Mittwoch, 26. April 2017
Es herrscht Krieg. Wenn große Gegnerschaften aufeinandertreffen, in verschiedenen Schlachten, an verschiedenen Plätzen, wenn es um das Überleben geht, denn wer hier verliert, stirbt. Oder kommt verändert, mit großem Hunger zurück. Als Beißer. Seit dem Kampf gegen Negan und sein Gefolge stehen die Leute um Rick vor ihrer ärgsten Herausforderung. Dieser neue Gegner, die Flüsterer, hat nichts mit ihrer Art zu leben und zu denken gemein. Gnade wird auf keiner Seite gewährt. Und als wäre all das noch nicht schlimm genug, findet sich eine neue Partei, die den Untergang der beiden anderen für sich auszunutzen gedenkt.
ROBERT KIRKMAN führt seine Helden, die verbliebenen Charaktere aus den Anfangstagen der Serie und einige, die im Laufe der Zeit die Lücken füllten, in einen Krieg, der sich immer mehr ausweitet. Der Konflikt wurde sorgfältig vorbereitet. Die Auslöser, die letztlich in die Konfrontation führten, hätten kaum brutaler und bezeichnender für eine verrohte Welt sein können. Das Team um ROBERT KIRKMAN hat den Wiederaufbau einer Gemeinschaft beschrieben und gezeichnet. Nun steht alles wieder auf der Kippe, indem sich eine Vorstellung von Zivilisation gegen die andere erhebt.
Ursprünglich bestand das Grafikteam aus den beiden Künstlern CHARLIE ADLARD (Bleistift) und CLIFF RATHBURN (Graustufen). Seit relativ kurzer Zeit hat STEFANO GAUDIANO das Tuschen der Bilder übernommen. Der Gesamteindruck der Linien ist extrem fein geworden. Und die braucht es auch, denn es gibt viel zu erzählen, so dass der Platz auf den Seiten gut genutzt und jede Regung und Emotion genauestens erfasst werden will. In dieser Folge, in der sich Dialogszenen und Actionsequenzen eine großartige Waage halten, gewinnt der Leser viele Eindrücke in zwei völlig gegensätzliche Welten.
DIE FLÜSTERER ist eine Gesellschaftsform der Mitleidlosigkeit, der Härte, der Selbstaufgabe. Für Individualität ist kein Platz mehr. In ihren Totenmasken gehen die selbsternannten Flüsterer in den großen Herden der Untoten auf. Die Masken werden Rückzugsorte, das letzte Versteck in dieser grausamen Welt. BETA, der neue Anführer der Flüsterer, auf seine Art ebenso unversöhnlich wie NEGAN, RICKs Erzfeind über viele Folgen, rächt sich bitter für jemandes Versuch, das Gesicht hinter der Maske zu sehen. ROBERT KIRKMAN läuft mit der scheinbar beiläufigen Charakterbeschreibung der Figuren zur Hochform auf und schafft hier eine der komplexesten und dichtesten Erzählungen der gesamten Reihe.
ZOMBIE-ACTION wie in der sechsten TV-Staffel von THE WALKING DEAD erwartet den Leser. Kompromisslos gestaltet von CHARLIE ADLARD, immer unter der Prämisse, wie viel genügen möge, um den nötigen Horror zu erzeugen. Es reicht, manchmal nur anzudeuten, zwischen Nahaufnahmen, Ausschnitten und Totalen hin und her zu schwenken, um Unruhe beim Erfassen der Szenen zu erzeugen. Eine weiterhin schwarzweiße Umsetzung lässt einen die Bilder gnädig verdauen. Geschickt werden großformatige Ankündigungen gesetzt, gerade gegen Ende, um einen typischen Cliffhanger zu erzeugen, der es aber in sich hat.
