Montag, 25. Juli 2016
In einer Villengegend in Lyon bereitet sich eine junge Familie, ein Ehepaar und die kleine Tochter, auf einen gemütlichen Abend vor. Gäste werden erwartet. Leider sind für das geplante Abendessen noch nicht sämtliche Zutaten vorhanden. Sylvia St. Andre macht sich auf den kurzen Weg, um schnell das Benötigte einzukaufen. Der Abend schreitet voran, doch die Frau kehrt nicht zurück. Gil St. Andre denkt sich zunächst nichts dabei. Eine schlichte Verzögerung, nichts weiter. Aber je später es wird, desto mehr macht er sich Sorgen, fragt beim Lebensmittelhändler nach. Dieser hat Gils Ehefrau nicht gesehen. Am nächsten Tag ist Sylvia immer noch nicht wieder da. Gil wendet sich notgedrungen an die Polizei. Dort nimmt man seine Anzeige nicht allzu ernst …
Eine Dame verschwindet. Die Ausgangssituation dieses Thrillers ist denkbar einfach. Die Lösung für den titelgebenden Gil St. Andre ist weitaus schwieriger, nervenaufreibender und brandgefährlich. Der in dieser Gesamtausgabe 1. Zyklus des Titelhelden versammelt fünf Einzelbände, während derer der Entführungsfall, so viel darf verraten sein, abgehandelt wird. Den Auftakt der Geschichte schreibt und zeichnet Jean-Charles Kraehn fast allein, bei den Hintergrundzeichnungen holt er sich anfangs noch Unterstützung. Der Beginn ist klassisch und birgt stets ein gutes Ausgangsszenario, dessen weitere Entwicklung völlig offen ist. Jean-Charles Kraehn, da zeigt sich schnell, schöpft die Möglichkeiten einer Entführungsgeschichte voll aus.
Die Spur muss erst einmal gefunden werden und lässt, auch seitens des Lesers, der mehr als GIL ST. ANDRE weiß, was sich im Hintergrund abspielt, Schlimmstes für Sylvia befürchten. Jean-Charles Kraehn lässt seinen Helden, einen erfolgreichen jungen Mann, anfangs ziemlich allein auf die Jagd gehen. Mit Arroganz und Zynismus hält sich Gil St. Andre andere Menschen vom Leib, außer seine engste Familie, der er liebevoll begegnet und für die er alles zu geben bereit ist. So gibt er auch nach diversen Rückschlägen, auch Anschlägen auf sein Leben, die Suche nicht auf. Wie St. Andre anfänglich sich hauptsächlich durch seine große Klappe auszeichnet und später über sich hinaus wächst, ist anschaulich, nachvollziehbar und von einer französischen Thrillerspannung, die auch hier ohne Übertreibungen, höchst realistisch aufgebaut wird.
In der Haken schlagenden Handlung, die später in eine völlig andere Richtung steuert, als anfangs durch den Leser anzunehmen, wird Realismus groß geschrieben, genauer gesagt, gezeichnet. Erhält Jean-Charles Kraehn anfangs noch bei den Hintergründen Verstärkung (Dominique Drillet), greift im zweiten der hier versammelten Alben bereits Sylvain Vallee auf zehn Seiten ein, bevor er in der Folge die grafische Arbeit vollends übernimmt und die von Kraehn vorgegebene Stilistik beibehält. Freunde von Comic-Künstlern wie einem späten Hermann, Philippe Francq oder Marc Bourgne werden an den Zeichnungen ihre Freude haben.
Die Unterschiedlichkeit der einzelnen Akte (bzw. Alben) macht auch den Reiz dieses Thrillers aus. Es beginnt in der Beschaulichkeit von Lyon, in der heilen Welt, wechselt in einen Kriminalfall, hinein ins Milieu, die Welt der erfahrenen und deshalb reichlich zynischen Kriminalistik. Die Schweiz, mit einem internationalen Saubermann-Image versehen, wird hier zum Gipfelpunkt der Thrillerhandlung, zu Lande, in der Luft und sogar im Wasser. GIL ST. ANDRE findet sich wenig gewollt und wenig erfahren in einer brutalen Action wieder, die seinen Tod zur Folge haben könnte. Das ist virtuos inszeniert, im geringsten Falle im Sinne einer starken Fernsehserienoptik.
