Donnerstag, 30. Juli 2015
Das Leben könnte für den jungen Mann in diesem Moment nicht schöner sein. Immerhin hat die junge Frau, die mit ihm zur Schule geht, ihm ein ganz besonderes Geschenk versprochen. Leider scheitert die Situation an einem Leibwächter namens Igor. Der Sohn von Andrej Khodorov, auf einem Internat in der Schweiz weit weg von den Ereignissen in Moskau, hat den Ernst der Lage, in der sich sein Vater befindet noch nicht so recht begriffen. Das ändert sich, als seine gesamte Familie, seinen Vater eingeschlossen, ums Leben kommt. Der Weltöffentlichkeit wird ein großes Unglück präsentiert. Für den Jungen und seinen Leibwächter hingegen gibt es keinerlei Zweifel daran, dass die Familie umgebracht wurde. Der Beweis lässt nicht lange auf sich warten.
Geld kann zuweilen nicht gegen jede andere Macht bestehen. Manchmal ist die Macht eines Diktators stärker. Manchmal siegt einfach nackte Gewalt. Autor Sam Timel orientiert sich mit seinem Thriller-Auftakt von MILAN K. an der wirklichen Welt. Russland hat in diesem Szenario ebenfalls das Joch des Kommunismus abgeschüttelt, nur um eine versteckte Diktatur aufzubauen, die Widerstand verdeckt oder klar erkennbar im Keim erstickt. Wladimir Palin heißt der Herrscher über das neue Russland bestimmt nicht zufällig. Äußerlich von Comic-Künstler Corentin als Mixtur aus Peter Cushing und Ross Perot angelegt, verbirgt sich hinter diesem Machtmenschen noch ein anderer, eine Art graue Eminenz.
Wer in den vergangenen Jahren die Nachrichten nur halbherzig verfolgt hat, wird dennoch das eine oder andere von Machtkämpfen zwischen Kreml und Oligarchien gehört haben. So ist man als Leser geneigt, dieser Fiktion schnell zu folgen, bewegt sich der Thriller doch auf vertrautem Grund. MILAN K. ist noch sehr jung, als das Schicksal zuschlägt. Gegen seine Stiefmutter hat er eine tiefe Abneigung, das beruht allerdings auf Gegenseitigkeit. Mit seinen Halbgeschwistern verbindet ihn mehr, doch der Altersunterschied ist letztlich zu groß. Und so ist es eine Laune der pubertären Jugend, als er es ablehnt, den gleichen Flug nach Moskau wie seine Familie zu nehmen.
Modern, glasklar erzählt. Der Leser ist schnell an der Seite des jungen Helden. Dank der Figur des Aufpassers, eines väterlichen Freundes namens Igor, findet sich eine Identifikationsfigur auch für die älteren Leser. Igor ist nicht der klassische Leibwächter. Denn wäre dem so, würde er seine Haut ab einem bestimmten Zeitpunkt, wenn sich die Schlinge immer enger zusammenzieht, das Weite suchen. Aber er lässt seinen Schützling nicht im Stich. Corentin, der neben den Zeichnungen auch die Kolorierung übernommen hat, gestaltet Igor als bulligen Mann, gewachsen wie ein Ex-Boxer, der nach einem Ortswechseln eine Wandlung durchmacht und sich den Gegebenheiten anpasst.
Ob Veränderungen dieser Art, den erwähnten Ortswechsel, Touristenattraktionen, es herrscht eine optisch realistische internationale Thrilleratmosphäre vor. Corentin schafft sehr individuelle Figuren, angefangen beim Hauptcharakter, mit dem ihm noch ein Kunststück gelingt, nämlich diesen altern zu lassen, über Nuancen, wie es nun einmal mit einem jungen Menschen geschieht. Igor indes altert mit dem Standeswechsel auch körperlich, indem er vom Leibwächter eines reichen Kindes zum taxifahrenden Vater eines amerikanischen Jungen wird.
… denn sie wissen nicht, was sie tun. Cineasten dürfen sich über einen ganz besonderen Austragungsort einer rasanten Sequenz freuen. Das Observatorium wurde als Schauplatz in einem Film mit James Dean unsterblich und reizte seither wegen seiner tollen Architektur und seiner Umgebung viele Kunstschaffende zu weiterer Kulisse. So auch hier. Doch so weit, wie es die beiden Comic-Künstler Sam Timel und Corentin treiben, hat es noch niemand gewagt. Das schafft nur das Medium Comic. Oder mit ein entsprechend budgetierter Blockbusterkinofilm. Mehr sei nicht verraten.
