Freitag, 24. November 2017
Washington am 26. April 1961. Zwei Männer sitzen völlig unverfänglich auf einer Parkbank und unterhalten sich. Der eine isst einen Hot Dog, lässt ein paar Krümel für die Tauben auf den Boden fallen. So harmlos die Szene ist, so aufgewühlt sind beide Männer, was die politische Situation anbelangt. Kurz zuvor ist die Invasion in der Schweinebucht auf Kuba gescheitert. Aus den Gedanken der Unzufriedenheit mit dem Oberbefehlshaber der Vereinigten Staaten, dem Präsidenten, entstehen dunkle Ideen …
Im Mai 1561 wird vor langer Zeit ein Nährboden für weitere Ereignisse zu Beginn der 1960er Jahre in den Vereinigten Staaten, im Bundesstaat Texas gelegt. Die junge Frau, die beschlossen hat, unter ihrem Künstlernamen SARA LONE zu leben, befindet sich an Bord der PINKY PRINCESS, einem Krabbenkutter. Der Fang ist äußerst mager ausgefallen. Auf dem Schiff beschäftigt sie zwei Schwarze, ein Umstand, der bei der örtlichen Gewerkschaft nicht gut angesehen ist, denn in der Gegend ist nicht nur die allgemeine Stimmung gegen dieses Arrangement, sondern auch die Rassisten des Ku-Klux-Klan machen Front gegen Sara …
Ich mag die Epoche, die 1960er, aus heutiger Sicht. Es war eine hoch politische, sehr emotionale Zeitspanne, in der historisch gesehen, viel geschah. Für jene, die diese Zeit, auch und gerade in den Vereinigten Staaten von Amerika, aktiv erlebten, wird es mitunter eine Spur zu viel der Umwälzungen und der Ereignisse gewesen sein. Die kriegerische und politische Einflussnahme in anderen Ländern, wird auch im zweiten Band von SARA LONE thematisiert, ohne allerdings genau auf die diskutierten Ereignisse einzugehen. Der Untertitel, CARCANO GIRL, bezieht sich auf ein sehr spezielles Gewehr, das im November 1963 von LEE HARVEY OSWALD für das Attentat auf den amerikanischen Präsidenten JOHN F. KENNEDY benutzt worden sein soll (das Vorwort erläutert kurz den Begriff CARCANO).
Die hier geschilderte Geschichte, ein historischer Thriller von ERIK ARNOUX, ergeht sich einerseits in Andeutungen, andererseits fängt sie die Stimmung jener frühen 1960er Jahre in den USA ein, in denen mit einem sehr jungen Präsidenten Aufbruchsstimmung herrschte, allerdings Rassenunruhen und Morde zu einem fortwährend über den Köpfen baumelnden Damoklesschwert wurden. Jederzeit und überall konnte Gewalt ausbrechen. Inmitten dieser Zeit steht SARA LONE mit ganz eigenen Problemen, Geldsorgen vorneweg. Ihrer kleinen Firma geht es nicht gut. In einer von Männern dominierten Region, rassistisch, sexistisch, ungehobelt, ungebildet, brutal, ja unmenschlich, versucht sie gegen die bestehenden Verhältnisse anzukommen. Sie hat Unterstützung, aber diese ist gering. Alles in dieser Handlung ist darauf abgestimmt, sich wie eine Schlinge immer enger um die Hauptfigur zusammenzuziehen.
Der künstlerische Ausdruck von Zeichner und Kolorist DAVID MORANCHO erinnert an den ebenfalls sehr leichten Strich von MICHEL BLANC-DUMONT. Sehr auf Realismus bedacht, strichtechnisch sehr zart, zerbrechlich warten die Bilder von DAVID MORANCHO mit hauptsächlich drei Handlungskreisen auf. Die texanische Küste, das Küstenstädtchen, der Krabbenkutter bilden einen dieser Kreise. Der zweite führt weiter in die Vergangenheit an die mexikanische Küste und auf eine spanische Galeone. Der dritte Handlungsort, viel enger begrenzt, ist ein Park in Washington und bietet ein Stelldichein von menschlichen wie tierischen Begegnungen, fast so als träfe hier eine us-amerikanische heile Welt konzentriert aufeinander.
