Eine seltsame Frau irrt durch den Wald, hinaus auf die Landstraße. Ihre Stirn blutet, ein weißes Bettlaken verhüllt notdürftig den bloßen Körper. Sie hat keine Ahnung mehr, wer sie ist, noch woher sie gerade kommt, aber sie übt eine merkwürdige Macht über die Männer in ihrer Umgebung aus. Ausgerechnet ein Musiker findet sie. Da er um die Existenz seiner Band fürchtet, ist er zum Bankräuber geworden. Der Coup war erfolgreich, die Begegnung mit dieser Fremden jedoch war nicht eingeplant. Lance fühlt außerdem eine Zuneigung, eine Begierde wachsen, die in seinem direkten Umfeld alles nur noch kompliziert.
Polizei ist nicht gleich Polizei. Zwar unterscheidet sich der ermittelnde Beamte in Sachen Hartnäckigkeit und Professionalität nicht von seinen Kollegen, nur sind seine Zielsetzungen ungleich gefährlicher und ganz und gar nicht auf Seiten des Gesetzes. Die junge Frau, die nicht nur Verwirrung innerhalb der kleinen Band stiftet und lernt, sich mit dem Namen Jane Doe anzufreunden, hat sehr bald andere, wichtigere Probleme als ihre abhanden gekommene Identität.
Ed Brubaker (Autor) und Sean Phillips (Zeichner) sind das Dreamteam des düsteren Comics. Gerade zu Brubakers Markenzeichen ist die Vermischung eines Crime Noir mit anderen, zugkräftigeren Elementen geworden. In Sleeper paarte er das Superheldengenre mit dem Thriller. In Gotham Central widmete sich der Kulisse vieler Batman-Abenteuer von der normalen Polizeisicht her. Hier, in FATALE, beschert er der Mystery eine weitere Facette und nimmt dabei einen ungewöhnlichen Weg.
Ohne die vorhergehenden Bände kennen zu müssen, taucht der Leser in einen dunklen Thriller ein, der sich erst nach und nach atmosphärisch mit Geschichten von Edgar Allen Poe vergleichen lässt. In die Neuzeit transportiert entstehen immer weitere unheimliche Situationen, die von keinem der Beteiligten zu erklären sind. Sicher ist nur eines: Jane Doe ist zweifellos der Auslöser für das irrationale Verhalten der Männer um sie herum. Neuzeitlicher als Poe formuliert: Scully und Mulder könnten gleich auf der nächsten Seite um die Ecke kommen.
Sean Phillips hat sich als Zeichner etabliert, der mit skizzenhaften Strichen Charaktere mit Ecken und Kanten aufs Papier zaubern kann. Wenige Innenlinien bestimmen die Gesichter, Schatten werden stilsicher fett gesetzt, manchmal wie die Kriegsbemalung von Footballspielern. Und der Vergleich passt, denn Phillips, der bereits mit Brubaker an Sleeper arbeitete, schickt die von seinem Autorenkollegen kreierten Figuren über kurz oder lang in den Krieg. Hier verläuft er nur leiser, heimlicher, es ist ein Kampf hinter den Kulissen und nicht immer wird er mit Waffen ausgefochten, verletzen soll er indes immer.
Sean Phillips hat einen europäischen Zeichenstil, der auch hierzulande in den Augen von Graphic-Novel-Lesern Gefallen finden dürfte. Seine Bilder erinnern an Momentaufnahmen, Grafiken, die versuchen, den intensivsten Augenblick einer Szene einzufangen. Die Kombination einer Bilderfolge, besonders solche, die einen mysteriösen Abschnitt beschreiben, gerät in den meisten Fällen sehr dicht. Diese Sequenzen sind es auch, die nicht selten verstörend wirken, denn nicht nur für die Akteure ist der Ausgang einer derartigen Wendung rätselhaft. Der Leser muss sich mit dem Gefühl begnügen, eine Lösung des Ganzen ist noch nicht in Sicht.
Ein intensives Comic-Erlebnis, dessen Thriller-Atmosphäre bald in eine moderne Mystery-Geschichte umschlägt. Vom versierten und über viele Jahre erfahrenen Comic-Duo Brubaker und Phillips zu Papier gebracht. Düster und spannend über die gesamte Strecke. 🙂
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