Wenn ein Künstler wegen seiner Arbeit sterben muss: ERICH OHSER ist durch seine Arbeiten über VATER UND SOHN lange nach seinem Tod noch bekannt. Zeitweilig ist die Bekanntheit durch die Serie sogar eine Art Schutz für den Zeichner, der Jahre vorher für den VORWÄRTS, die Parteizeitschrift der SPD, arbeitete und nun wegen seiner Karikaturen auf der schwarzen Liste der neuen Machthaber, der NSDAP, steht. Der Künstler, dazu gezwungen, unter einem Pseudonym zu arbeiten, wird nun noch mehr in die Enge gedrängt, indem er aufgefordert wird für die neue Zeitung DAS REICH zu arbeiten.
Ein Wehren ist nur in Details möglich. Welche Konsequenz eine komplette Verweigerung hat, ist für den umsichtigen und aufmerksamen Ohser nur allzu deutlich. 1944 wird Erich Ohser zusammen mit einem Freund denunziert und verhaftet. Ohser kommt dem Todesurteil zuvor, indem er sich in seiner Zelle das Leben nimmt. In seinem Abschiedsbrief nimmt er jegliche Schuld auf sich. Es ist zwecklos und bewahrt den Freund Erich Knauf nicht vor der Hinrichtung. ERICH OHSER wurde nur 41 Jahre alt.
Der SÜDVERLAG präsentiert eine Werkausgabe von ERICH OHSER alias e.o.plauen, dessen Lebensgeschichte vor Ereignissen über 70 Jahre nach seinem Tod wieder an Bedeutung gewinnt. ERICH OHSER karikierte Adolf Hitler, Joseph Goebbels und andere, stand für seine Meinung ein und musste deshalb sein Leben lassen. Zu einer anderen Zeit wäre er ein ganz schlichter Künstler gewesen und vermutlich wäre sein Werk noch viel, viel umfangreicher ausgefallen.
ERICH OHSER fällt durch seine Bandbreite und durch seine Neugier auf. Er arbeitet mit Bleistift und Tusche, Tinte, erstellt Radierungen, Holzschnitte, malt, skizziert, karikiert, entwirft Bildgeschichten mit Moral und Humor. In seinen Portraits finden sich Parallelen zu einem Otto Dix. Treffsicher bildet er in den Gesichtern Charakterzüge ab, ob komplett naturalistisch oder abstrakt verzerrt. Während in Gebrauchszeichnungen und Witzbildern Stilistiken, die auch in frühen Spirou + Fantasio Szenarien zu finden sind oder auch bei Disney auf der anderen Seite des Erdballs. In seinen Karikaturen verliert sich die Gummimännchenoptik, denn diese Technik hier ist auch Jahrzehnte später in ihrer Ausführung erstaunlich präsent.
Zwei besondere Schwerpunkte zeichnen sich im Gesamtwerk von ERICH OHSER ab. Da ist einerseits natürlich VATER UND SOHN, die sein Talent der Bilderfolge und des Geschichtenerzählens (größtenteils ohne Worte!) aufzeigen. Andererseits wird mit der bildhaften Umsetzung von RUDYARD KIPLINGS »DAS KOMMT DAVON« sehr deutlich, wie schön ERICH OHSER gerade für die kleineren Leser arbeiten konnte. Seine Studien zu Natur und Tieren werden ihm da sehr geholfen haben, diese liebevollen Szenarien zu erstellen.
Aus heutiger Sicht ist die Vermarktung, die rund um VATER UND SOHN anläuft, bemerkenswert. In den 1930er Jahren tauchen die beliebten Figuren bald in der Reklame auf, sie werden zu Abziehbildern, Puppen sogar. Bevor der Begriff des Merchandising richtig populär wurde, schöpften die Lizenzinhaber die heute bekannten Mittel aus, im Rahmen der damals technischen Möglichkeiten.
Darüber hinaus funktionieren die auf 2-6 Bildern erzählten Begebenheiten auch heute noch. Sieht man einmal davon ab, dass die beiden natürlich einen nostalgischen Charme ausstrahlen und vermutlich heute anders aussehen würden, ist ihr langer Erfolg sicherlich u. a. darüber erklärbar, dass sie sich in dieser Gestalt optisch ohne anzuecken in die 1960er Jahre retten konnten. Die modische Erscheinung steht dem nicht entgegen. Ihre Erlebnisse sind stets heiter. Ganz wichtig: VATER UND SOHN sind ein Team. Kugelige Köpfe wie hier waren schon häufig Teil eines durchschlagenden Erfolgs. Der eine trägt die auffälligen Haare unter der Nase (VATER), der andere auf dem Kopf (SOHN). Einer Person wird niemals ernsthaft geschadet, Schadenfreude hingegen gehört auch zum Konzept. Der Abschied der beiden, die letzte Geschichte, der Gang in den Himmel, von wo sie als Mann im Mond und Sternchen auf die Erde herabschauen, ist rührend.
Eine interessante, filmreife Lebensgeschichte, durch und durch ein Künstler, ein liebender Vater, vom Glück zeitweilig begünstigt, dennoch ein Pechvogel, vielleicht zur falschen Zeit geboren. Die Werkausgabe von ERICH OHSER alias e.o.plauen gibt tiefe Einblicke in die Künstlerseele Ohsers, einschließlich der künstlerischen Szene von damals, inmitten des späteren kulturellen Niedergangs unter der Diktatur des Dritten Reichs. Lesenswert! 🙂
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