Während höchst brisante Gespräche geführt werden, gehen Familien spazieren, führen Leute ihre Hunde aus oder genehmigen sich an einem typischen Hot-Dog-Stand eine Mahlzeit. Diese Szenerie wirkt stellvertretend für den gesamten Zeitgeist, den DAVID MORANCHO durch den gesamten Band hinweg perfekt einzufangen vermag. Und es gibt nicht nur diese Heile-Welt-Seiten. Auch die sehr dunklen Kapitel jener Tage werden nicht ausgespart.
Ein gelungener Thriller, die zweite von insgesamt vier Folgen, angesiedelt zu Beginn der 1960er Jahre, mit viel feinem Zeitkolorit, gutem Gespür für jene Epoche erzählt und atmosphärisch illustriert. Für alle Thriller-Fans, Freunde verschachtelter Handlungen, geheimnisvollen Szenarien vor historischer Kulisse. Fein. 🙂
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Montag, 20. November 2017
In der Erinnerung von BRUDER VINCE alias JANITOR TRIAS hat sich eine merkwürdige Episode eingebrannt. In der fernen Vergangenheit treffen zwei verfeindete Gruppen aufeinander. Beide jagen sie Teufelsanbeter und doch sind sie bei religiös verfeindet. Aber es geschieht das scheinbar Unmögliche. Die beiden Gruppen treffen eine Übereinkunft. BRUDER VINCE kann sich diese Geschehnisse nicht erklären. Noch weniger kann er ahnen, wie groß der Einfluss dieser wiederkehrenden Visionen auf sein reales Leben sein wird.
Südamerika und Mittelamerika haben mit ihren politisch und gesellschaftlich instabilen Verhältnissen schon häufiger als Zufluchtsort für flüchtige Politiker und dubiose Individualisten gedient. Nazis, ehemalige Kommunisten oder Sekten haben für reichliche Negativschlagzeilen gesorgt. Kurzum, oft dienten die weitläufigen, sehr undurchsichtigen Landstriche als perfektes Versteck für jene, denen anderswo in der westlichen Welt wenigstens ein Prozess drohte. YVES SENTE setzt mit DER JANITOR 5, Untertitel HÖLLENBRUT, nach mehreren Jahren Pause seine Thriller-Reihe um den JANITOR TRIAS, alias BRUDER VINCE, fort.
Bei den JANITOREN handelt sich um eine Gruppe von zwölf Personen, die vom VATIKAN in besonderen Fällen als, grob gesagt, spezielle Ermittler und Sicherheitsbeauftragte eingesetzt werden. Vince, der selber nicht dem Status eines Priesters unterliegt, ist als Waise in die Obhut der Kirche gelangt. Ihr dient er treu, nicht immer ohne zu fragen. Denn an seiner Herkunft gibt es ebenfalls einige Aspekte zu lüften, nicht nur in seinem aktuellen Fall, der ihn in der fünften Folge (die nahtlos an die vorherige Episode anschließt) nach CANCUN, MEXIKO führt.
Hier startet YVES SENTE mit einem Abschnitt seiner Geschichte, seltsamen Verschwörungstheorien, wahnwitzigen Ideen im Zusammenhang mit den Forschungen der Nazis, die zum Beispiel von IRA LEVIN mit THE BOYS FROM BRAZIL oder FREDERICK FORSYTH mit THE ODESSA FILE vor Jahrzehnten aufgegriffen wurden. YVES SENTE geht noch einen Schritt weiter und spannt einen weiten historischen Bogen, der bis weit ins Mittelalter reicht, als sich Tempelritter (Christen) mit muslimischen Kriegern zur Erreichung gemeinsamer Ziele verbünden.
