Samstag, 28. März 2015
Sniper Alley! Kein wirklicher Straßenname, vielmehr eine kuriose Entwicklung innerhalb kriegerischer Auseinandersetzungen. Eine Verminung von Gelände mittels menschlicher Scharfschützen. Wer diese Allee passieren muss, riskiert sein Leben. Und Spirou bleibt keine Wahl. Er muss durch diesen Korridor, um sein Ziel zu erreichen. Dabei sollte der Krieg in Aswana mit dem Tod eines hochrangigen Militärs eigentlich beendet sein. Leider sich diese Neuigkeit noch nicht bis in den letzten Winkel Aswanas herumgesprochen.
Fabien Vehlmann (Szenario) und Yoann (Zeichner) beweisen einmal mehr ihren bitterbösen Humor. Eine Mixtur aus bekannten Elementen, dem Wiedersehen mit Figuren, an die man sich als Leser gerne erinnert und Anleihen aus einem etablierten Tagesgeschehen innerhalb des ausgehenden 20. Jahrhunderts und der Jahrhundertwende lassen Lesergefühle aufkommen, wie sie seit QRN ruft Bretzelburg nicht mehr oft zu spüren waren. Das Duo Vehlmann und Yoann legt mit Der Page der Sniper Alley stark nach, nachdem sie bereits mit In den Fängen der Viper ihren anarchistischen Witz in den Ring warfen. Hiermit trumpfen sie noch einmal auf.
Ein Auftrag aus dem Knast heraus. Don Contralto, einstiger Gangster und vor Jahrzehnten zu 634 Jahren Haft verurteilt, verfolgt im Gefängnis sei neues Hobby Archäologie und entdeckt von dort aus dank seiner intelligenten Schlussfolgerungen die Verstecke verloren geglaubter Schätze. Nur, wie kann es bei Vehlmann und Yoann anders sein, ist das Auffinden von Schätzen in der Realität weitaus schwieriger zu bewerkstelligen, als am Tisch einer Bibliothek in einer Haftanstalt. Nach einer kurzen Einleitung, irrwitzigen Parcours in besagter Sniper Alley findet sich der Leser in einem Szenario wieder, in dem sich Schatzgräberfantasien und Computerspiele die Hand reichen.
Aus irrwtzig wird so aberwitzig. Denn Vehlmann und Yoann machen auch vor der Figur des Spirou selbst nicht Halt. Der verärgerte Spirou muss wieder, in einem Kriegsgebiet, in seiner Pagenuniform unterwegs. Das heizt die Mordlust in der Sniper Alley noch weiter an. Das Wiedersehen mit Poppy Bronco (einer Figur aus Band 50), zahlreiche satirische Szenen mit den (wenig kompetenten) Militärs verhöhnt die angeblich sauberen Kriege, über die sich Spirou bei der Lektüre eines Zeitungsartikels schon im Vorfeld aufregt. Und die Schlussszene mit ihrer Konsequenz ist angesichts aktueller Ereignisse in höchstem Maße vernünftig.
Der Zeichenstil von Yoann ist ein bisschen Franquin, ein wenig Old School, sehr, sehr eigen und sehr, sehr ausdrucksstark. Wer den Seitenentwurf im Anhang in Augenschein nimmt, erkennt, wie viel Arbeit hinter den scheinbar zügig gezeichneten Szenen steckt. Trotz eines wilden und für das lesende Auge mühelosen Strichs hat der wahnwitzige Stil des Künstlers Methode.
Kleines Eichhörnchen ganz groß! Pips ist ein heimlicher Held. Immer an der Seite der großen Abenteurer hat Pips hier einen bedeutsamen Auftritt, in dem er einmal im Mittelpunkt ist und seine Leistungen herausstellen kann (Gut so!). Denn das, was Pips so leistet, ist, in seinen eigenen Worten, keine Feldmauskacke. Vehlmann und Yoann könnten den kleinen Kerl in der Zukunft öfters mit umfangreicheren und wichtigeren Auftritten versorgen. Wie vielfältig die Möglichkeiten dazu sind, haben sie hier bewiesen.
Die Rückkehr! Zunächst sind es nur kleine Auftritte, doch die wecken beim Stammleser bestimmt sofort die Lust auf Mehr. Gaston und das Marsupilami geben sich die Ehre. Die Rechte an diesen Figuren wechselten zu Dupuis, so dass die beiden wieder mit Spirou und Fantasio gemeinsame Abenteuer oder Episoden erleben dürfen.
