Auf der Insel lebt ein Wesen des Bösen. Der Ronin Kogaratsu wird angeheuert, um ein ganz besonderes Exemplar dieser Kreaturen zur Strecke zu bringen. Er ist nicht der erste, der diesen Versuch unternimmt. Vielleicht wird er der letzte sein, aber seine Chancen stehen nicht gut. Auf der Insel erwartet ihn eine junge Frau. Er hätte nicht gedacht, dass der Empfang so sein wird. Ruhig, gefasst, heiter sogar tritt ihm Ako, die Tochter eines Fürsten gegenüber. Bislang hat sie jeden und alles in ihrem Umfeld verdorben, nicht selten getötet. Kogaratsu sieht nur eine junge hochnäsige Frau und begeht den Fehler, sie zu unterschätzen. Warum sollte ein Krieger vor einem dürren Geschöpf, dem als Waffe nichts anderes als eine spitze Zunge zur Verfügung steht, Furcht verspüren?
Bosse (Text) und Michetz (Zeichnungen) tauchen tief in eine japanische Gefühlswelt ein, in der Ehre, Stolz und Geister eine wichtige Rolle spielen. Das Böse wandelt in menschlicher Gestalt umher und entehrt jene, die verwandtschaftlich mit ihm verwoben sind. KOGARATSU tritt als Krieger auf, dem nichts Böses mehr fremd zu sein scheint, von Professionalität bis ins Mark durchdrungen ist und keinerlei Probleme damit hat, eine unbewaffnete Frau auf das Wort eines Fürsten hin zu töten. KOGARATSU ist sich zunächst nicht bewusst, dass er in eine Art Spiegel blickt und jemanden vor sich hat, der ähnlich mitleidlos mit Blut umgeht, jedoch Spaß daran gefunden hat, weil, so hoffen es die Beteiligten, sich der Wahnsinn in der jungen Frau eingenistet hat.
Mit kaligrafisch sicherem Strich entwirft Michetz hier einen Mikrokosmos, der sich sehr bald schon nur noch um zwei Menschen dreht. Der Schauplatz, eine verwilderte Insel, sparsam in aquarellleichten Farben koloriert, erinnert an alte Gruselgeschichten. Das Titelbild offenbart auf den zweiten Bild den Wahnsinn jenes merkwürdigen und perversen Wesens, das jenes titelgebende Protokoll des Bösen führt. Der Leser sieht Ako, die junge Frau, in ihren Armen wiegend eine kleine Katze, der, es ist zu in Unkenntnis der Geschichte kaum vorher zu ahnen, die Pfoten abgeschnitten wurden. Diesen zu einem Fetisch erhobenen Umgang mit anderen Lebewesen wendet Ako auch auf Menschen an. Michetz gelingt das Kunststück, die Fantasie des Lesers arbeiten zu lassen, mehr zu verschleiern, als zu zeigen. Es ist gruselig genug, das spöttische Lächeln von Ako zu betrachten, die sich unverhohlen über ihre Art des Amüsements äußert und diese zu einer philosophischen Form verklärt.
Ein weiblicher Michael Myers, viel intelligenter, um Konversation bemüht, aber nicht weniger verspielt und ebenso rigoros darin, das gesteckte Ziel, den Tod oder die Vernichtung eines anderen Menschen zu erreichen. Hier liegt auch das japanische Element verborgen, das bereits mehrere Autoren, auch westlicher Herkunft, für sich vereinnahmten. Die Beiläufigkeit, mit der ein Tabuthema wie der Tod in der japanischen Lebensart des 17. Jahrhunderts ins Spiel gebracht und akzeptiert wird, wirkt interessant und stößt gleichermaßen ab. In einem kurzen Rückblick wird der rituelle Selbstmord angedeutet. Die Entleibung mit dem Messer, falls sie nicht eigenhändig und somit ehrenvoll zu Ende gebracht werden kann, wird durch einen Helfer mittels Köpfen vollendet. Ehre geht über Tod. Der Tod begleicht eine Ehrenschuld. Aber die kulturellen Richtlinien stoßen bei KOGARATSU an ihre Grenzen. Denn aus einem simplen Auftrag wird ein bis dato ungekanntes Duell.
Die Überheblichkeit des Kriegers sorgt für den Sprung von einem Wachtraum in einen Drogenrausch. Der Leser könnte die Handlung an diesem verwunschenen Ort mit der seltsamen Mörderin binnen kurzer Zeit für einen Wachtraum halten. Am Drogenrausch, der die Geschichte in ein Finale zwingt, gibt es nichts mehr zu deuten. Kurz werden stark leuchtende Farben einander kontrastierend gegenüber gestellt. Eine real existierende Modrigkeit deckt dieses traumatische Erlebnis wieder zu. Michetz versteht sich auf atmosphärische Farbgebung, bringt den Zustand von Verwesung und Verzweiflung gekonnt rüber. Farben der Hoffnung sucht man hier vergebens. Allenfalls taucht gegen Ende eine Spur Erlösung auf, mehr nicht.
Die 13. Episode der Reihe KOGARATSU von Bosse und Michetz ist ungeheuer düster geraten, ein philosophisch brutaler Sprung in den Abgrund, optisch mit künstlerisch stilsicherem Strich ausgeführt. Nicht nur für Freunde asiatischer Abenteuer, aber sicherlich die Kernzielgruppe von Folge und Serie. Lesenswert im wahrsten Sinne des Wortes. 🙂
KOGARATSU 13, Das Protokoll des Bösen: Bei Amazon bestellen
Oder bei Finix Comics.