Das Titelbild verrät es. Gil St. Andre macht sich allein auf den Weg, bestreitet den Fall aber auf Dauer nicht solo. An seiner Seite agieren die junge Polizisten Djida (die eine Schwäche für Gil entwickelt) und später der gestandene Polizist Fourrier, der wie eine Comicversion des kantigen Schauspielers Lino Ventura daher kommt. Gerade letzterer bringt einen bärbeißigen Humor in die Geschichte ein, etwas altmodisch, sehr hartnäckig und sofort eine Paradefigur für einen neuen Tatort-Ableger.
GIL ST. ANDRE hat alles, was ein guter Comic-Thriller – oder auch medienübergreifend Thriller überhaupt – braucht. Eine greifbare, stark skizzierte Hauptfigur, gelungene Mitstreiter und Nebenfiguren, knackige Rätsel, auf der prima Action aufsetzt, Fieslinge jedweder Couleur, auch jene Sorte, die nicht direkt als Halunke erkennbar sind. Die mehrheitliche Übergabe des Zeichenstifts von Jean-Charles Kraehn an Sylvain Vallee stellt einen Glücksgriff für das Gesamtwerk dar. Krimifans und Thrillerfreunde können bedenkenlos zugreifen. 🙂
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Mittwoch, 20. Juli 2016
Größer als Pferde sind diese geflügelten Lebewesen. Auf der dunklen Seite des Planeten hat sich das Leben anders entwickelt und andere Nischen erobert. Schneeweiße Flugechsen fliegen in dichten Schwärmen durch diese dunkle, mit Leuchtpunkten durchsäte Welt. Für die kleine Mannschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Ersatzteile für ihre Kolonie in dieser schaurigen Umgebung zu besorgen, entwickelt sich die Mission langsam aber sicher zu einem lebendig gewordenen Alptraum. Selbst das abgestürzte Raumschiff, das Ziel ihrer Bemühungen, vermag an einer vage hoffnungslosen Stimmung kaum etwas zu ändern.
Ouro ist ein Planet, auf dem man überlebt. Sonst nichts. Ein schlechtes Gewissen um vielleicht zu Unrecht vergossenes Blut, fälschlich getötete Menschen nagt auch hier an den, genauer, an der Gesetzeshüterin. In ihrer Ohnmacht über das Geschehene ist sie allzu gern zur Buße bereit, nur sind die Gelegenheiten für derlei Wünsche selten. Wo man überlebt und eben sonst nichts, ist das Mitgefühl eine teure Angelegenheit. Aber, wie es sich zeigt, können Gelegenheiten auch erzwungen werden. Ivan Brandon, der Autor, lässt den weiblichen Sheriff den Wunsch nach Buße auf zweierlei Weise ausleben. Das ist gleichermaßen verständlich wie auch dramatisch und sorgt für eine Menge Schmerzen.
Ivan Brandon erzählt eine Science Fiction Geschichte über ausgebrannte Typen auf einem Planeten im hintersten Winkel der Galaxis. Wenn es irgendwo ein helles Zentrum des Universums gibt, dann sind die Leute, die auf Ouro leben, am weitesten davon entfernt. Vermittelte bereits der erste Teil diesen Eindruck, wird diese Atmosphäre der Verlorenheit, der Sackgasse, der total depressiven Stimmung noch einmal um ein Vielfaches verstärkt. Auf einfache Fragen gibt es keine einfachen Antworten, meist nur unbeantwortbare Rätsel. Abram Pollux, der Hauptdarsteller dieses Dramas, der sowieso nicht genau weiß, warum er ausgerechnet auf diesen Planeten gestürzt ist, vermehrt auf diese Weise seine Frustration.
