PRINCESS hat es zur Gruppe um MICHONNE verschlagen. PRINCESS gab sich ihren Spitznamen selbst. Überhaupt redet sie gerne und viel. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass sie sehr lange, jahrelang alleine verbracht hat. Aber sie überlebte auch. Ihre Fähigkeiten mit der Lanze im Kampf gegen die Zombies sind sehenswert. Sie ist ein überdrehter Widerpart zu MICHONNE, kein schweigsamer weiblicher CLINT EASTWOOD, mehr ein jugendliches BILL-MURRAY-Girlie, dessen Mundwerk zuweilen zu schnell losfeuert. In der doch sehr angestrengten Situation des ersten Aufeinandertreffens zweier sehr unterschiedlicher Gruppen ist es dann ausgerechnet EUGENE, der fast einen Streit vom Zaun bricht.
Eine neue Weltordnung ist in den Gemeinschaften rund um RICK GRIMES entstanden. Es ließen sich bestimmt Abwandlungen bereits erdachter Systeme darüber stülpen, aber allesamt wären sie zu kurz gegriffen, denn keine davon fußte auf einer apokalypsenähnlichen Situation wie dieser. ROBERT KIRKMAN erzählt von einer Gesellschaftsordnung, in der alle freiwillig anpacken, sich jeder zum Wohl der Gemeinschaft einbringt, mit seinen ganz eigenen Fertigkeiten, mit seinem Engagement, seiner Zeit. Es gibt Anführer, aber keine Diktatur. Wer anführt, hat sich Respekt erarbeitet, auch erlitten. Widerstand oder Abneigungen sind selten, aber es gibt sie (wie RICK GRIMES zu spüren bekommt).
Insgesamt jedoch funktioniert dieses neue System, das sich bereits gegen andere durchgesetzt hat, den GOUVERNEUR, NEGAN, die FLÜSTERER. NEUE WELTORDNUNG heißt es nun, da es eben um genau das nicht geht, sondern um die Wiederherstellung einer alten Weltordnung mit Hierarchien, mit Leuten an Machtpositionen, wo sie nicht hingehören. ROBERT KIRKMAN stellt RICK GRIMES eine GOUVERNEURIN gegenüber, Regierende über eine Gesellschaft von 50.000 Menschen. Hier ist man das, was man vorher war, vor der Katastrophe, in der die Toten begannen, fleischhungrig zurückzukehren. Das passt natürlich kaum zu Menschen, die gelernt haben, sich unabhängig von früherem Status und früherer Herkunft in die Gemeinschaft einzubringen.
Das kann nicht gut gehen. Das ist dem Leser sogleich klar. ROBERT KIRKMAN streut verschiedene Hinweise aus, in welche Richtung die Handlung voranschreiten könnte. Wo die Reise hingeht, kann aber selbst nach der letzten Seite dieses Bandes kaum vorhergesagt werden. Insofern bleibt sich ROBERT KIRKMAN zur Freude des Lesers treu. Außerdem hat er mit NEGAN noch ein As im Ärmel. Neben dieser aufziehenden Problematik steht MICHONNE im Fokus der Erzählung. Die wehrhafte Frau mit dem Schwert hat in der Vergangenheit wahrlich eine Menge auf sich nehmen müssen, wurde vom GOUVERNEUR in eine rachsüchtige Bestie verwandelt und eigentlich sollte sie angesichts einer GOUVERNEURIN besonders misstrauisch werden, erst recht, da ein paar Szenen ihr schnell die falsche Seite dieses neuen Ministaates zeigen, Militär eingeschlossen.
CHARLIE ADLARD darf in Band 30 eine Welt zeichnen, in der die Untoten nicht ausgstorben sind, aber deutlich weniger und übersichtlicher werden. Die Reise von RICKS Ortschaft hin zu dieser neuen alten Welt geht mitten durch eine ehemals stark bevölkerte Großstadt. Wo RICK GRIMES in den Anfangstagen der Katastrophe beinahe sein Leben verlor, breitet sich nun Totenstille aus. Kein Zombie ist weit und breit zu sehen. Hier stellen sich ROBERT KIRKMAN neue Aufgaben. Schockeffekte gibt es noch, aber sie sind bei weitem nicht mehr so drastisch wie zum Beispiel die erwähnte Erfahrung MICHONNES. Es menschelt, neue Beziehungen entstehen, alte werden neu belebt, Charaktere wandeln sich, es wird über Gesellschaftsformen philosophiert, es gibt neue Charaktere kennen zu lernen.
Lange Zeit war der Leser auch optischen Verfall gewohnt, nicht nur bei den Untoten. Eine verfallene Großstadt bei Nacht ist hier eher die Ausnahme. Mit dem Wiedererstarken von Siedlungen hält auch eine für eine Zivilisation gewöhnliche Sauberkeit Einzug. Die militärische Polizei, bildlich auf dem Cover der aktuellen Ausgabe zu sehen, hat mit ihrer weißen Panzerung, den Helmen und der sonstigen Ausrüstung Anklänge von STORMTROOPERN im Stile eines Sternenkriegs. Auffallend ist natürlich die Wahl der Farbe. Während in der Realität mehr auf einschüchterndes Dunkelblau und Schwarz gesetzt wird, mag es die Obrigkeit in der unbekannten Gemeinschaft in strahlendem Weiß.
Die Weltordnung um RICK GRIMES trifft auf verloren gegangene und kaum vermisste Strukturen einer alten Welt. Es wird wieder nach oben gebuckelt und nach unten getreten, frei nach dem Motto, es müsse etwas geben, nach dem man in die Höhe streben könne. NEUE WELTORDNUNG heißt der 30. Band von THE WALKING DEAD, in dem ROBERT KIRKMAN mit Hilfe des versierten CHARLIE ADLARD einen weiteren unausweichlichen Konflikt heraufbeschwört. Und selbst im Kleinen kokelt es unter der Oberfläche. Einem Normalisierungsprozess unterworfen, ist diese Welt immer noch brandgefährlich. Sehr gut. 🙂
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