In der Gegenwart wandelt sich das Szenario schnell von einer recht detektivischen Geschichte in einen rasanten Thriller, in dem es für den JANITOR TRIAS nur noch ums nackte Überleben geht. Inmitten eines immergrünen Dschungels, geschützt durch einen mit Alligatoren verseuchten Sumpf wartet eine modern gruselige Ruine mit vielen Antworten auf. YVES SENTE vergisst aber auch den kleinen Mystery-Abstecher in seiner Handlung nicht, denn die Herkunft des JANITORS lüftet sich ebenfalls langsam, meist in Form eines kleinen Mädchens, das einige Erklärungen parat hält und dem JANITOR seit der ersten Folge, DER ENGEL AUS VALLETTA, erscheint.
FRANCOIS BOUCQ behält seinen tollen Grafikstil bei. Dem Realismus zugewandt, auf Augenhöhe mit Kollegen wie PHILIPPE FRANCQ (LARGO WINCH) oder COLIN WILSON (WONDERBALL) entspinnt sich trotz eines sehr sonnigen Schauplatzes ein enorm düsteres Szenario. Wohl platzierte Tuschestriche vermitteln den Eindruck alter Schule, wie sie sich schon in den Zeichnungen eines JEAN GIRAUD findet. In der Farbgebung sind die beiden Koloristen ALEXANDRE BOUCQ und ebenfalls FRANCOIS BOUCQ dem Realismus verpflichtet, die alte Schule mit zuweilen psychedelischen Farbfolgen treten hier nicht auf. Die beiden BOUCQS achten darauf, dass die jeweilige Ausleuchtung der tatsächlichen Stimmung entspricht. Das wirkt immer noch gruselig, wenn sich nächtens in bester JAMES-BOND-Manier eine Notbeleuchtung einschaltet und zum Versprechen auf einen heißen Showdown wird.
Noch nicht das Ende: DER JANITOR 5, HÖLLENBRUT, setzt die Thriller-Reihe um den JANITOR TRIAS fort. Fernab seiner Auftraggeber im Vatikan, auf der anderen Seite des Erdballs in Mexiko, löst sich ein lange erwarteter erster Handlungsstrang auf, hinterlässt aber noch offene Fragen. Spannend, flott erzählt von YVES SENTE, gewohnt gut aus den ersten vier Folgen, fein illustriert von Stammzeichner FRANCOIS BOUCQ. So darf es weitergehen. Klasse! 🙂
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Weitere Infos zu bisherigen Folgen auf comicblog.de:
DER JANITOR 1 – DER ENGEL AUS VALLETTA
DER JANITOR 2 – WOCHENENDE IN DAVOS
DER JANITOR 3 – BEGEGNUNG IN PORTO CERVO
DER JANITOR 4 – SCHATTEN DER VERGANGENHEIT
Mittwoch, 15. November 2017
Auch ein LUPO braucht mal eine Portion Glück. In einer Testamentseröffnung hofft er auf den großen Wurf, leider besteht das Erbe nur aus der recht verstimmten Wandergitarre seines Onkels Ludwig von Gruselstein. Bevor er allerdings seinen Freunden FIX und FOXI allzu sehr mit seinem ziemlich krummen Gesang zur furchtbar klingenden Gitarre auf den Wecker gehen kann, findet sich im Klangkörper des Erbstücks ein interessantes Schreiben: Die Besitzurkunde von Schloss Gruselstein! Sollte LUPO doch einmal auf der Gewinnerseite stehen?