NEGANs Rückker auf die Bühne von THE WALKING DEAD ist mit dem Aufbau der FLÜSTERER schon länger im Gange, erreicht hier aber seinen vorläufigen Höhepunkt. Der Psychopath, lange eingesperrt und nicht, wie sonst vorher häufiger als Strafe eingesetzt, hingerichtet, nutzt seine Chance und kämpft aktiv auf der Seite von RICKs Leuten. Allerdings nicht ohne zuvor die letzte Provokation gegen die FLÜSTERER in Gang gesetzt zu haben. Der Leser darf in einer regelrechten Schlacht LUCILLE erneut in Aktion sehen, in einer wahnsinnigen Sequenz, im wahrsten Sinne des Wortes.
DER KRIEG DER FLÜSTERER ist heftig, dicht, schnell und packend. Jede Seite zwingt einen zum Weiterlesen. Unversöhnlich stehen sich hier zwei Feindgruppen gegenüber. ROBERT KIRKMAN gewinnt in der 27. Episode dem Zombie-Thema noch einmal eine neue Seite ab und unterstreicht damit die verdiente Langlebigkeit der Reihe mit einem Paukenschlag. Klasse! 🙂
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Montag, 17. April 2017
Ein Schlachtfeld ist ein unpassender Ort für eine Geburt. Inmitten des Hauens und Stechens von Menschen und Orks kommt ein Kind auf die Welt. Während der Vater gegen einen gigantischen Ork kämpft, diesen mit einem gewaltigen Schwertstreich niederringt, erblickt der Junge die Dunkelheit eines von der Nacht bedeckten Tempels. Der Ork fällt und verliert sein Schwert. Die Waffen des Feindes durchtrennt die Nabelschnur. Ein göttliches Leuchten erfüllt im selben Moment das Rund. Mehr als ein Kind wird in diesem Augenblick geboren, nämlich eine Legende.
Wilhelm von Sysigien ist der Vater des Knaben. Mit der Geburt findet nicht nur das Leben eines Kindes einen Anfang, die Wanderschaft eines Volkes findet auch ihr Ende. Der Herrscher führt sein Volk zu einer Insel, wo die Stadt Morgenrot gebaut werden wird. Wenngleich die Kämpfe noch längst nicht vorüber sind, immer wieder Gefahr droht, wächst Parsifal zu einem jungen Mann heran. Bald schon zeigt sich die Segnung, die ihn zu einem besonderen Helden reifen lassen wird.
F. M. FROIDEVAL lässt seinen Helden PARSIFAL einem märchenhaften Szenario entwachsen. Der klassische Held wird von Gott geleitet, vom Bösen hereingelegt. PARSIFAL will ein Paladin werden. Ihn verlangt es schier nach einem Dienst für das Gute. Wie einst der christliche St. Martin hören seine Ambitionen bei Kämpfen nicht auf. Wo er kann, steht er den Hilflosen an erster Stelle zur Seite, auch den Armen und Sterbenden. Umso schlimmer, umso tiefer der Fall, die Niederlage, die bittere Erkenntnis im Angesicht des Bösen.
Die Grafiken des diesmaligen Comic-Künstlers FRANCK TACITO haben im Gegensatz zum Kollegen OLIVIER LEDROIT, der den ersten Band SCHWARZEN-MOND-SPIN-OFF, DIE GEHEIMNISSE DES SCHWARZEN MONDES, zeichnete, einen viel stärkeren Bilderbuchcharakter, der durch den sehr weichen Kolorierungsstil von NICOLAS GUENET sehr plastisch wirkt und eine einfühlsame, sehr greifbare Atmosphäre, passend zur Hauptfigur, transportiert.
Stimmungsvoll ist der Bau der Stadt unter Mithilfe der Riesen, der Kampf gegen ein geisterhaftes Totenheer und schön eingebaut ist die kleine Episode, in der PARSIFAL den Riesen zur Flucht verhilft. Episode ist überhaupt das Stichwort. Viele der kleinen Kapitel verdienten eine größere Ausschmückung und in jeder anderen Saga um einen solchen Helden bliebe dafür auch mehr Platz. Hier ist der Zeitraffer viel stärker vorhanden und spürbar als in den beiden anderen Bänden der GEHEIMNISSE DES SCHWARZEN MONDES. (1. GHORGHOR BEY, 3. PILOU).
