Dienstag, 25. November 2014
Peter hat es in seinen jungen Jahren sehr schwer. Für die einfachen Leute in den Straßen Londons fehlt es an Nahrung und Geld. Verzweiflung wird im Alkohol ersäuft. Bezahlt wird oft mit dem eigenen Körper. Viele haben sich aufgegeben. Aber Peter hat sich in dieser Umgebung einen Funken Hoffnung bewahrt. Diese wird eines Tages auf besondere Weise bekohnt. Eine kleine Fee, sprachlos und halb nackt, kaum größer als eine Hand, fliegt nicht nur um Peter herum, er rettet sie auch noch vor der hungrigen Eule Bubu. Zum Dank, und weil sie ihn sympathisch findet, verleiht sie ihm die Gabe zu fliegen. Aus dem Kennenlernen wird ein Ausflug, den Peter niemals mehr vergessen wird.
Wie kam Peter Pan ins Nimmerland? Was hat es mit all den kleinen Besonderheiten auf sich? Dem Krokodil? Der fehlenden Hand von Kapitän Hook? Woher kommt der Hass des Piratenkapitäns auf den Jungen Peter? Autor und Zeichner Regis Loisel, inzwischen ein namhafter Künstler auf dem Gebiet der Comics, der Graphic Novels, begründete mit der Vorgeschichte zum berühmten Kinderabenteuer von James Matthew Barrie seinen Ruhm, den er seither stetig ausgebaut hat.
Eine furchtbare Welt, dieses London im Winter 1887. Für Peter gibt es weitaus mehr als nur einen Grund zur Flucht. Die Mutter verdient diese Bezeichnung nicht. Kaum einer schert sich um Kinder. Peter kennt eigentlich nur einen guten Menschen, der sich um ihn kümmert. Es ist bitterkalt, überall ist es dreckig, die Moral liegt gänzlich am Boden und ein Menschenleben ist austauschbar und von keinerlei Wert. Das Licht von Glöckchen, ein Name, den Peter der kleinen Fee selbst gibt, wird hier wahrhaft zum Hoffnungsschimmer in dunkler Nacht. Regis Loisel gelingt mit der Sequenz um Peters ersten Flug eine kleine Meisterleistung und wunderschönes Stück Erzählung.
Vom Regen in die Traufe? Peter wollte Abenteuer. Er bekommt Fabelwesen, Indianer und Piraten, alle schön drapiert auf einer kleinen Insel im Nirgendwo, samt Krokodil. Leider landet Peter nicht genau da, wo er hin soll. Regis Loisel lässt Peter nicht verzagen (das ist Peters Geheimrezept). Piraten! Hier sind die Starken zu finden, denen anzugehören ist gut, außerdem kennt Peter Gewalt zur Genüge. Warum also nicht einmal am anderen Ende des Knüppels stehen? Loisel meistert die neue Szenerie mit einem Strich, der für das Ungewöhnliche wie geschaffen ist. Er wandelt meisterlich zwischen Karikatur und Realismus, genauem Blick für sehr individuelle Merkmale und einer Zeichentechnik, die leicht auf das Blatt geworfen wirkt und den Figuren ein schönes Volumen gibt.
Grandioses Zusammentreffen zwischen Fabelwesen und Indianern. Letztlich ist diese Szene nur ein Beispiel von vielen für den stimmigen Ausdruck von Loisel Zeichnungen. Allerdings ist es hier noch wenig zentrierter als an anderer Stelle. Loisel ist am besten, wenn er sich grafisch so richtig austoben kann und seine Fantasie regelrechte Kapriolen schlägt, es ihm aber trotzdem gelingt, dass es zu keiner Zeit überfrachtet oder bemüht aussieht.
