Ein Markt, ein gemeinsames Fest, organisiert über die Grenzen der Dorfbefestigungen hinaus. Es gibt wieder Handel. Die Straßen werden sicherer, die Gefahren überschaubarer. Die Menschen trauen es sich, ein Lachen anzustimmen. Sie haben gelernt, mit dem Feind umzugehen. Doch am Horizont braut sich etwas zusammen. Rick Grimes, der glaubte, der Kampf gegen Menschen wie Negan gehöre der Vergangenheit an, wird von einem neuen Gegner vollkommen überrumpelt. In seinen kühnsten Träumen hätte er es sich nicht träumen zu lassen, einem derartigen Feind gegenüberzustehen. Vielleicht sogar einem Feind, der ihn geradezu einlädt, sich gegen ihn zu wehren.
Robert Kirkman präzisiert den neuen Feind, der sich der bisherigen Kultur zu entziehen scheint und auch gar nicht danach trachtet, jemals wieder auf den alten Pfad der bekannten Zivilisation zurückzukehren. Für diesen neuen Gegner ist ein Jahrmarkt nichts weiter als eine Farce, die nicht mehr in dieser Zeitalter gehört. Die gefährliche Atmosphäre schaukelt sich nur langsam hoch. Der Leser darf die Anführerin des Feindes beobachten, ihre Machenschaften erahnen und schließlich … Mehr wird nicht verraten. Das Ergebnis ist in jedem Fall unvorhersehbar und für die Helden um Rick Grimes ein großer Schock.
Nach den ersten Begegnungen war nicht abzusehen, wohin Robert Kirkman die Geschichte führen würde und ob diese Gesellschaftsordnung, die er hier zeigt, in der Erzählung funktionieren würde. Er mischt archaische Strukturen mit einem Leben unter Zombies. Man könnte es ein perverses Dschungelbuch nennen, mit vielen Mowglis, die sich unter Wölfen verstecken oder gleich unter einer Horde aus Tigern, die sie jederzeit fressen würden. Sprüche wie Der Preis der Freiheit ist ewige Wachsamkeit erhalten eine völlig neue Bedeutung, wenn sich diese Flüsterer in verwesenden Masken aus Menschenhaut unter den Beißern bewegen und diese sogar bis zu einem gewissen Grad zu lenken vermögen.
Unzweifelhaft ist diese Situation, die Robert Kirkman hier hinterlässt bzw. für seine Helden aufbaut, eine der gruseligsten seit langem. Sicherlich gab es häufiger den blanken Horror und auch diese 24. Episode, Leben und Tod, verzichtet nicht darauf. Aber der Schauer, der hier in mancher Szene zelebriert wird, bleibt länger in Erinnerung. Charlie Adlard, langjähriger Zeichner der Serie, muss wie so oft zuvor auf die Menschen, die Charaktere eingehen. Im Sinne einer Zelebrierung gibt es ganzseitige oder halbseitige Ausreißer. Genauer benannt werden dürfen Szenen mit Gregory, dem vorgeworfen wird, einen Mordanschlag auf Maggie verübt zu haben. Neben den Flüsterern führt sein Schicksal ebenfalls eine Wende in den neueren Entwicklungen herbei.
Sie leben! Die unterschiedlichen Entwicklungen der Comicserie und der Fernsehserie haben dazu geführt, dass in dieser jüngsten Episode der Comic-Erzählung immer noch Charaktere unter den Lebenden weilen, die der Fernsehzuschauer bereits vermisst. Während Andrea und Sophia im TV den Untoten zum Opfer fielen, haben sie hier weiterhin ihre Rollen zu erfüllen. Von Glenn hingegen, in beiden Serien eine höchst beliebte Figur, mussten sich die Comic-Fans wegen des brutalen Mordes durch Negan verabschieden. Anfangs war ich skeptisch über die verschiedenen Richtungen, die Robert Kirkman in seinen beiden Serien beschritt. Aus jetziger Sicht (und für die Produktionsfirmen auch aus finanziellen Erwägungen) halten diese Entwicklungen aber auf beiden Schienen die Spannung aufrecht.
Mehr noch: Die Charaktere (sofern sie noch leben, versteht sich) haben jeweils eine deutliche Veränderung zu ihrem jeweiligen Pendant erfahren. Dabei spielen nicht nur abweichende Erfahrungen eine Rolle. Es ist interessant zu sehen, wie ein Autor sich selbst ein Ultimatives Universum schafft (comicsprachlich ausgedrückt) und seine Figuren so in noch mehr Geschichte ausprobieren kann.
Der Umschwung zur nächsten Storyline ist komplett vollzogen. Die 24. Folge endet mit einem brutalen Cliffhanger, der allerdings einiges für das zukünftige Zombie-Drama verheißt. Robert Kirkman erfindet die Serie ein Stück weit neu. Sehr gut. 🙂
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