Probleme gibt es im Rheingau reichlich. Dazugehört natürlich alles, was der Lese schadet. Stare sind ein Gräuel, sie müssen aufwändig vertrieben werden, mit Krach, Gerassel, oder mit Böllern, wenngleich die Umsetzung durch OSKAR auch ihre Folgen hat. Animositäten sorgen für reichlich Ärger, ungewöhnliche Abenteuer am Rande, wie ein FERDINAND erfährt, der, als Gespenst mit Bettlaken verkleidet, plötzlich einem echten Geist in jenen vergangenen Tagen gegenüber steht. Aber KARL gibt bei all den Schwierigkeiten nicht auf, meistert die Sabotage eines FERDINAND, die Nachlässigkeiten eines OSKAR, unterstützt durch die Zuneigung seiner MARIA und erfindet ganz nebenbei neue alkoholische Produkte.
KARL, DER SPÄTLESEREITER. Von der Idee im Jahre 1987 bis zum ersten Album 1988 im eigenen Verlag war es für den KARL, eine deutsche Comic-Figur (!), kein einfacher Weg. Nachdem bestehende Verlage den beiden Comic-Machern PATRICK KUNKEL und MICHAEL APITZ mit ihrem Projekt nur ablehnend gegenüber standen, beschlossen sie, KARL in eigener Hand selbst umzusetzen. Und wie es manchmal so ist, wurden sie dafür mit Erfolg belohnt und KARL fand seiner Leserschaft.
Nach eigener Aussage wollte MICHAEL APITZ gerne etwas im Stile von ASTERIX machen, vielleicht mit ein wenig LUCKY LUKE oder TIM UND STRUPPI. Wie gut dieser Ansatz in einem Szenario, angesiedelt in deutschen Landen im Spätsommer des Jahres 1775 funktioniert, zeigt sich am ersten Band der Reihe, von dem sich in mehreren Auflagen mehr als 150.000 Stück verkauften. 30.000 gingen sogar englischsprachig über die Theke. Das sind selbst (oder besonders) nach so langer Zeit im Comic-Bereich traumhafte Verkaufszahlen. Und gleichzeitig damals eine gute Grundlage, um mit KARL weiterzumachen. Dabei war mit dem ersten Comic auch viel LEARNING BY DOING.
Im Ergebnis aber gehen die Bilder von MICHAEL APITZ mit ihren Vorzeichnungen, der Tuscheumsetzung, der späteren Kolorierung mittel Aquarelltechnik und Plakafarben in die grafische Richtung der Vorbilder aus der frankophonen Nachbarschaft. Die Zeichnungen besitzen nicht ganz so intuitiven Charakter wie die Bilder eines MORRIS. Sie sind eher optisch einem ALBERT UDERZO während seiner UMPAH-PAH-Phase nahe. Von MICHAEL APITZ erhält jede Figur ihr ganz persönliches Gesicht, Haltung, Gestalt. In dieser sich dem Leser bietenden Vielfalt dürfte auch ein Erfolgsrezept der Reihe zu finden sein, zumal mit den Auftritten karikierter Prominenz ein weiteres Rezept der Kollegen UDERZO und MORRIS hinzugefügt wurde.
So tauchen nicht nur JOHN WAYNE, SYLVESTER STALLONE oder DAVID NIVEN im RHEINGAU auf. Es hagelt außerdem viele Anspielungen, das Lokalkolorit spielt eine immense Rolle und natürlich beginnt alles mit der zufälligen Erfindung der SPÄTLESE. Ausgehend von einer wahren Legende, des Traubenkuriers, entstand DER SPÄTLESEREITER, dem die beiden Bände DAS FASS DER ZISTERZIENSER und DIE REVOLUTION folgten.
Ein schönes Stammpersonal in KARL bildet wie im Vorbild von RENE GOSCINNY ein Team zum Mitfiebern und Lachen. MARIA, OSKAR, der frankophile Rüde GRANDPATTE, der Lump FERDINAND oder PATER ANSELM (alle auf dem Titelbild der Gesamtausgabe vertreten) bieten eine gelungene Palette von jeweils fein ausgedachten Charakteren. Aber die mehr oder minder heimliche Hauptattraktion ist natürlich der Wein. Darf man der SPÄTLESE im ersten Abenteuer beiwohnen, ist es in Band 3 die Entstehung des SCHAUMWEINS, dessen Geheimnis hier gelüftet wird.
Ja, es ging doch, muss man aus heutiger Sicht sagen, denn nach KARL hat sich kaum mehr ein Comic aus Deutschland so schön herausgemacht. Ein Grund mehr diesen jungen Klassiker zu Recht mit einer Gesamtausgabe zu würdigen. Cartoon-Abenteuer aus deutschen Ländern, sehr europäisch verortet, gekonnt illustriert und mit ordentlich viel Humor erzählt. Schön, schön, schön, empfehlenswert! 🙂
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