Das Licht folgt Peter zum vorläufig bösen Schluss. Die ersten drei Bände, London, Die Insel und Sturm bilden zusammen einen stark gewobenen Handlungsbogen, der die Figur des Peter Pan zu der Erkenntnis kommen lässt, in der Realität nichts mehr verloren zu haben. (Was er in Wahrheit alles verloren hat, weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal.) Nach einem Höhenflug erfolgt so der Absturz und der Ausblick auf ein neues Leben. Die einzelnen Schritte über die drei Folgen hinweg sind von Loisel minutiös geplant und entsprechend packend über die gesamte Länge erzählt.
Ein Meilenstein des Comic-Genres. Phantastik trifft Realität und Literatur. Eigenwillig und gekonnt illustriert. Regis Loisel hat Vorbildcharakter erlangt. Toll! 🙂
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Freitag, 21. November 2014
Eine Kreatur aus den Tiefen des Meeres gibt Rätsel auf. Augenscheinlich trägt das Wesen mit den Tentakeln einen Anzug, muss also, zieht man die Beschaffenheit der Bekleidung heran, intelligent sein. Die Obduktion findet leider nicht unter Ausschluss anderer Organismen statt. Eine Ratte hat sich in den Raum geschlichen. Rein zufällig wurde die Kreatur am Strand von Coney Island angeschwemmt. Spaziergänger fanden sie. Das seltsame Wesen weckt Begehrlichkeiten. Tot nützt sie der Forschung, den Ärzten vielleicht. Aber lebend kann ein Abkömmling dieses fremden Volkes noch viel wertvoller sein.
Es ist ein kleines, aber keineswegs unwichtiges Detail am Rande in dieser 9. Folge der Reihe HAUTEVILLE HOUSE. Weiterhin geht es für die Akteure darum, das große Ganze im Blick zu behalten. Und dieses große Ganze beinhaltet nichts anderes als eine Neuordnung der Welt. Autor Fred Duval hat, rückschauend, ziemlich viel Bewegung in die dem Leser bekannte Welt gebracht. Die historische Epoche ist noch erkennbar, aber verschiedenste Einflüsse von Jules Verne, H.G. Wells, Steampunk allgemein machen aus der Handlung eine wendungsreiche und immer auf Neue überraschende Geschichte.
Die Drahtzieher im Hintergrund agieren aus den unterschiedlichsten Beweggründen und nicht selten kokettieren sie mit ihren Taten. Das Phantom, der Mann, der von sich behauptet, nicht zu altern und Vertreter des Klerus kreisen um den Stein der Weisen. Dieses besondere Stück hat schon häufiger die Literatur bewegt. Hier erscheint es als Miniaturmonolith, der unscheinbar wirkt, dafür jedoch ungewöhnliche Eigenschaften besitzt. Die Menschen erhalten von ihm Antworten. Der Triumph über den Fund des Objekts währt nur ganz kurz.
Gavroche, ein Held einer vergangenen Zeit. Der Agent Gabriel Valentin la Rochelle, kurz Gavroche, ist eine sehr eigenständige Figur und entzieht sich gerne Vergleichen. Seine Ernsthaftigkeit, sein mustergültiges Auftreten lassen einen allenfalls an einen sehr erwachsenen D’Artagnan denken, ohne Degen. Er ist ein Abenteurer, der nicht aufgibt. Nach dem Triumph folgt die Falle, der Falle folgt die halsbrecherische Flucht. Gavroche bewahrt die Ruhe, denn das zeichnet ihn aus. Die Figur ist erfrischend, weil sie zu keiner Zeit in Frage gestellt werden kann. Als Leser bleibt man gerne an ihrer Seite. Auf das weibliche Gegenstück der Handlung, Eglantine, trifft dies ebenso zu.
Die Welt von HAUTEVILLE HOUSE dürfte innerhalb der vielfältigen Comic-Universen eine der außergewöhnlichsten sein. Sobald die gigantischen Luftschiffe ihre Bahnen über die alten Städte ziehen und von den technischen Fähigkeiten dieser Erde einen Vorgeschmack geben, kann man sich dank der Bilder von Thierry Gioux nicht mehr entziehen. Das Eingangsbild, eine Luftaufnahme des New Yorks im Jahre 1865, nimmt sofort gefangen, bevor das Szenario den Atlantik überquert und ins düstere Paris mit seinen unterirdischen Gewölben führt. Geheimnisvolle Orte gibt es reichlich, ausgeklügelte Gefahren tun ihr Übriges, um Thierry Gioux und das weitere Grafikteam viele Gelegenheiten zu geben, um diese Atmosphäre sehr schön bildhaft zu beschreiben.