Eine christlich orientierte Heldensaga, in der Nähe der bekannten Legenden um König Artus, ohne hier das Umfeld des sagenumwobenen Monarchen näher zu berühren. Bildlich märchenhaft ausgeführt von FRANCK TACITO. Gut alleine, abseits der Serie lesbar, aber besser als Hintergrundinformation zu den CHRONIKEN DES SCHWARZEN MONDES. 🙂
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Sonntag, 16. April 2017
Oger machen keine Gefangenen. Sie kommen ohne Vorwarnung aus den eisigen Höhen der Berge hinab ins Tal und greifen erbarmungslos an. Kleine Dörfer sind ihnen schutzlos ausgeliefert. Menschen sind nicht mehr als Nahrung für die Bestien. Nur manchmal gibt es Ausnahmen. Neun Monate nach einem Überfall kommt ein ungewöhnliches Baby auf die Welt, geliebt von seiner menschlichen Mutter, gehasst von allen anderen des Dorfes.
Im ersten Band der GEHEIMNISSE DES SCHWARZEN MONDES erzählt F. M. FROIDEVAL die Herkunftsgeschichte von GHORGHOR BEY, jenem Halboger, dessen Schicksal in der Welt der Menschen in jahrelanger Unterdrückung und Qual beginnt, bis er in die Welt hinausgetrieben wird und dort ein kleines Glück findet. F. M. FROIDEVAL findet mit diesem kleinen Glück den richtigen Dreh, denn hier handelt es sich um einen besonderen Zirkus, in dem sich all jene zusammengefunden haben, die von der Gesellschaft wegen ihres Aussehens oder ihrer Fähigkeiten ausgeschlossen worden sind. Für GHORGHOR BEY wird es nicht nur ein Zuhause, hier findet er auch noch die Liebe.
Comic-Zeichner OLIVIER LEDROIT arbeitet mit einem skizzenhaften, rohen Strich, der einer harten, ungehobelten Figur wie GHORGHOR BEY sehr entgegenkommt. Aber es gelingt ihm außerdem ein tolles Kunststück! Selten ist eine Zirkusmannschaft so liebevoll in einer Geschichte präsentiert worden und ebenso selten ist sie derart sympathisch gewesen. Innerhalb der Jugendbeschreibung des Halbogers nimmt der Aufenthalt bei den Zirkusleuten einen langen und wichtigen Abschnitt ein, der angesichts seines Abwechslungsreichtums ruhig hätte etwas länger ausfallen dürfen.
Aber es ist eben ein Fantasy-Drama und keine Komödie. Es darf gelacht werden, doch ohne Leid, die Härte und die Widrigkeiten des Lebens entsteht später nicht ein solch furchtbarer Heerführer wie GHORGHOR BEY. Also müssen Verluste her, die den guten Charakter des Heranwachsenden in die tiefsten Tiefen allen Elends führen. Das Elend beginnt mit einer Flucht. Aus dem HERRN DER RINGE, CONAN-Abenteuern und so manchem Rollenspiel weiß der Fantasy-Enthusiast, dass das Betreten eines düsteren Sumpfgebietes nichts Gutes mit sich bringt. Obwohl GHORGHOR BEY hier erstmals ernsthaft seine Kampfkraft unter Beweis stellt. Und er stellt diesen Beweis nicht zum letzten Mal an.
Die Bilder von OLIVIER LEDROIT, nicht einfach nur koloriert von YVES LENCOT, eingebuntet könnte man sagen, lassen die Seiten vor grafischer Wucht schlichtweg überlaufen. Das Leben von GHORGHOR BEY explodiert in prallen Bilderfolgen und Collagen. Und es passt hervorragend. Mit den sehr stark ausgelebten Emotionen des Halbogers fließen Blut, Schweiß und Tränen. Eine Figur wächst und wandelt sich ins Riesenhafte. Schön zu sehen, dass GHORGHOR BEY seine glücklichen Tage nicht vergisst, bevor er endgültig zum Schrecken seiner Feinde wird und es kein Zurück mehr gibt.
