mann, der sich in seiner Verzweiflung immer wieder auf das Ende des Krieges beruft. Seiner Meinung nach gab es nichts mehr zu desertieren, wo sich keine Armeen mehr gegenüber stehen. CAPTAIN RALTON sieht das anders. In einem ungleichen Säbelduell tötet er den Mann ohne einen Funken Gnade …
Eine düstere Familiengeschichte, erdacht von einem Autor, der sich mit bitterbösen, bitterkomischen Geschichten einen Namen gemacht hat: ALEJANDRO JODOROWSKY. Eine Mutter, drei Brüder und ein dunkles Vermächtnis stehen im Kern der beiden hier in der ersten Gesamtausgabe von BOUNCER zusammengefassten Westernabenteuer: EIN DIAMANT FÜRS JENSEITS und DIE GNADE DER HENKER. Auf der anderen Seite steht Comic-Künstler FRANCOIS BOUCQ, hierzulande durch seine Illustrationen zur Thriller-Reihe DER JANITOR bekannt; einige Jahre vorher schon startete BOUNCER (zu Deutsch: Rausschmeißer), den FRANCOIS BOUCQ in bester Westernmanier im Stile eines JEAN GIRAUD oder COLIN WILSON illustrierte.
Den Leser erwartet ein moderner, harter, nach allen Seiten mitleidloser Western im Stile neuerer Serien wie DEADWOOD oder HELL ON WHEELS. Hier wird nichts romantisiert. Ein Haufen der Leute, die den Wilden Westen unsicher machen, sind raue Gesellen. Zynismus, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Gewaltorgien sind an der Tagesordnung. Nur ein toter Feind ist ein guter Feind. Der amerikanische Bürgerkrieg ist gerade erst zu Ende und hat das Land für viele weitere Jahrzehnte abgrundtief geprägt. Eine Horde ehemaliger Soldaten der Konföderation bahnt sich ihren Weg durch das Land mit Mord, Raub und Vergewaltigung. Da erwacht in ihrem Anführer RALTON der alte Hass auf seinen Bruder BLAKE.
Vor Jahren entzweiten sich drei Brüder in Habgier über einen ganz besonderen Diamanten, das KAINSAUGE. HABGIER offenbart sich in diesem Stein als eines der beiden Hauptmotive der beiden Geschichten, die man getrost auch als Doppelfolge bezeichnen kann. RACHE ist das zweite Motiv. Denn ein Junge musste den Mord an seinen Eltern beobachten. Nach einer ungewöhnlichen Lehrzeit sinnt er darauf, die Killer zur Strecke zu bringen. BOUNCER, so viel sei verraten, ist der Lehrmeister des Jungen. Einarmig zwar (wie auch auf dem Titelbild zu erkennen), schleppt er dennoch gleich drei Knarren mit sich herum. BOUNCER ist ein Mann, der alles andere als aufgegeben hat. Und genau diese Lektion erteilt er dem Jungen.
Großartige Szenen: Ich habe in keinem anderen Western-Comic noch keinen besser inszenierten Postkutschenüberfall gesehen als hier (in der Episode DIE GNADE DER HENKER). Einerseits ist es schon schwierig genug, auf vernünftige Weise Rasanz, Geschwindigkeit in Comics darzustellen. Dies mit einer Kutsche und rennenden Pferden zu schaffen, gleichzeitig die Dramatik der Verfolgungsjagd und des kommenden Überfalls einzufangen, ist eine wirkliche Kunst. Kurz darauf, in einer regnerischen Szene eingefangen, wird es schmutzig wie in einem Italowestern.
FRANCOIS BOUCQ hat die Atmosphäre eines Westerns toll eingefangen. Auf der Basis der von ALEJANDRO JODOROWSKY erzählten Geschichte (man glaubt fast, der Autor habe nie etwas anderes gemacht), entfaltet sich stellenweise ein echtes Spektakel. Ein Überfall auf einen Eisenbahnzug und die erwähnten Lehrstunden in Sachen WIE WERDE ICH EIN KILLER sind kinoreif. Die Szenen in Räumen, einer Schule, im Saloon sowie auf den Straßen einer Westernstadt bestechen durch die detailverliebte Gestaltung und, das muss ganz dringend hervorgehoben werden, eine sehr intensive Farbgebung.
BEN DIMAGMALIV und NICOLAS FRUCTUS sind die beiden Spezialisten, die BOUNCER ins beste Licht tauchen. Hier werden nicht nur tageszeitspezifische Farben aufgetragen, oder solche Szenen gestaltet, die sich in der Dämmerung oder bei der Beleuchtung von Petroleumlampen abspielen, hier wird auch bewusst Stimmung erzeugt. Wenn der Junge seine ermordeten Eltern im Licht der untergehenden Sonne findet oder eine Schießerei mit einer geradezu blendend strahlenden Farbgebung untermalt wird, damit eine heldenhafte Tat (aus der Sicht des agierenden Helden) noch hervorgekehrt wird, haben die beiden Koloristen mehr als alles richtig gemacht.
Ein harter WESTERN von ALEJANDRO JODOROWSKY und FRANCOIS BOUCQ. JODOROWSKY ist über das Medium Comic hinaus als Autor bekannt und hat, meiner Meinung nach, hier eine seiner besten Geschichten abgeliefert. Eng mit dem Genre verflochten, extrem nah an den Charakteren, dem historischen Hintergrund und dem Land, was diese Menschen prägt, ist ein fühlbar plastischer WESTERN entstanden, der dank eines herausragenden Illustrationsteams von der ersten bis zur letzten Seite fesselt. 🙂
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