Blick voraus. Wer sind die Damen auf dem Titelbild? Die Geschichte verrät es noch nicht. Auch ist MILAN K. noch nicht im gezeigten Alter angelangt, obwohl er innerhalb der Handlung einen großen Schritt in diese Richtung tätigt. Der in sich sehr geschlossene Auftakt, der sich auch einen Seitenhieb auf das amerikanische Gesundheitssystem (eigentlich nicht nur auf dieses) erlaubt, bildet nicht nur angesichts der Jugend des Helden eine gute Grundlage für weitere Abenteuer. Die Konzeption des Thrillers dürfte Sam Timel es erlaubt haben, aus der jüngeren Geschichte noch weitere Inspiration für den Fortgang der Folgen zu ziehen.
Internationales Flair, klar umrissene Charaktere, das Leben der Helden stets auf des Messers Schneide: Sam Timel weiß, wie ein guter Thriller funktioniert. Und Zeichner Corentin liefert klasse, realistische Bilder dazu. So darf es weitergehen. 🙂
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Freitag, 24. Juli 2015
Während sich auf dem europäischen Festland die französische Armee gegen eine Koalition verschiedener Staaten zu behaupten mag, ist die französische Kriegsmarine ihren Feinden in der Karibik auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Rick, der Sohn des ROTEN KORSAREN, hat es nicht nur aufgrund seiner Herkunft schwer, an Aufträge für sein Schiff zu gelangen. Die Kriegslage erschwert es allen, die einen französischen Hintergrund haben, gegen englische, niederländische oder spanische Schiffe in den karibischen Gewässern zu bestehen. Als endlich ein Auftrag in Sicht ist, sind Rick und seine Freunde Baba und Dreifuß von Erleichterung weit entfernt. Denn es fehlt an einer tüchtigen Mannschaft. Und wer würde sich freiwillig zu einem Himmelfahrtskommando bereit erklären?
Der Leser trifft den Sohn des ROTEN KORSAREN in einer äußerst verfahrenen Situation wieder. Eine Übermacht beherrscht die Karibik und ein einzelnes Schiff kann dagegen nur bestehen, wenn es List anwendet. Wie die beiden Ausnahmecomickünstler Jean-Michel Charlier (Autor) und Victor Hubinon (Zeichner) bereits mehrfach gezeigt haben, ist Rick, besagter Piratensohn, mindestens ebenso schlau wie sein Ziehvater, wenn es darum geht, einer schier aussichtslosen Lage zu entkommen.
Die Abenteuer der fünften Gesamtausgabe, In geheimer Mission, Der Pakt mit dem Teufel und Der Pirat ohne Gesicht stellen jenen Mann in den Mittelgrund, der für seinen Vater, den ROTEN KORSAREN, durch dick und dünn gehen würde, der Piraterie aber den Rücken gekehrt hat. Zu seinem großen Unglück scheren sich die Feinde des Adoptivvaters wenig um derlei Versprechen und machen gnadenlos Jagd auf den jungen Mann und seine Freunde. Sei es, um seiner persönlich habhaft zu werden, weil er ihrer Meinung nach eine Gefahr darstellt. Sei es, um ihn als Druckmittel gegen den ROTEN KORSAREN zu benutzen, den sie schon lange am Galgen sehen wollen. Vor diesem Hintergrund nun findet sich der Leser in den Ausläufern eines Krieges wieder, der bereits damals in der Hochzeit der Segelschiffe die Welt umrundete.
Victor Hubinon hatte es nie nötig zu experimentieren. Er besaß einen klaren Stil. Seine gezeichneten Gesichter repräsentierten einen Ausdruck der 40er und 50er Jahre des 20. Jahrhunderts, klar umrissen, meist (da selten Frauen in den Geschichten zu Gast waren) sehr männlich, hart, Gesichter, die bereits Geschichten erzählten. In Der Pakt mit dem Teufel findet sich ein schönes Gleichgewicht zwischen Szenen auf See, zu Lande, feinen Dialogen und Aktionssequenzen. Wunderbar zu betrachten sind die Schiffe, in aufgewühlter See, die dadurch vermittelte Atmosphäre, die ein Piratenabenteuer einfach braucht.