Jawohl, so darf das im Verlauf der Serie weitergehen. Humor, bis der Arzt kommt, voller Spaß an der Pointe erzählt, erstklassig von Yoann in Szene gesetzt. Spirou und Fantasio sind so jung wie eh und je! 🙂
Spirou + Fantasio 52, Der Page der Sniper Alley: Bei Amazon bestellen
Mittwoch, 25. März 2015
Auf Kuba herrscht das Verbrechen, die Korruption. Das Land ist im Wandel. Ein paar Menschen wie Fidel Castro stellen sich dem Regime um Machthaber Bastita entgegen. Das Leben geht noch seinen gewohnten Gang in Havanna. Noch. Denn die Schlinge zieht sich langsam um jene zu, die nicht an einen Erfolg der Revolutionäre glauben. Bald schon lassen sich Batistas Soldaten von den unterlegenen Rebellen vorführen. Das organisierte Verbrechen sieht seine Möglichkeiten schwinden. Als eine größere Summe außer Landes in die Vereinigten Staaten gebracht werden soll, greifen andere zu und eine lange Jagd auf die Diebe beginnt.
Regis Hautiere schreibt über den Lebensabschnitt eines jungen Kubaners, der seine Gelegenheit ergreift. Der junge Mann namens Joaquin Lima handelt nicht gänzlich uneigennützig, sondern wird auch durch die Umstände in die Angelegenheit verwickelt, hinein getrieben. Familie und Liebe sind die anfänglichen Motivationen. Der daraus erwachsende Wunsch nach einem ganz anderen, einem neuen, in jedem Fall besseren Leben wird zur künftigen Triebfeder. Und je stärker diese drückt, desto eher ist Joaquin bereit, seine Chance mit allen Mitteln zu verteidigen.
Kann man glücklich sein, ohne es zu wissen? Es ist ein spannender Lebensabschnitt, voller Gefahren für das Leben, aber es kommt der Zeitpunkt, an dem sich Joaquin nicht nur darüber wundert, was das Leben mit ihm vorhat. Ausgerechnet seine Schutzbefohlene bringt ihm diese Idee nahe. Regis Hautiere liebt, nimmt man seine Publikationen in Augenschein, das Wandern zwischen verschiedensten Themen. Heraus stechen aber historische Themen, die es ihm besonders angetan haben. Hier hat er sich ganz der Schwarzen Serie verschrieben. Der Ausweg ist die Flucht nach vorn.
Die Hauptfigur Joaquin Lima bleibt seltsam ruhig und gefasst, überlegt, neigt nur selten zu Gefühlsausbrüchen. Welche Folgen unbedachtes Handeln haben kann, hat er am Tod des Bruders erfahren. Ihm gegenüber steht die weibliche Hauptfigur, nicht weniger jung als er, Elena (bzw. Livia), die ihre Benommenheit schnell ablegt und dann ihren Gefühlen folgt, gedankenlos oft, wie jemand, der etwas nachzuholen hat (was auch stimmt). Regis Hautiere lässt hier ein Duo aus Feuer und Wasser gemeinsam fliehen. Dem Leser ist binnen kurzem klar, dass eine solche Konstellation zwangsläufig furchtbare Konsequenzen haben muss. Aber das gehört zur Schwarzen Serie dazu, deren emotionale Grundhaltung Hautiere gekonnt einfängt.
Es schleicht sich nicht nur Mitgefühl für die Hauptfiguren ein. Auch das toll gesäte Misstrauen ist der Erzählkunst von Regis Hautiere zugute zu halten. Man schlägt sich schnell auf die Seite von Joaquin und möchte ihm bei mehrfacher Gelegenheit zurufen, diesem oder jenem Menschen nicht zu vertrauen, könnte dieser sich doch schon bald als Halunke entpuppen.
Philippe Berthet ist mit seiner klaren Linie, seinen wunderbar exakt gezeichneten Charakteren und Kulissen, spätestens seit Poison Ivy hierzulande bekannt. Sein Hang zu Pin-ups setzt sich auch in Perico fort. Mit der Figur der Livia liefert Berthet eine klassische Femme Fatale ab. So muss das Titelbild zunächst erschrecken, denn eine schöne Frau wird eigentlich nicht mit einer Blutfontäne in Verbindung gebracht. Und so tappt der Leser in die Femme-Fatale-Falle, die auch so manchem Gangsterdarsteller in der Schwarzen Serie zum Verhängnis wurde.
Eine düstere Geschichte, die mit sommerlicher Farbenfrohheit über die Ernsthaftigkeit und Dramatik kurz hinweg täuschen lässt. Gangsterballade und schöner Einblick in eine Wendezeit des letzten Jahrhunderts, gut vermischt mit einer ordentlichen Portion vergangenem Lebensgefühls. Berthet und Hautiere ist hier ein tiefgehender und erlebnisreicher Thriller-Comic gelungen. 🙂
Perico: Bei Amazon bestellen
Oder bei Schreiber und Leser.