Nicht frustriert sein, muss der Leser, der hier eine SciFi-Story in die Finger bekommt, die so wirkt, als hätten ein David Lynch und ein früher Steven Spielberg Hand in Hand gearbeitet. Ivan Brandon und Grafiker Nic Klein sind wie ein comicales Gegenstück dieser beiden Kinogrößen. In zwei gegensätzlichen Schauplätzen inszenieren die beiden Comic-Macher ihre Geschichte. Die kleine Stadt, das Schicksal des weiblichen Sheriffs ist eher konventioneller Natur. Angesiedelt zwischen Mos Eisley und Tombstone ist diese Ortschaft eine Wüstenei, in der man in einer Spelunke besser aufgehoben ist, als draußen auf den staubigen Straßen, denn hier hat man wenigstens beim Warten Gesellschaft. Warten worauf? Eigentlich auf nichts. Und so stauen sich die Emotionen auf, die sich in Schlägereien entladen, für die wiederum ein Sheriff gebraucht wird.
Ivan Brandon zeigt, wie nötig einerseits die körperliche Auseinandersetzung ist (die selbst derjenige, der den Streit vom Zaun bricht, nicht so recht will), andererseits, wie das darauf folgende Prozedere die Akteure wieder zusammenschweißt. Ob sie wollen oder nicht. Denn auch das ist klar: Man kann sich in dieser Ortschaft unmöglich aus dem Weg gehen. Nic Klein verleiht den beiden Streithähnen durch seine Charakterzeichnungen große Authentizität. Man will dem Sheriff gerne die innere Zerrissenheit glauben. Hier ist auch das Western-Feeling am häufigsten zu spüren.
Die sehr individuellen Figuren und die gemäldeartige Kolorierung sind in diesem Teil der Erzählung bereits stark, entfalten aber erst auf der dunklen Seite des Planeten ihre wirklich außergewöhnliche Wirkung, für die Nic Klein alle Register ziehen kann. Hier ist atmosphärisch nicht nur Lynch-Zeit, hier werden sich auch alle wiederfinden, die den Düster-Look von ALIENS mochten, vielleicht noch gepaart mit der greifbaren Bedrohlichkeit der aktuellen Gruselfilmwelle.
Ein sehr dichtes, sehr starkes Stück Science-Fiction-Western-Au?erirdischen-Drama, das sich dank einer herausragenden grafischen Gestaltung nicht nur mit SciFi-Stories innerhalb seines Mediums messen kann. Top-Arbeit von Comic-Künstler Nic Klein! 🙂
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Dienstag, 19. Juli 2016
Ein Besuch bringt das geordnete Leben des Thomas Wentworth durcheinander. Wentworth hatte sich mit der Einsamkeit im australischen Outback arrangiert. Schafe zu züchten und den Zug der Wolken zu beobachten, schienen die wichtigsten Beschäftigungen in diesem Landstrich geworden zu sein und würde es auch auf lange Sicht bleiben. Alte Zeitungsartikel ändern diese Vorausschau. Denn plötzlich wird aus Thomas Wentworth wieder Greg Hopper, jener Mann, der vor zig Jahren beschuldigt wurde, ein Frauenmörder zu sein. Aber war er es wirklich? Oder wusste er sich nicht anders zu helfen, als zu fliehen, weil alle Hinweise und Indizien gegen ihn sprachen? Jemand anderes hat nun den Mord gestanden und Greg Hopper kann endlich die Wildnis verlassen.
Die 1970er Jahre stehen noch an ihrem Anfang, die 1960er klingen aus. Hippies sind noch kein Thema. Und in Dubbo City, einer sehr kleinen Stadt auf dem australischen Kontinent – wer weiß, ob sie da jemals ankommen werden. In dieser verschlafenen Stimmung breitet sich eine Nachricht aus. Jemand gesteht einen Mord. Allerdings wird in diesem Fall bereits seit 27 Jahren nach einem ganz anderen Mann gefahndet. Autor Zidrou beleuchtet einen Kriminalfall einmal aus einem anderen Blickwinkel. Und der Leser muss sich einer fortwährenden Frage stellen: Ist der Mann, der seit 27 Jahren auf der Flucht war nun ein Mörder oder nicht? Ist er allenfalls eine gequälte Seele, jemand mit einem sehr schlechten Gewissen? Keine Fragen, die hier beantwortet werden sollen. Aber Zidrou stellt noch weitere Fragen. Zum Beispiel: Was macht ein prominenter Mordfall aus einer Kleinstadt?