Erwähnenswert ist der Umstand, dass Charlier seinen Co-Künstler in diesem Abenteuer in Passagen schickte, die zum Beispiel an Szenen aus Robin Hood erinnern. Die Befreiung von Dreifuß, seine Errettung vor dem Galgen kommt einigen Wagemutsbeweisen des englischen Volkshelden sehr nahe. Grafisch gibt es aber noch mehr zu entdecken und deshalb sollte der Leser nicht gleich zu Beginn zuvorderst bei den jeweiligen Hinweisen zu den einzelnen hier beinhalteten Alben nachschauen.
In Der Pirat ohne Gesicht darf der Leser versuchen herauszufinden, ob er die von zwei anderen sehr bekannten Comic-Künstlern gezeichneten Seiten entdeckt. Hier zeigt sich einmal mehr, wie sehr ein Zeichner seinem Werk seinen Stempel aufzudrücken vermag, obwohl sich seine Ersatzleute bemühen die Originalstilistik beizubehalten. Beide Grafiker sind sehr gut in anderen Serien und sie leisten auch hier gute Arbeit, aber DER ROTE KORSAR war so sehr von Victor Hubinon perfektioniert worden, dass es schwer war, diese Lücke zu füllen. Die Kurzgeschichte Das Gold von San Christobal, zum guten Schluss in dieser Gesamtausgabe, abgedruckt einst in Super Pocket Pilote, beweist in Schwarzweiß die haargenaue Illustrationstechnik Hubinons.
Ein Piratenfest für jeden Genre-Fan. Rick, der Sohn des ROTEN KORSAREN, wird von Jean-Michel Charlier in viele, scheinbar auswegslose Situationen gebracht. Als geschickter Erzähler versteht sich Charlier auf das Anlegen von Spannungsschrauben, zumal DER ROTE KORSAR diesmal Hilfe gebrauchen kann. 🙂
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Montag, 20. Juli 2015
Bulldozer war nicht immer so schmächtig. Da wundert sich das Ding zu recht. Der neue Bulldozer, kein Mitglied der Wrecking Crew mehr, sondern ein Teamangehöriger der Frightful Four, kann ziemlichen Schutt aus seiner Umgebung machen. Die FANTASTIC FOUR haben darüber hinaus Thunderball, Wrecker und Wizard zum Gegner. Alles in allem etwas durcheinander und nicht vollzählig, kann Verstärkung nicht schaden. Diese findet sich ausgerechnet in einem Team, was einmal als Ersatz gedacht war, aber nicht zum Einsatz kam. Und so können Ant-Man, She-Hulk und Ms. Thing doch noch zeigen, was sie können.
Die Schmerzen liegen in der Vergangenheit begründet. Neue Schmerzen entstehen in der Gegenwart. Die FANTASTIC FOUR, die Fantastischen Vier, haben viel erlebt und haben viele Narben davongetragen, ganz besonders solche seelischer Natur. Sue, die Unsichtbare, muss sich damit abfinden, dass ihre Tochter im Augenblick lieber bei Dr. Doom ist. Der alte Erzfeind der FANTASTIC FOUR kümmert sich vorbildlich um das Mädchen und mehr noch: Valeria scheint einen guten Einfluss auf den mächtigen Schurken zu haben und animiert ihn zu gutem Verhalten. Für die First Family hingegen läuft es alles andere als gut.
Der lange Abschied laut der Titel der Geschichte, die sich James Robinson zu den FANTASTIC FOUR ausgedacht hat. Es ist eine Achterbahnfahrt, die immer mehr von den einstigen Helden demontiert, vor der Öffentlichkeit, anderen Helden, vor sich selbst. James Robinson geht sogar noch einen Schritt weiter. Er schickt die FANTASTIC FOUR vor Gericht. Das Team hat in ihrer Superheldenkarriere nicht nur so manches Leben gerettet. Sie haben bei ihren Aktionen auch gehörigen Schaden angerichtet. Hin und wieder wurde dergleichen thematisiert, wie jene Arbeiter, die hinter den Fantastischen Vier aufräumen. Aber durch die Comic-Geschichte hinweg sind die entstandenen Schäden ungleich größer, so dass kaum ein Bauarbeitertrupp zu Lebzeiten all das Zerstörte abtransportieren könnte.