Da werden Kindheitserinnerungen an eine feine Comic-Familie wach: FIX, FOXI, LUPO, PROFESSOR KNOX, OMA EUSEBIA, ONKEL FAX, LUPINCHEN und einige mehr. Die erste Folge aus der Hörspielserie FIX und FOXI aus dem Jahr 2000 trägt den Untertitel DAS SPUKSCHLOSS und kommt, wie das Titelbild zeigt, mit nur dreien der Charaktere aus FUXHOLZEN aus, nämlich FIX (Sprecher: DAVID TURBA) und FOXI (Sprecher: MICHAEL WIESNER), die ihren Freund LUPO hier tatkräftig unterstützen.
Alles beginnt mit einem geisterhaften Alptraum. Das lässt sich zunächst nur erahnen und setzt sofort einen Spannungsakzent, der den jugendlichen Hörer einfangen soll. Denn danach ist durch den Einsatz von LUPO erst einmal Humor Trumpf. LUPO ist nicht der Schlaueste, er ist etwas naiv, stimmlich von CLAUDIO MANISCALO getragen, vielleicht etwas zu hoch geraten für eine so große Figur, aber vom Charakter der Figur her treffend.
Der Comic-Charakter des Hörspiels insgesamt überträgt sich durch eine sehr komödiantische Darstellung der Figuren, wie eben bei LUPO. Einen Erzähler, der in die Welt von FIX und FOXI einführt, gibt es nicht, weshalb die jugendlichen Hörer mit den Comic-Figuren schon vertraut sein müssen. Wer das nicht ist, kann den Auftakt der Reihe wie jedes andere Kinderhörspiel verfolgen, mit einer klaren Reglementierung, wer die Guten und wer die Bösen sind.
Auf der Seite der Bösewichte, passenderweise VILLAIN genannt, sticht UDO SCHENK heraus, einer der bekanntesten Synchronsprecher Deutschlands (Standardstimme von KEVIN BACON), nicht zuletzt, da er zu jenen Sprechern gehört, die durch ihren häufigen Auftritt im Dauerbrenner IN ALLER FREUNDSCHAFT auch ein Gesicht zur Stimme bieten. Wie gruselig seine Stimme sein kann, werden jene Zuschauer unterschreiben können, die ihn als Interpreten von VOLDEMORT aus den HARRY-POTTER-FILMEN kennen.
Ein lustiges Abenteuer aus der Welt von FIX und FOXI, launige, geisterhafte Szenen inklusive, sehr kurzweilig erzählt, mit darstellerischem Spaß gespielt. Fein. 🙂
FIX & FOXI 1, Das Spukschloss: Hörspiel-Download auf Amazon
Sonntag, 12. November 2017
Eine Konfrontation zwischen Julie und dem Vagabunden Cain gibt Aufschluss über einen Teil der Macht, die das seltsame silbrig schimmernde Material an Julies Körper in sich trägt. Zerstörung ist eine Seite der Medaille. Diese Gewalt macht Julie und ihren Gefährten Dillon zum Ziel. Zu ihrem Pech ist sie leicht zu finden. Zu ihrem Glück wird sie auch von der richtigen Person gefunden. Aber deshalb ist sie noch lange nicht in Sicherheit, obwohl sie so eine mit allen Wassern gewaschene Verbündete erhält …
TERRY MOORE könnte, vergleicht man seine Arbeit an ECHO mit Serien wie FRINGE oder LOST, ein Bruder im Geiste von J.J. ABRAMS sein. Wie begnadet TERRY MOORE Geschichten erzählen kann, ist bereits bei seinen Serien RACHEL RISING und STRANGERS IN PARADISE aufgefallen. Mit ECHO wird gleichzeitig deutlich, welche fantasievolle Bandbreite TERRY MOORE zur Verfügung steht. Ein Hoch auf die freie Comicszene, in der solche Geschichten möglich sind und gleichzeitig ihre Leserschaft finden. Man könnte ECHO mit Superheldengeschichten vergleichen, genauer gesagt der Entstehung von Superhelden. Aber der Science-Fiction-Ansatz und die entsprechende Herangehensweise ist bei TERRY MOORE viel stärker. Und sie ist um ein Vielfaches gefühlvoller.