Sonntag, 22. März 2015
Manche Orte sollen gemieden werden. Wenn solche Orte jedoch besucht werden müssen, um das Leben eines geliebten Wesens zu retten, welche Wahl bleibt einem dann? Nävis stellt sich diese Frage nicht einmal. Und sie hat dafür eine schlichte Begründung, die kaum einfacher als in einem einzigen Satz ausgedrückt werden kann. Selbst Nisob, der Roboter, der auf sie aufpasst und sich oft mit ihrer Halsstarrigkeit auseinanderzusetzen hat, kann nicht dagegen argumentieren. In Begleitung der kleinen sprechenden Raubkatze Houyo machen sie sich auf den gefahrvollen Weg zu einem Raumschiffwrack. Hier könnten noch die Hilfsmittel zu finden sein, um Nisob zu helfen. Doch kaum haben sie das Wrack betreten, werden sie auch schon gejagt.
Haben Sie noch Energie? Eine kleine Frage kann dem Grauen vorangehen. In diesem Fall befolgt eine Robotereinheit nicht mehr ihren grundlegenden Gesetzen, sondern ist nur noch an der eigenen Erhaltung interessiert. Ein Roboter braucht Energie. Dieser geht dafür über Leichen. Das Comic-Trio aus Jean David Morvan, Jose Luis Munuera und Philippe Buchet mischt ein kleines Kind, einen Wildfang von Haustier mit einer knallharten und erbarmungslosen Kreatur, die dem FilmVirus entsprungen sein könnte.
Morvan, Munuera und Buchet haben sich an ein offensichtlich leichteres Szenario gesetzt. Vorahnungen führen zu einer Rettungsaktion, die jegliche düstere Vorschau weit übertrifft und um ein Vielfaches gefährlicher ist. Die Abenteuer der jungen Nävis sind kindgerechter erzählt, drücken an ein paar Stellen passend auf die Tränendrüse, sind schnell wie flotte Trickfilmpassagen aus gängigen Animes und besitzen ausreichend ruhige Momente, damit sich das Dreiergespann aus Nävis, Houyo und Nisob im Rahmen der Reihe weiterentwickeln kann. Dadurch wird die Charakterisierung der späteren, erwachsenen Variante sogar noch ein wenig deutlicher und runder.
Der fremde Roboter ist eine wandelbare Kreatur und macht seinen Erschaffern viel Arbeit. Da er sich entwickelt, den Situationen anpasst, auf seine Art wächst, braucht Zeichner Jose Luis Munuera nicht jede Schraube, jedes Scharnier an der selben Stelle wie zuvor zu gestalten. Bei einer Gestalt wie dieser würde jede neue Zeichnung in einer Sisyphosarbeit ausarten. Auch so ist Munuera eine dämonische Robotergestalt gelungen, die ebenfalls (wie in erwähntem Virus) einer ernsthafteren Geschicht gut zu Gesicht stehen würde. Die scheinbar wüst zusammengesetzten Elemente dieses metallenen Monsters wirken feingliedrig, scharfkantig, wie ein mechanisches Frankensteinmonster, dem bei aller Stahloberfläche noch eine irrsinnige Mimik gelingt.
Kleine Grafiktricks peppen die Bilder auf. Einerseits erinnern Punktraster in Schattierungen an die gute alte, nicht so lang vergangene Zeit, als dergleichen noch mittels Folien am Zeichentisch eingezogen wurden. Andererseits ist der Wechsels des Farbauftrags zwischen Realsequenzen und Traumphasen sehr reizvoll und schön anzuschauen. Gerade in den Szenen, in denen der Leser Nävis auf Traumabenteuern folgen darf, sind die Farben einem aquarellartigen Auftrag nachempfunden. Die Kolorierung von Christian Lerolle gibt den ohnehin sehr fein gezeichneten und getuschten Bildern von Munuera noch mehr Zerbrechlichkeit, ein Stück mehr optische Anziehungskraft.
Ein grafisch sehr reizvolles Wechselspiel aus Handlung in freier Wildbahn und der düsteren, zuweilen engen Atmosphäre in einem zerstörten Raumschiff. Sehr strikt erzählt, aber nicht ohne die eine oder andere Überraschung zu vergessen. Eine schöne Fortsetzung der Serie. 🙂
Nävis 4, Haben Sie noch Energie?: Bei Amazon bestellen
Montag, 16. März 2015
Die Frau von heute hat es schon schwer genug. Der Job als Polizistin macht es nicht leichter und einen Bruder zu haben, der sich in größten Schwierigkeiten bringen kann, erhöht den Druck um ein Vielfaches. Schwierigkeiten bedeutet nichts Geringeres, als um das eigene Leben fürchten zu müssen. Ganz nebenbei muss auch Rubine sich selbst aus der Schusslinie bringen. Und warum das Ganze? Rubines Bruder Jay ist ein Computerhacker, der auch ganz gerne mit seinen Erfolgen prahlt. Das mag kein direkter Fehler sein, es sei denn, man kokettiert vor der Fernsehkamera mit den Ergebnissen einer eher halbseidenen Erfolgsgeschichte. Denn kurz darauf haben sich Killer auf seine Spur geheftet.