Fantasy pur, ohne Wenn und Aber. Für jeden Fan des SCHWARZEN MONDES finden sich gelungene Hintergrundinformationen und pralle Bilder, insgesamt eine mächtiges Lebensabenteuer. 🙂
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Samstag, 15. April 2017
NASH war Soldat in Mexiko. Der Krieg war brutal und hat Wunden hinterlassen. Solche, die nicht sichtbar sind , nagen immer noch an ihm. Seine Ehe ist dadurch gescheitert, seine Tochter muss sich damit abfinden, dass die Eltern verschiedene Wege gehen. Nash als Privatdetektiv, seine Exfrau Ethel als Stripperin. Dann geschieht etwas, weswegen die längst akzeptierte Konstellation ins Wanken gerät. Ethel und Nashs Tochter Audrey geraten ins Visier von Killern. Doch, warum? Die drängende Frage stellt Nash zunächst in den Hintergrund, denn zuallererst gilt es das Leben seiner gespaltenen Familie zu retten.
NASH ist ein geradliniger Science-Fiction-Thriller. Die Geschichte verzichtet auf allzu große Überdrehtheiten, arbeitet mit einem zukünftig Möglichen und zeichnet darüber hinaus eine handfeste Dystopie. Es ist kalt geworden in dieser Welt, öde und staubig. In den Halbwelten tummeln sich die Menschen zu ihrem Vergnügen, für kriminelle Handlungen und manchmal geht beides Hand in Hand. Offenbar wollen sich nicht alle mit diesen Gegebenheiten abfinden, denn eine Gruppe hat genetisch experimentiert, um eine grundlegende Veränderung herbeizuführen.
JEAN-PIERRE PECAU beschreibt eine Welt, die einfach nur schlimmer geworden ist. Voller, hoffnungsloser, mit neuem Wahn verseucht. Die originalen Comics entstanden vor rund 20 Jahren. Spezialsoldaten treten in besonderen Kampfanzügen an, in Rio de Janeiro leben inzwischen 10 Millionen Menschen. Weite Flüge springen kurz in den Orbit und wieder zurück in die Atmosphäre. Cloning und global politische Intrigen sind weitere Themen. In dieses Szenario hinein versetzt JEAN-PIERRE PECAU einen Kriegsveteranen, der alles riskiert, damit die beiden Menschen, die ihm das meiste bedeuten, am Leben bleiben.
Euro-Manga hieß eine Stilrichtung, die sich vor 20 Jahren kurz herauskristallisierte, das Kind musste schließlich einen Namen haben. Heutzutage spielt die Bezeichnung keine Rolle mehr, grafische Anleihen aus Asien bereichern den europäischen Comic in Stil und Form. DAMOUR, Zeichner von NASH, der mit seinem LE TESTAMENT DU DR M mit den schwarzweißen Dr.-Mabuse-Grusicals liebäugelte, versteht es ausgezeichnet, sich optisch in eine japanisch aussehende Dystopie einzuarbeiten. Unterstützt durch das Design von VINCENT RUEDA, der mit seiner Arbeit an der Comic-Umsetzung von ERBEN DES IMPERIUMS dabei war, entsteht eine Welt, deren Neubauten von Gigantomanie geprägt sind, während in kleinen Teilen, bei einer reicheren Elite, alte Gebäude vor der Zerstörung bewahrt wurden.
In der Gegenwart ist der Einsatz von Gewalt ein allgegenwärtiger Trumpf aller Seiten. NASH hat diese bittere Lektion in der Vergangenheit gelernt, in einer Auseinandersetzung mit Maya-Rebellen, einer Aktion, die zeitweilig kurze grelle Rückblicke beleuchtet wird. Obwohl vor 20 Jahren zum ersten Mal erschienen, dürfen sich Serienfans, Thrillerfreunde und natürlich Science-Fiction-Enthusiasten an der Reihe freuen, die in ihrer gesamten Machart erstaunlich aktuell daherkommt. Überraschende Wendungen, immer an der Seite von NASH erlebt, sorgen für Kurzweil und ein stetig steigendes Spannungslevel.