PHI. 1,618: In einer sehr ausschlaggebenden Sequenz stellt TERRY MOORE das physikalische Grundverständnis auf den Kopf. Ich lasse es als mathematischer Laie einmal dahingestellt sein, ob etwas daran stimmt oder nicht oder wie viel. Wichtig ist, wie plausibel die Erklärung ist und wie unterhaltsam. Sie ist es gleichermaßen. Als die Sequenz kippt, dem Sachverhalt wieder das Gefühl folgt, zeigt TERRY MOORE, wie fein, dramatisch und schnell er neue Emotionen beim Leser herauszukitzeln vermag.
Stichwort: Gefühlvoll. Ein starkes Instrument MOORES ist die Überraschung. Sie wird von ihm mit starker Präzision eingesetzt. Die Gefahr für die Hauptfigur wird schrittweise größer, die Gegner mehr und ungewöhnlicher. Dachte der Leser, der seltsame Landstreicher, der ebenfalls etwas von der silbrigen Haut abbekommen hat, könne in diesem Spiel nicht getoppt werden, findet in Bälde neben sonstigen Killern eine echte Kuriosität. Denn ungewöhnliche Helden brauchen noch ungewöhnlichere Gegner. Gleichfalls mit merkwürdigen Entstehungsgeschichten versehen, schaffen sie ein gruseliges Ungleichgewicht. Und wie schon in RACHEL RISING liegt bei der TERRY MOORE der Schwerpunkt auf gruselig.
Grafisch (erzählerisch natürlich auch) beherrscht TERRY MOORE Frauencharaktere aus dem FF. Kreativer fallen Nebenfiguren aus (die eben meist Männer sind). Ist DILLON MURPHY, die langzeitige Begleitperson JULIES, relativ gewöhnlich geraten, ist ein DAN BACKER beispielhaft für eine gewisse sympathische Gemütlichkeit, die TERRY MOORE gerne für die Guten heranzieht. Zugleich ist die Namensgebung auffällig. Würde man die Namen der beiden Figuren tauschen, würde es nicht funktionieren. TERRY MOORE versteht es, seinen Namen ein Gesicht zu geben (vielleicht irritiert mich aber auch die Klangähnlichkeit zu DAN BLOCKER).
Wenn Gewalt unvermeidbar ist (Auftragskiller haben nun mal diese Art und Weise an einen Job heranzugehen), dann findet sich der Leser neben den eindeutig sehr mysteriös angehauchten Auseinandersetzungen in ein paar sehr brachialen Thriller-Schießereien wieder. Gerade im letzten Drittel entstehen einerseits durch diese Anteile nervenzerrende Szenen, aber gelungene Wechsel, wenn es nach echter Action plötzlich wieder höchst mysteriös wird. Hier lässt sich von einem echten Pageturner sprechen.
Superhelden-SciFi-Thriller-Serie mit Suchtfaktor. TERRY MOORE versteht es wie in den aktuellen Serienreißern, Spannung am laufenden Band aufzubauen und einen durchgehenden, hoch interessanten roten Faden zu spinnen, an dem man sich als Leser einfach weiterhangeln muss. Ein Kern von sehr sympathischen Charakteren sollte für viele SciFi-begeisterte Leser einen persönlichen Favoriten bereithalten. In gewohnt perfektem Schwarzweiß illustriert, vorbildlich packend erzählt. Klare Empfehlung! 🙂
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Mittwoch, 01. November 2017
NASH TULSA weiß seit geraumer Zeit um die Besonderheit seiner Tochter. Er hat sein Leben für sie aufs Spiel gesetzt und ist bis in den Weltraum zu ihrer Rettung vorgedrungen. Jahre sind darüber vergangen. Er verdingte sich mit ebenfalls lebensgefährlichen Sonderaufträgen seinen Lebensunterhalt. Bis eines Tages seine Tochter erneut verschwindet und zur zentralen Figur in einem internationalen Skandal um die DOLLY GIRLS wird. Industriell hergestellte Liebessklavinnen entwickeln ein eigenes Bewusstsein. Sie rebellieren immer häufiger und töten ihre Herren …
Betrachtet man die gegenwärtig aktuellen SciFi-Serien, war JEAN-PIERRE PECAU mit seinen Geschichten DAS KLEINE VOLK (2000) und DREAMLAND (2001) thematisch einige Jahre voraus. (Auf der anderen Seite sicherlich beeinflusst von BLADERUNNER und Konsorten.) Künstliche Lebensformen begehren auf gegen die Herrschaft der Menschen, entziehen sich ihnen und gründen sogar eine eigene, sehr mysteriöse Zivilisation. Der Leser befindet sich plötzlich an der Seite von NASH in einem besonderen Krieg wieder. Zuerst trifft es die Reichen, die sich die neuesten Modelle der DOLLYS leisten können. Dann breitet es sich immer weiter aus.