Die drei Kriminalfälle Hackerjagd, Fenster zur Straße und Der zweite Zeuge bilden den Auftakt zum ersten Band der Gesamtausgabe von RUBINE. Die Comicreihe über die Polizistin mit der flammendroten Haarmähne aus Chicago gibt sich optisch cartoony, geht aber in Sachen kriminaler Aufklärung so hart zur Sache, wie es der Genre-Fan aus Serien wie Miami Vice oder den Straßen von San Francisco, vielleicht auch Die Lady mit dem Colt her kennt. Dabei besitzt die Action einen Belmondo-Charme und erinnert optisch an Stilistiken, wie sie andererseits der Comic-Fan von Serien wie Natascha her bekannt sein können.
Gleich die zweite Folge, Fenster zur Straße beginnt mit einem Attentatsversuch. Der Anschlag geht gründlich daneben. Fast fühlt man sich als Cineast an Komödien wie den Klassiker Die Filzlaus erinnert. Kaum ist diese schöne Sequenz vorüber, darf der Leser sich an der Seite von RUBINE auf vertrautem Gelände tummeln. Als Resultat setzt sich eine Kette von Ereignissen in Gang, an deren Ende eine Menge Fahrzeugschrott steht. In dieser Geschichte treffen sich Action und die bewährte Ermittlungsarbeit. RUBINE lässt es feinfühlig angehen, wie in Befragungen alter Damen, wird aber reaktionsschnell, wenn das eigene, oder, weitaus öfter, fremde Leben bedroht sind.
Was sich bereits im zweiten Abenteuer zeigte, setzt sich mit Folge 3, Der zweite Zeuge fort. Die Grafik wird feiner, was sicherlich nicht an den schönen Arbeitsskizzen im Vorfeld liegt (von denen sich der Leser auf den ersten beiden Seiten überzeugen kann). Mehr Feinheit bringt mehr Atmosphäre, mehr Lokalkolorit des amerikanischen Straßenbildes. Hierbei zeigt sich, dass Chicago, die einstige Heimstatt von Al Capone, mehr zu bieten hat, als nur finstere Straßenschluchten. An Rubines Seite geht es auch in die Vororte, die Gegenden der betuchteren Mitbürger, denn schließlich steht auch nichts weniger als die Überprüfung eines Ferraris auf dem Plan.
Schöne Frauen haben es auch nicht leicht. Besonders dann nicht, wenn Killer auf dergleichen Äußerlichkeiten keinerlei Wert legen und dies sogar mit Handgranaten unter Beweis stellen. Nachdem RUBINE in der zweiten Folge eher die Jägerin war, wird sie nun als Beschützerin zur Gejagten. Ihre Schutzbefohlene, nicht weniger gutaussehend, aber offensichtlich weitaus unerfahrener in kriminellen Angelegenheiten, stellt Rubine auf eine arge Geduldsprobe. Das ist auf langer Strecke wieder humorvoller als in der Geschichte zuvor. Im Finale verzichtet Mythic, der Autor, auf den Spaß und wird wieder todernst.
Schöne Krimis, gelungen amerikanisch, wie es der Genre-Fan bei dieser Lokalität erwarten darf, mit einer tough auftretenden modernen Polizistin, die es auch gerne mal mit Begeisterung krachen lässt, im wahrsten Sinne des Wortes. 🙂
RUBINE, Gesamtausgabe 1, Zeugenjagd: Bei Amazon bestellen
Samstag, 14. März 2015
Peter hat zu Ehren des Pan einen neuen Nachnamen angenommen. Peter hat nicht helfen können und macht sich die größten Vorwürfe. An anderer Stelle will er Versprechen einlösen. Von der fernen Insel zurück im gruseligen London trifft er die Kinder wieder, die sich voller Hoffnung seine Abenteuer anhören und denen er ein ungeheures, einmaliges Angebot macht. Käpt’n Hook und seine Piraten haben weitaus weniger Gewissensbisse. Eigentlich gar keine. Der Kapitän sieht seinen Schatz als verloren an und verlangt Rache. Natürlich sollen ihm seine Mannen auf seinem Feldzug folgen, der nur ein Ziel hat: Peter Pan. Der Junge hat die Balance des Lebens auf und um die Insel herum zerstört. Schmach und Schande brachte er persönlich über den Kapitän. Käpt’n Hook kennt dafür nur eine Strafe: den Tod.