Die Strichtechnik von DAMOUR unterstreicht den harten, erwachsenen Charakter der Serie, die unterschwellig die Atmosphäre von 1970er Jahre Knallern transportiert, als CLINT EASTWOOD und CHARLES BRONSON auf den Kinoleinwänden Gesetz und Rache in die eigenen Hände nahmen. Und tatsächlich besitzt NASH diesen bärbeißigen, schmallippigen Zug um den Mund wie EASTWOOD, desweiteren mit modisch stachelig, wuscheliger Haarpracht, hoher Stirn und langem Mantel angetan, dessen Kragen stets hochgeschlagen ist. JEAN-PIERRE PECAU verpasst ihm durch seine Erzählung die nötige Tiefe und den Charakter, der durch die Sorge um seine Familie wie ein Fels in der Brandung wird.
Ein toller Science-Fiction-Thriller erster Güte, klasse erzählt von JEAN-PIERRE PECAU, zeitlos dargestellt durch DAMOUR und durch die auf ihrem Gebiet höchsten Comic-Künstler PIERRE SCHELLE und STEPHANE ROSA koloriert. Band 1 fasst die ersten beiden Alben der Reihe zusammen. SciFi-Fans, die im Genre Dystopien und Action den Vorzug geben, sollten einen langen Blick riskieren. 🙂
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Sonntag, 09. April 2017
Ms. Marvel, Warbird, Binary und CAPTAIN MARVEL: Carol Danvers, altgediente Heldin innerhalb der AVENGERS-Gruppe, hat einiges mitgemacht. Ihre Kräfte bekam sie durch die Kree, sie ist trockene Alkoholikerin und der ABSORBING MAN beleidigt sie gar als Sekretärin von CAPTAIN AMERICA. Dabei gibt es innerhalb des Superheldinnenkanons nur wenige Frauen, die derart tough ihr Ding durchziehen, wenn auch mit allerlei Höhen und Tiefen. Aber Carol Danvers steht immer wieder auf.
CAPTAIN MARVEL stellt sich den unterschiedlichsten Herausforderungen. Zeitreisen, Kämpfe gegen japanische Truppen, auch gegen Dinosaurier, Supergegner nicht zu vergessen. CAPTAIN AMERICA, SPIDER-WOMAN, IRON MAN oder, ohne Superkräfte, die BANSHEE SQUAD kämpfen an ihrer Seite. Über Abwechslung und Gefahren braucht sich CAPTAIN MARVEL wahrlich nicht zu beklagen. Aber die Heldin hat noch ein Problem. Wechselnde Identitäten machen eine Selbstfindung nicht einfacher. Obwohl sie sich stark für andere engagiert, bleibt das eigene Leben oftmals auf der Strecke.
Superhelden mit echten Problemen. Ein Credo moderner Superhelden, möchte man behaupten. Für diese CAROL DANVERS haben sich die beiden Autoren etwas ausgedacht, dem nicht so einfach beizukommen ist und von deren Gefährlichkeit die Frau hinter CAPTAIN MARVEL sehr überrascht wird. Das ist ein außerordentlicher Antrieb, der hier in der zweiten Hälfte einsetzt, während in der ersten Hälfte noch, man könnte sagen, Superhelden-Heilewelt herrscht.