Im Prozess gegen die FANTASTIC FOUR kann so auch nur ein kurzer Abriss all der Demolierungen erfolgen, an denen die First Family beteiligt war. Selbstverständlich, das sei ihnen zugute gehalten, waren sie selten der Auslöser. James Robinson greift sich die bekannteren Gegner der F4 heraus, den Hulk, Namor, Dr. Doom, Galactus oder die Inhumans. Um die Unterschiede, auch den langen Zeitraum zu verdeutlichen, der hier angesprochen wird, greifen neben dem Hauptzeichner Leonard Kirk noch Gastkünstler zum Zeichenstift. Sind die Bilder von Leonard Kirk betont realistisch gehalten, wird es bei den Rückblicken ebenso gewollt Retro.
Manchen gelingt der Retro-Look ausgezeichnet, bei anderen ist der Strich bereits wieder von Modernität geprägt, sozusagen ein Schritt zurück nach vorn. Diese Einschübe sind unterschiedlich lang, auch ist ihr Aufbau je nach Thematik ein anderer. Interessant ist die Zusammenfassung von längst vergangenen Ereignissen, die noch in das goldene Zeitalter der Comics zurückreichen, jene Epoche, als die Marvels hier noch auf billigstem Papier gedruckt, über den großen Teich schwappten. Diese Collagen zeigen auch Veränderungen in der Gegnerschaft der FANTASTIC FOUR auf. Bezeichnendes Beispiel ist Dr. Doom, der sich zeitweilig auf Magie anstelle von Technik verließ.
Nicht erst mit dem jüngsten Wandel von Thor ist der Feminismus im Marvel-Universum angekommen. Sue Storm hat schon seit langem vorgemacht, wie Frau sich in einer Männerwelt voller männlicher Helden und Schurken behauptet. Nicht immer einfach und dann auch noch mit zwei Kindern. Ihr Kampfeswillen, mit dem sie sich hier einigen der mächtigsten Menschen der Erde stellt und die Tricks, die sie dabei aufwendet, verblüffen selbst nach einer jahrzehntelangen Comic-Lektüre. Da macht nicht nur Thor große Augen.
Der Auftakt zum langen Abschied: Die FANTASTIC FOUR erhalten eine Bewährungsprobe ihrer Charaktere und Fähigkeiten, die sie vor völlig neue Probleme stellt. Und die FANTASTIC FOUR haben viele Probleme im Laufe der Jahre kennen gelernt. James Robinson kennt die vier Helden darüber hinaus sehr gut. Das macht den Auftakt zum Dreiteiler zu einem Fest für F4-Fans. Sehr gut. 🙂
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Freitag, 17. Juli 2015
Macht muss nicht gleich erkennbar sein. Manchmal versteckt sie sich. Oder wird verkleinert. Geschliffen. Manchmal wird aus einem bereits gefährlich aussehenden Schwert ein Buttermesser. Manchmal ist ein kleines Mädchen keines, sondern ein sehr alter Geist. Und manchmal kann so ein Mädchen mit einem Buttermesser furchtbare Sachen anstellen. Ihr Selbstbewusstsein ist durch ihre brutalen Übergriffe enorm gewachsen, dennoch wird auch sie nicht nur durch einen Schneesturm überrascht, vielmehr tragen noch zwei junge Frauen dazu bei, die ebenfalls nicht das sind, was sie zu sein scheinen. Jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt.
Historie war gestern. Ich bin heute. Das ist Serienkillerlogik. Wen kümmern heute noch aus düsterer Sicht die mörderischen Großtaten eines Jack the Ripper? Zoe Mann, das für das ungeübte Auge kleine Mädchen, hat sich mit ihrer Liste von Toten längst über ihren Urgroßvater erhoben. Ihre Eigenart, sich allem zu verweigern, das ihr gegen den Strich geht, beschwört Konfrontationen herauf, die für den Leser nicht vorhersehbar waren. Wenn ein kleines Mädchen mit einem teuflischen Buttermesser sich mit Kreaturen anlegt, die viel mächtiger als sie sind, kann alles passieren.