Die Kenntnis des Beginns des zweiten Zyklus‘ ist schon Pflicht, um all den Geheimnissen und Pfaden, die von Fred Duval ausgelegt wurden, zu folgen. Für Steampunk-Fans und solchen Lesern, die alternative Realitäten in Geschichten allgemein mögen, ist dieses Abenteuer wie speziell gemacht. Der feine skizzenhafte Stil von Thierry Gioux prägt die Reihe auf eine starke, wiedererkennbare Weise. 🙂
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Donnerstag, 20. November 2014
Vor einigen Jahren noch war DEADPOOL eher eine Randfigur im MARVEL-Universum. Der Kopfgeldjäger im roten Dress mit den schwarz schattierten Augen wirkte zuerst wie eine überdrehte Spider-Man-Variante, die mit japanischen Schwertern auf ihre Gegner losgeht. DEADPOOL nervte seine Feinde, die wenigen Helden, die ihm ein wenig zugetan waren, sogar einen weitestgehend ruhigen Charakter wie Daredevil. Doch gerade diese Eigenschaften, seine Fähigkeit, alles und jedes, ohne mit der Wimper zu zucken, umzulegen, katapultierte diese Figur weit nach vorne.
Mittlerweile hatte Ryan Reynolds seinen ersten Auftritt als DEADPOOL (Wade Wilson) in X-MEN ORIGINS: WOLVERINE. Eine Realverfilmung rund um den stets durchgeknallten Helden soll folgen. So lange jedoch kann sich der Fan dieser Figur an einem kleinen, rein computergenerierten Teaser auf Youtube erfreuen: DEADPOOL Teaser Clip.
Das Spektakel bringt die Figur absolut auf den Punkt. Auf den ersten Blick mag man meinen, DEADPOOL lege sich mit Agenten der Matrix an. Auf den zweiten Blick mag eine solche Anspielung durchaus gewollt sein, denn immerhin schließt der Teaser auch mit einem Zitat Sylvester Stallones aus dem Film Die City-Cobra. DEADPOOL erledigt es im Gegensatz zum Original gewollt humorvoll. Nachdem er, der Fan kann es sich denken, die Herren in Schwarz alle umgelegt hat.
Toll gemacht, im Matrix-Stil, ebenso gewalttätig, aber das gehört zu diesem MARVEL-Charakter dazu, hat er doch schließlich mittlerweile versucht, so gut wie alles und jedes aus dem MARVEL-Universum umzulegen. 🙂
Link: DEADPOOL Teaser Clip
Schlumpfige Weihnachten. Alles schläft … Moment mal! Alles schläft? Nun, da der Schnee die Landschaft zudeckt, geht in der Natur alles gemächlicher, langsamer und so manches Tier verschläft diese anstrengende Jahreszeit lieber gleich. In Winterschlaf im Schlumpfland hat die Angelegenheit leider einen Haken. Fauli schläft sowieso das ganze Jahr über lieber. Und was für einen Siebenschläfer gut ist, ist dem Fauli gerade recht. Also, schnell in das Fell des kleinen Nagers gekuschelt und in schöne Träume eingetaucht. Nur vermissen ihn wenig später seine schlumpfigen Freunde und eine Suchaktion folgt auf dem Fuße.