Zwei Zeichner machen den vorliegenden ersten Sammelband (von zweien) zu einem optischen Erlebnis, weil sie einigermaßen unamerikanisch daherkommen. DEXTER SOY ist mehr der asiatischen Strömung auf dem Comicmarkt zuzuordnen, während FILIPE ANDRADE eine deutlich europäische Stilrichtung einschlägt. In SOYS Bildern finden sich Anklänge von Pat Lees Zeichenstil, ebenfalls ein Künstler, der für sich den Mangastil weiterentwickelte und sich mit den TRANSFORMERS einen Namen machte. DEXTER SOY hat es mit seiner Arbeit neben CAPTAIN MARVEL schon mit den GUARDIANS OF THE GALAXY, mit DEADPOOL und anderen Marvel-Charakteren zu tun. Seine Grafiken, die ein wenig von der Schnelligkeit eines Storyboards haben, werden von einer weichen Kolorierung, einer Imitation milchigen Farbauftrags, von Gouache und Markern, gestützt.
FILIPE ANDRADES Figuren und die figürliche Umgebung fallen durch eine geisterhafte, spinnenartig dürre Erscheinung auf. Optisch finden sich so Parallelen zu Künstlern wie Virginie Augustin (Das Schattenreich von Troy, Alim der Gerber). Zerbrechlich, mit verzierenden Linien, wie sie im Jugendstil zu finden sind, ergibt sich zur sehr starken, wuchtigen Bildführung von DEXTER SOY ein ziemlicher Kontrast und für die gesamte Serie entsteht ein völlig neues Grundgefühl. Das ist grafisch, so weit weg von Good Old Europe , sehr erfrischend, vor allem aber sehr eigenständig und auffällig.
Ich mag diesen Zeichenstil sehr, er zwingt zu genaueren, sorgfältigeren Betrachtung und lässt einen mehr entdecken. Dadurch wirkt das Superheldenleben auf einmal fremder, zauberhafter und gibt dem Szenario etwas mehr Magie, die doch in den letzten Jahren durch die Fülle des Angebots etwas reduziert wurde.
In gut drei längeren Handlungssträngen entwickeln die Comic-Autoren KELLY SUE DECONNICK und CHRISTOPHER SEBELA, die den Leser auf neuem Wege an den Charakter von CAROL DANVERS alias CAPTAIN MARVEL heranführen. Geerdet, flott, sehr einfallsreich und besonders im dritten Drittel unter dem Zeichenstift von FILIPE ANDRADE sehr originell. 🙂
CAPTAIN MARVEL, Band 1, Sie fürchtet weder Tod noch Teufel: Bei Amazon bestellen
Oder bei Panini Comics.
Link: filipeandradeart.blogspot.de (Blog von FILIPE ANDRADE)
Freitag, 07. April 2017
Wenn ein Künstler wegen seiner Arbeit sterben muss: ERICH OHSER ist durch seine Arbeiten über VATER UND SOHN lange nach seinem Tod noch bekannt. Zeitweilig ist die Bekanntheit durch die Serie sogar eine Art Schutz für den Zeichner, der Jahre vorher für den VORWÄRTS, die Parteizeitschrift der SPD, arbeitete und nun wegen seiner Karikaturen auf der schwarzen Liste der neuen Machthaber, der NSDAP, steht. Der Künstler, dazu gezwungen, unter einem Pseudonym zu arbeiten, wird nun noch mehr in die Enge gedrängt, indem er aufgefordert wird für die neue Zeitung DAS REICH zu arbeiten.
Ein Wehren ist nur in Details möglich. Welche Konsequenz eine komplette Verweigerung hat, ist für den umsichtigen und aufmerksamen Ohser nur allzu deutlich. 1944 wird Erich Ohser zusammen mit einem Freund denunziert und verhaftet. Ohser kommt dem Todesurteil zuvor, indem er sich in seiner Zelle das Leben nimmt. In seinem Abschiedsbrief nimmt er jegliche Schuld auf sich. Es ist zwecklos und bewahrt den Freund Erich Knauf nicht vor der Hinrichtung. ERICH OHSER wurde nur 41 Jahre alt.
Der SÜDVERLAG präsentiert eine Werkausgabe von ERICH OHSER alias e.o.plauen, dessen Lebensgeschichte vor Ereignissen über 70 Jahre nach seinem Tod wieder an Bedeutung gewinnt. ERICH OHSER karikierte Adolf Hitler, Joseph Goebbels und andere, stand für seine Meinung ein und musste deshalb sein Leben lassen. Zu einer anderen Zeit wäre er ein ganz schlichter Künstler gewesen und vermutlich wäre sein Werk noch viel, viel umfangreicher ausgefallen.