Loisels Werk, frei nach den Charakteren von Sir James Matthew Barrie, ist hiermit in neuer Auflage einmal mehr vollendet. Der Junge Peter Pan, auf seine Art ein Inbegriff von Freiheit, Rebellion, hat seine Heimat gefunden. Und er verteidigt diese mit all den Freunden, die er nun dort hat. Doch Gewalt lehrt Gewalt und so hat Peter Pan, nach einigen Schicksalsschlägen, gelernt, wie er nicht nur überleben, sondern auch noch zurückschlagen kann.
Besonders in der 2. Gesamtausgabe ist Kapitän Hook ein bemerkenswerter Charakter. Vollkommen egozentrisch, in höchstem Maße selbstverliebt, äußerlich gar nicht einmal der klassische Schlächter, aber immerhin ein vollkommener Psychopath, Allerdings besitzt er dank Loisel auch eine kindliche Note, die einen Matrosen und Lakaien wie Brummer väterlich (und ihn fürchtend) an ihn bindet. Wer auch nur einmal vage in die Welt der Kinderbücher hineingeschnuppert hat, wird von Kapitän Hook gehört haben, dem Mann, der wie ein großes gemeines Kind den fürchterlichen Haken schwang und allen Bewohnern der kleinen Insel das Fürchten lehrte.
Die Sache mit dem Haken und dem Wecker. Die Sache mit dem Haken ist durchaus brutal zu nennen. Für den Kapitän, dem in der Geschichte große Aufmerksamkeit zufällt, ist sie kaum überraschend. Loisels Inszenierung des Verlusts dieses Körperteils entbehrt nicht einer gewissen grauenhaften Komik, aber so sehr die Feinde des Kapitäns auch lachen, furchtbar ist es allemal. Und so folgt die Hand dem Wecker, den das Krokodil schon zuvor schluckte, weil es schlichtweg alles schluckt. Dank Brummer. Welche Ironie! Loisel gelingt das Kunststück, die Rachegedanken des Kapitäns glaubhaft zu machen, mit Tiefe zu versehen. Als Erwachsener mit kindlichem Gemüt fällt ihm die Beherrschung sehr viel schwerer als seinen kindlichen Widersachern.
Und Loisel lässt auch diese nicht ungeschoren davonkommen. Denn das Miteinander der verschiedenen Kreaturen auf der Insel ist nicht grundsätzlich paradiesisch. Glöckchen, dank der Interpretation durch das Hause Disney als putziges geflügeltes Dingelchen bekannt, entwickelt in der Version von Loisel noch ganz andere Seiten: Eifersucht. Von Loisel als properes Mädel mit Libellenflügeln und knapper Bekleidung gezeichnet, ist sein Glöckchen außerdem mit einer Boshaftigkeit und Heimtücke ausgestattet, die der Leser so nicht vermuten konnte.
Die Eifersucht war kein Geheimnis, ihre Leidenschaft für den Jungen Peter nicht zu übersehen, die Auswüchse hingegen sind ebenso grauenhaft, wie Peters Rache an dem Kapitän. Eigentlich sind sie noch furchtbarer. Loisel gelingt eine erbarmungslose Zuspitzung innerhalb einer Sequenz, eine Tragödie, die man als Leser gerne vorher abgewendet sehen möchte, aber der Szenenablauf treibt ungebrochen auf einen furchtbaren Tod zu, fast schon einen Mord, mit dem Krokodil als Waffe.
Loisel ist ein Meister darin, mit seinen Figuren Emotionen zu wecken und auch zu lenken. Zuneigung und Mitleid sind die Grundlagen, die er benötigt, um auch das Grauen wie eine Bombe platzen zu lassen. Das funktioniert über die Optik hervorragend, mittels eines geschickten erzählerischen Aufbaus packt es einen über die Maßen. In dieser geballten Form ist der Effekt aufs Gemüt noch stärker. Loisel hat aus den Figuren von Barrie noch ein paar wichtige Schichten herausgeschält und einige tolle Vergleiche zur Realität gezaubert. Denkanstöße könnte man sie nennen. Comic mit Tiefgang. Klassiker, jetzt schon! 🙂
Peter Pan Gesamtausgabe 2: Bei Amazon bestellen
Sonntag, 08. März 2015
Einige finden sich mit ihrer neuen Lebenssituation ab. Andere hadern mit ihr. Die kleine Jordan war einst, vor ihrem Tod, ein Vorzeigekind. Nun ist sie von einer finsteren Last geplagt. Jemand ruft sie. Martha ist älter, erwachsen. Sie hat es selbst erlebt, wie es ist, von den Toten zurück zu kehren. Sie weiß, wie sich das anfühlt. Sie will Jordan vor dem Unbekannten um jeden Preis beschützen. Aber wie beschützt man jemanden, der gar nicht beschützt werden will? Die Aufgabe ist schwierig, wenn sich Jordan sogar energisch wehrt und jener, der zuvor unerkannt rief, plötzlich Gestalt annimmt und zum Verfolger wird.