Kurzgeschichten entführen den Fan der Schlümpfe in die Winterzeit und die Weihnachtszeit. Wie es das Titelbild bereits ankündigt, wird es turbulent. Einen nicht unerheblichen Anteil daran trägt Gargamel, der selbst in der beschaulichen Jahreszeit nicht von seiner Jagd auf Schlümpfe lassen kann. Bei aller Boshaftigkeit versinkt der Zauberer gerne im Selbstmitleid. Gargamel kann sich überhaupt nicht erklären, warum er zu Weihnachten keine Geschenke vom Weihnachtsmann erhält. Ein schlumpfiges Fest wird es hauptsächlich für die Schlümpfe. Für Gargamel wird es zu einem Kampf gegen seine bösen Wunschträume, bis zum Ende der Geschichte.
So gezwungen darf der Leser noch eine der halbwegs besseren Seiten des Zauberers kennen lernen. In Die kleine Tanne und Die seltsamen Schneemänner ist es mit dieser Gutmütigkeit schon wieder vorbei. Die kleine Tanne besitzt ein, zwei brutale Momente, die ziemlich unerwartet sind und verwundern, aber so schnell sie kommen, sind sie auch schon wieder vorbei. Monster sind in der Welt der Schlümpfe eben auch das, was sie in der übrigen Welt sind: Monster. Und keine Kuschelkreaturen. Die seltsamen Schneemänner sind zwar auch nicht zum Kuscheln da, dafür haben sie einen guten Charakter.
Und die armen Schneemänner sind infolge des nahenden Frühlings auf der Suche nach einer neuen Heimat oder wenigstens einem Versteck, in dem sie die warmen Jahreszeiten überdauern können. Das ist niedlich kindgerecht, auch im Kampf gegen Gargamel und hat, wie in Die kleine Tanne, nichts von einem Schlumpf, der mit einem Beil einem Drachen die Schwanzspitze abhakt. In Weihnachten für den kleinen Paul darf der Weihnachtsmann selbst eingreifen. Die Schlümpfe werden einerseits zu seinem Beschützer, andererseits zum Ersatzweihnachtsmann. Das hat Herz und bildet einen schönen Abschluss des zweiten Bandes aus der Welt der Schlümpfe.
Viele Spuren im Schnee, zur Weihnachtszeit und im Winter. Meist fröhlich, herzlich, immer schön gezeichnet, ganz im gewohnten Stil. Macht nicht nur zur Weihnachtszeit Spaß. 🙂
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Sonntag, 16. November 2014
Maria und Joseph führen ein bescheidenes Leben. Sie ergänzen sich perfekt. Er arbeitet in der Schreinerei, sie führt die Bücher. Bis eines Tages ein Engel erscheint und die frohe Botschaft verkündet. Maria ist schwanger, aber Joseph ist nicht der Vater. Das kommt selbst für den guten Mann überraschend, der sich schlussendlich belehren lassen muss, dass Gottes Sohn in Maria heranwächst und Joseph seine Maria ganz schnell heiraten soll. Gesagt getan. Und wieder scheint alles perfekt zu sein. Wäre da nicht diese Volkszählung, für die sich die beiden auf den Weg machen müssen, obwohl Maria inzwischen hochschwanger ist.
Die Schafshirten befinden sich gerade in einer kleinen Auseinandersetzung, wer denn auf die Schafe aufpassen soll, als sich der Engel, der Gesandte Gottes meldet und auf seine unnachahmlich Weise Gehör verschafft. Zuvor hatte er derart schon Maria die frohe Botschaft überbracht. So recht verstanden haben es die Hirten nicht, machen sich jedoch auf den Weg, um das Baby mit dem Heiligenschein zu finden. Soll eben der Hund solange auf die Schafe aufpassen.
Die Weihnachtsgeschichte ohne Worte. Aber mit einer gehörigen Portion Humor erzählt. Frank Flöthmann, der mit dieser Erzählweise seinen ganz eigenen Stil gefunden hat, bringt durch diese Interpretation der Erzählung über das Elternpaar des Christkindes eine Version, die vielleicht auch jenen einprägsam ist, die in Zeiten von Smileys und Hashtags mal eben auf die Schnelle wissen wollen, was an Weihnachten so Sache ist. Was zuallererst auffällt: Wortlosigkeit braucht Platz. Zwei Bilder, ein Bild auf einer Seite oder sogar ein Bild auf einer Doppelseite. Die Figuren treten als Icon-Männchen auf, sehr reduziert also. Ihre Zeichensprache, wortlos, bildhaft und verständlich, benötigt Raum, denn gerieten sie zu klein, ginge vielleicht die Schnelligkeit der Botschaftserfassung verloren. Und es ist erstaunlich, wie gut diese gelingt.