Und genau das geschieht auch. Terry Moore, Autor und Zeichner in Personalunion, geht hier mit seiner Serie RACHEL RISING in die vierte Runde und enthüllt noch ein wenig mehr aus der gruseligen Vergangenheit der alten Ortschaft Manson. Terry Moore katapultiert auf ungewöhnliche Weise zwei Charaktere aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Der Junge James und das Mädchen Bryn Erin haben ihre ganz eigenen Erfahrungen mit Lilith gemacht. Doch mit diesem Resultat hat keiner der beiden gerechnet, am allerwenigsten James, der sich nach seinem männlichen Tod in einem Frauenkörper wiederfindet.
Mystery mischt sich hier mit kuriosen Momenten, mit schwarzem Humor untersetzt, der insbesondere dann zündet, wenn der Leser, wie im Fall von Dr. Siemen, mehr weiß, als all die anderen Figuren drumherum. Dieser Dr. Siemen ist ein gutes Beispiel für Verrücktheit und Normalität. Obwohl dem Wahnsinn anheim gefallen (wie, das soll hier nicht verraten werden), ist er schnell bereit, Hilfe zu leisten. Sicherlich auch aus eigenem Interesse heraus (das hängt mit besagtem Grund für den Wahnsinn zusammen), andererseits ist er nicht böse. Selbst Lilith scheint nicht böse zu sein. Das Böse zeigt sich bei Terry Moore hier am Rande. Mit dem Vater, der offensichtlich seine Tochter missbraucht hat. Mit dem Mann, der nur darauf wartet, einen Einbrecher in seiner Garage zu erschießen. Das große Böse ist diesmal, so scheint es, chancenlos.
Terry Moore, schwarzweiß grafisch auf Augenhöhe mit Kollegen wie Steve Dillon, mehr noch mit einem Altmeister wie John Romita (Sr.), schafft mit seiner Zeichentechnik eine unheimliche Atmosphäre, allein durch leichte Bildkomposition und Bildfolge. Das Titelbild, koloriert, spricht Bände. Ein kleines Mädchen, mit einem blutigen Messer in der Hand, halb versteckt hinter dem Rücken, lächelt den Betrachter an. Um es herum fallen tote schwarze Vögel vom Himmel.
Der Untergang der Welt im Kleinformat. Das Städtchen Manson geht stellvertretend für den Rest der Welt unter oder zumindest bis an den allzu oft beschworenen Abgrund. Schnee türmt sich wie ein Leichentuch immer höher, das Fortkommen wird immer beschwerlicher, die Welt stiller und mittendrin bemühen sich zwei alte Seelen um die Rettung einer Freundin, während die Toten ihre Pein hinausschreien. Terry Moore baut diese Stimmung langsam, stetig, mit viel Fingerspitzengefühl auf, bis hin zu einem Finale, in dem sich Grusel und Traurigkeit perfekt die Balance halten. Es gelingt ihm sogar, allein mit den Bildern den Blick zu bannen und das Lesen der Wörter für den Augenblick zu stoppen. Der Leser hält hier ebenso inne, wie es die Charaktere tun.
Eine sehr spannende vierte Episode, gleichzeitig findet ein Schnitt statt, der es Terry Moore ermöglicht, den Leser in der nächsten Folge zu überraschen, denn es macht ihm nichts aus, auch einmal wichtige Figuren aus der Handlung katapultieren. Terry Moore, ein toller Zeichner und erzählerisch so stark wie ein Stephen King, hat ein eindringliches Szenario geschaffen, das jedem Mystery-Fan gefallen sollte. Aber, wie bei modernen Serien üblich, die Kenntnis der Handlung von Beginn an ist gnadenlose Pflicht. 🙂
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Mittwoch, 08. Juli 2015
Horodamus und Berkan werden Zeuge eines Überfalls. In der Nähe von Karthago schließen die Römer den Belagerungsring immer enger und bringen einheimische Soldaten reihenweise um. Horodamus, der Gallier, und Berkan, der Numider, ehemalige Söldner erkennen ihre Chance, als ihnen eine Überlebende eines solchen Gemetzels in die Hände fällt. In jenen Tagen müssen Frauen ständig auf der Hut sein. Frauen gehören für Soldaten und Söldner ebenso zur Beute wie Gold und Silber. Aber Tara, die junge Frau, weiß sich nicht nur zu wehren. Sie versteht es auch, die beiden Halunken neugierig zu machen und mit einem Schatz zu locken, für den jeder Gauner, der etwas auf sich hält, alles aufs Spiel setzen würde.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss. So soll es Cato der Ältere häufig gesagt haben. Das Zitat beschreibt einen zentralen Konflikt des alten Rom, der hier als Hintergrund für ein antikes Schurkenstück dient. Apollo, Autor, und Herve Tanquerelle, Zeichner, lassen hier eine Epoche lebendig werden, in der Leben nichts galt, der Krieg die treibende Kraft der menschlichen Entwicklung war und römische Feldherren mit Siegen ihre finanzielle und politische Macht mehrten. Karthago konkurrierte lange mit dem anderen Stadtstaat auf der anderen Seite des Mittelmeeres. In Die Diebe von Karthago kommt es nun zur finalen Auseinandersetzung, an deren Ende nichts anderes steht als Karthagos völlige Vernichtung samt aller Bürger.