ERICH OHSER fällt durch seine Bandbreite und durch seine Neugier auf. Er arbeitet mit Bleistift und Tusche, Tinte, erstellt Radierungen, Holzschnitte, malt, skizziert, karikiert, entwirft Bildgeschichten mit Moral und Humor. In seinen Portraits finden sich Parallelen zu einem Otto Dix. Treffsicher bildet er in den Gesichtern Charakterzüge ab, ob komplett naturalistisch oder abstrakt verzerrt. Während in Gebrauchszeichnungen und Witzbildern Stilistiken, die auch in frühen Spirou + Fantasio Szenarien zu finden sind oder auch bei Disney auf der anderen Seite des Erdballs. In seinen Karikaturen verliert sich die Gummimännchenoptik, denn diese Technik hier ist auch Jahrzehnte später in ihrer Ausführung erstaunlich präsent.
Zwei besondere Schwerpunkte zeichnen sich im Gesamtwerk von ERICH OHSER ab. Da ist einerseits natürlich VATER UND SOHN, die sein Talent der Bilderfolge und des Geschichtenerzählens (größtenteils ohne Worte!) aufzeigen. Andererseits wird mit der bildhaften Umsetzung von RUDYARD KIPLINGS »DAS KOMMT DAVON« sehr deutlich, wie schön ERICH OHSER gerade für die kleineren Leser arbeiten konnte. Seine Studien zu Natur und Tieren werden ihm da sehr geholfen haben, diese liebevollen Szenarien zu erstellen.
Aus heutiger Sicht ist die Vermarktung, die rund um VATER UND SOHN anläuft, bemerkenswert. In den 1930er Jahren tauchen die beliebten Figuren bald in der Reklame auf, sie werden zu Abziehbildern, Puppen sogar. Bevor der Begriff des Merchandising richtig populär wurde, schöpften die Lizenzinhaber die heute bekannten Mittel aus, im Rahmen der damals technischen Möglichkeiten.
Darüber hinaus funktionieren die auf 2-6 Bildern erzählten Begebenheiten auch heute noch. Sieht man einmal davon ab, dass die beiden natürlich einen nostalgischen Charme ausstrahlen und vermutlich heute anders aussehen würden, ist ihr langer Erfolg sicherlich u. a. darüber erklärbar, dass sie sich in dieser Gestalt optisch ohne anzuecken in die 1960er Jahre retten konnten. Die modische Erscheinung steht dem nicht entgegen. Ihre Erlebnisse sind stets heiter. Ganz wichtig: VATER UND SOHN sind ein Team. Kugelige Köpfe wie hier waren schon häufig Teil eines durchschlagenden Erfolgs. Der eine trägt die auffälligen Haare unter der Nase (VATER), der andere auf dem Kopf (SOHN). Einer Person wird niemals ernsthaft geschadet, Schadenfreude hingegen gehört auch zum Konzept. Der Abschied der beiden, die letzte Geschichte, der Gang in den Himmel, von wo sie als Mann im Mond und Sternchen auf die Erde herabschauen, ist rührend.
Eine interessante, filmreife Lebensgeschichte, durch und durch ein Künstler, ein liebender Vater, vom Glück zeitweilig begünstigt, dennoch ein Pechvogel, vielleicht zur falschen Zeit geboren. Die Werkausgabe von ERICH OHSER alias e.o.plauen gibt tiefe Einblicke in die Künstlerseele Ohsers, einschließlich der künstlerischen Szene von damals, inmitten des späteren kulturellen Niedergangs unter der Diktatur des Dritten Reichs. Lesenswert! 🙂
ERICH OHSER alias e.o.plauen, Die Werkausgabe: Bei Amazon bestellen
Oder im Südverlag.