Zwar kann ein wenig Grundkenntnis über die STILLE NACHT nicht schaden, wenn allerdings Joseph Maria prallen Bauch befühlt und (in Symbolsprache) von einem Boxer spricht, ist wie an jeder anderen Stelle der Erzählung unzweifelhaft, was gemeint ist. Nur allzu wenige Variationen und Grundformen sind notwendig, damit nicht nur Figuren entstehen, sondern auch noch durch den Blick auf das Geschehen komplettiert werden. Da findet sich natürlich der Smiley grundsätzlich überall. Da wird mit den Mitteln des Piktogramms gearbeitet, wie es dem modernen Menschen überall heutzutage begegnen kann. Da findet sich aber auch eine gewisse Anarchie und Verniedlichung, wie sie der Leser vielleicht aus Kultserien wie South Park her kennt. Frank Flöthmanns Reduzierung ist freilich noch viel radikaler.
STILLE NACHT ist nicht Flöthmanns erstes Werk. Der comic-begeisterte Grafiker erzählt auf seine Art bereits Grimms Märchen ohne Worte. In Männer ohne Worte nimmt er das ohnehin wortkargere Geschlecht und seine Schwächen auf die Schippe. Da Maria in der stillen Nacht die einzige Frau ist (sieht man von einer hilfsbereiten Herbergsmutter ab), dürfen sich auch hier die Männer insgesamt warm anziehen. Die Krone der Schöpfung, symbolisiert durch Joseph, die Hirten und die heiligen drei Könige, sind etwas tollpatschig, verspielt, allerdings sehr gut durch himmlische Mächte zu inspirieren. Die drei Hirten erinnern in ihrem Auftreten ein wenig an die drei Stooges, lösen ihre Querelen aber gewaltfrei. Und modern wie die heiligen drei Könige sind, holen sie ihre Geschenke für ein Kind natürlich im Spielzeugladen. Das Schmunzeln wächst beim Betrachten der Bilder von Seite zu Seite. Mit dem Aha-Effekt (ich hab’s ohne Worte verstanden!) kommt das Lachen.
Joseph wird ungewollt Vater und sucht den Notausgang. Ein Engel hält ihn auf. Zur rechten Zeit, denn ansonsten wäre die Geschichte allzu früh vorbei und der Spaß zu kurz. Frank Flöthmann hat einen schönen Weg gefunden, die Geschichte zur STILLEN NACHT neu zu erzählen. Zeitlos lustig mit zeitloser Botschaft! 🙂
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Links: 2-f.de (Homepage des Comic-Künstlers)
Donnerstag, 13. November 2014
Zuerst wurde Larry zu diesem Fall gezwungen. Als der Zwang sich in Luft auflöst, er die Kontrolle zurückgewinnt, langsam nur, aber auf Dauer, beginnt ihn die Sache doch richtig zu interessieren. Nur leichter wird seine Aufgabe dadurch nicht. Ganz im Gegenteil. Das Rätsel ist und bleibt eine harte Nuss. Es kann nur gemutmaßt werden, wie es sich damals, vor so vielen Jahrzehnten, abgespielt hat. Jede Idee führt in eine andere Richtung, was eine globale Suche nicht vereinfacht, die mangels Vertrauter im näheren Umfeld zu einer Mammutaufgabe ausarten würde, wenn Larry nicht doch noch den richtigen Einfall hätte …
Larry B. Max wird von Autor Stephen Desberg in einen Fall gehetzt, der einer der größten und schwierigsten ist. Larry ist nicht nur höchst persönlich involviert, er muss auch noch ein Rätsel lösen, dessen Spuren über Jahrzehnte hin verwischt wurden. Larry B. Max, der Ermittler des I.R.S., sieht sich von mehreren Seiten unter Druck gesetzt. Er selbst ist durch den Tod des Mörders seiner früheren Freundin in arge Bedrängnis geraten. Nur deshalb, weil er erpresst wird, hat er sich bereit erklärt, Yamashitas Gold zu finden. Der Goldschatz, dereinst während der japanischen Übergriffe auf China von einer hoch stehenden Familie aus dem Kreis der organisierten Kriminalität geraubt, wurde auf schlaue Weise versteckt.