Das Phänomen amerikanische Kleinstadt. Es hat die amerikanische Literatur beschäftigt, Stephen King spielte damit und Tim Seeley ließ seine Cassie Hack schon mehrmals in die Untiefen der amerikanischen Seele abtauchen, in der Provinz, wo Fuchs, Hase und nun auch Tod sich Gute Nacht sagen. Inzwischen hat die Regierung eingegriffen. Nicht konforme Erweckte werden eingesammelt. Dies dient natürlich der Sicherheit der Mehrheit in der Stadt, andererseits sind ins Leben zurückgekehrte Subjekte von wissenschaftlichem Interesse, der eine mehr, der andere weniger.
Auf der Suche nach Normalität. Verglichen mit Tim Seeleys anderer Erfolgsserie, Hack/Slash, ist REVIVAL viel ernster und durchleuchtet seine Charaktere viel genauer. Hier entsteht der Horror aus der Aneinanderreihung zahlreicher kleiner Geschehen. Fast fühlt man sich an eine Abfolge von Dominoereignissen erinnert. Die Wiederkehr der Toten hat diese umfallende Kette in Bewegung gesetzt und bei allen Bemühungen der kleinstädtischen Bewohner gelingt es nicht, dieses Umfallen zu unterbrechen. Die Normalität des Lebens, so gemäßigt und auch langweilig sie vorher auch gewesen sein mag, ist nun erstrebenswert und doch unendlich weit entfernt.
Mike Norton fängt die Normalität dieser kleinen überschaubaren Gemeinschaft grafisch perfekt ein, weshalb die Ausbrüche aus dieser sehr eigen gewachsenen Ordnung umso drastischer ausfällt. Am schlimmsten sind wohl die Verletzungen, die sich die Erweckten selbst zufügen, aber auch die Folgen, die Hinweise, Beweise und Indizien, die nur mittels eines Bildes beschreiben, was geschehen sein muss, stellen für den Leser eine Herausforderung dar. Auch die Gegensätzlichkeit der Szenen fallen wie auf einer gruseligen Waage ins Gewicht. Werden einerseits von den Sicherheitskräften noch Leichenteile sortiert, versucht man andernorts wieder am Leben teilzunehmen, Stichwort Normalität, und bricht ins erste Date seit langem auf.
Kindermund tut Wahrheit kund. Die kleine Jordan ist nicht die einzige, die optisch auffällig dazu benutzt wird, um Licht ins Dunkel der Rätsel zu bringen. Das andere Kind ist Cooper, ein Junge, der nicht wiedererweckt wurde und nicht in düstere Selbstzweifel verfällt, sondern ein normales Kind mit einem normalen Blick auf die Geschehnisse. Dabei wird deutlich, wie sehr die Kinder das Szenario begriffen haben, in dem sie nun gezwungen sind zu leben. Cooper zeichnet seine Erfahrungen. Wenn in üblicher Kinderzeichnungsmanier seine Tante Martha mit einer Sense auf die Bösen losgeht, braucht es keine weiteren Erklärungen durch Off-Texte seitens Tim Seeleys.
Die Titelbilder von Jenny Frison und ihren Kollegen. besitzen einen melancholischen Ausdruck, sind technisch für diesen Zweck eindrucksvoll und weisen einen höheren Realismusgrad als die Zeichnungen von Mike Norton auf. Frisons Bilder können auch ohne die Serie bestehen, geben die Vorlage für eine Geschichte im Kopf und besitzen durch ihre Motive eine feine Wandgemäldequalität. Ein Bild, nicht von Frison, viel verspielter, zeigt Cooper im Spiel mit einem der Geistwesen. Während Cooper sich als Spielfigur Skeletor ausgesucht hat, verteidigt sich das Wesen mit der Figur von Darth Vader. Bestehende Popkultur findet Eingang in neue Popkultur.
Mysteriös, unheimlich geht REVIVAL in die dritte Runde. Tim Seeley spielt gekonnt mit der Regenerationsfähigkeit der erweckten Akteure. Je mehr heilt, desto größer wird der innere Leidensdruck der einzelnen Charaktere. Der Wahnsinn schleicht nicht nur, mitunter rennt er auch mit dem Kopf gegen die Wand. Horror im Stile von Stephen King, ein besseres Kompliment kann es in diesem Genre kaum geben. 🙂
REVIVAL 3, Ein ferner Ort: Bei Amazon bestellen
Freitag, 06. März 2015
In einer Soap-Opera als Schauspieler zu arbeiten, bedeutet nicht gerade das Leben auf der Überholspur. Diese Erfahrung muss auch Alana machen, die zwar eine gute Rolle ergattert hat, aber bald mit dem Stress nicht mehr so fertig wird, wie sie es gerne hätte. Eine ihrer Kolleginnen hat ein Mittel zur Entspannung parat. Marko, der Mann in ihrer kleinen Familie, ist weiterhin untergetaucht, hält sich versteckt vor den Verfolgern, die mit der kleinen Familie, die so nicht existieren darf, kurzen Prozess machen würde. Doch das Verhältnis zwischen Marko und Alana ist belastet. Zunehmend entfremden sie sich. Die kleine Hazel, die die Geschichte ihrer Familie erzählt, fehlen schließlich die Worte.