Apollo nimmt sich drei sehr unterschiedliche Menschen zu Hauptfiguren her, die vor diesem Hintergrund aufgewachsen sind und diese Mentalitäten verinnerlicht haben, obwohl sie aus verschiedenen Teilen der Welt stammen. Durch Handel mit Waren und Sklaven, Söldnertum, auch durch verschiedene Religionen herrscht bereits zu jener Zeit eine große Internationalität. Vor dieser drastischen Atmosphäre erscheinen die beiden Ex-Söldner zunächst als wenig sympathische Figuren. Auch die junge Frau Tara macht da keine Ausnahme. Menschliche Momente, die auch ihre Verzweiflung erklären, ihren Wunsch nach einem besseren Leben, der kaum durch Mitgefühl und normale Arbeit zu erreichen sein mag, führen den Leser an die drei Hauptcharaktere heran.
Gefangen in einem Leben, einer sozialen Schicht, in den Strukturen des antiken Lebens, zwischen Krieg, Exzessen und Angst. Hier spenden selbst die Götter keinen Trost. Es werden Menschenopfer verlangt und erbracht. Vor den Augen der weinenden Mütter werden Kinder lebendig in den brennenden Schlund der Gottheit Baal-Moloch geworfen, freilich nur eine gigantische Statue. Selbst hartgesottene Männer, die Horodamus und Berkan nun einmal sind, werden von diesem brutalen Spektakel, das der Stadt Karthago überirdische Hilfe zuteil werden lassen soll, erschüttert.
In einem karikierendem Strich, der manchmal durch die Kolorierung von Isabelle Merlet an Bilderbücher erinnert, manchmal einem Albert Uderzo nacheifert, fast wie ein wild gewordener Herge wirkt, ein wenig wie Frederik Peeters, weit entfernt von einer bequemen Optik, sehr einfühlsam kommt die Arbeit von Herve Tanquerelle daher. Tanquerelle ist ein Künstler, der auch sehr gut mit schwarzweißen Grafik zurecht kommt, auch Grautöne bestens verwendet. Durch die Farbgebung von Merlet gewinnen die Bilder eine enorme Wärme und eine tolle Leuchtkraft, die das Auge nicht mehr loslässt.
Es finden sich keine harten Kanten. Tanquerelle und Merlet bringen eine Mischung aus Buntstiftschattierung und Aquarellkolorierung zu Papier. Das erklärt die Wärme und die sehr organische Wirkung des Grafiken. Karthago, die Wüstenstadt, verblasst vor dem Glanz eines weitaus prächtigeren Roms. Der Eindruck dieses afrikanischen Zentrums ist spartanischer, militärischer, weniger verspielt. Die Lebenseinstellung der Bevölkerung, ein düsteres Ende, allerdings nach dieser Geschichte das einzig denkbare, verstärkt diesen Eindruck drastisch.
Eine harte, realistische Darstellung des Lebens innerhalb des Niedergangs des einstigen Großreiches Karthago. Apollo, Herve Tanquerelle und Isabelle Merlet arbeiten mit den Erzähltechniken und Bildeindrücken moderner Geschichten über die Antike, sparen nichts aus und können mit Horodamus, Berkan und Tara drei Charaktere vorstellen, die sich erst langsam dem Leser nähern, dafür umso länger im Gedächtnis bleiben. Ein wenig beschriebenes Kapitel in der Literatur, deshalb umso empfehlenswerter für alle, die an dieser Epoche interessiert sind. 🙂
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