Stephen Desberg kennt die Mechanismen eines auf internationalem Parkett spielenden Thrillers sehr genau. Faszinierende Orte lösen sich mit schönen Frauen und gefährlichen Umgebungen ab. Das Titelbild verrät dem Leser bereits etwas. Neben den Rückblicken in eine kriegerische Vergangenheit, verschlägt es Larry B. Max auch unter Wasser auf der Suche nach gigantischen Buddha-Statuen, die doch nur Fassade für einen ebensolch riesigen Schatz sein sollen.
Ebenso verwoben sind Rückblenden aus Larrys Leben, seiner Gegenwart und Szenen aus den letzten Kriegstagen, als japanische Einheiten das aus China gestohlene Gold, offiziell, für den Kaiser in Sicherheit bringen sollen. In den Farben alter Schwarzweißaufnahmen entspinnt sich ein Drama, immer nur in Auszügen erzählt, dem sich Stephen Desberg zugunsten eines Dreiteilers gerne mehr Erzählzeit hätte nehmen können. Da die Anteile aus Gegenwart und Vergangenheit außerordentlich komplex sind, der Platz aber begrenzt ist, hastet er zwangsläufig manchmal arg zu schnell durch die Szenarien.
Bernard Vrancken, mit der farblichen Unterstützung durch Coquelicot, pflegt weiterhin einen reduzierten Realismus. Die Bilder könnten auf der Basis eines Films entstanden sein. Eine gleichfalls reduzierte Kolorierung imitiert leicht unscharfe Fotografien, die in Teilbereichen nachgetuscht worden sind. Gerade in den historischen Aufnahmen ist die Wirkung des so entstandenen Effekts sehr schön eingesetzt. Die Action hält sich in Grenzen, so dass Vrancken sich auf die Interaktion der Charaktere konzentrieren kann. Überbordende blutige Szenen werden gerade so eben gezeigt. Spannung entsteht hier nicht durch Gewalt, sondern durch gewissenhaftes Inszenieren und Erzählen.
Eine Gaunerin wird vom Saulus zum Paulus. Ein Ganove kehrt zurück. Larry B. Max wird in dieser wendungsreichen Fortsetzung einiges abverlangt, sehr zur Freude des Lesers, dem viele Gelegenheiten zum Mitfiebern geboten werden. Und er kann auch nicht vor Larry auf des Rätsels Lösung kommen. Beste Thriller-Unterhaltung. Die Kenntnis des Vorgängerbandes, Yamashitas Gold, ist Pflicht. 🙂
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Montag, 10. November 2014
Nicht nur das Verhalten von Sherlock Holmes war einer gewissen Gewöhnung unterworfen. Besonders Dr. Watson kann beurteilen, wie schwierig das Auskommen mit dem genialen Freund mitunter war. Die Familie des Verstorbenen entwirft sich vor den Augen des Doktors noch merkwürdiger. Im Traum führt der alte Freund den Doktor auf eine mysteriöse Spur. Erinnerungen sind männlich geprägt. Die beiden Brüder, der kleine Sherlock, der etwas ältere Mycroft, verbringen die Zeit mit ihrem Vater. Eine Mutter fehlt in diesen Bildern. Der Vater, inzwischen pflegebedürftig, kann oder will keine Auskunft geben. Zusammen mit seiner Frau folgt Dr. Watson den Spuren in die Vergangenheit.