Liebe in den Zeiten der Soap Opera. Nicht nur das Ehepaar, das es nicht geben dürfte, und ihre kleine Tochter haben ein Problem mit dem täglichen Leben. Im Haus von Prinz IV gärt es, denn die Geburt seines Sohnes hat er in einem Freudenhaus verpasst und selbst Tage später sitzt er seinen Rausch in der Obhut der Prostituierten aus. Als er wieder klar in seinem viereckigen Kopf ist, bricht auch sogleich wieder der Jähzorn durch, der ihn schon häufiger angetrieben hat.
Brian K. Vaughn und Fiona Staples sind Zauberer. Nennen wir einmal nicht die ganzen Preise, die die Serie bereits eingeheimst hat, und gehen der Sache auf den Grund. SAGA hat das Quäntchen Anarchie, es hat viel Humor, es eine Spur der Science-Fiction-Epen, die im Strudel von Star Wars folgten. Star Crash, das alte Battlestar Galactica oder Buck Rogers sind treffende Beispiele im Plastik-Look, den SAGA sehr gut trifft. Es finden sich Elemente von Barbarella, vom Comic wie auch von der späteren Verfilmung. SAGA vermittelt dem älteren Leser eine Retrogefühl, für den jüngeren Leser wird es wieder etwas Neues sein, da sich lange niemand derartig an eine Space-Opera herangewagt hat.
Kindesentführung. Eines der schwersten Vergehen, auch hier in SAGA. Die beiden Comic-Macher nutzen die Gelegenheit zu einer spannenden Hatz, aber auch dazu, um verschiedene Epochen deutlich zu machen. Das Robotervolk ist nämlich nicht nur von Hightechwesen bevölkert, die in ihrem Monarchen ihre Krone der Schöpfung finden. Anstelle eines gewöhnlichen Kopfes sind diese Wesen mit einem Monitor ausgestattet. Das Staatsoberhaupt ist mit einem Haupt gesegnet, das nicht zufällig an einen der neuesten Flachbildschirme erinnert. Da kann selbst Prinz Robot IV nicht mithalten. Aber noch weniger das gemeine Volk.
Denn jene, die einfachste Arbeiten ausführen und am untersten Ende der Karriereleiter rangieren, tragen nicht nur altmodische Monitore mit Drehschaltern auf den Hälsen, ihre angezeigten Bilder werden auch in Schwarzweiß ausgestrahlt. Brian K. Vaughn schlägt auf elegante Weise die Brücke zwischen uralten Science-Fiction-Geschichten, Pulp aus den Anfangstagen des Genres, bis in die Gegenwart, die Klicki-Bunti-Plastikzeit und offenbart, wie wenig sich im Sinne der Unterhaltung im Kern geändert hat. Nur an den Rändern findet sich Neues, neue Interpretationen, neue Ideen, die aus den Zeichen der jeweiligen Zeit entspringen.
Sex sells. Aber eben nicht immer. Und früher schon gar nicht. Jemandem, der sich in einer wichtigen Mission wähnt, dergleichen Mittel zur Überbringung seiner Botschaft aufschwatzen zu wollen, ist selbstmörderisch kurzsichtig. Brian K. Vaughn nimmt die Mechanismen menschlicher Unterhaltung, ihre Methoden und pseudopsychologischen Regeln genüsslich auseinander, zögert aber auch nicht, sie selbst anzuwenden. Das ist dank Fiona Staples auch optisch doppelzüngig und gemein, aber stets mit einem Augenzwinkern.
Eine feine Fortsetzung, die natürlich wieder für einen Wendepunkt sorgt, unvorhersehbar und etwas vernachlässigte Charaktere erneut ins Visier nimmt. Satirisch fies. Herzlich gezeichnet von Fiona Staples. 🙂
SAGA 4: Bei Amazon bestellen
Mittwoch, 04. März 2015
Don Donaldos Di Duckos hatte am Fechten kein Interesse. Viel lieber beschäftigte er sich mit dem Reimen und Dichten, schmachtete er die liebliche Daisetta an. Alles wäre gut gewesen, hätten die Umstände nicht dafür gesorgt, dass sein Onkel Don Dagojandro Berto Y Duckos andere Pläne für den Neffen gehabt hätte. Denn Don Dagojandro sah in Don Donaldos eine billige Arbeitskraft, einen Aufpasser für seine Pistazienplantagen. Und Aufpasser waren in diesen gefährlichen Zeiten bitter nötig, denn die Los Knackos Panzeros trieben ungeniert ihr Unwesen und standen sich auch noch mit Vertretern des Gesetzes auf allzu gutem Fuß.