JEAN-PIERRE PECAU erzählt von einem ungewöhnlichen Aufstand und einem solchen, der alles andere als geradlinig erfolgt. Während einige Dollys sich in die Subkultur der Städte mischen, werden andere zu MÄNADEN, verwildern wie moderne Kannibalen und mutieren zu einer unvorhergesehenen Bedrohung. Aus heutiger Sicht darf man sich als Leser uneingeschränkt auf dieses SciFi-Erlebnis freuen, ist es doch weitaus innovativer und abwechslungsreicher, indem es eben nicht als Remake von irgendetwas daherkommt, sondern viele eigene, vor allem (immer noch) neue (und bislang einmalige) Ideen mitbringt.
Das Titelbild von DAMOUR gibt einen kleinen Eindruck jener MÄNADEN. Der Ausdruck geht auf die griechische Mythologie zurück und bezeichnet eine Art weiblichen BESERKER. Gleich von Beginn an darf DAMOUR eine Mischung aus Science-Fiction-Szenario und Horror-Thriller zeichnen. (Angedeutete) Sexszenen schlagen in Mord und Totschlag um. Der Aufmarsch hochgerüsteter Militärs und Polizeieinheiten wechselt schnell in rabiate Action. Die Vorgaben von JEAN-PIERRE PECAU sind seit den Auftritten der ENGEL in den ersten Folgen alles andere als zimperlich. Mit den MÄNADEN geht er noch ein paar Schritte weiter.
Optisch stehen sich hier HighTech und ungebändigte Natur gegenüber. DAMOUR gelingen hier, filmisch gesprochen, viele tolle Einstellungen. In DAS KLEINE VOLK bietet die typische amerikanische Western-Wüste noch die Kulisse. In der Folge DREAMLAND wartet die Geschichte mit einer grünen Hölle auf. Ein Dschungel mit Eigenleben, einem gewissen Gespür für die Absichten seiner Bewohner und bedrohlicher Eindringlinge. Das hat etwas von einer fiesen AVATAR-Atmosphäre (ebenfalls Jahre bevor der Kinoblockbuster herauskam).
Letzteres ist ein gutes Stichwort, denn gerade die dichte Atmosphäre und die kontinuierliche Entwicklung der Hauptfigur machen NASH zu einer Ausnahmeerscheinung innerhalb des Science-Fiction-Genres, weitaus mehr noch innerhalb des Mediums Comic.
Der Knaller setzt sich fort. Starke Einfälle, sehr einprägsame Szenen und Bilder heben die Reihe unter sonstigen Science-Fiction-Geschichten hervor. Grafisch teils hart in Szene gesetzt, aber grundsätzlich klasse von DAMOUR illustriert und poppig, peppig von den beiden Comic-Künstlern STEPHANE ROSA und PIERRE SCHELLE koloriert. Das passt von der ersten bis zur letzten Seite! 🙂
NASH 3, Kapitel 5 + 6: Bei Amazon bestellen
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