Wut kann, über einen längeren Zeitraum genährt, zu einem starken Antrieb werden. Eine kühle Zurückhaltung entlädt sich plötzlich auf die eine oder andere Art und verändert Leben. Und beendet sie. Autor Zidrou beschreibt hier eine Art Ästhetik des Verbrechens, nicht im Sinne von Schönheit, sondern von Strukturen, die bei Menschen auftreten, die ihre Verrohung angesichts einer Tat erkennen, sich ihr stellen, dagegen auftreten oder sie als Teil akzeptieren. Das Titelbild von Philippe Berthet spricht Bände. Ein weißes Lamm leckt Blut aus der Wunde einer jungen, optisch attraktiven Frau.
Greg Hopper kehrt in seine Heimatstadt zurück. Nachdem sein Bruder die Tat gestanden hat, für die er verfolgt worden ist, kann er unbehelligt auf den Straßen flanieren. In den Kinos läuft gerade Love Story mit Ryan O’Neal und Ali MacGraw, eine Liebesgeschichte, so grundverschieden von der, die hier immer noch im Hintergrund wirkt. Solche Bilder, kleine Vergleiche, sind wie Stiche in die Aufmerksamkeit des Lesers. Zidrou mag dergleichen Hinweise und streut sie, mal offen, mal verdeckt oder am Rand, in die Handlung ein. Man kann sich auf diese Anspielungen einlassen, muss es aber nicht. Wer es macht, hat definitiv mehr Spaß an der Geschichte.
Philippe Berthet zeichnet mit seinem sehr klaren und kühlen Strich die Fassade der Menschen aus Dubbo City. Philippe Berthet ist einer jener Comic-Künstler, die genau am rechten Fleck sind, wenn es darum geht, eine bedrohlich kalte Atmosphäre zu schaffen. Das gelang ihm bereits im Thriller PERICO, aber auch im humoristisch angehauchten Kriegsabenteuer POISON IVY. Gerade im Thriller gelingt die Optik einer vergangenen Hollywood-Zeit, herausgerissen aus dem Schwarzweißen in das Bunte. Schöne Menschen wie die beiden Hauptdarsteller, der Vielleicht-Mörder und die Zweifellos-Tote, stehen im Mittelpunkt und werden gerade deshalb zum Ziel. Schönheit wird gerne auf die eine oder andere Art zerstört, so auch hier.
Eine sehr schöne Einleitung. Vom Paradies in die Kleinstadthölle. Im Outback herrscht Einsamkeit, nicht unbedingt Gewaltlosigkeit. Aber ohne weitere Menschen vor Ort gibt es immerhin eine Art Frieden, der nur durch Dingos und die Auseinandersetzungen von Schafsböcke untereinander durchbrochen wird. Wolken zu beobachten sorgt für Kurzweil, richtige Abwechslung bringt nur der monatliche Besuch eines Lieferanten mit den erkalteten Nachrichten der letzten Wochen. Wen kümmert es, dass zwei Menschen auf dem Mond gelaufen sind? Im klaren Ausdruck zeigt Philippe Berthet die Ursprünglichkeit und die Schönheit dieses Einsiedlerlebens. Gerade hier finden sich tolle Bildsubtexte, die das grundlegende Gefühl für den Einstieg in die Handlung vermitteln.
Ein Mordfall einmal in einer seltenen Erzählweise, atmosphärisch wie ein 1950er-Krimi, keine Stadt in Angst, aber eine Stadt im Widerstreit der Gefühle, so präsentiert Szenarist Zidrou sein Verbrechen mit Hilfe der präzisen Zeichenfeder von Philippe Berthet. Sehr gut. 🙂
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Oder bei Schreiber und Leser.