Der Schatten des Zweifels ist über dem Erbe des Sherlock Holmes aufgezogen. War er wirklich der über die Maßen intelligente Ermittler, der die Schurken dank der überragenden Geistesfähigkeiten dingfest machte? Oder war er am Ende ein Scharlatan, der es zuwege brachte selbst den engsten Freund zu täuschen und einen Erzfeind zu erschaffen, der lediglich in der Fantasie existierte? Dr. Watson kann und will diese Botschaft nicht glauben. Die Spur zur Lösung des Rätsels führt ausgerechnet nach Frankreich. Unterdessen betreibt der junge Wiggins seine eigenen Nachforschungen. Einst von Sherlock Holmes entdeckt, tritt er nun in die Fußstapfen seines Vorbilds und schlittert in eine der irrsinnigsten Schlägereien, die London je erlebte.
Luc Brunschwig beleuchtet den jungen Mann namens Simeon Wiggins genauer, von dem der Leser bislang auch hätte annehmen können, es handele sich um eine Art Aufschneider. Der Zusatz auf seiner Visitenkarte, Wärmstens empfohlen von Mr. Sherlock Holmes, ist eine Referenz der besonderen Art, die neugierig macht, aber auch nicht sehr glaubhaft klingt. Allerdings wird den jeweiligen Gegenübern, immerhin den Erwachsenen, schnell klar, dass Mr. Wiggins einiges von dem über die Landesgrenzen hinaus bekannten Privatdetektiven gelernt hat. Aus dem Straßenjungen von einst ist ein Mann mit Umgangsformen geworden. Luc Brunschwig verwebt hier elegant die Lebensgeschichte des jungen Mannes, das Schicksal von Sherlock Holmes mit einem weiteren in der Schwebe befindlichen Kriminalfall.
Es ist nicht nur Spannung der leisen Art, wie sie im ersten Teil noch dominierte. In manchen Passagen geht es handfest zur Sache. Das ist besonders in einem Fall kurios anzuschauen und zu lesen. Cecil, der Comic-Künstler, geht in einem sehr anschaulichen Anhang, Making of, auf die rasante Sequenz ein, in der sich die Polizei Londons kaum des Mobs erwehren kann. Es herrscht Lynchstimmung auf den Straßen. Die Besonderheit sind die ausufernden Massenszenen, die Cecil hier bewältigen muss und es mit dem gleichen Blick schafft, der auch Künstlern von wandgroßen Historiengemälden zueigen ist, die es schaffen, in jedem Bildausschnitt ein kleines Drama einzubauen.
Das Making of trägt einiges dazu bei zu erkennen, wie Cecil den Bildaufbau betreibt und neben der rigorosen Charakterisierung der einzelnen Figuren auch das alte London und das ländliche Frankreich wiedererstehen lässt. Obwohl die Hintergründe oft nur der Kulisse dienen und eine nachgeordnete Rolle spielen, befördern sie die Geschichte fühlbar wie ein Blick auf alte Fotografien. Auffällig, bereits in der Handlung selbst, ist die Vorstellung eines neuen Mitspielers, Dr. Dudley Parks, der vor Jahren von Sherlock Holmes verdächtigt wurde, Jack the Ripper zu sein. Wie akribisch diese (und andere) Charaktere vorbereitet wurden, lässt das Skizzenbuch im Anhang erahnen. Gleichzeitig, mit der Beleuchtung der Arbeitsprozesse, wird auch der Arbeitsaufwand hier hervorragend gezeigt. Originalblätter dürften sogar in Bilderrahmen ein schönes Zuhause finden.
Mysteriöse Ereignisse bilden die Grundlage für stärkere Dramatik als im ersten Teil. Erzählung und grafische Gestaltung sorgen für sehr präzise Charakterdarstellungen und vertiefen insbesondere die Figur des Dr. Watson, der hier endgültig aus dem Schatten seines großartigen Freundes ins Licht tritt, allen eigenen Zweifeln zum Trotz. Eine weiterhin sehr schöne und würdige Fortsetzung um die Figur des Sherlock Holmes. 🙂
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