Zorro in Los Enteles. Mit der ständigen Gefahr vor Augen fiel dem einfachen Volk das Eingreifen einer schwarz gewandeten Gestalt namens Zorro umso positiver auf. Aber Zorro hatte ein Problem und brauchte bald einen Ersatzmann. Kein Geringerer als Don Donaldos hatte die Ehre in die Maske des Rächers mit Maske und Degen zu schlüpfen. Und schließlich wird aus dem Dichter tatsächlich so etwas wie ein Held …
Die klassischen Disney-Figuren im ebenso klassischen Gewand, zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Kostümen, auf unterschiedlichsten Missionen. Die Ideenvielfalt der italienischen Disney-Schmiede schickt den Leser quer durch die Jahrhunderte, mit der Zeitmaschine zu großen Malern, die davon träumen, große Köche zu sein. So mancher Bekannte wird hier in fremde Rollen gesteckt, aber auch reale Helden wie Micky und Goofy sind gezwungen, neue Identitäten anzunehmen und treten als sangeskräftige Mariachis auf.
Gemäß den Horrorthrillerszenarios, derer sich schon Geschichten für ein erwachsenes Publikum bedient haben, geraten Micky und Goofy in die verzwickte Lage in einem abgelegenen südamerikanischen Landstrich plötzlich ohne Papiere dazustehen. Aufgrund eines Missverständnisses fliehen die beiden Freunde, so schnell sie nur können. Es ist ein Abenteuer, Die zwei Mariachi, wie es an die Verwicklungen in Drei Amigos erinnert und so tragend, so dass zwei Fortsetzungen, nämlich Die Rückkehr der Mariachi und Das Geheimnis der Oboe, an dem selben Schauplatz stattfinden.
Flair der Klassik. Dynamisch und mit viel Kenntnis klassischer Komödien erzählen Nino Russo (Autor) und Francesco Guerrini (Zeichner) die Titelgeschichte, deren theatralischer Aufbau auch an die alten Tage eines im Schwarzweißfilm auftretenden Douglas Fairbanks erinnert. In weniger modernen Linien zeichnet Giovan Batista Carpi Donald Duck in Der Held der Arena. Zeitweilig lässt sich annehmen, Autor Guido Martina verbeugt sich hier auch vor Ferdinand, dem Stier, der lieber an Blumen roch, als zu kämpfen. Alte Liebe rostet nicht, heißt es in der letzten Geschichte, extra lang, von Giulio Chierchini in zerbrechlichen Linien dargestellt. Er und Edoardo Segantini schrieben die Handlung, die auch darauf achtet, die Charaktere nicht so weit von ihren üblichen Rollenverteilungen zu entfernen.
Tragende Komödianten. Goofy, der besonders in den erwähnten Mariachi-Geschichten, aber auch als Musketier hervorsticht, spielt den weitaus ernsteren Micky locker an Wand, will man die beiden als Schauspieler sehen. Er ist nicht der Galan wie Micky, nicht so beherrscht, dafür trägt er das Herz auf der Zunge und seine Naivität in Sachen Romantik und Spaß bringt die gemeinsamen Geschichten voran. Donald Duck ist, sobald er auftritt und loslegen darf, eine Urgewalt in Sachen Komik. Ob als der erwähnte Zorro, als Stierkämpfer, als Mann, der einfach das Glück in London sucht oder als Minnesänger. Diese beiden besitzen, so sie nicht von anderen Charakteren in Nebenrollen gedrängt werden, die meiste Tiefe.
Insgesamt steht unter der Strich eine Sammlung von Geschichten, die einer langen Reihe von spannenden und spaßigen Abenteuer folgen und heute unter die Kategorien Comedy und Slapstick fallen. Und sie taten es, lange bevor dergleichen Begriffe ein Genre näher bezeichneten.
Ein praller Lesespaß. Schon lange treiben sich Disneys Charaktere in anderen Epochen und Szenarien herum und es ist hier wie stets ein Vergnügen, sie dabei zu beobachten, wie sie mit Mantel und Degen, Pluderhosen und Rüschen auftreten und eine gute Figur machen. Empfehlenswert für Alt und Jung. 🙂
Enthologien 24, Don Zorro, Im Zeichen der Ente: Bei Amazon bestellen