Donnerstag, 07. Juli 2016
Über dem Rio Grande, an der Grenze von Texas und Mexiko befinden sich die Agentin Zelda und ihre Gefährten alles andere als in einer sicheren Situation. Das Luftschiff gehört Piraten. Zeldas Charme, sparsam eingesetzt, aber doch sehr überzeugend, bringt den Kapitän dazu, sich auf ein Geschäft einzulassen. Die Agenten Zelda und Gavroche erfahren kurz darauf von ihrem Freund, dem Archäologen Charnay, wie sich die Pest innerhalb der Nordstaaten ausbreiten und den Südstaaten während des Bürgerkriegs einen fürchterlichen Vorteil verschaffen konnte. Das Wissen indes um diesen geheimen Plan lässt die Katastrophe nicht ungeschehen machen. Es verbreitet allerdings Unbehagen, denn es scheint nur der erste Stein in einer Kette von umwälzenden Plänen gewesen zu sein …
Inzwischen lässt sich bei HAUTEVILLE HOUSE mit Fug und Recht von einer Saga sprechen. Eigentlich hätte diese von Fred Duval entworfene Welt längst ein kleines Lexikon, eine Übersicht von Personen und Orten verdient. Darauf muss der Leser leider verzichten, dafür präsentiert Autor Fred Duval eine kleine Rückschau, die sehr schön die Hintergründe dieser Serie beleuchtet. In der Mischung aus Steampunk, Science Fiction, Alternativweltgeschichte, Thriller und Horrorszenario haben sich ein paar zentrale Handlungsfäden ergeben, die zum Verständnis der Reihe unabdingbar geworden sind und ruhig einer Zusammenfassung bedürfen und die auch für den Stammleser nicht verschwendet ist.
DER OBSIDIANISCHE ORDEN, eine Geheimorganisation, die zurückreicht bis in die Zeit vor Christi Geburt, wird für die Helden von HAUTEVILLE HOUSE zu einem neu gelüfteten Mysterium. Mehr soll nicht verraten werden, jegliche Phantastik-Freunde haben bestimmt ihre helle Freude an diesen Enthüllungen, die mit einer tollen Fantasie erzählt werden. Das Titelbild gibt darüber Auskunft, was der Orden über die Jahrhunderte hinweg bewacht hat. Das mag ein wenig an Stargate erinnern, aber Portale sind keine Erfindung von Roland Emmerich. Weiterhin geht es im Gesamtzusammenhang der Serie um Werkzeuge, die ihren Besitzern zu mehr Macht verhelfen und die Portale sind nur eines der Mittel dazu.
Luftschiff-Action: Was den Piraten und Seeleuten früherer Zeiten die großen Segelschiffe waren, sind in dieser Serie die Luftschiffe als Herrscher über die Weiten des Himmels. Der Zeichner der Serie, Thierry Gioux, gestaltet in seinem zerbrechlich wirkenden Zeichenstil Schlachten, die so in anderen Comics nicht zu finden sind. Kanonen donnern, Flugmanöver imitieren Seeschlachten, Truppen werden abgesetzt. Ein Treffer mündet schnell in einer Katastrophe, hier nicht einfach nur gesunken, hier wird abgestürzt.
Steampunk muss hier etwas kürzer treten. Der Stammleser wird Material wiedererkennen, aber es wird sparsam eingesetzt. Fred Duval setzt sehr viel mehr auf Aufklärung, zusätzliche Informationen und Intrigen. Das ist mit dem langen Atem angelegt, den Serienfans in den letzten Jahren lieben gelernt haben. Ein verschlungener roter Faden, mit sehr viel Weitblick gesponnen, schlägt hier neuerliche Haken und richtet sich gegen Ende sogar komplett neu aus.
Die Überraschung in Serie geht weiter. Fred Duval und Zhierry Gioux lassen keiner Langeweile aufkommen. Erzählerische Finessen und grafische Leckerbissen sind hier etabliert und liefern beste Abenteuerunterhaltung mit diversen Genreeinsprengseln. Das ist weiterhin rundum gelungen. 🙂
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Samstag, 02. Juli 2016
Chinook. Ein ganz besonderer Wind, dicht und dunkel, geheimnisvoll, beinahe wütend. Nicht nur Buddy Longway gerät in diesen seltsamen Sturm. Auch ein Auswandererehepaar verschlägt es mit ihrem Planwagen in dieses merkwürdige Naturereignis und macht prompt eine mysteriöse Entdeckung. Die Entdeckung bildet den Auftakt weitreichender Ereignisse, während derer nicht nur die Bekanntschaft neuer Freunde macht, sondern sich auch einstige Freundschaften umkehren, freilich nicht durch Buddys Schuld. Die Zustände haben sich arg geändert. Die Armee nimmt sich, was sie will, die indianischen Ureinwohner verlieren immer mehr. Konflikte sind unausweichlich und keine Alternative mehr. In die Ecke gedrängt wird Verzweiflung der Antrieb, der die Sioux in den Aufstand zwingt.
