Peter hat zu Ehren des Pan einen neuen Nachnamen angenommen. Peter hat nicht helfen können und macht sich die größten Vorwürfe. An anderer Stelle will er Versprechen einlösen. Von der fernen Insel zurück im gruseligen London trifft er die Kinder wieder, die sich voller Hoffnung seine Abenteuer anhören und denen er ein ungeheures, einmaliges Angebot macht. Käpt’n Hook und seine Piraten haben weitaus weniger Gewissensbisse. Eigentlich gar keine. Der Kapitän sieht seinen Schatz als verloren an und verlangt Rache. Natürlich sollen ihm seine Mannen auf seinem Feldzug folgen, der nur ein Ziel hat: Peter Pan. Der Junge hat die Balance des Lebens auf und um die Insel herum zerstört. Schmach und Schande brachte er persönlich über den Kapitän. Käpt’n Hook kennt dafür nur eine Strafe: den Tod.
Loisels Werk, frei nach den Charakteren von Sir James Matthew Barrie, ist hiermit in neuer Auflage einmal mehr vollendet. Der Junge Peter Pan, auf seine Art ein Inbegriff von Freiheit, Rebellion, hat seine Heimat gefunden. Und er verteidigt diese mit all den Freunden, die er nun dort hat. Doch Gewalt lehrt Gewalt und so hat Peter Pan, nach einigen Schicksalsschlägen, gelernt, wie er nicht nur überleben, sondern auch noch zurückschlagen kann.
Besonders in der 2. Gesamtausgabe ist Kapitän Hook ein bemerkenswerter Charakter. Vollkommen egozentrisch, in höchstem Maße selbstverliebt, äußerlich gar nicht einmal der klassische Schlächter, aber immerhin ein vollkommener Psychopath, Allerdings besitzt er dank Loisel auch eine kindliche Note, die einen Matrosen und Lakaien wie Brummer väterlich (und ihn fürchtend) an ihn bindet. Wer auch nur einmal vage in die Welt der Kinderbücher hineingeschnuppert hat, wird von Kapitän Hook gehört haben, dem Mann, der wie ein großes gemeines Kind den fürchterlichen Haken schwang und allen Bewohnern der kleinen Insel das Fürchten lehrte.
Die Sache mit dem Haken und dem Wecker. Die Sache mit dem Haken ist durchaus brutal zu nennen. Für den Kapitän, dem in der Geschichte große Aufmerksamkeit zufällt, ist sie kaum überraschend. Loisels Inszenierung des Verlusts dieses Körperteils entbehrt nicht einer gewissen grauenhaften Komik, aber so sehr die Feinde des Kapitäns auch lachen, furchtbar ist es allemal. Und so folgt die Hand dem Wecker, den das Krokodil schon zuvor schluckte, weil es schlichtweg alles schluckt. Dank Brummer. Welche Ironie! Loisel gelingt das Kunststück, die Rachegedanken des Kapitäns glaubhaft zu machen, mit Tiefe zu versehen. Als Erwachsener mit kindlichem Gemüt fällt ihm die Beherrschung sehr viel schwerer als seinen kindlichen Widersachern.
Und Loisel lässt auch diese nicht ungeschoren davonkommen. Denn das Miteinander der verschiedenen Kreaturen auf der Insel ist nicht grundsätzlich paradiesisch. Glöckchen, dank der Interpretation durch das Hause Disney als putziges geflügeltes Dingelchen bekannt, entwickelt in der Version von Loisel noch ganz andere Seiten: Eifersucht. Von Loisel als properes Mädel mit Libellenflügeln und knapper Bekleidung gezeichnet, ist sein Glöckchen außerdem mit einer Boshaftigkeit und Heimtücke ausgestattet, die der Leser so nicht vermuten konnte.
Die Eifersucht war kein Geheimnis, ihre Leidenschaft für den Jungen Peter nicht zu übersehen, die Auswüchse hingegen sind ebenso grauenhaft, wie Peters Rache an dem Kapitän. Eigentlich sind sie noch furchtbarer. Loisel gelingt eine erbarmungslose Zuspitzung innerhalb einer Sequenz, eine Tragödie, die man als Leser gerne vorher abgewendet sehen möchte, aber der Szenenablauf treibt ungebrochen auf einen furchtbaren Tod zu, fast schon einen Mord, mit dem Krokodil als Waffe.
Loisel ist ein Meister darin, mit seinen Figuren Emotionen zu wecken und auch zu lenken. Zuneigung und Mitleid sind die Grundlagen, die er benötigt, um auch das Grauen wie eine Bombe platzen zu lassen. Das funktioniert über die Optik hervorragend, mittels eines geschickten erzählerischen Aufbaus packt es einen über die Maßen. In dieser geballten Form ist der Effekt aufs Gemüt noch stärker. Loisel hat aus den Figuren von Barrie noch ein paar wichtige Schichten herausgeschält und einige tolle Vergleiche zur Realität gezaubert. Denkanstöße könnte man sie nennen. Comic mit Tiefgang. Klassiker, jetzt schon! 🙂
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