1946. Der Zweite Weltkrieg ist vorüber, doch die Geister des Krieges treiben sich immer noch in den Straßen von Brüssel herum. Jeder hat seine ganz eigenen Erinnerungen. Spirou, den das schlechte Gewissen plagt, sucht immer öfter Trost im Alkohol. Eines Tages reißt sein Glücksfaden endgültig. Als er Colonel van Praag eine Flasche Whisky auf das Zimmer bringen soll, bedient sich Spirou erst einmal selbst großzügig. Der Colonel reagiert zunächst nicht auf Spirous Klopfen. Kein Wunder, kämpft der alte Haudegen doch soeben mit einer Angreiferin auf Leben und Tod. Die Leopardenfrau ist zu Besuch gekommen.
Yann und Olivier Schwartz haben bereits einmal mit einem Album zu SPIROU + FANTASIO von sich reden gemacht. OPERATION FLEDERMAUS hieß seinerzeit das Abenteuer, das den Leser in die letzten Kriegstage ins von Deutschland besetzte Belgien entführte. Bereits hier wie dort mischten Yann und Olivier Schwartz Humor mit Tragik, überspitzten und schockierten gleichzeitig mit Realismus. Dieser Spirou fühlte sich echter als seine Alter Egos an. Bezeichnend ist die Trunksucht, die für eine Comicfigur, die sich ansonsten eher mit heiteren Themen befasst, ein seltenes Beiwerk ist.
Die Erscheinungen von Audrey, der jungen Frau, deren Deportation Spirou nicht verhindern konnte, sind ein weiteres Merkmal für die Ernsthaftigkeit, die mal unterschwellig, mal greifbarer ist. Deutlich fantastischer ist nicht nur der Auftritt der Leopardenfrau selbst, sondern auch der gorillaartigen Roboter, die der Leser schon auf dem Titelbild begutachten darf. Nimmt man noch einen feinen Fantasio hinzu, in einer Mixtur aus Journalist und zerstreutem Erfinder. Denn sein aus der Not geborenes Kriegsauto, eine Abwandlung eines Citroen Traction Avant in mutiger Lackierung und auf Ersatztreibstoff ausgelegt, brauchte schon einen erfinderischen Geist, um zu entstehen.
Natürlich gibt es auch Anleihen am klassischen Spirou, der sich optisch in Fahrzeugen wie dem Wal, einem Automobil wie aus dem Design-Handbuch, ausdrückt und der im Jahre 1946 ganz besonders futuristisch ausschaut, aber aus heutiger Sicht technisch machbar scheint. Vor der Optik, für die der Wal ein prägnantes Beispiel ist, rückt die eigentliche Geschichte, satt angereichert mit Mysteriösem und Geheimdienstatmosphäre, fast in den Hintergrund. Aber so lohnt es sich auf jeden Fall, Die Leopardenfrau gleich nach der ersten Lektüre wieder zur Hand zu nehmen.
Ein grafisches Zuckerstückchen. Das Brüsseler Nachtleben und das Innenleben des Hotels, in dem Spirou arbeitet, haben optisch schon einiges zu bieten. Noch schöner, auch humorvoller, wird es mit der Verlagerung der Handlung nach Paris. Denn hier kommt zum Tragen, was auch Fantasio bereits früh beschäftigt: In einem Bistro findet eine wunderbare Begegnung mit Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir statt. In deren Folge hat Simone de Beauvoir eine Erleuchtung, zu einem klassischen Titel hinführend, der sicherlich auch durch die aberwitzigen Szenen von Yann und Olivier Schwartz angestachelt wird. Natürlich nur in dieser Comic-Realität. Der tatsächliche Weg zur Idee wird ganz anders gewesen sein.
Neben der Grafik weiß gerade diese Sequenz auch durch ihren Wortwitz zu begeistern. Wenn afrikanische Traditionen und Lebensweisheiten auf europäische, sehr weibliche Interessen treffen, sich die Philosophie des Existenzialismus ganz nebenbei Gehör zu schaffen versucht, selbstverständlich an echter Lebensweisheit und weiblicher Intuition scheitern muss, dann bleibt aus Spaß kein Auge trocken.
Mit einem Wort: Genial. Die beiden Comic-Künstler Yann und Olivier Schwartz entwickeln sich zu einem Duo, das es auch verdient gehabt hätte, die Hauptserie in Angriff zu nehmen. Hier geben sich Einfallsreichtum, Detailverleibtheit und (ganz wichtig!) Originalität die Hand. Man darf auf die abschließende Fortsetzung zu DIE LEOPARDENFRAU sehr gespannt sein. 🙂
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