Ein langer, spannender Wegesabschnitt, der zu einem lange ersehnten Ziel führt. Die hier abgedruckten vier ehemaligen Einzelabenteuer sind vielmehr Akte eines großen Handlungsbogens, der von Autor, Zeichner und Kolorist DERIB geschickt miteinander verwoben werden. Der wilde Wind, Der Schwarzrock, Hooka-Hey und Die letzte Prüfung bieten nicht nur ein starkes Stück Gegenwart des BUDDY LONGWAY, sie führen den Leser auch in dessen Vergangenheit, in die nahegelegene einer wunderbaren Ehe und Familie wie auch einer längst fernen Kindheit an die Seite des Vaters und die Hoffnung auf ein besseres Leben in einem unbekannten Land.
Und mehr noch: BUDDY LONGWAY erfährt von seiner Herkunft und bemerkt erst jetzt, wie tief die Verbundenheit mit diesem Land reicht, dass Wurzeln existierten, von denen er nicht einmal eine Ahnung hatte. EIN BESCHWERLICHER WEG lautet der zusammenfassende Titel der vierten Gesamtausgabe und hätte kaum treffender formuliert sein können. Denn BUDDY LONGWAY befindet sich auf zweierlei Spuren. Einerseits ist er weiterhin auf der Suche nach seiner Frau und seiner Tochter, andererseits beschreitet er auch einen Weg tief ins Innere seiner Selbst. Die Verbundenheit, die er mit Natur, Land und Menschen entwickelt hat, wurde von DERIB selten eindringlicher gezeigt.
Diese Verbundenheit kehrt DERIB aber auch noch an anderen Stellen heraus, weshalb gerade diese Lehre für den Comic-Künstler sehr wichtig gewesen sein muss. Aber er zeigt auch die Grenzen dieser Lehre auf. Weil manche Menschen wollen einfach nicht lernen. Auf beiden Seiten. Zuerst sind es ein Siedlerehepaar, das Missverständnisse über die amerikanischen Ureinwohner auszuräumen lernt. Im Verlauf kommt ein Schwarzrock hinzu. Der Priester sieht, dass sein christlicher Glaube ihm nicht jede Frage beantwortet und im Zusammenleben der Indianer und ihrer Spiritualit?t weitere Antworten verborgen sein können.
Grafisch ist DERIB hier auf dem Höhepunkt seines Könnens. Er beherrscht die individuellen Charaktere, die er gerne auch der Realität entnimmt. Er zeichnet ein Land und seine Menschen mit Bravour, wie ein Gerichtszeichner, der sieht, was er malt. Vielleicht mag BUDDY LONGWAY mittlerweile vor dem inneren Auge agieren sehen. Vielleicht ist diese Theorie richtig, denn er lässt für den Leser sogar einen Erinnerungsfaden vor einem inneren Auge, BUDDY LONGWAYS nämlich, auferstehen und er macht dies in einer äußerst liebevollen, sehr verdichteten Weise, so dass eine schöne Kurzgeschichte in einem Abenteuer entsteht. In beidem, in der langen wie auch der kurzen Erzählung, kann er den großen amerikanischen Erzählern auf Augenhöhe begegnen.
Durchaus könnte ein Leser hier in die Geschichte einsteigen, da BUDDY LONGWAY sehr viel aus seiner Familiengeschichte preisgibt, andererseits findet sich auch ein vorläufiges Etappenziel, das noch einmal mehr Freude beim Lesen bereitet, wenn die bisherige Strecke hierhin bekannt ist. DERIB zeigt, wie stark er in der ernsthaften Comic-Erzählung ist und gleichzeitig, was Comic für erwachsene Leser wie auch für Heranwachsende zu leisten vermag. Melancholisch, nostalgisch, einfühlsam, geheimnisvoll und spannend, dramatisch allemal, präsentiert sich hier einer der besten Comic-Western überhaupt. Ganz, ganz toll! 🙂
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